Verwaltungsrecht

Unzulässiger Eilantrag eines “untergetauchten” Asylbewerbers

Aktenzeichen  10 CE 21.1469

Datum:
4.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22486
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 82 Abs. 1 S. 1, § 123 Abs. 1
ZPO § 130 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Zur notwendigen Bezeichnung des Antragstellers gehört auch die Angabe seines Wohnorts.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Durch ein “Untertauchen” entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Eilrechtsschutzantrag mit dem Ziel, dass ein Ausreisepflichtiger vorläufig nicht abgeschoben werden darf. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 E 21.1140 2021-05-20 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und Beiordnung des Bevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) zu verpflichten, ihn “vorläufig nicht abzuschieben”; gleichzeitig beantragt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung seines Bevollmächtigten.
Nach den Ausführungen des Antragsgegners in der Stellungnahme vom 15. Juli 2021 war die Abschiebung des Antragstellers für den 26. Mai 2021 terminiert. Als Polizeibeamte ihn an diesem Tag in der Gemeinschaftsunterkunft in Donauwörth hätten abholen wollen, hätten sie festgestellt, dass er sich dort ganz offensichtlich nicht mehr aufhalte; das ihm zugewiesene Zimmer sei augenscheinlich völlig unbewohnt gewesen. Die Ausländerbehörde habe daraufhin seine Ausschreibung zur Festnahme veranlasst; der Antragsteller habe sich nicht mehr gemeldet, obwohl seine Duldungsbescheinigung bereits seit dem 16. Mai 2021 abgelaufen gewesen sei. Die Heimleitung habe ihm am 24. Juni 2021 nach unbekannt verzogen abgemeldet, da er nicht mehr angetroffen worden sei. Zum 7. Juli 2021 sei die Gemeinschaftsunterkunft aufgelöst und geräumt worden. Der Aufenthalt des Antragstellers sei seit seinem Verschwinden unbekannt.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers wurde mit Schreiben des Senats vom 20. Juli 2021 aufgefordert, die aktuelle ladungsfähige Anschrift des Antragstellers mitzuteilen; dieser nannte mit Schreiben vom 2. August 2021 als ihm bekannte Anschrift diejenige der (früheren) Gemeinschaftsunterkunft, der der Antragsteller zugewiesen war.
Die Beschwerde ist bereits unzulässig, weil für den Antragsteller keine ladungsfähige Anschrift vorliegt und ihr aufgrund des “Untertauchens” des Antragstellers auch das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Klage den Kläger bezeichnen. Diese Vorschrift ist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in Bezug auf den Antragsteller entsprechend anzuwenden (BayVGH, B.v. 11.9.2012 – 7 CS 12.1423 – juris Rn. 19; VGH BW, B.v. 25.10.2004 – 11 S 1992/04 – juris Rn. 4; HessVGH, B.v. 21.12.1988 – 4 TG 2070/88 – juris Rn. 27).
Zur Bezeichnung eines Klägers bzw. Antragstellers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO auch die Angabe seines Wohnortes. Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, unter der der Kläger bzw. Antragsteller tatsächlich zu erreichen ist, ist erforderlich, um ihn zu individualisieren und seine Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. Es soll darüber hinaus dadurch auch gewährleistet werden, dass er nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden kann und sich im Falle seines Unterliegens seiner Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Das gilt auch für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren unter Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten oder wenn sich während des Verfahrens die ladungsfähige Anschrift ändert. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn deren Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Solches wird nur dann angenommen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse entgegenstehen (BayVGH, B.v. 7.12.2017 – 10 CE 17.2321 – juris Rn. 6 f.; BayVGH, B.v. 9.8.2016 – 10 CE 16.1145, 10 C 16.1146 – juris Rn. 15; BayVGH, B. 9.5.2016 – 10 ZB 15.677 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 3.2.2016 – 10 ZB 15.1413 – juris Rn. 4).
Entspricht die Klage bzw. der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO, hat das Gericht den Kläger bzw. Antragsteller zu der erforderlichen Ergänzung aufzufordern. Auf die Aufforderung des Senats hat der Bevollmächtigte jedoch nur die – nicht mehr aktuelle – Anschrift der früheren Gemeinschaftsunterkunft mitgeteilt. Damit ist die gebotene Vervollständigung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz unterblieben, der Antrag bzw. die Beschwerde ist damit bereits aus diesem Grund unzulässig.
Weiter ist durch das “Untertauchen” des Antragstellers seit Mai 2021 auch sein Rechtsschutzinteresse entfallen. Seine Abschiebung ist deswegen gegenwärtig unmöglich; in dieser Situation, in der ihm die Abschiebung nicht unmittelbar droht, kann er auch kein Rechtsschutzbedürfnis für seinen Antrag geltend machen. Es ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass einem untergetauchten Beschwerdeführer die begehrte einstweilige Anordnung mit der Begründung versagt wird, Eilrechtsschutz könne auch nach Bekanntwerden seines Aufenthaltsortes noch rechtzeitig gewährt werden (BVerfG, B.v. 25.7.2001 – 2 BvR 1043/01 – juris Rn. 2; BVerfG, B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 22.1.2016 – 10 CE 15.2799 – Rn. 7; BayVGH, B.v. 2.3.2010 – 10 CE 10.462 – juris Rn. 8).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung des Bevollmächtigten war abzulehnen, da die Beschwerde aus den dargelegten Gründen keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat; im Übrigen wurden auch keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und entsprechende Belege vorgelegt (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 117 Abs. 2, Abs. 4, § 121 Abs. 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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