Verwaltungsrecht

Verdienstausfallentschädigung, Auszubildender, Quarantäneanordnung, subjektives Leistungshindernis

Aktenzeichen  B 7 K 21.80

Datum:
19.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31154
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG i.V.m. § 56 Abs. 5
IfSG § 56 Abs. 1
BBiG § 19 Abs. 1 Nr. 2
BGB § 616

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
II. Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erstattung einer Verdienstausfallentschädigung nebst Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 597,28 EUR in Bezug auf ihren Mitarbeiter … noch auf Neuverbescheidung des entsprechenden Antrags vom 15.09.2020. Der ablehnende Bescheid der Regierung von Oberfranken vom 21.12.2020 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen im Wesentlichen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer gesonderten Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 84 Abs. 1 Satz 3, § 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist zur Sache sowie zum Klagevorbringen noch Folgendes auszuführen:
1. Mit der behördlich gegenüber Herrn … angeordneten Quarantäne liegt ein sonstiger, in der Person des Auszubildenden liegender Grund im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BBiG vor, der dazu geführt hat, dass der Auszubildende unverschuldet verhindert war, seine Pflichten aus dem Berufsausbildungsverhältnis zu erfüllen.
Die Quarantäne, die für den Auszubildenden als Ansteckungsverdächtigen angeordnet wurde, ist ein in der Person des Arbeitnehmers – hier: Auszubildenden – liegender Grund im Sinne eines subjektiven Leistungshindernisses (wohl h.M, vgl. schon BGH, U.v. 30.11.1978 – III ZR 43/77 – juris Rn. 20; so auch z.B. Henssler in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 616 Rn. 25; Bieder in: BeckOK BGB, Stand 01.02.2020, § 616 Rn. 17; Meßling in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, Covid-19-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 1. Aufl. 2020, § 19 Rn. 10; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 414 f.; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1140; Noack, NZA 2021, 251, 253; a.A. z.B. Klein, NJ 2020, 377, 378; Sievers, jM 2020, 189, 190; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1018 f.). Denn auch wenn die Pandemie als solche ein globales und gesamtgesellschaftliches Ereignis ist, ist der Anlass der Quarantäneanordnung im Einzelfall in hohem Grade von der betroffenen Person und den jeweiligen Umständen abhängig. Erst eine konkrete, infektionsgefährliche Situation im Sinne eines „Kategorie-I-Kontakts“ oder ein positives Covid-19-Testergebnis kann zur Einordnung einer Person als „Ausscheider“, „Ansteckungsverdächtiger“ oder „Krankheitsverdächtiger“ führen und sie damit zum Adressaten einer Isolierungsanordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 i.V.m. § 31 IfSG machen. Gerade die Beurteilung der jeweiligen Kontaktsituation auf der Tatbestandsseite im Hinblick darauf, in welchem Maße eine Übertragungsgefahr besteht, erfordert eine umfassende individuelle Beurteilung der Gegebenheiten anhand zahlreicher Kriterien, wie z.B. Dauer und räumliche Nähe des Kontakts, Lüftungsverhältnisse, das Tragen von Masken etc. (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/ Management.html). Die bloße Möglichkeit, dass von einer gefährlichen Kontaktsituation im Einzelfall mehrere Personen betroffen sein können (z.B. durch eine Anreicherung infektiöser Aerosole im Raum) lässt das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Beurteilung der Infektionsgefahr für jeden Betroffenen nicht entfallen, ändert demgemäß auch nichts am Charakter der Quarantäneanordnung als individualisiertem, einzelfallabhängigen Verwaltungsakt und führt – mit Blick auf die arbeitsrechtlichen Folgen – mithin auch ersichtlich nicht zu einem objektiven Charakter des daraus resultierenden Leistungshindernisses (nicht überzeugend daher Kraayvanger/Schrader, NZA-RR 2020, 623, 625 f.; siehe auch Wohlgemuth/Pepping, BBiG, 2. Auflage 2020, Rn. 17).
2. Der hier einschlägige Vergütungsfortzahlungsanspruch nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BBiG mag zwar in seinen Voraussetzungen § 616 Satz 1 BGB entsprechen. Er ist jedoch nach seinem klaren gesetzlichen Wortlaut tatbestandlich nicht auf eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit begrenzt, sondern er besteht auf der Rechtsfolgenseite für die Dauer von sechs Wochen und kann auch nicht abbedungen werden (vgl. hierzu übereinstimmend Feichtinger/Malkmus, Entgeltfortzahlungsrecht, § 19 BBiG, Rn. 12; BeckOK Arbeitsrecht, § 19 BBiG, Rn. 11; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 19 BBiG, Rn. 5; Schubert/Schaumberg in PdK-Bund, § 19 Abs. 1 BBiG; Honig/Knörr/Thiel, Handwerksordnung, § 19 BBiG, Rn. 7).
Die Norm des § 19 Abs. 1 BBiG stellt eine für Ausbildungsverhältnisse geltende Spezialvorschrift dar (vgl. Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 4. Auflage, § 19 BBiG, Rn. 1), so dass es auf Problemstellungen bei der Anwendung des § 616 BGB in der vorliegenden Sache nicht ankommt.
Hat damit aber der Auszubildende … im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Verdienstausfall erlitten, weil die Klägerin nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BBiG zur Fortzahlung der Vergütung verpflichtet war, so steht der Klägerin auch kein diesbezüglicher Erstattungsanspruch zu. Auch für einen Anspruch auf Neuverbescheidung ist aus ebendiesen Gründen kein Raum.
Bei der Konzeption des § 56 IfSG handelt es sich um eine „Billigkeitsregelung“, eine Maßnahme der sozialen Sicherung, die sich auf das vom Gesetzgeber für notwendig Erachtete beschränkt und keinen vollen Schadensausgleich gewährt. Die Entschädigung soll auch nicht Arbeitgeber und Versicherungen entlasten, indem deren Verpflichtung zu Versicherungsleistungen oder zur Lohnfortzahlung auf die Allgemeinheit abgewälzt wird (vgl. zur Zweck und Bedeutung der Norm ausführlich Kießling, IfSG, § 56 Rn. 1 ff. m.w.N.).
III. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben