Verwaltungsrecht

Unzureichende Belehrung über die Rechtsfolgen des Nichterscheinens zum Anhörungstermin

Aktenzeichen  B 4 S 16.30569

Datum:
12.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 25, § 33 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 S. 1 AsylG liegen nicht vor, wenn sowohl das Formblatt „Wichtige Mitteilung“ als auch die Ladung zur Anhörung nur den Hinweis, dass bei unentschuldigtem Nichterscheinen zum Anhörungstermin ohne persönliche Anhörung entschieden werden kann, nicht aber über die Möglichkeit, den Asylantrag als zurückgenommen zu behandeln mit der Folge, dass das Verfahren gemäß § 33 Abs. 5 S. 1 AsylG in Verbindung mit § 32 AsylG eingestellt und über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nach Aktenlage entschieden wird, belehrt worden ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebenden Wirkung der Klage vom 24.04.2016 (B 4 K 16.30570) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15.04.2016 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller, kosovarischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit, reiste am 05.03.2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14.03.2016 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), nachdem seine Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 10.03.2016 dem Bundesamt die Vertretung des Antragstellers im Asylverfahren angezeigt hatten.
Am 14.03.2016 bestätigte der Antragsteller mit seiner Unterschrift den Erhalt des Formblattes „Wichtige Mitteilung“ in albanischer Sprache. Dieses enthält unter anderem den Hinweis, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben könne (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn er zu dem Termin zur Anhörung, den er vom Bundesamt erhalten werde, nicht erscheine, ohne vorher seine Hinderungsgründe rechtzeitig dem Bundesamt schriftlich mitgeteilt zu haben.
Mit Schreiben vom 29.03.2016 teilte das Bundesamt den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers mit, dass ein Termin zur persönlichen Anhörung am 13.04.2016 um … Uhr anberaumt worden sei. Das Schreiben enthält den Hinweis, dass über den Asylantrag ohne persönliche Anhörung entschieden werden könne, wenn der Antragsteller zum Termin nicht erscheine, ohne dass vorher rechtzeitig schriftlich dem Bundesamt Hinderungsgründe mitgeteilt worden seien.
Laut Zustellungsurkunde wurde die Ladung zur Anhörung am 31.03.2016 auch dem Antragsteller persönlich zugestellt, indem die Postbedienstete das Schriftstück einer namentlich benannten Beschäftigten der ARE Bamberg übergab.
Mit Bescheid vom 15.04.2016, der den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers mit einem Begleitschreiben vom 15.04.2016 übermittelt wurde, wurden vom Bundesamt
1.festgestellt, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist,
2.festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen,
3.der Antragsteller unter Fristsetzung von einer Woche und Abschiebungsandrohung in den Kosovo oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat zur Ausreise aufgefordert und
4.das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Die Einstellung des Asylverfahrens wird damit begründet, dass der Antragsteller zum Anhörungstermin ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen sei.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 24.04.2016, beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 25.04.2016, hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 15.04.2016 Klage erhoben und gleichzeitig beantragt,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Zur Begründung wird geltend gemacht, mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 14.04.2016 sei der Antragsgegnerin unter Vorlage eines ärztlichen Attestes vom 13.04.2016 mitgeteilt worden, dass der Antragsteller aufgrund einer Erkrankung nicht verhandlungsfähig sei. Davon abgesehen habe die Antragsgegnerin es versäumt, dem Antragsteller gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben bzw. gemäß § 25 Abs. 5 Satz 4 AsylG in Verbindung mit § 33 AsylG a.F. eine Betreibensaufforderung zu erlassen. Ausgehend von § 33 Abs. 1 und 2 AsylG n.F. habe der Antragsteller durch Vorlage des ärztlichen Attestes unverzüglich nachgewiesen, dass das Versäumnis des Anhörungstermins auf Umstände zurückzuführen gewesen sei, auf die er keinen Einfluss gehabt habe. Außerdem sei der Antragsteller nicht ordnungsgemäß nach Maßgabe des § 33 Abs. 4 AsylG belehrt worden.
Das Bundesamt hat mit Schriftsatz vom 26.04.2016 unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Ergänzend vertrat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 04.05.2016 die Auffassung, Eilantrag und Klage seien abzuweisen, weil der Antragsteller stattdessen den einfacheren und aufgrund des § 33 Abs. 1 und 2 AsylG n.F. hier korrekten Weg hätte wählen müssen, beim Bundesamt einen Antrag auf Fortführung des Verfahrens zu stellen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Bundesamtsakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 24.04.2016 (B 4 K 16.30570), über den gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheidet, ist zulässig (1.1) und begründet (1.2).
1.1 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Einstellung des Asylverfahrens (Ziffer 1 des Bescheides vom 15.04.2016) und die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheides vom 15.04.2016) ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Abs. 1 AsylG statthaft. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG hat die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 sowie der §§ 73, 73b und 73c AsylG aufschiebende Wirkung. Hier geht es weder um Widerruf und Rücknahme (§§ 73, 73b und 73c AsylG), noch liegt ein sonstiger Fall im Sinne des § 38 Abs. 1 AsylG vor, sondern ein Fall des § 38 Abs. 2 AsylG, in dem die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche beträgt, weil das Bundesamt den Rücknahmefiktionstatbestand des § 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG als erfüllt ansieht.
Die in Literatur und Rechtsprechung vertretene Auffassung, für einen Eilantrag auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO fehle regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis, da mit dem an keine weiteren Voraussetzungen gebundenen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG eine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung des Rechtsschutzes zur Verfügung stehe (Hailbronner, AuslR, 98. Aktualisierung Oktober 2016, § 33 AsylG Rn. 66 m.w.N.), ist abzulehnen. Die Feststellungen nach § 33 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 32 AsylG und die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG verletzen den Antragsteller in seinen Rechten, wenn sie rechtswidrig sind. Mit der verfassungsrechtlichen Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG ist es daher nicht vereinbar, den Antragsteller auf die Inanspruchnahme des § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG zu verweisen.
1.2 Der Antrag ist begründet. Zwar hat das Bundesamt die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG auch im Fall der Verfahrenseinstellung nach § 32 AsylG zu erlassen (BVerwG, Urteil vom 17.12.2009 – 10 C 27/08, Rn. 11 und 12, juris). Das gilt auch, wenn das Verfahren nach § 33 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 32 AsylG eingestellt wird. Die Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG wird sich im Hauptsacheverfahren aber aller Voraussicht nach als rechtswidrig erweisen mit der Folge, dass auch über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht gemäß § 32 AsylG nach Aktenlage hätte entschieden werden dürfen. In diesem Fall wäre auch die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG rechtswidrig.
Bei Erlass des Bescheides vom 15.04.2016 galt bereits § 33 AsylG in seiner aktuellen Fassung. Nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt das Asylverfahren ein, wenn der Asylantrag gemäß § 33 Abs. 1 oder Abs. 3 AsylG als zurückgenommen gilt. Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 AsylG oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Wird das Erfordernis der schriftlichen Belehrung über die Rechtsfolgen nicht eingehalten, so sind die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung nicht gegeben (Hailbronner, a.a.O., § 33 AsylG Rn. 61).
Sowohl das Formblatt „Wichtige Mitteilung“ als auch die Ladung zur Anhörung enthalten nur den Hinweis, dass bei unentschuldigtem Nichterscheinen zum Anhörungstermin ohne persönliche Anhörung entschieden werden kann (§ 25 Abs. 4 Satz 5 bzw. Abs. 5 Sätze 1, 2 und 3 AsylG). Über die Möglichkeit, gemäß § 25 Abs. 5 Satz 4 AsylG in Verbindung mit § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG den Asylantrag als zurückgenommen zu behandeln mit der Folge, dass das Verfahren gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG in Verbindung mit § 32 AsylG eingestellt und über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nach Aktenlage entschieden wird, wurde der Antragsteller nicht belehrt. Damit sind die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung nicht gegeben, sodass mit einer Aufhebung des Einstellungsbescheides im Hauptsacheverfahren ernsthaft zu rechnen ist.
2. Dem Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt, stattgegeben. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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