Verwaltungsrecht

Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund schwerwiegenden Ausweisungsinteresses

Aktenzeichen  M 12 K 18.5

Datum:
27.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25700
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 3, § 25 Abs. 5, § 28 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht nur bei einem strikten Rechtsanspruch, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und bei dem alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. BVerwG BeckRS 2009, 32297). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist dann nicht gegeben, wenn zwar die besonderen Voraussetzungen eines Anspruchstatbestands nach dem Aufenthaltsgesetz, jedoch nicht sämtliche anwendbaren allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG erfüllt sind. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage ist zulässig, da der Beklagte ohne zureichenden Grund in angemessener Frist über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom … Dezember 2016 bzw. … August 2017 sachlich nicht entschieden hat (§ 75 Satz 1 VwGO). Dass der Beklagte der Auffassung ist, dass der Antrag des Klägers keine Fiktionswirkung nach § 81 AufenthG ausgelöst hat, stellt keinen sachlichen Grund dafür dar, den Antrag nicht in angemessener Frist zu verbescheiden. Auch ein Verweis auf eine Verbescheidung im Visumverfahren geht fehl. Die Frage, ob der Kläger ausreisen und ein Visumverfahren durchführen muss oder ihm im Bundesgebiet eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, ist gerade klärungsbedürftig. Zudem ist jeder nicht rechtsmissbräuchliche Antrag auch zu verbescheiden. Sofern der Beklagte nach rechtlicher Prüfung zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat, hat er den Antrag abzulehnen.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG steht § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden. Der Asylantrag des Klägers wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 9. Februar 2016 unanfechtbar abgelehnt, nachdem das Klageverfahren (M 16 K 16.30746) mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. Mai 2017 eingestellt wurde. Außerdem findet sich § 28 AufenthG im Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes.
Die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist vorliegend auch nicht gem. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ausgeschlossen. Danach findet Satz 1 im Fall eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung. Zwar ist gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Der Kläger ist Vater eines minderjährigen deutschen Kindes, das sich im Bundesgebiet aufhält und für das ihm nach dem Beschluss des Amtsgerichts München vom … März 2017 die gemeinsame elterliche Sorge übertragen wurde. Er erfüllt damit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht jedoch nur bei einem strikten Rechtsanspruch, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und bei dem alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (BVerwG, U.v. 16.12.2008 – 1 C 37/07 – juris). Ein Anspruch i.d.S. ist daher auch dann nicht mehr gegeben, wenn zwar die besonderen Voraussetzungen eines Anspruchstatbestands nach dem Aufenthaltsgesetz (wie hier des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG), jedoch nicht sämtliche anwendbaren allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG erfüllt sind (Maor in BeckOK AuslR, Stand: 1.2.2018, § 10 AufenthG Rn. 11 – beck-online m.w.N.).
Der Kläger erfüllt schon nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, da schwerwiegende Ausweisungsinteressen gem. § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a und b und Nr. 9 AufenthG bestehen. Auf § 5 Abs. 2 AufenthG kommt es daher nicht mehr an.
Der Kläger hat sich trotz Rechtspflicht und entsprechender Belehrung geweigert, an der Passersatzpapierbeschaffung mitzuwirken, wodurch er ein Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG verwirklicht hat. Darüber hinaus hat der Kläger mehrfach (z.B. am …12.2016 und …2.2017) gegenüber der Regierung von Oberbayern erklärt, nicht im Besitz eines Reisepasses oder Passersatzes zu sein. Tatsächlich wurde ihm jedoch bereits am … März 2016 ein bis … März 2021 gültiger senegalesischer Reisepass ausgestellt. Der Kläger hat daher falsche Angaben zur Erlangung der Aussetzung der Abschiebung gemacht und somit auch das Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG verwirklicht. Das Ausweisungsinteresse ist auch noch aktuell, da die Ausländerbehörden auf wahrheitsgemäße Angaben und die Mitwirkung der Ausländer angewiesen sind und angesichts des vom Kläger in der Vergangenheit an den Tag gelegten Verhaltens davon ausgegangen werden muss, dass er wiederum unzutreffende Angaben machen bzw. seine Mitwirkung verweigern wird, wenn er sich dadurch einen persönlichen Vorteil zu verschaffen glaubt.
Zudem besteht ein Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, da der Kläger nicht nur einen vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Der Kläger wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom … Juni 2017 wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Vorsätzliche Straftaten stellen in der Regel keine geringfügigen Verstöße dar, es sei denn, das Strafverfahren ist wegen Geringfügigkeit eingestellt worden (BVerwG, U.v. 24.9.1996 – 1 C 9/94 – juris). Gründe für ein Abweichen von der Regel sind vorliegend nicht ersichtlich. Zudem handelt es sich hierbei nicht um einen vereinzelten Verstoß, nachdem der Kläger durch seine unrichtigen Angaben zur Erlangung einer Duldung (s.o.) auch den Straftatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht hat.
Mangels Erfüllung der anwendbaren Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besteht daher kein strikter Rechtsanspruch i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, so dass § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG entgegensteht.
b) Auch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG besteht nicht. Zwar steht dem § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen, da dieser Aufenthaltstitel nach Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes ausnimmt. Der Erteilung steht jedoch § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen. Danach darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden, sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nrn. 1 bis 6 AsylG abgelehnt wurde. Ausweislich des Bescheids des Bundesamts vom 9. Februar 2016 wurde der Asylantrag des Klägers gem. § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
Die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist vorliegend auch nicht gem. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ausgeschlossen. § 25 Abs. 5 AufenthG vermittelt schon keinen strikten Rechtsanspruch i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist eine Ermessensvorschrift. Selbst bei einer Ermessensreduzierung auf null bestünde kein gesetzlicher Anspruch (Maor in BeckOK AuslR, a.a.O. § 10 AufenthG Rn. 6). Bei § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, dessen Tatbestandsvoraussetzungen ohnehin derzeit nicht vorliegen, da die Abschiebung des Klägers noch nicht seit 18 Monaten ausgesetzt ist, handelt es sich um eine Soll-Vorschrift, die selbst dann keinen Rechtsanspruch vermittelt, wenn kein atypischer Fall vorliegt. Bei einer „Soll“-Regelung fehlt es an einer abschließenden abstrakt-generellen, die Verwaltung bindenden Entscheidung des Gesetzgebers (Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 10 AufenthG Rn. 14). Im Übrigen steht auch das bestehende Ausweisungsinteresse einem Rechtsanspruch entgegen (s.o.).
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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