Verwaltungsrecht

Verfolgungsgefahr für einen Asylantragsteller aus der äthiopischen exilpolitischen Szene

Aktenzeichen  B 7 K 17.32226

Datum:
26.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20062
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4, § 28 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo begründet in Äthiopien keine Gruppenverfolgung, da die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische landesweite Verfolgungsdichte von oromischen Volkszugehörigen nicht erreicht wird (VG Regensburg BeckRS 2018, 1323). (Rn. 24 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei einer Rückkehr nach Äthiopien müssen nur solche Personen mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen (VG Regensburg BeckRS 2018, 1323). (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid vom 30.05.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Diese hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf Zuerkennung internationalen Schutzes. Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die weiteren Entscheidungen im angefochtenen Bescheid erweisen sich als rechtmäßig.
In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zur Sache sowie zur Klage das Folgende auszuführen:
1. Das Gericht konnte sich nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen, dass die Klägerin ihr Heimatland aus asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevanten Gründen verlassen hätte.
a) Der Klägerin droht wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo in Äthiopien keine Gruppenverfolgung im Rechtssinne, wobei nach § 77 Abs. 1 AsylG auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist. Grundsätzlich kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer zwar nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmales verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden Gruppen gerichteten Verfolgung setzt dabei voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine in zumutbarer Weise erreichbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht (vgl. VG Augsburg, U.v. 7.11.2016 – Au 5 K 16.31853 – juris m.w.N.).
Dies zugrunde gelegt, droht der Klägerin wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung. Dabei wird nicht verkannt, dass es durchaus immer wieder zu unterdrückenden und diskriminierenden Handlungen wie auch zur Verletzung von Menschenrechten von Volkszugehörigen der Oromo kommt. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Bevölkerungsgruppe der Oromo einen ganz wesentlichen Anteil der Gesamtbevölkerung Äthiopiens ausmacht. Bezieht man dies mit ein, so wird die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische landesweite Verfolgungsdichte von oromischen Volkszugehörigen klar nicht erreicht (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411 – juris; s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22.03.2018 – Gz. 508-516.80/3 – ETH).
b) Aus dem individuellen Vortrag der Klägerin ergibt sich nicht, dass ihr ein Anspruch auf Zuerkennung einer der geltend gemachten Rechtspositionen zustehen würde.
Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid im Ergebnis rechtlich tragfähig verschiedene Aspekte dagegen angeführt, dass die Klägerin im Heimatland einer schutzrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. dass ihren Darstellungen eine Glaubhaftigkeit zugesprochen werden könnte.
Auch auf der Grundlage der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung besteht im Ergebnis kein Anlass für eine abweichende Beurteilung der Situation; vielmehr wird dadurch der vom Bundesamt gewonnene Befund noch weiter erhärtet.
Die Klägerin hat ihre ohnehin sehr dürftige Fluchtgeschichte, die überdies bereits ca. 10 Jahre zurückliegt, in der mündlichen Verhandlung gegenüber der beim Bundesamt angebrachten Version ihrer Geschichte in einer gesteigerten Form dargestellt. Bei ihrer Anhörung hat sie angegeben, dass sie, während sie sich außerhalb des Schulhofs versammelt und u.a. Kerzen für die Toten der ABO (OLF) angezündet hätten, von jemand beobachtet und beim Schuldirektor verraten worden wären. Dieser habe dann sofort die Polizei angerufen. Dies sei der Klägerin gesagt worden und als sie es erfahren habe, sei sie sofort ohne Schulsachen nach Hause gerannt und habe es ihrer Mutter erzählt (S. 3/4 der Anhörungsniederschrift). Demgegenüber hat sie in der mündlichen Verhandlung davon berichtet, dass der Schulvorsitzende die Polizei gerufen hätte und diese dann gekommen sei, um die Versammlung aufzulösen; es habe einen Streit gegeben und einige seien weggerannt, darunter auch die Klägerin. Sie sei in diesem Zusammenhang in den Bauch getreten worden und auf den Boden gefallen, sie sei verletzt worden und leide (seitdem) unter Schmerzen im Bauchbereich (S. 2 der Niederschrift). Es macht aber einen erheblichen Unterschied, ob nach der Meldung an die Polizei durch den Direktor die Klägerin sofort weggerannt sei, ohne mit der Polizei in Kontakt zu kommen oder ob diese die Teilnehmer vor Ort erwischt habe und die Klägerin sogar körperlich angegangen worden sei, so dass sie nachhaltige Beschwerden davon getragen habe. Legt man diese ganz eklatante Ungereimtheit zugrunde, so kann nicht festgestellt werden, dass der Fluchtgeschichte der Klägerin eine Glaubhaftigkeit zugesprochen werden könnte. Gegen ein Interesse des Staates, die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Ausreise zu verhaften o.ä. spricht nicht zuletzt, dass sie auf dem Luftweg habe ausreisen können und es solle dabei in Äthiopien zu keinen Problemen gekommen sein; diese hätten dann in Saudi-Arabien begonnen (S. 3 der Niederschrift). Nach der bereits für das Jahr 2008 geltenden Auskunftslage erfolgen aber bei der Ausreise am Flughafen von A, gewissenhafte und gründliche Passkontrollen (vgl. S. 20 des Lageberichts vom 25.03.2009; eingeführt in der mündlichen Verhandlung)
Für eine Glaubwürdigkeit der Klägerin spricht ferner ganz entscheidend nicht, dass sie beim Bundesamt angegeben hat, sie habe keine Personalpapiere, sie habe nur einen Schülerausweis gehabt (S. 2 der Anhörungsniederschrift). Nach der Visa-Auskunft vom 06.03.2015 (Bl. 23/24 d.A.) hat die Klägerin jedoch einen gewöhnlichen Pass vorweisen können, der am 26.09.2012 ausgestellt gewesen und bis zum 25.09.2017 gültig gewesen sei. In der Auskunft wird eine ganz konkrete Ausweisnummer genannt. Auffällig ist in diesem Zusammenhang vor allem auch, dass in der Auskunft ein anderer Geburtsort sowie ein anderes Geburtsort angegeben sind, als dies die Klägerin im Rahmen ihrer Asylantragstellung in Deutschland angegeben hatte (vgl. Bl. 4, 18, 19 d.A.). Eine auch nur ansatzweise schlüssige Erklärung dieser Ungereimtheiten, die elementare Angaben betreffen, vermochte die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht darzustellen.
Wenn aber weder der im Rahmen des Asylverfahrens angebrachten Fluchtgeschichte eine Glaubhaftigkeit zuerkannt werden kann, noch der Klägerin in ihrer Person eine Glaubwürdigkeit zuzusprechen ist, so kann nicht zu ihren Gunsten festgestellt werden, dass sie ihr Heimatland verlassen habe, weil eine Vorverfolgung im Sinne des Asyl- und Flüchtlingsrechts vorgelegen hätte.
2. Auch auf den Nachfluchtgrund der exilpolitischen Betätigung kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Zwar ermöglicht § 28 AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignissen beruht, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat. Nach Überzeugung des Gerichts ist es aber auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Klägerin bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien eine Verfolgung wegen ihrer im Rahmen der mündlichen Verhandlung erstmalig geltend gemachten, jedoch nicht durch Vorlage geeigneter Unterlagen glaubhaft gemachten exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland droht.
In der äthiopischen exilpolitischen Szene gibt es zahlreiche Gruppierungen. Den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen ist zu entnehmen, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Exilorganisationen genau beobachtet bzw. durch die Auslandsvertretungen beobachten lässt. Aufgrund der Auskunftslage, die auch die Entwicklungen während der Massenproteste 2015/2016, den Ausnahmezustand 2016 und die aktuellen politischen Entwicklungen berücksichtigt, geht das Gericht jedoch weiterhin nicht davon aus, dass jede wie auch immer geartete Form der Betätigung für eine der zahlreichen exilpolitischen Gruppen in der äthiopischen exilpolitischen Szene im Ausland bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu einer beachtlichen Verfolgungsgefahr führt. Vielmehr kommt es – auch nach der aktuellen Lage – für die Feststellung des relevanten Gefährdungsgrades grundsätzlich darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen etwa als terroristisch eingestuft wird und insbesondere in welcher Art und in welchem Umfang der Betreffende sich im Einzelfall exilpolitisch tatsächlich und wahrnehmbar betätigt hat (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 – AN 3 K 16.31836; VG Bayreuth, U.v. 20.11.2017 – B 2 K 16.31139; s. auch VG Kassel, U.v. 5.9.2017 – 1 K 2320/17.KS.A; VG Gießen, U.v. 11.7.2017 – 6 K 4787/15.GI.A; a.A. VG Würzburg, U.v. 15.9.2017 – W 3 K 17.31180; zum Maßstab vgl. VGH BW, U.v. 30.5.2017 – A 9 S 991/15 – alle juris).
Dem Auswärtigen Amt liegen auch nach dem aktuellen Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien vom 22.03.2018 keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Partei im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Maßgeblich ist danach vielmehr der konkrete Einzelfall, also beispielsweise, ob eine Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wird oder um welche politische Tätigkeit es sich handelt (z.B. nachweisliche Mitgliedschaft, führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen). Von Bedeutung ist auch, ob und wie sich die zurückgeführte Person anschließend in Äthiopien politisch betätigt. Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibt – soweit bekannt – ohne Konsequenzen. Der Lagebericht vom 22.03.2018 geht insbesondere auch auf die innenpolitischen Entwicklungen im Frühjahr 2018 und auf den am 16.02.2018 ausgerufen (neuerlichen) Ausnahmezustand ein, hält aber gleichwohl an der bisherigen Gefährdungseinschätzung bei Rückkehr von im Ausland exilpolitisch tätigen Äthiopiern fest (vgl. S. 18 des Lageberichts vom 22.03.2018; S. 16 des Lageberichts vom 06.03.2017).
In einer Auskunft vom 30.01.2017 an das VG Gießen geht das Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien zum Fall einer exilpolitischen Tätigkeit für die EPPFG davon aus, dass eine Verhaftung für den Fall der Rückkehr keinesfalls ausgeschlossen werden könne. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass im Rechtssinne von einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit insbesondere auch von nur einfachen Mitgliedern (sog. „Mitläufer“, ohne dass damit ein Werturteil verbunden wäre) im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien auszugehen wäre (vgl. VG Regensburg, U.v. 8.3.2018 – RO 2 K 16.30643 – juris).
G. S. geht in seiner Stellungnahme vom 15.02.2017 an das VG Gießen in der dortigen Streitsache Az. 6 K 4787/15.GI.A davon aus, dass eine Verfolgungsprognose anhand bestimmter Merkmale nicht abgegeben werden könne, weil das Handeln der äthiopischen Sicherheits- und Justizbehörden gegenüber allen wirklichen und putativen Gegnern von einem hohen Maß an Willkürlichkeit geprägt sei. Unter diesem Gesichtspunkt sei generell die Unterscheidung zwischen unbedeutender und exponierter Stellung in einer Oppositionsorganisation als nicht relevant für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr anzusehen. Dies gelte in besonderem Maß seit dem Erlass der Anti-Terrorismusgesetze und gerade auch unter dem Ausnahmezustand. Weiter führt er aus, dass mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ eine längere Inhaftierung – verbunden mit intensiver Befragung – auch unter dem jetzigen Ausnahmezustand als Minimum anzunehmen sei. Es bleibt jedoch offen, wie S. trotz der Prognoseunsicherheit zu dieser Annahme kommt. So belegt er diese Annahme nicht mit konkreten Beispielen für ein Einschreiten äthiopischer Stellen gegen Rückkehrer, obwohl er angibt, dass diese häufig verhaftet würden (Rn. 214 der Stellungnahme vom 15.02.2017). Dies dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass kaum Abschiebungen nach Äthiopien stattfinden, was die Grundlage dieser Aussage allerdings fraglich erscheinen lässt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es seit Mitte 2015 im Zusammenhang mit dem „Masterplan“ der Regierung vor allem in der Provinz Oromia zu Massenprotesten kam und es im Zusammenhang mit diesen Protesten und dem Einschreiten der Sicherheitskräfte zu Todesfällen und Verhaftungen gekommen ist. So sollen nach dem Gutachten von G. S. im Rahmen der Unruhen 2016 unter Geltung des Ausnahmezustandes über 11.000 Menschen verhaftet worden sein. Diese Verhaftungen fanden jedoch im Zusammenhang mit – zumindest teilweise – gewaltsamen Protesten in Äthiopien statt. Sie sind kein Beleg dafür, dass auch Rückkehrer alleine wegen ihrer exilpolitischen Betätigung nun einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sind. Dies belegen auch die Ausführungen in der Stellungnahme S. nicht hinreichend. Dieser führt zwar nachvollziehbar aus, dass im Zusammenhang mit den Unruhen in Äthiopien selbst die äthiopische Diaspora – auch im Hinblick auf eine Strafbarkeit nach dem äthiopischen Anti-Terrorismusgesetz von 2009 – verstärkt überwacht wird (Rn. 134 der Stellungnahme vom 15.02.2017). Ein konkretes Beispiel für eine Verfolgung allein auf Grund einer exilpolitischen Tätigkeit unterbleibt jedoch. Auffällig ist hierbei auch, dass S. zum einen zwar deutliche Aussagen trifft (Bestrafung jedes Mitglieds/Unterstützers einer exilpolitischen Gruppe, die mit einer als terroristisch eingestuften Gruppe zusammenarbeitet [Rn. 232 der Stellungnahme vom 15.02.2017]; häufige Verhaftungen [Rn. 214 der Stellungnahme vom 15.02.2017]; längere Inhaftierung verbunden mit intensiver Befragung und mit hoher Wahrscheinlichkeit inhumaner Haftbedingungen [Rn. 237 der Stellungnahme vom 15.02.2017]), gleichzeitig aber äußert, dass sich angesichts der Willkürlichkeit die konkreten Verfolgungshandlungen im Einzelnen schwer vorhersagen ließen und er an anderer Stelle (Rn. 226 der Stellungnahme vom 15.02.2017) angibt, dass im heutigen Äthiopien die eine staatliche Verfolgung auslösenden Momente in der Regel vielschichtig seien und sich nur selten auf ein bestimmtes Merkmal reduzieren ließen (vgl. ausführlich VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Gießen, U.v. 11.7.2017 – 6 K 4787/15.GI.A – beide juris).
Bei einer Gesamtwürdigung der vorliegenden Auskunftslage nimmt das Gericht daher auch weiterhin nicht an, dass äthiopische Asylbewerber, sofern sie sich zu einer Exilorganisation, die einer vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuften Vereinigung nahesteht, bekennen und sie für diese Exilorganisation nur ein Mindestmaß an Aktivität vorweisen, für den Fall der Rückkehr nach Äthiopien bereits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG erwartet. Vielmehr müssen nach Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Äthiopien nur solche Personen mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 – AN 3 K 16.31836; vgl. auch BayVGH, B.v. 14.7.2015 – 21 ZB 15.30119 m.w.N. – alle juris). Erforderlich für einen beachtlichen Nachfluchtgrund aufgrund exilpolitischer Betätigung ist nämlich eine „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ der Verfolgung im Falle einer Rückkehr. Nicht ausreichend ist hingegen, dass eine solche möglich ist oder nicht ausgeschlossen werden kann. Eine solche beachtliche Wahrscheinlichkeit im Falle einer nicht exponierten Stellung kann – wie bereits ausgeführt – auch den oben genannten aktuellen Stellungnahmen nicht entnommen werden. Gerade wegen der intensiven Beobachtung exilpolitischer Auslandsaktivitäten durch äthiopische Stellen muss davon ausgegangen werden, dass auch diesen nicht verborgen geblieben sein kann, dass bei einer Vielzahl von äthiopischen Asylbewerbern weniger politische Interessen maßgeblich sind als vielmehr das Bemühen, sich im Asylverfahren eine günstigere Ausgangsposition zu verschaffen. Im Hinblick darauf ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die äthiopischen Behörden derartige Personen als „gefährlich“ erachten und gegen diese im Falle ihrer Rückkehr in einer Art und Weise vorgehen, dass die für eine Schutzgewährung anzulegende Schwelle (vgl. z.B. § 3a Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG) erreicht wird.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe gehört die Klägerin klar nicht zu dem gefährdeten Personenkreis, der im Falle seiner Rückkehr oder Abschiebung wegen seiner exilpolitischen Tätigkeit im Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, von äthiopischen Behörden in asylrechtlich relevanter Weise belangt zu werden. Die Klägerin hat ich der mündlichen Verhandlung behauptet, sie habe im März (den genauen Tag könne sie nicht angeben) eine Demonstration in B. besucht; davon gebe es Fotos, die sie nicht dabei habe und die bis zur Niederlegung des Urteilstenors auch nicht nachgereicht wurden. Weiter habe sie eine Spende von 20,00 bzw. 30,00 EUR geleistet; eine Quittung könne sie nicht vorweisen, jedoch sei ihr Name in eine Liste eingetragen worden. Auch diese Liste bzw. eine Kopie davon wurde nicht nachgereicht. Sonst habe die Klägerin eine Versammlung in N. besucht, darin habe sich ihr Engagement bisher erschöpft (S. 4 der Niederschrift). Einer Vereinigung bzw. einem Verein habe sich die Klägerin diesbezüglich nicht angeschlossen, sie wisse nicht, ob es diese gebe, hätte aber möglicherweise in entsprechendes Interesse, wenn sie dies wüsste (S. 4 der Niederschrift).
Damit erreicht der Grad der exilpolitischen Betätigung der Klägerin nicht einmal das Ausmaß, das für die breite Masse der „Mitläufer“ der exilpolitischen Bewegung in Deutschland kennzeichnend ist. Ihr Engagement ist nicht nur quantitativ sehr gering, es ist auch in keiner Weise herausgehoben und kann damit nur als geringfügig bewertet werden.
Die exilpolitischen Aktivitäten der Klägerin führen daher nach Überzeugung des Gerichts nicht dazu, dass sie von den äthiopischen Behörden als „gefährliche Oppositionelle“ angesehen wird, weshalb es nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass sie allein aufgrund ihrer geringfügigen Betätigung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.
3. Schließlich hat es das Bundesamt zu Recht abgelehnt, zu Gunsten der Klägerin ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot festzustellen. In die Rückkehrprognose kann allerdings nicht ihr Lebensgefährte/Ehemann einbezogen werden, denn diesem wurde in Italien politisches Asyl zuerkannt, so dass das Bundesamt ihm folgerichtig die Abschiebung nicht nach Äthiopien, sondern nach Italien angedroht hat (Az. B 7 K 17.50742). Das Bundesamt hat sich jedoch auf S. 7/8 des streitgegenständlichen Bescheids ausführlich mit der Lage in Äthiopien beschäftigt und rechtlich tragfähig angenommen, dass davon auszugehen sei, dass die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr ins Heimatland ihren Lebensunterhalt prognostisch wird bestreiten können. Sie ist im erwerbsfähigen Alter und verfügt über längere berufliche Erfahrungen im Bereich der Hauswirtschaft bzw. Kinderbetreuung (vgl. S. 4 der Anhörungsniederschrift). Nach der neueren Auskunftslage ist im Falle von alleinstehenden bzw. alleine zurückkehrenden Frauen keineswegs davon auszugehen, dass diese nicht in der Lage wären, den Lebensunterhalt für sich (und ein etwa vorhandenes minderjähriges Kind) zu sichern. In Äthiopien ist es möglich, auch als alleinstehende Frau einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Erwerbsmöglichkeiten bestehen grundsätzlich auch für Personen ohne abgeschlossene Schulbildung (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stuttgart vom 13.07.2017 – Gz. …).
4. Nach allem ist die Klage insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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