Verwaltungsrecht

Unzulässiger Asylantrag wegen Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedsstaat

Aktenzeichen  M 21 K 16.33950, M 21 S 16.33951

Datum:
13.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Die Lebensverhältnisse anerkannter Flüchtlinge in Italien stellen sich nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend iSd Art. 3 EMRK dar, da davon auszugehen ist, dass sie den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Anträge auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für die Verfahren M 21 S 16.33951 und M 21 K 16.33950 werden abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Abschiebungsandrohung nach Italien.
Er ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger von Sierra Leone, das er 1999 verließ. Entsprechend seinen Angaben bei den Anhörungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 13. Mai und 22. Juni 2015 lebte er nach seiner Ausreise aus Sierra Leone bis zu seiner Einreise nach Deutschland zunächst acht Jahre in Libyen und dann sechs Jahre in Italien. Er reiste am 9. März 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 13. Mai 2015 einen Asylantrag. Er gab an, er habe in Italien internationalen Schutz erhalten, wolle aber nicht nach Italien überstellt werden, da sein Leben dort in Gefahr sei. Er habe in Italien für die Mafia gearbeitet. Als er das habe beenden wollen, habe er Morddrohungen bekommen. Die Polizei in Italien interessiere sich für Schwarze nicht. Zudem seien in Italien alle sehr rassistisch, man bekomme dort keine Möglichkeit normal zu leben. Er habe in Italien auf der Straße schlafen und betteln müssen. Er machte außerdem unter Hinweis auf ärztliche Bescheinigungen gesundheitliche Probleme geltend.
Auf ein Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes vom 26. Mai 2015 nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b VO 604/2013 (Dublin-III-VO) teilte Italien mit Schreiben vom 21. Juli 2015 mit, dass dem Antragsteller dort Flüchtlingsschutz zuerkannt worden sei. Im Hinblick auf das abgeschlossene Asylverfahren wurde darauf hingewiesen, dass eine Überstellung auf Grundlage entsprechender Abkommen über die polizeiliche Zusammenarbeit erfolgen müsse.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2016 (zugestellt am 29.10.2016) lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Italien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat mit Ausnahme von Sierra Leone angedroht (Nr. 3 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4 des Bescheids).
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei wegen der Schutzgewährung in Italien gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union seien sichere Herkunftsstaaten. Der Antragsteller habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, dass ihm in Italien eine Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch einen Akteur drohe. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Italien würden kein Abschiebungsverbot begründen. Der Antragsteller sei arbeitsfähig und es sei davon auszugehen, dass er in Italien zumindest das erforderliche Existenzminimum erlangen könne. Die vom Antragsteller geltend gemachten Morddrohungen seitens der Mafia seien unsubstantiiert und ließen nicht erkennen, dass der Antragsteller versucht habe, sich an die italienischen Behörden zu wenden. Dem Antragsteller drohe im Hinblick auf seine gesundheitlichen Beschwerden keine individuelle Gefahr für Leib und Leben i.S.v. § 60 Abs. 7 AufenthG. Flüchtlinge und Schutzberechtigte seien in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt und hätten Zugang zu der funktionierenden gesundheitlichen Versorgung in Italien.
Der Kläger hat am 7. November 2016 durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben (M 21 K 16.33950) und beantragen lassen,
den Bescheid vom 25. Oktober 2016 mit Ausnahme von Nr. 3 Satz 4 aufzuheben, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 3 Sätze 1 bis 3 des Bescheids vom 25. Oktober 2016 anzuordnen.
Zudem wurde beantragt,
dem Antragsteller im vorliegenden Verfahren sowie im Klageverfahren M 21 K 16.33950 Prozesskostenhilfe zu gewähren und den Bevollmächtigten beizuordnen.
Das Bundesamt hat die Akten mit Schreiben vom 28. Dezember 2016 vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie die Behördenakte verwiesen.
II.
Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung ist zulässig aber unbegründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung u.a. bei Abweisung des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ferner die – nach § 31 Abs. 3 AsylG auch bei unzulässigen Asylanträgen zu treffende – Feststellung des Bundesamtes zum Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Entsprechend diesem Maßstab liegen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vor.
Das Gericht folgt der Begründung des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin: Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Diese Voraussetzungen liegen entsprechend der Mitteilung des italienischen Innenministeriums vom 21. Juli 2015 vor. Entsprechend dieser Mitteilung hat der Antragsteller „refugee status“, also Flüchtlingsstatus im Sinne von Art. 2 Buchst. e der RL 2011/95/EU und nicht lediglich subsidiären Schutzstatus („subsidiary protection status“) i.S.v. Art. 2 Buchst. g der RL 2011/95/EU erhalten.
Entsprechend den ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Bundesamts zu der – im Hinblick auf § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zutreffend auf Italien beschränkten Prüfung von nationalen Abschiebungsverboten (vgl. BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – juris Rn. 32) – bestehen auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Ausführungen des Bevollmächtigten zur Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Situation von Asylbewerbern mit offenen Asylverfahren sind für die hier vorliegende Fallkonstellation anerkannter Flüchtlinge nicht einschlägig. Entsprechendes gilt für die Behauptung, die Situation abgelehnter Asylbewerber und solcher mit subsidiärem Schutzstatus stelle sich noch schlechter dar. Für die hier maßgebliche Fallgruppe anerkannter Flüchtlinge stellen sich die Lebensverhältnisse in Italien nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK dar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien grundsätzlich italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und erforderlichenfalls staatliche Hilfen in Anspruch nehmen können, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie – wie auch viele Italiener, die arbeitslos sind – die Hilfe caritativer Organisationen erhalten (ausführlich dazu OVG NW, U.v. 24.8.2016 – 13 A 63/16.A – juris Rn. 51 ff.).
Individuelle Umstände, die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen könnten, bestehen nicht. Hinsichtlich der unsubstantiierten Behauptung einer Bedrohung durch die Mafia – in der Sache handelt es sich um die Behauptung einer Verfolgung i.S.v. § 4 AsylG durch nichtstaatliche Akteure in Italien – ist der Antragsteller – unabhängig von der fehlenden Glaubhaftigkeit – auf den Schutz durch die italienischen Behörden verwiesen. Die pauschale Aussage von Ressentiments bei der Polizei in Italien gegen Schwarze ersetzt einen – insbesondere im Hinblick auf die gesetzliche Vermutung bei sicheren Herkunftsstaaten nach § 29a AsylG erforderlichen – individuellen Vortrag nicht. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen – Beschwerden am Knie – begründen im Hinblick auf die Art der Beschwerden und das funktionierende Gesundheitssystem in Italien, das auch anerkannten Flüchtlingen offensteht (vgl. OVG NW, U.v. 24.8.2016 a.a.O. – juris Rn. 90 ff.) offensichtlich kein Abschiebungsverbot i.S.v. § 60 Abs. 7 AufenthG.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig beruhende Abschiebungsandrohung mit der Zielstaatsbestimmung Italien und der einwöchigen Ausreisefrist nach §§, 35, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist nach alledem nicht zu beanstanden. Auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse wie die fehlende Rücknahmeerklärung Italiens oder Fragen der Reisefähigkeit im Zusammenhang mit gesundheitlichen Beschwerden kommt es nicht an, da jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) bei einer Ablehnung eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig wegen bereits erfolgter Gewährung von internationalem Schutz durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union zwingend eine Abschiebungsandrohung und keine Abschiebungsanordnung zu erlassen ist.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dementsprechend sind auch die – im Übrigen ohne die gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gestellten – Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung im Eilverfahren sowie im Klageverfahren M 21 K 16.33950 abzulehnen, da weder der Eilantrag noch die Klage die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten haben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben