Verwaltungsrecht

Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt

Aktenzeichen  M 10 K 15.4237

Datum:
4.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU FreizügG/EU § 6 Abs. 1, Abs. 2
GG GG Art. 6
EMRK EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Lassen die einer strafrechtlichen Verurteilung wegen einer versuchten schweren Brandstiftung zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen, das eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, kann einem EU-Bürger, sofern das öffentliche Interesse an einer Verlustfeststellung das private Interesse des EU-Bürgers an einem Verbleib überwiegt, das Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entzogen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. August 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid zu Recht festgestellt, dass der Kläger sein Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren hat. Auch die festgesetzte Sperrfrist von 6 Jahren (Nr. 2 des Bescheides) sowie die Abschiebungsandrohung (Nr. 3) sind nicht zu beanstanden.
Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 117 Abs. 5 VwGO ab, da es der Begründung des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 25. August 2015 folgt. Ergänzend wird noch ausgeführt:
1. Aus der vom Landgericht München I mit Urteil vom 18. März 2015 abgeurteilten versuchten schweren Brandstiftung ergibt sich, wie von der Beklagten ausgeführt, eine außergewöhnlich hohe kriminelle Energie des Klägers. Auslöser der versuchten schweren Brandstiftung war im Grunde genommen eine Geringfügigkeit. Der Kläger war aufgrund von Streitigkeiten vom Türsteher der Diskothek aus dieser verwiesen worden. Aus diesem Anlass hat er sich entschlossen, einen Brandanschlag auf das Diskothekengebäude vorzunehmen. Wäre der Brandanschlag erfolgreich gewesen, wären möglicherweise viele Menschen zu Schaden oder gar zu Tode gekommen. Dies hatte der Kläger zumindest auch in Kauf genommen. Trotz der hohen Blutalkoholkonzentration war der Kläger bei Begehung der Tat nicht schuldunfähig. Schon aus der Begehung dieser Tat rechtfertigt sich die Prognose einer besonderen Gefährlichkeit des Klägers auch für die nähere Zukunft. Hinzu kommt, dass der Kläger auch vorher schon über lange Jahre in Polen vielfach straffällig geworden war, weshalb er insgesamt 10 Jahre Freiheitsstrafe aufgrund verschiedener Verurteilungen in Polen verbüßt hatte. Die Erfahrung mit der Strafhaft hat ihn indes gerade nicht gehindert, im Bundesgebiet weitere Straftaten, insbesondere versuchte schwere Brandstiftung zu begehen. Dass der Kläger mittlerweile in der Strafhaft einen Antiaggressionskurs absolviert, ist sicher ein sinnvoller Beginn, sich mit seinem bisherigen kriminellen Verhalten auseinander zu setzen im Versuch, künftig nach Verbüßung der Haftzeit ein Leben ohne weitere Straftaten zu führen. Dies ist aber lediglich ein erster Schritt, aufgrund dessen noch keine günstigere Prognose hinsichtlich seiner künftigen Gefährlichkeit gestellt werden kann. Aufgrund der langjährigen kriminellen Prägung des Klägers kann eine grundlegende Abwendung von seinem bisherigen mehr oder weniger kriminellen Verhalten zu einem künftig straffreien Leben erst dann mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, also die Prognose auch künftigen straffälligen Verhaltens geändert werden, wenn der Kläger über einen längeren Zeitraum nach verbüßter Strafhaft nicht mehr rückfällig geworden ist und damit gezeigt hat, dass er sich von seinem früheren Verhalten nicht nur distanziert hat, sondern dass es ihm auch gelungen ist, dauerhaft ein Leben ohne die Begehung weiterer Straftaten zu führen (vgl. BayVGH, U. v. 18.8.2011 – 10 ZB 10.2989 – juris Rn. 10 zu einer Drogentherapie).
2. Im angefochtenen Bescheid der Beklagten war im Rahmen der nach § 6 Abs. 1, Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz/EU vorzunehmenden Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an einer Verlustfeststellung und dem privaten Interesse des Klägers an einem Verbleib im Bundesgebiet noch nicht berücksichtigt worden, dass der Kläger mittlerweile mit der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugin verlobt ist. Ein Verlöbnis ist allerdings nicht einer nach Art. 6 Grundgesetz (GG), Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützten Ehe gleichzustellen. Ein Verlöbnis hat allenfalls die „Vorwirkung“ einer Ehe, wenn die Eheschließung und der Beginn der ehelichen Lebensgemeinschaft unmittelbar bevorstehen (BayVGH, B. v. 24.10.2012 – 10 CE 12.2125 – juris). Dies ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist. Nach der Aussage der Zeugin ist aber eine Eheschließung derzeit überhaupt nicht absehbar. Unabhängig vom Schutzgut des Art. 6 GG sind das Verlöbnis bzw. die Bindung an seine Lebensgefährtin ebenfalls bei den berechtigten Interessen des Klägers einzustellen, allerdings mit einer geringeren Schutzwürdigkeit als eine bereits bestehende eheliche Lebensgemeinschaft. Der Kläger hat mit der Zeugin nach deren glaubwürdigen Angaben bereits einige Jahre zusammen gelebt. Die Zeugin und der Kläger halten auch während der bestehenden Haft des Klägers an diesem Verlöbnis fest und wollen nach Aussage der Zeugin nach Haftentlassung des Klägers auch weiterhin zusammenleben mit dem Ziel, letztlich auch die Ehe einzugehen. Die bestehende Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten überwiegt aber nicht das gegenwärtige öffentliche Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet.
Wie ausgeführt wiegen die begangene Straftat und die frühere kriminelle Karriere des Klägers besonders schwer; es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten des Klägers im Bundesgebiet nach seiner Haftentlassung, solange er nicht durch eine längere belastbare Nachbewährungszeit gezeigt hat, von seiner bisherigen Kriminalkarriere Abstand genommen zu haben. Dagegen muss das Interesse der Verlobten, ihre Beziehung nach Haftentlassung weiter im Bundesgebiet fortführen zu können, zurückstehen.
Zum einen hat das Verlöbnis eben noch nicht die gleiche Verbindlichkeit wie eine bestehende eheliche Lebensgemeinschaft, deren Schutz höher zu gewichten wäre. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Verlobte des Klägers zwar hier in …, wo sie auch geboren ist, ihren Lebensmittelpunkt hat; sie hat hier ihre Wohnung und eine Arbeitsstelle. Da sie auch die polnische Staatsangehörigkeit besitzt, wäre es ihr rechtlich aber genauso gut möglich, zusammen mit dem Kläger nach Polen zu gehen und dort die Lebensgemeinschaft weiterzuführen. Dies bleibt letztlich eine Entscheidung der Verlobten, wie sie ihre Beziehung künftig ggf. auch außerhalb des Bundesgebietes gestalten wollen.
3. Auch das für 6 Jahre ausgesprochene Wiedereinreiseverbot begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Auch hierzu wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheides Bezug genommen. Wie bei der Verlustfeststellung als solcher spricht auch hier für die Befristung auf 6 Jahre der Grund für die Aufenthaltsbeendigung zu spezialpräventiven Zwecken. Auch mit Blick auf die persönliche Bindung des Klägers im Bundesgebiet ist wegen des Gewichtes der von ihm gefährdeten Rechtsgüter unter Feststellen der hohen Wiederholungsgefahr eine Wiedereinreisesperre von 6 Jahren erforderlich. Zudem hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid bereits ausgeführt, dass der Kläger bereits nach 3 Jahren nach seiner Ausreise bzw. Abschiebung einen Antrag auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes einreichen könne, wenn sich eine materielle Änderung der Umstände, die zum Aufenthaltsverbot geführt haben, ergeben hat (§ 7 Abs. 2 Satz 8 Freizügigkeitsgesetz/EU). Zudem wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, dass auch Ausnahmegenehmigungen nach § 11 Abs. 8 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt werden können.
Damit ist die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m.
dem Streitwertkatalog).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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