Verwaltungsrecht

Verlustfeststellung Freizügigkeitsrecht kroatischer Staatsangehöriger

Aktenzeichen  AN 5 K 15.01330

Datum:
7.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 164330
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 6 Abs. 1, Abs.4
EMRK Art. 8
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1,§ 117 Abs. 5

 

Leitsatz

Die sich an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung orientierende äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen.  (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2015 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die in Ziffer I verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland ist ebenso wenig zu beanstanden (A.) wie die Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise (B.). Ebenso begegnet die Befristung der Wirkungen der Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts auf die Dauer von fünf Jahren ab Ausreise/Abschiebung keinen rechtlichen Bedenken (C.).
A.
Die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland ist rechtmäßig.
Hinsichtlich der Beurteilung des angefochtenen Bescheids und der Voraussetzungen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30.02 – juris; BayVGH, B.v. 10.10.2013 – 10 ZB 11.607 – juris).
Rechtsgrundlage ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – jedoch nicht § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU (I.), sondern § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU (II.).
I. Rechtsgrundlage für die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland ist nicht § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU. Danach darf bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, eine Verlustfeststellung nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Unabhängig von der Frage, wie Zeiten vor dem Beitritt eines Drittstaates zur Europäischen Union für einen Drittstaatsangehörigen im Rahmen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zu berücksichtigen sind (Kroatien trat der Europäischen Union erst am 1. Juli 2013 bei), erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des Aufenthalts in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet nicht. Durch § 6 Abs. 5 FreizügG/EU wurde Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der RL 2004/38, der einen verstärkten Schutz vor Ausweisung gewährt, umgesetzt. Die mit der RL 2004/38 geschaffene Regelung zum Schutz vor Ausweisungsmaßnahmen ist auf das Maß der Integration der betroffenen Personen im Aufnahmemitgliedstaat gestützt, sodass dieser Schutz vor Ausweisung umso stärker ist, je besser die Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind (EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 30). Daher ist für den bestmöglichen Schutz ein Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet erforderlich. Der Zeitraum wird vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung an zurückgerechnet (EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 24) und muss grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein (EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 28). Da der Grad der Integration der Betroffenen die wesentliche Grundlage für die Regelung zum Schutz vor Ausweisungsmaßnahmen bildet, können Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke der Gewährung des verstärkten Schutzes nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU keine Berücksichtigung finden (EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 32 f.). Diese Zeiten unterbrechen grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung. Für die Frage, inwieweit die Diskontinuität des Aufenthalts in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung des Betroffenen diesen daran hindert, in den Genuss des verstärkten Schutzes zu kommen, ist eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt (EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 35). Für die Feststellung, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind und damit die Feststellung, ob der verstärkte Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU gewährt wird, ist eine umfassende Beurteilung geboten. Dabei können Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe zusammen mit weiteren Anhaltspunkten, die die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Umstände darstellen, berücksichtigt werden (EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 36). Der Umstand, dass die betroffene Person sich in den letzten zehn Jahren vor ihrer Freiheitsstrafe in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, kann bei der umfassenden Beurteilung berücksichtigt werden ((EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 37).
Die Beklagte hat vorliegend den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt am 14. Juli 2015 festgestellt. Der Kläger befand sich aufgrund der Anlasstat ab dem 19. November 2009 bis Mai 2011 insgesamt 547 Tage in Untersuchungshaft und von 8. September 2014 bis 30. Juni 2016, und damit auch zum Zeitpunkt des Erlasses der Verlustfeststellung, in Strafhaft. Innerhalb des gem. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU relevanten Zeitraums von zehn Jahren war der Kläger somit zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft bzw. Strafhaft. Dadurch wurde der erforderliche Aufenthaltszeitraum unterbrochen. Es ist insoweit eine umfassende Beurteilung erforderlich, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind. Dies ist nach Auffassung der Kammer vorliegend der Fall. Allein aus dem langen Aufenthalt im Bundesgebiet kann nicht auf eine Kontinuität geschlossen werden. Denn bereits vor der Inhaftierung bestanden nur geringe Integrationsverbindungen im Bundesgebiet. Der Kläger hat ohne Abschluss die Hauptschule nach der neunten Klasse verlassen. Eine Berufsausbildung hat er nicht abgeschlossen. Vielmehr hat er eine Ausbildung zum Koch und eine Ausbildung zum Bäcker abgebrochen. Seine Beschäftigungsverhältnisse waren meist von kurzer Dauer. Auch selbstständige Tätigkeiten endeten kurzfristig. Zudem ist der Kläger auch vor der Anlasstat mehrmals, teilweise erheblich, strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Kammer geht daher davon aus, dass die Integrationsverbindungen, soweit diese überhaupt geknüpft wurden, jedenfalls durch die Untersuchungshaft und Strafhaft abgerissen sind. Der Kläger kann sich daher nicht auf den besonderen Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen.
II. Rechtsgrundlage für die Verlustfeststellung ist somit § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU. Danach kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Art. 45 Abs. 3, Art. 52 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) festgestellt werden. Die Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
1. Zugunsten des Klägers wird – in Übereinstimmung mit der Beklagten – davon ausgegangen, dass der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht gem. § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erworben hat.
2. Die vom Kläger begangene Straftat rechtfertigt die Verlustfeststellung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung (§ 6 Abs. 4 FreizügG/EU).
Die öffentliche Ordnung ist hierbei nicht nach nationalen Kriterien, sondern nach unionsrechtlichen Kriterien zu bestimmen. Sie ist eng auszulegen (EuGH, U.v. 27.4.2006 – C-441/02 – juris Rn. 34). Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung setzt voraus, dass innerstaatliche Rechtsvorschriften verletzt wurden. Die reine soziale Störung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, reicht jedoch nicht aus (EuGH, U.v. 27.4.2006 – C-441/02 – juris Rn. 35). Daher muss eine tatsächliche und schwerwiegende Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 FreizügG/EU). Denn anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht verweist der Maßstab nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss (BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – juris Rn. 24). Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung rechtfertigt für sich genommen eine Verlustfeststellung (ebenfalls noch) nicht (§ 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU). Es dürfen insoweit nur im Bundeszentralregister nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU berücksichtigt werden. Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung liegen vor, wenn die drohende Beeinträchtigung zu schweren Gefahren für die öffentliche Ordnung führt. Es ist daher eine erhebliche Gefahr mindestens mittlerer oder schwerer Straftaten erforderlich.
Die strafrechtliche Verurteilung wegen Betrugs in 21 Fällen mit Urteil des Landgerichts Bochum vom 14. April 2014 stellt im vorliegenden Fall eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 6 Abs. 1 und 4 FreizügG/EU dar. Der Kläger wurde insoweit zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Der Verurteilung lagen Wettmanipulationen von Fußballspielen in Belgien, Slowenien, Deutschland, Österreich, Ungarn, Liechtenstein, Kanada und in der Schweiz zu Grunde. Die Wetten wurden bei asiatischen Wettanbietern platziert. Dabei wurden vom Kläger Ligaspiele und Freundschaftsspiele sowie ein Spiel im Rahmen der Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft 2010 und ein Europa-League Spiel manipuliert, indem Spieler und Verantwortliche bestochen wurden. Zudem wurde im Urteil festgestellt, dass der Kläger einen damals in der zweiten belgischen Fußballliga spielenden Verein unterwanderte und schließlich übernahm, um Wettgeschäfte tätigen zu können. Außerdem organisierte der Kläger ein Trainingslager für einen bosnischen Fußballverein, um mit manipulierten Freundschaftsspielen ebenfalls Geld zu verdienen. Die Taten erstreckten sich über einen langen Zeitraum von über einem Jahr in den Jahren 2008 und 2009. Die Art und Weise der Begehung der Straftaten weist hier besonders schwerwiegende Merkmale auf. Der Kläger wendete insoweit eine erhebliche kriminelle Energie auf. Außerdem legte er ein sehr planvolles Verhalten an den Tag. So hat er im Rahmen des Trainingslagers des bosnischen Fußballvereins erhebliche organisatorische Maßnahmen bis hin zur Einschaltung der UEFA getroffen. Er hat die gesamte Folge von Freundschaftsspielen des bosnischen Vereins in der Schweiz und die Reisen für das bosnische Team vollständig organisiert, insbesondere etwa Hotels gebucht. Auch hinsichtlich der Übernahme des damals belgischen Zweitligisten unternahm er erhebliche Anstrengung. Insoweit schloss er sogar einen Vertrag, nach welchen er sich in den Verein eingekaufte. Die schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Ordnung ergeben sich aus der Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten, die gegen das Vermögen anderer gerichtet waren und zu einem erheblichen Schaden in Höhe von 1.950.290,89 EUR geführt haben. Außerdem verstrickte er eine Vielzahl weiterer Personen in seine kriminellen Handlungen. Folglich sind die begangenen Straftaten als besonders schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung anzusehen. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Verurteilung vom 14. April 2014 aufgrund der verhängten Strafe bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen sogar als zwingender Grund i.S.d. § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU herangezogen werden könnte und damit möglicherweise eine Verlustfeststellung bei der besonders geschützten Personengruppe des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU rechtfertigen könnte.
3. Das persönliche Verhalten des Klägers stellt auch eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU).
Für eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU erforderlich und ausschlaggebend sind die unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Bewertung des persönlichen Verhaltens des Freizügigkeitsberechtigten und die insoweit anzustellende aktuelle Gefährdungsprognose. Dabei steht es den Ausländerbehörden und Gerichten nicht frei, von einem früheren Verhalten ohne weiteres auf die aktuelle Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu schließen. Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung besagt jedoch nicht, dass eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des deutschen Polizeirechts vorliegen müsste, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Es verlangt vielmehr eine hinreichende – unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts differenzierende – Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung beeinträchtigen wird. Hierbei ist eine individuelle Würdigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich (BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – juris Rn. 26). Es ist unter anderem zu prüfen, ob eine etwaige Verbüßung der Strafe erwarten lässt, dass der Unionsbürger künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdende Straftaten mehr begehen wird (BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – juris Rn. 26).
Die Kammer geht vorliegend von einer Wiederholungsgefahr beim Kläger aus. Zwar wurde gesehen und dementsprechend gewichtet, dass der Kläger im Rahmen des Strafverfahrens umfassend geständig gewesen war und bereits im Ermittlungsverfahren sehr umfangreiche Angaben auch über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus gemacht hat. Zudem wurde sehr positiv bewertet, dass der Kläger auch nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens in anderen gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren umfangreiche Aussagen zu Tatabläufen und Beteiligten getätigt hat. Auch aktuell – wie die kurz vor der mündlichen Verhandlung stattgefundene Kontaktaufnahme durch die Kriminalpolizei … verdeutlicht – steht der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vermittelte, den Organisationen und Behörden weiterhin als Kontaktperson zur Verfügung. Trotzdem geht die Kammer vorliegend von einer Wiederholungsgefahr beim Kläger aus. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung persönlich erklärt hat, bei der Firma … in …zu arbeiten und diese insbesondere Spielautomaten aufstellt und Sportwetten vermittelt. Die Gesellschafterrinnen der GbR sind – nach Aussage des Klägers – die Ehefrau und die Schwägerin des Klägers. Der Kläger ist folglich wieder in das Umfeld des Glücksspielwesens zurückgekehrt. Auch wenn er in der mündlichen Verhandlung erklärte, dass er aufgrund seiner Vergangenheit nicht mehr an der Kasse sitze, ist er vor Ort tätig und kümmert sich um den organisatorischen Ablauf. Dies zeigt sich daran, dass der Kläger – wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt – die Geldbeträge zur Bank bringt und sich wegen der Erlaubnisse mit den Behörden auseinandersetzt. Zwar verkennt die Kammer nicht, dass der Kläger aufgrund seiner umfassenden Enthüllungen in der Wettszene und bei den zuständigen Behörden bekannt ist und ihm daher eine erneute Manipulation sicher schwerer fallen würde. Aufgrund der planvollen Ausführung der Manipulationen, die eine erhebliche kriminelle Energie erforderte, der Tatsache, dass die Wetten in Asien platziert wurden, der Kläger zudem eine Vielzahl von weiteren Personen in seine kriminellen Handlungen verstrickt hat, er selbst öffentlich erklärt hat, dass eine Manipulation von Spielen auch heute noch jederzeit möglich wäre (https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/sport-inside/video-es-waere-heute-genauso-einfach-wie-frueher-100.html) und er nunmehr wieder im Umfeld von Sportwetten arbeitet, geht die Kammer aber weiterhin von einer Wiederholungsgefahr aus. Die derzeitige Situation gleicht sehr stark dem Zeitraum vor seiner Inhaftierung. Denn ab August 2005 bis zu seiner Festnahme am 19. November 2009 war er in …bei der Firma …als Buchmacher beschäftigt. In dieser Zeit plante und führte er die Manipulationshandlungen aus, die im Urteil des Landgerichts … vom 14. April 2014 abgeurteilt wurden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Schwägerin und die Ehefrau des Klägers nun ebenfalls im Glücksspielbereich tätig sind. So ist die Schwägerin des Klägers seit dem 3. Januar 2017 als Inhaberin der Firma … im Handelsregister beim Amtsgericht … unter der Nummer …registriert. Außerdem sind die Ehefrau und die Schwägerin des Klägers mit der Geschäftsführung der … beauftragt, die am 3. Juli 2017 beim Amtsgericht … unter der Nummer …registriert wurde und zudem Gesellschafterinnen der …, bei der der Kläger beschäftigt ist. Die Betätigungszweige liegen im Bereich Wett-, Toto- und Lotteriewesen. Gefahren, die von derartig schweren und planvollen Betrugshandlungen für das Vermögen als Inbegriff aller wirtschaftlichen Güter einer Vielzahl von Betroffenen ausgehen, berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft.
4. Die Beklagte hat bei Erlass der Verlustfeststellung das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt.
Im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung ist abzuwägen, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt (BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – juris Rn. 27). Es ist insoweit der nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierte Schutz des Familienfriedens zu Gunsten des Unionsbürgers zu beachten. Hierbei ist gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Das Gericht kann die Ermessensentscheidung der Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich darauf hin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden.
Die Beklagte hat ermessensfehlerfrei festgestellt, dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Die Beklagte hat in ihrer Ermessensentscheidung, die hinsichtlich der strengeren Verlustfeststellung gem. § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU erging und damit auch für die erleichterte Verlustfeststellung gem. § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU weiterhin – erst-recht – heranzuziehen ist, zutreffend die Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland, die familiäre Situation des Klägers, die Intensität der sozialen und kulturellen Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland zum Heimatstaat des Klägers berücksichtigt. Es war insoweit zu berücksichtigen, dass sich der Kläger durch den Betrug in 21 Fällen einer besonders schweren Straftat schuldig gemacht hat. Die Beklagte hat die persönlichen Interessen des Klägers ausreichend berücksichtigt und zutreffend gewichtet. Sie hat insbesondere eingestellt, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren wurde und sich den größten Teil seines Lebens im Bundesgebiet aufgehalten hat. Eine Bindung zum Herkunftsstaat kann jedoch schon deshalb angenommen werden, weil er in* …seinen Wehrdienst absolviert hat. Außerdem wurde erkannt, dass sich die Eltern und die Geschwister des Klägers im Bundesgebiet aufhalten und der Kläger eine Ehefrau und zwei minderjährige Kinder im Bundesgebiet hat. Diese familiären Umstände hat die Beklagte mit dem entsprechenden Gewicht in die Ermessenentscheidung eingestellt. Die in der mündlichen Verhandlung erklärte nunmehr erfolgte Einbürgerung der Ehefrau des Klägers nahm der Beklagtenvertreter in seine Entscheidung auf und hielt an der im streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Ermessensentscheidung fest. Die Ermessensentscheidung verstößt insoweit nicht gegen Art. 6 und Art. 8 EMRK. Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK gewähren einen unmittelbaren Anspruch auf einen Aufenthalt im Bundesgebiet. Nur wenn die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft erfüllt, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange mit der Folge zurück, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen sich als unverhältnismäßig erweisen (BayVGH, B.v. 25.4.2014 – 10 CE 14.650 – juris Rn. 6). So werden die Behörden verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des ausgewiesenen Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindung zu berücksichtigen (BVerfG, U.v. 18.7.1979 – 1 BvR 650/77 – juris Rn. 32 ff.). Der Kläger hat im Bewusstsein seiner minderjährigen Kinder und seiner Ehefrau die Manipulationshandlungen begangen und war durch die erlittenen Untersuchungshaft und den Strafvollzug bereits 2,5 Jahre von seiner Familie getrennt. Nach alledem hat die Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts des Klägers höher gewichtet, als dessen Interesse, weiterhin im Bundesgebiet zu leben.
B.
Die Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise ist ebenfalls rechtmäßig.
Die Frist, das Bundesgebiet innerhalb von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu verlassen, erscheint angemessen. Dies gilt auch für die ausgesprochene Abschiebungsandrohung für den Fall, dass der Kläger seiner Ausreiseverpflichtung nicht innerhalb der gesetzten Frist freiwillig nachkommt.
C.
Die Befristungsentscheidung begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
Die Wirkungen der Verlustfeststellung sind gem. § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU von Amts wegen zu befristen. Dabei ist jeweils auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen (EuGH, U.v. 17. Juni 1997 – C-65/95, C-111/95 – Rn. 39 ff.). Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten (§ 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU). Eine Höchstfrist für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU ist nicht vorgesehen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – juris Rn. 23).
Es ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU zu tragen vermag. Im Fall einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen. In der Regel stellt ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont dar, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung – insbesondere jüngerer Menschen – kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – juris Rn. 27).
Die sich an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung orientierende äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall auch zu einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt führen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – juris Rn. 28).
Die im Bescheid vorgenommene Befristung auf fünf Jahre ab Ausreise/Abschiebung ist rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig. Von der Beklagten wurde in der streitgegenständlichen Verfügung zu Recht zulasten des Klägers gewichtet, dass der Kläger während seines Aufenthalts im Bundesgebiet zu einer Vielzahl von Geld- und Freiheitsstrafen verurteilt wurde, zuletzt mit rechtskräftigen Urteil des Landgerichts* … vom 14. April 2014 wegen Betrugs in 21 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Der Kläger ist insoweit massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Verurteilung vom 14. April 2014 könnte aufgrund der verhängten Strafe bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen sogar als zwingender Grund i.S.d. § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU herangezogen werden und damit möglicherweise eine Verlustfeststellung bei der besonders geschützten Personengruppe des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU rechtfertigen. Die planvolle Ausführung der Wettmanipulationen, die eine erhebliche kriminelle Energie erforderte, und das Ausmaß des Gesamtschadens kommen erschwerend hinzu. Die durch die Straftaten betroffenen Schutzgüter nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein und lösen staatliche Schutzpflichten aus. Ebenfalls zu Ungunsten des Klägers muss berücksichtigt werden, dass sich der Kläger auch vor den im Urteil vom Landgericht …abgeurteilten Wettmanipulationen nicht rechtstreu verhalten hat. Zu Gunsten des Klägers hat die Beklagte zu Recht die familiären Beziehungen des Klägers im Bundesgebiet eingestellt. Hierbei sind insbesondere seine Ehefrau und seine zwei minderjährigen Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen. Zudem leben die Eltern und die Geschwister des Klägers im Bundesgebiet. Daher ist die festgesetzte Dauer der Wirkungen der Verlustfeststellung auf fünf Jahre verhältnismäßig.
D.
Im Übrigen folgt das Gericht den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheids und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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