Verwaltungsrecht

Verlängerung der gesetzlichen Wahlprüfungsfrist – Fristverlängerung bis zur Bekanntgabe von Ermittlungsergebnissen

Aktenzeichen  4 C 17.1120

Datum:
7.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2018, 288
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
VwGO § 166
GLKrWG Art. 50 Abs. 1 u. Abs. 5, Art. 51a Nr. 1
BayVwVfG Art. 31 Abs. 1

 

Leitsatz

Beim Verdacht der Wahlfälschung kann die Wahlprüfungsfrist des Art. 50 Abs. 5 Satz 1 GLKrWG nicht bis zur „Bekanntgabe der Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft“ verlängert werden, sondern nur durch die Festlegung eines bestimmten Verlängerungszeitraums oder eines neues Datums für das Fristende. (Rn. 14)

Verfahrensgang

RO 3 K 14.1849 2017-05-15 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

Dem Antragsteller wird unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Mai 2017 für die beabsichtigte Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Neustadt a. d. Waldnaab vom 8. Oktober 2014 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts gewährt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der bei der Kommunalwahl am 16. März 2014 in den Rat der Stadt Grafenwöhr gewählt wurde, begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen die Ungültigerklärung der Stadtratswahl.
Das Ergebnis der Stadtratswahl wurde am 2. April 2014 vom Wahlausschuss festgestellt und vom Wahlleiter verkündet. Nachdem schon im Vorfeld der Wahl der Verdacht geäußert worden war, dass beim Ausfüllen von Wahlzetteln im Rahmen der Briefwahl unerlaubte Mittel eingesetzt worden sein könnten, wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller und weitere Personen eingeleitet.
Ein vom Landrat des Landkreises Neustadt a. d. Waldnaab unterzeichneter Aktenvermerk mit Datum vom 30. Juli 2014 lautet wie folgt:
„Hiermit wird die Frist zur Wahlprüfung gem. Art. 50 Abs. 5 Satz 2 GLKrWG verlängert. Es ist aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen, dass die Wahl eventuell für ungültig erklärt werden muss. Daher sind die Voraussetzungen für die Verlängerung der Frist bis zur Bekanntgabe der Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft gegeben.“
Nachdem in einem Pressebericht vom 2. September 2014 darüber berichtet worden war, dass vier Beschuldigten „Anklagen“ zugestellt worden seien, wandte sich das Landratsamt Neustadt a. d. Waldnaab an das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. mit der Bitte um Übersendung der Anklageschriften. Diese gingen am 9. September 2014 bei der Behörde ein. In den Anklageschriften vom 31. Juli 2014 wurde dem Antragsteller und drei weiteren Stadtratskandidaten u. a. Wahlfälschung vorgeworfen.“
Das Landratsamt Neustadt a. d. Waldnaab erklärte daraufhin nach Anhörung der gewählten Personen mit Bescheid vom 8. Oktober 2014 die Stadtratswahl vom 16. März 2014 wegen Verstößen gegen die Grundsätze der freien und geheimen Wahl für ungültig.
Mit einem am 9. November 2014 beim Verwaltungsgericht Regensburg eingegangenen Schreiben legte der Antragsteller den Entwurf einer Klage gegen den Bescheid vom 8. Oktober 2014 vor und beantragte dazu die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 15. Mai 2017 ab.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, die von der Bevollmächtigten des Antragstellers eingelegt und von ihm selbst begründet wurde.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss im Prozesskostenhilfeverfahren, die keinem Vertretungs- oder Begründungszwang unterliegt, hat Erfolg. Der Antragsteller kann Prozesskostenhilfe beanspruchen, da die Voraussetzungen für die Bewilligung nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorliegen.
a) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, da der Bescheid des Landratsamts Neustadt a. d. Waldnaab vom 8. Oktober 2014, mit dem die Stadtratswahl vom 16. März 2014 für ungültig erklärt wurde, auf eine vom Antragsteller gemäß Art. 51a Nr. 1 GLKrWG noch zu erhebende Anfechtungsklage hin voraussichtlich aus formellen Gründen aufzuheben sein wird. Denn das Landratsamt als für die Wahlprüfung zuständige Rechtsaufsichtsbehörde (Art. 50 Abs. 1 GLKrWG i. V. m. Art. 110 Satz 1 GO) hat die Frist, innerhalb derer eine Wahl für ungültig erklärt werden kann, nicht eingehalten.
Nach Art. 50 Abs. 5 Satz 1 GLKrWG ist eine Ungültigerklärung nur innerhalb einer Frist von vier Monaten nach Verkündung des Wahlergebnisses zulässig. Die Rechtsaufsichtsbehörde kann diese gesetzliche Ausschlussfrist (vgl. Büchner, Kommunalwahlrecht in Bayern, Stand November 2015, Anm. 14 zu Art. 50 GLKrWG) gemäß Art. 50 Abs. 5 Satz 2 GLKrWG verlängern, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass die Wahl zu berichtigen oder für ungültig zu erklären ist. Solche Anhaltspunkte hat das Landratsamt hier zwar angesichts der damals wegen des Verdachts der Wahlfälschung laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zutreffend angenommen. Es hat aber die danach mögliche Entscheidung über eine Verlängerung der Frist nicht innerhalb der (am 2. August 2014 endenden) 4-Monats-Frist getroffen und in der für eine nachträgliche Kontrolle gebotenen Weise aktenkundig gemacht (zu diesem Erfordernis Büchner, a.a.O.; Bauer, GLKrWG, 19. Aufl. 2013, Anm. 5 zu Art. 50 GLKrWG).
Dem vom Landrat unterzeichneten Aktenvermerk vom 30. Juli 2014 lässt sich lediglich der grundsätzliche Entschluss der Behörde zu einer Verlängerung der Wahlprüfungsfrist entnehmen, nicht jedoch die daraus resultierende neue Fristdauer. Dass die Frist „bis zur Bekanntgabe der Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft“ verlängert werden sollte, genügte zur Präzisierung nicht, da sich allein anhand dieses (aus damaliger Sicht künftigen) Ereignisses noch kein Fristende bestimmen ließ. Als „Frist“ im Sinne des Art. 31 Abs. 1 BayVwVfG i. V. m. §§ 186 ff. BGB ist ein abgegrenzter Zeitraum zu verstehen, bei dem auch das Fristende kalendermäßig exakt berechnet werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 25.8.2005 – 7 C 25/04 – BVerwGE 124, 156 Rn. 16). Die Verlängerung einer Frist muss demgemäß durch die Bestimmung eines neuen Endzeitpunkts erfolgen (vgl. Ziekow, VwVfG, 3. Aufl. 2013, § 31 Rn. 16). Auch die viermonatige Wahlprüfungsfrist des Art. 50 Abs. 5 Satz 1 GLKrWG lässt sich hiernach nur verlängern, indem ein bestimmter Verlängerungszeitraum oder ein neues Datum für das Fristende festgelegt wird.
Diesem Auslegungsergebnis steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber mit der nachträglich eingefügten Vorschrift des Art. 50 Abs. 5 Satz 2 GLKrWG der Rechtsaufsichtsbehörde bewusst „die Möglichkeit eingeräumt [hat], mit einer Berichtigung oder Ungültigerklärung zunächst z. B. das Ergebnis eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens abzuwarten“ (LT-Drs. 15/5005 S. 19). Auch in einem solchen Fall besteht kein zwingender Grund, die Dauer der Verlängerung zunächst im Ungewissen zu lassen und den Fristablauf vom Bekanntwerden eines künftigen Ermittlungsergebnisses abhängig zu machen. Die Behörde hat hier vielmehr – ebenso wie bei eigenen Nachforschungen zu möglichen Wahlrechtsverstößen – eine Prognose über die voraussichtliche Dauer der Ermittlungen anzustellen und auf dieser Grundlage eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, bis zu welchem Zeitpunkt das Fristende hinausgeschoben werden soll. Erweist sich der Verlängerungszeitraum im Nachhinein als zu kurz, weil mit einem Ermittlungsergebnis erst nach Fristende zu rechnen ist, kann die Frist aufgrund einer aktualisierten Prognose nochmals verlängert werden; eine Beschränkung auf eine einmalige Verlängerung lässt sich der Vorschrift des Art. 50 Abs. 5 Satz 2 GLKrWG nicht entnehmen.
Der Zeitpunkt der „Bekanntgabe der Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft“ ist auch deshalb kein geeigneter Anknüpfungspunkt für eine Fristverlängerung, weil es letztlich vom Inhalt der mitgeteilten Ergebnisse abhängt, ob die Anhaltspunkte für eine mögliche Ungültigerklärung der Wahl danach weiter fortbestehen. Lässt sich der Anfangsverdacht eines Wahlrechtsverstoßes nicht erhärten und wird das Ermittlungsverfahren deswegen eingestellt (§ 170 Abs. 2 StPO), muss sogleich mit dem Bekanntwerden dieser Entscheidung auch die nach Art. 50 Abs. 5 Satz 2 GLKrWG verlängerte Wahlprüfungsfrist enden, weil es an der tatbestandlichen Voraussetzung hierfür fehlt. Wird dagegen wie im vorliegenden Fall durch Einreichung einer Anklageschrift die öffentliche Klage erhoben (§ 170 Abs. 1 StPO) und hält es die Rechtsaufsichtsbehörde aufgrund der dadurch gewonnenen Erkenntnisse für geboten, die Wahl für ungültig zu erklären, so benötigt sie schon wegen der gebotenen Anhörung der betroffenen Mandatsträger in jedem Fall einen zusätzlichen Bearbeitungszeitraum, dessen Länge sich im Vorhinein nicht anhand objektiver Kriterien berechnen lässt. Die Verlängerung der Wahlprüfungsfrist bis zur „Bekanntgabe der Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft“ bedeutet daher, das genaue Ende der Frist vom ungewissen Eintritt eines künftigen Ereignisses, nämlich dem Bestätigen oder Widerlegen des anfänglichen Verdachts einer Straftat und der hieraus folgenden behördlichen Reaktion abhängig zu machen, d. h. von einer Bedingung im Sinne des Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG. Hierfür bietet die Ermächtigung zur Fristverlängerung nach Art. 50 Abs. 5 Satz 2 GLKrWG keine Grundlage.
b) Die subjektiven Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind ausweislich der dem Verwaltungsgericht vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers erfüllt.
2. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Eine Kostenentscheidung und eine Streitwertfestsetzung sind entbehrlich. Kosten werden nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.


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