Verwaltungsrecht

Unzulässiger Antrag auf Zulassung der Berufung – Nichtverlängerbarkeit der Begründungsfrist

Aktenzeichen  20 ZB 18.911

Datum:
11.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11878
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 56 Abs. 2, § 57, § 60, § 124a Abs. 4 S. 4
ZPO § 85 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Unkenntnis des Umstandes, dass die gesetzliche Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung mangels gesetzlicher Bestimmung nicht durch richterliche Anordnung verlängert werden kann, begründet anwaltliches Verschulden. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung in einer Verwaltungsstreitsache übernimmt, gehört die Wahrung der im Verwaltungsgerichtsprozess maßgeblichen Rechtsmittelbegründungsfristen zu seinen wesentlichen Aufgaben, die er ohne eigene Anleitung und sorgfältige Überwachung grundsätzlich auch nicht gut ausgebildetem Büropersonal überlassen kann. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 4 K 16.647 2018-03-07 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 16.219,38 Euro festgesetzt.

Gründe

Der am 13. April 2018 fristgerecht gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 7. März 2018 ist unzulässig und daher zu verwerfen, weil er nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO begründet worden ist.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 7. März 2018 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 15. März 2018 zugestellt (§ 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 174 ZPO). Die zweimonatige Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, über die im Urteil ordnungsgemäß belehrt wurde, lief deshalb nach § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 15. Mai 2018 ab, so dass die erst am 28. Mai 2018 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangene Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht fristgerecht erfolgt ist.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren, da die Klägerin nicht glaubhaft gemacht hat, unverschuldet an der Einhaltung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gehindert gewesen zu sein (§ 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 VwGO). Die Nichteinhaltung der Begründungsfrist beruht vielmehr auf dem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das sich die Klägerin wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muss (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Der Prozessbevollmächtigte hat es unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt für die Einhaltung der Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt, sich über die – zu verneinende – Frage einer Verlängerbarkeit der gesetzlichen Begründungsfrist zu vergewissern und demgemäß rechtzeitig eine Begründung einzureichen.
Die gesetzliche Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) kann – anders als die Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 3 VwGO) – mangels gesetzlicher Bestimmung (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 224 Abs. 2 ZPO) nicht durch richterliche Anordnung (des Vorsitzenden) verlängert werden (vgl. etwa Happ in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 50). Die Unkenntnis dieses – anhand der eindeutigen gesetzlichen Regelung sowie der einschlägigen Kommentarliteratur ohne weiteres erkennbaren – Umstands begründet deshalb anwaltliches Verschulden (OVG NRW, B.v. 24.3.2006 – 10 A 737/06 – juris Rn. 4; B.v. 1.4.2014 – 6 A 408/14 – juris Rn. 9).
Den anwaltlichen Prozessbevollmächtigten kann insoweit auch nicht entlasten, dass es sich dabei um eine von anderen Rechtsmittelbegründungsfristen (ggf. in anderen Prozessordnungen) abweichende Regelung handelt. Wenn ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung in einer Verwaltungsstreitsache übernimmt, gehört die Wahrung der im Verwaltungsgerichtsprozess maßgeblichen Rechtsmittelbegründungsfristen wie der Frist nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zu seinen wesentlichen Aufgaben (SächsOVG, B.v. 7.8.2009 – 4 A 6/09 – juris Rn. 3), die er ohne eigene Anleitung und sorgfältige Überwachung grundsätzlich auch nicht gut ausgebildetem Büropersonal überlassen kann (vgl. BVerwG, B.v. 10.12.1991 – 5 B 125.91; B.v. 15.8.1994 – 11 B 68.94; B.v. 7.3.1995 – 9 C 390.94; B.v. 6.6.1997 – 4 B 85.97 – jeweils juris).
Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie der betroffenen Kanzleiangestellten in dem Antrag auf Wiedereinsetzung vom 25. Mai 2018 ändern an dieser Bewertung nichts. Zum einen liegt der Pflichtenverstoß des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zuvorderst darin, dass ihm die Nichtverlängerbarkeit der Begründungsfrist nicht bekannt war. Zum anderen konnte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ohnehin nicht davon ausgehen, dass eine Rechtsmittelfrist ohne weiteres verlängert wird. Vielmehr hätte er von sich aus vor Fristablauf den Dingen auf den Grund gehen müssen und ggf. die Begründung noch vor Ablauf der Frist einreichen müssen. Dass zusätzlich noch durch ein Kanzleiversehen der vom Senat sofort nach Eingang des Fristverlängerungsgesuchs übersandte Hinweis auf die Nichtverlängerbarkeit der Frist falsch zugeordnet wurde, ändert an der eigenen Pflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nichts. Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob der Klägerbevollmächtigte sein Kanzleipersonal hinreichend organisiert und überwacht hat.
Folglich war der Wiedereinsetzungsantrag abzulehnen und der Zulassungsantrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zu verwerfen.
Der Streitwert folgt aus § 52 Abs. 1 und 3 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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