Verwaltungsrecht

Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten im Asylverfahren

Aktenzeichen  AN 4 S 16.30609

Datum:
16.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO§ 80 Abs. 5
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 17 Abs. 1 S. 2
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 15, § 25, § 71a, § 36 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist abzulehnen, wenn zwar entgegen der Einstufung als unzulässiger Folgeantrag im Bescheid des Bundesamtes Zweifel bestehen, ob tatsächlich ein erstes Asylverfahren in einem Dublin-Staat negativ abgeschlossen wurde, der Asylsuchende aber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachkommt, weil er sich trotz Aufforderung weder zum Erstverfahren noch zu seinen Fluchtgründen äußert.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist georgischer Staatsangehöriger, ethnischer Georgier und orthodoxer Christ. Nach Angaben des Antragstellers ist er am 15. November 2013 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und beantragte am 29. November 2013 eine Anerkennung als Asylberechtigter.
Die Abfrage nach Eurodac ergab einen Treffer für das EU-Mitgliedstaat Belgien. Das Königreich Belgien teilte mit Schreiben vom 3. Januar 2014 mit, dass sie zum Übernahme des Antragstellers aufgrund Art. 16 Ziff. 1 lit. e) der Dublin II-Verordnung bereit sind. Mit Schreiben vom 24. April 2014 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der zuständigen Behörde im Königreich Belgien mitgeteilt, dass das Übernahmegesuchen zurückgezogen und das Asylverfahren in eigener Zuständigkeit behandelt werde.
Mit Schreiben vom 19. Januar 2015 wurde dem Antragsteller ein Fragebogen übermittelt. Das Bundesamt hatte in dem Schreiben um Mitteilung des Sachstandes des Verfahrens in Belgien gebeten und den Antragsteller aufgefordert ggf. neue Tatsachen vorzutragen. Der Fragebogen sollte dem Bundesamt binnen zwei Wochen rückübermittelt werden. Mit Schreiben vom 6. Mai 2016 übermittelte das Bundesamt dem anwaltlichen Vertreter des Antragstellers eine Aufforderung zur Stellungnahme binnen einer Woche, ob mit Blick auf die Befristungsentscheidung schutzwürdige Belange hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots vorliegen. Der Antragsteller hat die beiden Schreiben nicht beantwortet.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 18. Mai 2016, zugestellt am 21. Mai 2016, wurde der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt (Ziffer 1). In Ziffer 2 wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. In Ziffer 3 wurde die Antragstellerin aufgefordert, Deutschland binnen einer Woche zu verlassen und ihr die Abschiebung nach Georgien angedroht. In Ziffer 4 wird das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf den Inhalt des Bescheids wird Bezug genommen.
Der Antragsteller lässt durch seinen anwaltlichen Vertreter am 6. Juni 2016 Klage erheben und beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 18. Mai 2016 aufzuheben. Zugleich wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamts vom 18. Mai 2016 anzuordnen.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass Bundesamt hätte mit seiner Übernahmeentscheidung das Verfahren in dem Stadium übernommen, in dem es sich zu diesem Zeitpunkt befunden hätte, Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO. Die Antragsgegnerin sei nicht befugt gewesen, den Asylantrag des Antragstellers als Zweitantrag im Sinne des § 71 a AsylG zu werten und zu prüfen. Eine solche Prüfung beinhalte die Kenntnis von den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedstaat. Die Antragsgegnerin könne nicht davon ausgehen, dass der Antragsteller bereits ein Asylverfahren in Belgien abgeschlossen habe. Das hätte zunächst ermittelt werden müssen. Ohne solchen Erkenntnisse hätte das Verfahren als Erstantrag behandelt werden müssen.
Mit Schreiben vom 7. Juni 2016 übersendete die Antragsgegnerin die Asylakte und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im angefochtenen Bescheid vom 18. Mai 2016 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anordnen.
Das Gericht ordnet die aufschiebende Wirkung der Klage an, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Verfahren nicht gegeben. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts verletzt den Antragsteller aller Voraussicht nach nicht in seinen Rechten. Zur Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
1.
Auch die Klage- und Antragsbegründung führt zu keinem anderen Ergebnis. Es kann offenbleiben, ob die Antragsgegnerin den Antrag als Folgeantrag nach § 71 a AsylG behandeln durfte, wonach allerdings auch nach Auffassung des Gerichts Zweifel bestehen. Die Antragsgegnerin leitete die Annahme eines negativ abgeschlossenen Asylverfahrens in Belgien allein aus der Übernahmemitteilung des Königreichs Belgiens auf der Rechtsgrundlage nach Art. 16 Ziff. 1 lit. e) Dublin II-Verordnung her. Nach dieser Vorschrift sind die Mitgliedstaaten gehalten, einen Drittstaatangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält wieder aufzunehmen. Weitere Kenntnisse über das negativ abgeschlossene Asylverfahren hat die Antragsgegnerin ausweislich ihrer eigenen Behördenakte nicht. Der anwaltliche Vertreter verweist insoweit zutreffend auf verschiedene gerichtliche Entscheidungen, in denen die Kenntnis über die Entscheidung im Erstverfahren für die Frage der Durchführung eines Folgeverfahrens aufgrund der Tatbestandsvoraussetzungen des § 71 a AsylG grundsätzlich zwingend notwendig ist.
2.
Der Antragsteller hat ebenfalls im Grundsatz einen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens. Wäre aber nach dem konkreten Sachstand auch die Durchführung eines Asylverfahrens ohne Erfolg geblieben, so fehlt es für den Antragsteller jedenfalls dann an einer Verletzung in eigenen Rechten, wenn die Erfolglosigkeit auf der Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit beruht. So lag der Fall hier.
Der Antragsteller wurde mit Schreiben vom 19. Januar 2015 aufgefordert, sich zum Sachstand der Entscheidung im Königreich Belgien und zu den neuen Tatsachen binnen zwei Wochen zu äußern. Dies ist bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheides nicht geschehen. Es wäre dem Antragsteller ohne weiteres möglich gewesen, sich sowohl zu dem Erstverfahren als auch zu seinen Fluchtgründen zu äußern. Unabhängig von der Entscheidung in Belgien wäre eine fehlende Mitwirkung auch bei einem Erstantragsverfahren hinreichender Grund für einen Ablehnungsbescheid gewesen. Der Gesetzgeber hat in §§ 15 Abs. 2 Nr. 1, 25 AsylG ausdrücklich die Mitwirkungspflicht zur Abgabe von Angaben auf schriftliche Aufforderung normiert und ergänzend die Pflicht zum Vorbringen aller relevanter Tatsachen geregelt.
Diese Rechtsfrage wurde auch nicht bereits vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, B. v. 18.2.2015 – 1 B 2/15) behandelt. In dem vom anwaltlichen Vertreter des Antragstellers zitierten Verfahren hatte der Beschwerdeführer bereits einen anerkannten Schutzstatus in Italien und das Bundesamt hatte ein Folgeverfahren unter Hinweis auf dem bestehenden Schutzstatus abgelehnt. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Entscheidung mit Blick auf die fehlende Sachverhaltsaufklärung gerügt, da der Kläger ggf. noch einen qualitativ höheren Schutzstatus erlangen könnte. Um eine fehlende Mitwirkungspflicht ging es in diesem Fall jedoch nicht.
3.
Damit war der Antrag abzulehnen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 83b AsylG, § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.


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