Verwaltungsrecht

Vergleichbarkeit dienstlicher Beurteilungen von Beamten derselben Besoldunggruppe

Aktenzeichen  3 ZB 19.162

Datum:
24.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9591
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
LlbG Art. 58 Abs. 2 S. 1, Art. 59 Abs. 2 S. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 4

 

Leitsatz

1. Bei der Begründung des Gesamturteils einer dienstlichen Beurteilung muss die Gewichtung der Einzelmerkmale einheitlich vorgenommen werden. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Beurteilungspraxis, die für besonders prägend gehaltene Einzelmerkmale eines konkreten Dienstposten innerhalb einer durch die Besoldungsgruppe vorgegebenen Vergleichsgruppe unterschiedlich gewichtet, ist rechtswidrig, weil sie dazu führt, dass die dienstlichen Beurteilungen nicht mehr vergleichbar sind und damit ihren zentralen Zweck verfehlen, der Klärung einer Wettbewerbssituation zu dienen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Begründung des Gesamturteils einer dienstlichen Beurteilung hat schon in der dienstlichen Beurteilung selbst zu erfolgen und kann nicht mit einem Widerspruchs- oder Einwendungsbescheid nachgeholt werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 1 K 18.321 2018-11-13 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 4 (Divergenz) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
a. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beurteilungspraxis der Beklagten, die bei der Bildung des Gesamturteils innerhalb einer Besoldungsgruppe hinsichtlich der verschiedenen Dienstposten differenziert und jeweils unterschiedliche Einzelmerkmale als besonders prägend ansieht, rechtswidrig ist. Im Falle des Klägers (während des maßgeblichen Beurteilungszeitraums BesGr. A 10), Hauptsachbearbeiter im Innendienst, waren aus der Sicht der Beklagten die Einzelmerkmale Quantität, Qualität und Fachkenntnisse besonders prägend, anders beispielsweise die Einzelmerkmale bei einem Prüfer im Außendienst der Besoldungsgruppe A 10.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 1. März 2018 (2 A 10.17 – juris Ls. 1, Rn. 44) ausgeführt, dass bei der Begründung des Gesamturteils die Gewichtung der Einzelmerkmale einheitlich vorgenommen werden muss. Dies wird durch die hier streitigen bayerischen Bestimmungen ohne weiteres gewährleistet. Eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 LlbG, wie sie das Verwaltungsgericht für erforderlich hält, ist daher nicht geboten.
Nach Art. 58 Abs. 2 Satz 1 LlbG hat die Beurteilung die fachliche Leistung in Bezug auf die Funktion und im Vergleich zu den anderen Beamten und Beamtinnen derselben Besoldungsgruppe der Fachlaufbahn und, soweit gebildet, desselben fachlichen Schwerpunktes objektiv darzustellen und außerdem von Eignung und Befähigung ein zutreffendes Bild zu geben. Damit sind zum einen die Funktion des Beamten, d.h. sein Amt im konkret-funktionellen Sinn, und zum anderen das Statusamt (Besoldungsgruppe) bestimmende Elemente der dienstlichen Beurteilung. Die Orientierung am Statusamt ist unverzichtbar. Dementsprechend erfolgt eine Bezugnahme auf das Amt auch als für die Bildung des Gesamturteils maßgebliche Bezugsgröße (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 LlbG). Die funktionsbezogene Tätigkeit des Beamten ist unmittelbare Beurteilungsgrundlage. Das ist einsichtig, weil in einer Vergleichsgruppe aufgabenbezogen kommunikative, soziale oder fachliche Fähigkeiten in unterschiedlicher Gewichtung angesprochen werden. Die statusbezogene Beurteilung vollzieht sich nicht im „luftleeren Raum“ einer bestimmten Besoldungsgruppe der Fachlaufbahn (Art. 58 Abs. 2 Satz 1 LlbG), sondern unter den varianten Bedingungen des jeweiligen Dienstpostens. Besonderheiten eines Dienstpostens sind bei der Leistungsbewertung zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 27.14 – juris Rn. 28 m.w.N.).
Bei der Bildung des Gesamturteils sind nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 LlbG die bei den Einzelmerkmalen vergebenen Wertungen unter Berücksichtigung ihrer an den Erfordernissen des Amts und der Funktion zu messenden Bedeutung in einer Gesamtschau zu bewerten und zu gewichten (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2016 – 2 A 1.14 – juris Rn. 39; B.v. 25.10.2011 – 2 VR 4.11 – juris Rn. 15). Hierbei ist innerhalb der Beamten und Beamtinnen derselben Besoldungsgruppe der Fachlaufbahn/desselben fachlichen Schwerpunkts (Art. 58 Abs. 2 Satz 1 LlbG) eine einheitliche Gewichtung vorzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2018 – 2 A 10.17- juris Rn. 45). Die obersten Dienstbehörden können diese Vergleichsgruppe durch weitere Kriterien enger bestimmen (Art. 58 Abs. 2 Satz 2 LlbG). Damit wird die Möglichkeit geschaffen, für den Fall, dass auf Grund unterschiedlicher Dienstposten innerhalb derselben Besoldungsgruppe erheblich unterschiedliche Anforderungen an Leistung, Eignung und Befähigung bestehen, einen diese vorhandenen Differenzierungen sachgerecht berücksichtigenden Beurteilungsmaßstab zu bestimmen [vgl. Abschnitt 3: Dienstliche Beurteilung – allgemeine Beurteilungsrichtlinien, Ziff. 3.1 Satz 4 der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 13.7.2009 (FMBl. S. 190), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 19.10.2017 (FMBl. S. 510) ].
Hier hat die Beklagte, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Dienstherrenfähigkeit im Sinne des § 2 BeamtStG besitzt (§ 144 Abs. 1 SBV VI), die Vergleichsgruppe nicht enger, als durch die Besoldungsgruppe vorgegeben, bestimmt. Es kann daher offen bleiben, ob die Voraussetzungen hierfür gegeben wären (vgl. die vorstehen zitierten Beurteilungsrichtlinien: „erheblich unterschiedliche Anforderungen“).
Mangels Beschränkung fehlt es hier an einer einheitlichen Gewichtung. Das von der Beklagten vorgesehene System der Gewichtung der für besonders prägend gehaltenen Einzelmerkmale eines konkreten Dienstposten innerhalb einer durch die Besoldungsgruppe vorgegebenen Vergleichsgruppe führt dazu, dass die dienstlichen Beurteilungen wegen der Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe nicht mehr vergleichbar sind und damit ihren zentralen Zweck verfehlen, der Klärung einer Wettbewerbssituation zu dienen. Die unterschiedliche Gewichtung der Einzelmerkmale führt zu einer unterschiedlichen Gesamturteilsbildung und verzerrt die Binnendifferenzierung im Rahmen von Auswahlentscheidungen (BVerwG, U.v. 1.3.2018 – 2 A 10.17 – juris Rn. 44 f.; BVerfG, B.v. 17.2.2017 – 2 BvR 1558/16 – juris Rn. 10 f.; Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 6. Aufl. 2016, Rn. 215a).
Damit ist die streitige dienstliche Beurteilung rechtswidrig. Die Beklagte hat den ihr zustehenden rechtlichen Rahmen verkannt. Dieser Umstand konnte und musste vom Verwaltungsgericht berücksichtigt werden (Riese in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juli 2019, § 114 Rn. 125).
b. Die Beklagte wendet hinsichtlich der mangelnden Darlegung der wesentlichen Gründe bei der Bildung des Gesamturteils ein, dass die Entscheidungsgründe „zunächst schon rein tatsächlich widersprüchlich“ seien. Im Übrigen sei die Begründung ausreichend und korrekt. Selbst wenn man von einer fehlenden Begründung ausgehen sollte, sei auf die Möglichkeit einer Plausibilisierung des Gesamturteils im Verwaltungsprozess zu verweisen.
Die behauptete Widersprüchlichkeit vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die von der Beklagten in der ergänzenden Bemerkung verwendete Formulierung, der dem Kläger übertragene Dienstposten werde durch die Beurteilungsmerkmale Quantität, Qualität und Fachkenntnisse geprägt, nicht die Anforderungen an eine ausreichende Begründung des Gesamturteils erfüllt. Dies wird u.a. damit begründet, dass die Formulierung den individuellen Bezug zu dem konkret beim Kläger vergebenen Gesamturteil missen lässt. Dazu verhält sich die Antragsbegründung nicht.
Die fehlende Begründung des Gesamturteils einer dienstlichen Beurteilung kann, anders als die Beklagte meint, nicht nachgeholt werden. Die Begründung hat schon in der dienstlichen Beurteilung selbst zu erfolgen und kann nicht mit einem Widerspruchs- oder Einwendungsbescheid nachgeholt werden. Anders als etwa bei nachträglich erhobenen Einwänden gegen Einzelbewertungen in der dienstlichen Beurteilung genügt es nicht, das Gesamturteil nachträglich zu plausibilisieren. Die Begründungspflicht für das Gesamturteil einer dienstlichen Beurteilung bei uneinheitlichem Leistungsbild zielt auf die Herstellung einer materiell richtigen Entscheidung und nicht auf ihre Darstellung. Dies kann durch eine nachträgliche Begründung nicht erreicht werden. Auch die erforderliche Einheitlichkeit und gleiche Anwendung der den dienstlichen Beurteilungen zugrunde liegenden Maßstäbe kann nur dann hinreichend gewährleistet und ggf. gerichtlich überprüft werden, wenn diese in der dienstlichen Beurteilung offen- und niedergelegt sind. Andernfalls besteht das nahe liegende Risiko, dass jeweils nachträglich ein „passendes“ Kriterium für denjenigen Beamten nachgeschoben wird, der ein Rechtsmittel eingelegt hat [BVerwG, U.v. 1.3.2018 – 2 A 10.17 – juris Rn. 48; BayVGH, U.v. 27.5.2019 – 3 BV 17.69 – juris unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (U.v.12.11.2015 – 3 B 14.2012) ].
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn es für die Streitentscheidung auf eine über den Einzelfall hinausgehende Rechts- oder Tatsachenfrage ankommt, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts der Klärung bedarf (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – juris Rn. 33 m.w.N.).
Aus Sicht der Beklagten stellt sich die Frage,
„ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tatsächlich mit der Begründung gehalten werden kann, dass Art. 59 Abs. 2 Satz 1 LlbG im Hinblick auf Art. 33 Abs. 2 GG und die erst jüngst vom Bundesverwaltungsgericht vorgegebenen Grundsätze im Urteil vom 1. März 2017 (2 A 10.17), „verfassungskonform“ ausgelegt werden kann oder sogar muss.“
Die Beklagte legt indes nicht dar (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), dass die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Davon wäre hier auch nicht auszugehen. Die Klärung der aufgeworfenen Frage ist für den Streitfall zudem nicht entscheidungserheblich, da sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen – der fehlenden und nicht nachholbaren Begründung des Gesamturteils – als richtig erweist (Kuhlmann in Wysk, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl. 2016, § 124 Rn. 35).
3. Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.
Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21.16 – juris Rn. 5). Dem genügt das Zulassungsvorbringen nicht, weil keine divergierenden Rechtssätze benannt werden. Hinsichtlich des Nachholens der fehlenden Begründung des Gesamturteils ist die von der Beklagten genannte Entscheidung des Senats vom 12. November 2015 (a.a.O.), von der abgewichen worden sein soll, ohnehin zwischenzeitlich aufgegeben worden (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Berufungszulassung wegen Divergenz: Roth in BeckOK VwGO, Stand: Jan. 2020, § 124 Rn. 78).
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 GKG und § 52 GKG (wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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