Verwaltungsrecht

Verfahrensaussetzung wegen Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts an den Europäischen Gerichtshof zum Familienflüchtlingsschutz

Aktenzeichen  24 ZB 19.33605

Datum:
23.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20672
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 26
RL 2011/95/EU Art. 3, Art. 23 Abs. 2
VwGO analog § 94

 

Leitsatz

Zum Klärungsbedarf hinsichtlich der Zuerkennung internationalen Familienschutzes auch für  Familienangehörige, die effektiven Schutz in dem Land erlangen können, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen (Rn. 3 – 7). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 19.30786 2019-08-21 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das anhängige Vorabentscheidungsersuchen, das das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Dezember 2019 (Az. 1 C 2.19) vorgelegt hat.

Gründe

Der Kläger ist ein im Jahr 2014 im Bundesgebiet geborenes Kind einer türkischen und eines als Flüchtling anerkannten syrischen Staatsangehörigen. Seinen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stützt er auf einen von seinem Vater abgeleiteten Familienflüchtlingsschutz. Das Bundesamt lehnte seinen Antrag ab und auch das Verwaltungsgericht hat die auf Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gerichtete Klage abgewiesen.
Das Verwaltungsgericht führte aus, es sei umstritten, ob der Familienflüchtlingsschutz begehrende Ausländer dieselbe Staatsangehörigkeit wie das als Flüchtling anerkannte Familienmitglied innehaben müsse. Zwar enthalte § 26 AsylG kein solches Merkmal; da es für die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz nur auf die Verfolgung des Stammberechtigten und nicht auf die des abgeleitet Schutzsuchenden ankomme, weshalb vertreten werde, es könne auch keinen Ausschluss bei der Verfolgungssicherheit in einem anderen Staat geben. Das Gericht hielt dem jedoch entgegen, dass das Rechtsinstitut des Familienasyls nicht dem gemeinsamen Aufenthalt von Familienangehörigen im Aufnahmestaat, sondern dem Schutz vor dem gemeinsamen mutmaßlichen Verfolgerstaat diene und sah insoweit eine teleologische Reduktion des § 26 AsylG für geboten und gerechtfertigt an. Wo wegen Mehrstaatigkeit keine gemeinsame Verfolgung stattgefunden habe oder zu befürchten sei, weil Familienangehörige in einen anderen Staat ausweichen könnten und sogar der schutzberechtigt Stammberechtigte Aufnahme finden könne, bestehe kein Bedarf an gemeinsamem Schutz im Aufnahmestaat.
Das Bundesverwaltungsgericht sieht vor dem Hintergrund des Prinzips der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes unionsrechtlichen Klärungsbedarf, ob das nationale Recht (§ 26 AsylG) mit Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU vereinbar ist, soweit es eine Zuerkennung internationalen Familienschutzes auch für Familienangehörige vorsieht, die effektiven Schutz in dem Land erlangen können, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Es hat daher mit Beschluss vom 18. Dezember 2019 (Az. 1 C 2.19) dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens folgende Fragen zum Familienflüchtlingsschutz vorgelegt:
1. Ist Art. 3 RL 2011/95/EU dahin auszulegen, dass er der Vorschrift eines Mitgliedstaates entgegensteht, nach der dem minderjährigen ledigen Kind einer Person, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, eine von dieser abgeleitete Flüchtlingseigenschaft (sog. Familienflüchtlingsschutz) auch für den Fall zuzuerkennen ist, dass dieses Kind – über den anderen Elternteil – jedenfalls auch die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes besitzt, das nicht mit dem Herkunftsland des Flüchtlings identisch ist und dessen Schutz es in Anspruch nehmen kann?
2. Ist Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU dahin auszulegen, dass die Einschränkung, wonach ein Anspruch der Familienangehörigen auf die in den Artikeln 24 bis 35 dieser Richtlinie genannten Leistungen nur zu gewähren ist, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist, es verbietet, dem minderjährigen Kind unter den in Frage 1. beschriebenen Umständen die von dem anerkannten Flüchtling abgeleitete Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen?
3. Ist für die Beantwortung der Fragen 1. und 2. von Bedeutung, ob es für das Kind und seine Eltern möglich und zumutbar ist, ihren Aufenthalt in dem Land zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit das Kind und seine Mutter besitzen, dessen Schutz diese in Anspruch nehmen können und das nicht mit dem Herkunftsland des Flüchtlings (Vaters) identisch ist, oder genügt es, dass die Familieneinheit im Bundesgebiet auf der Grundlage aufenthaltsrechtlicher Regelungen gewahrt bleiben kann?
Da diese Fragen auch für den vorliegenden Rechtsstreit wesentlich und entscheidungserheblich sind, wird der Rechtsstreit bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in dem vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Verfahren (Az. 1 C 2.19) gemäß § 94 VwGO analog nach Anhörung der Beteiligten ausgesetzt (BVerwG, B.v. 10.11.2000 – 3 C 3/00 – juris; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 94 Rn. 5; BayVGH, B.v. 12.9.2011 – 3 BV 11.1094 – juris).
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, § 152 Abs. 1 VwGO.


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