Verwaltungsrecht

Verschlechterung der humanitären Verhältnisse in Somalia durch COVID-19 Pandemie

Aktenzeichen  W 4 K 20.30318

Datum:
27.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29683
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5
AsylG § 77

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Diese war ordnungsgemäß geladen. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurde bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes, mit dem der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt wurde, erweist sich in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung im Ergebnis als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 AsylG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen nicht vor.
Der Kläger hat ausweislich des Schreibens der dänischen Behörden vom 23. Dezember 2019 dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der erfolglos abgeschlossen wurde.
Da der Kläger somit bereits in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26a AsylG ein Asylverfahren erfolglos betrieben hat, handelt es sich bei dem nunmehr streitgegenständlichen Asylantrag um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG. Demnach ist ein weiteres Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
§ 51 Abs. 1 VwVfG sieht vor, dass die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden hat, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (Nr. 3).
Ein solcher Grund ist vorliegend nicht erkennbar. Im Gegensatz zu seinem Vortrag vor den dänischen Behörden hat der Kläger nunmehr vor dem Bundesamt vorgetragen, dass er überhaupt nicht äthiopischer Staatsangehöriger, sondern somalischer Staatsangehöriger sei und angeblich Zwangsrekrutierungsversuche durch die Al-Shabaab erlebt habe. Dieser Vortrag stellt allerdings keine nach der letzten Entscheidung der dänischen Behörden eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage dar, ebensowenig werden neue Beweismittel vorgelegt. Dem Kläger war es nämlich möglich, diesen Vortrag bereits bei den dänischen Behörden geltend zu machen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 AsylG).
Nicht zu beanstanden ist daher die Entscheidung des Bundesamtes im streitgegenständlichen Bescheid vom 20. Februar 2020, den Antrag des Klägers als unzulässig abzulehnen.
Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liegen nicht vor. Es lässt sich nicht feststellen, dass dem Kläger, geht man davon aus, dass er somalischer Staatsangehöriger ist, in Somalia landesweit (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 -, BVerwGE 142, 179, Rn. 34, sowie B.v. 15.9.2006 – 1 B 116.06 -, juris Rn. 4) ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention oder eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohen.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Verbürgt sind insoweit u.a. das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), das Verbot der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK) sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK).
Für den Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG gilt ebenfalls der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.2001 – 1 B 71/01 – juris Rn. 2). § 60 Abs. 5 AufenthG erfasst nur zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 35). Solche können in besonderen Ausnahmefällen etwa vorliegen, soweit aufgrund der allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23/26). Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG müssen grundsätzlich landesweit drohen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen; etwas Anderes gilt nur, soweit der Betroffene bei lediglich in Gebietsteilen drohenden Gefahren das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht erreichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 26; B.v. 15.9.2006 – 1 B 116.06 – juris Rn. 4). Es darf also für den Betroffenen keine interne/innerstaatliche Fluchtalternative („internal flight alternative“) bestehen. Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche) Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen. Erforderlich ist insoweit eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat (vgl. hierzu etwa VGH BW, U.v. 3.11.2017, A 11 S 1704/17 – juris Rn. 194 ff. unter Verweis insbesondere auf EGMR, U.v. 28.06.2011 „Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich“, Nr.8319/07, NVwZ 2012, 681 Rn. 266 und 294 f.).
Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung (Art. 3 EMRK) zu berücksichtigen, ist der sachliche Regelungsbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG weitgehend identisch mit dem des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK betroffen ist, jedenfalls nicht hinaus. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtlich vorgeprägte subsidiäre Schutz vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität der Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Letzterer tritt vielmehr selbstständig neben § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung subsidiären Schutzes und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen regelmäßig auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12, Rn. 34 ff. zu § 60 Abs. 2 AufenthG).
Geht man also davon aus, dass der Kläger somalischer Staatsangehöriger ist, so sind die humanitären Bedingungen in Somalia und insbesondere in Mogadischu nicht so schlecht, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass der Kläger sein Existenzminimum jedenfalls in Mogadischu selbst erarbeiten kann. Der Kläger ist ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann, der sein Existenzminimum und damit ein menschenwürdiges Dasein selbst sichern kann, selbst wenn sich aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie die wirtschaftliche Situation in Somalia eintrüben sollte (s.o.; vgl. zum Preisanstieg bei einzelnen Lebensmitteln OCHA Somalia: Update 5 – Overview of COVID-19 directives, 30 May 2020; vgl. zur Betroffenheit insbesondere der ärmeren Bevölkerungsschichten infolge abnehmender Remissen, geringerer Arbeitsnachfrage und steigender Lebensmittelpreise OCHA Somalia: COVID-19 Impact Update No. 10, 22. July 2020). Das Gericht hält es zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann. Schlechte humanitäre Verhältnisse können dabei nur in ganz außergewöhnlichen Fällen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn es sich hierbei um zwingende humanitäre Gründe handelt (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N.). Aus der Rechtsprechung des EGMR (U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07 und 11449/07 – BeckRS 2012, 8036 – Rn. 278) und des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12) ergibt sich, dass die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraussetzt. Nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind. Entscheidend ist, dass die Person keiner Situation extremer materieller Not ausgesetzt wird, die es ihr unter Inkaufnahme von Verelendung verwehrt, elementare Bedürfnisse zu befriedigen.
Für den Eintritt einer dahingehenden Verschlechterung der humanitären Verhältnisse in Somalia fehlen dem Gericht zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) greifbare Anhaltspunkte. Dies gilt zum einen vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein Gegensteuern der somalischen Behörden erkennbar ist. So wurde z.B. eine Steuerbefreiung für Grundnahrungsmittel eingeführt (vgl. OCHA Somalia: COVID-19 Impact Update No. 9, 22 June 2020). Alle 12 Flughäfen in Somalia, die für Passagierflüge geschlossen sind, bleiben für Transportflüge geöffnet. Sieben von acht Seehäfen sind für Güter geöffnet (vgl. OCHA Somalia: Update 5 – Overview of COVID-19 directives, 30 May 2020). Zum anderen ist in Somalia in der jüngeren Vergangenheit ein Rückgang an bestätigten COVID-19 Fällen zu verzeichnen bei gleichzeitiger Ausweitung der Testkapazitäten, insbesondere auch in Mogadischu (vgl. OCHA Somalia: COVID-19 Impact Update No. 10, 22 July 2020), was dafür spricht, dass die vonseiten der Regierung sowie von Hilfsorganisationen getroffenen Gegenmaßnahmen Früchte tragen. Zudem werden die meisten humanitären Aktivitäten lageangepasst fortgeführt (vgl. Somalia: COVID-19 affecting lives and livelihoods, 18 May 2020, www.unocha.org/story/somalia-covid-19-affecting-lives-and-livelihoods, abgerufen am 30.7.2020).
Auch mit Blick auf etwaige Berichte zu einer Heuschreckenplage bzw. zu Überschwemmungen in Somalia gelangt das Gericht zu keiner anderen Bewertung der humanitären Situation im vorliegenden Fall. Zentral- und Südsomalia sind von einer etwaigen Heuschreckenplage bislang nicht betroffen (vgl. hierzu FAO, Desert Locust Emergency in Somalia, Update 5 vom 9.6.2020; FEWS NET, Somalia Key Message Update vom 30. Mai 2020). Von den Überflutungen am stärksten beeinträchtigt sind die Region Hirshabelle und Südwestsomalia, welche einen Anteil von ca. 91 Prozent an den von Überschwemmungen betroffenen Personen ausmachen. Die Hochwassersituation in der Region Banaadir, zu welcher Mogadischu gehört, stellt sich demgegenüber als deutlich untergeordnet dar. Zudem wird hinsichtlich der Überschwemmungsereignisse von verschiedener Seite bereits humanitäre Hilfe geleistet, auch in der Region Banaadir (vgl. zum Ganzen: OCHA Somalia: Hagaa Season Floods Update 2, 26. July 2020).
Sonstige Verstöße gegen Bestimmungen der EMRK sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG kann sich der Kläger daher nicht berufen.
Geht man hingegen davon aus, dass der Kläger, wie er vor den dänischen Behörden vorgetragen hat, äthiopischer Staatsangehöriger ist, so kann das Gericht ebenso keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG erkennen. Solche wurden vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung auch nicht geltend gemacht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insofern auf die ausführlichen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen (§ 77 AsylG).
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt beim Kläger ebenfalls nicht vor.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Wie bereits ausgeführt, handelt es sich beim Kläger um einen jungen und arbeitsfähigen Mann, der nach Überzeugung des Gerichts seine Existenzgrundlage zweifellos selbst sichern kann.
Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund der COVID-19-Pandemie vorzunehmen.
Zunächst ist insoweit festzustellen, dass der Kläger mangels entgegenstehender Anhaltspunkte nicht mit dem neuartigen Coronavirus infiziert ist bzw. nicht an der hierdurch hervorgerufenen Erkrankung COVID-19 leidet.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Die derzeitige COVID-19-Pandemie stellt in Somalia mangels einer solchen Abschiebestopp-Anordnung allenfalls eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke, d.h. zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. etwa BVerwG, 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerecht, 13. Auflage 2020, § 60 AufenthG, Rn. 100 m.w.N.). Die drohende Gefahr, dass der Kläger sich in Somalia mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert, muss nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris sowie VG Cottbus, B.v. 29.5.2020 – 9 L 226/20.A – juris mit Bezug auf VG Bayreuth, U.v. 21.4.2020 – B 8 K 17.32211; OVG NRW – U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N.; vgl. auch schon VG Würzburg, B.v. 4.6.2020 – W 8 S 20.30546).
Eine solche extreme, konkrete Gefahrenlage ist vorliegend für den Kläger im Hinblick auf die Verbreitung des „Coronavirus“ für das Gericht derzeit nicht erkennbar. Der ca. 21 bis 22 Jahre alte Kläger ohne belegte relevante Vorerkrankungen gehört nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19-Erkrankung (vgl. RKI, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf; abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html; Stand: 13.5.2020; zuletzt abgerufen am 30.7.2020). Unter Berücksichtigung der tagesaktuellen Fallzahlen (vgl. hierzu die Angaben der WHO unter https://covid19.who.int/region/emro/country/so, zuletzt abgerufen am 30.7.2020, wonach es in Somalia bislang 3.212 bestätigte Corona-Infizierte und 93 Corona-Tote gibt) und des damit einhergehenden Ansteckungsrisikos besteht in Somalia derzeit nach dem oben genannten Maßstab keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppe, welcher der Kläger angehört. Darüber hinaus kann es der Kläger durch ein entsprechendes Verhalten (Abstand einhalten, Hygienemaßnahmen so gut wie möglich vornehmen) selbst beeinflussen, von einer Ansteckung mit COVID-19 verschont zu bleiben. Damit ist nicht anzunehmen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Somalia mit der hier erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.
Wie schon ausgeführt, hat das Gericht weiter keine triftigen Anhaltspunkte, geschweige denn konkrete Belege, dass die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen in Folge der COVID-19-Pandemie sich in Somalia in der Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern würden, dass generell für jeden Rückkehrer eine extreme Gefahr im oben zitierten Sinn mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen würde. Damit ist nicht anzunehmen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Somalia mit der hier erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.
Nichts Anderes gilt auch nicht, würde man dem klägerischen Vortrag vor den dänischen Behörden glauben, im Hinblick auf Äthiopien.
Gemäß der Johns-Hopkins-Universität sind in Äthiopien 831 Personen (Stand: 28.5.2020) an COVID-19 erkrankt, wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss.
Am 8. April 2020 wurde zunächst für fünf Monate der Ausnahmezustand ausgerufen. Die landesweit geltenden Restriktionen umfassen das Verbot größerer Veranstaltungen (ab vier Personen), die Schließung aller Schulen (seit 16.3.2020), Restaurants und Clubs sowie die Besetzung von (auch privaten) Fahrzeugen nur bis zur Hälfte ihrer Kapazität, einhergehend mit der Verdoppelung des Fahrpreises für Busse und Taxis (AA, Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 27.5.2020).
Ein Lockdown ist demgegenüber in Äthiopien nicht angeordnet worden. Die Tagelöhner, die darauf angewiesen sind, jeden Tag Arbeit zu finden, um sich abends etwas zu Essen zu kaufen, gehen weiter zur Arbeit. Auch Wochenmärkte werden weiterhin betrieben (Berliner Zeitung vom 9.4.2020, in Äthiopien gibt es 435 Beatmungsgeräte – und 105 Millionen Menschen).
Allerdings sind aufgrund des Ausnahmezustandes die Kirchen, vor denen die ärmsten Menschen regelmäßig betteln, geschlossen. Die Menschen schränken ihre Kontakte ein, so dass es für Arbeitsuchende schwieriger ist, Aufträge zu bekommen. Dies trifft insbesondere alleinerziehende Mütter, deren Einkommenssituation sich durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie deutlich verschlechtert hat (Menschen für Menschen vom 29.4.2020, Corona-Überlebenspakete für Kinder in Äthiopien).
Gemäß den Ausführungen in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (vom 27.4.2020, Am Ende kann nur Gott uns helfen) sind Zusammenkünfte von mehr als vier Personen seit der Ausrufung des nationalen Notstandes untersagt. Eine Ausgangssperre ist bislang nicht verhängt worden. Allerdings hat Äthiopien die Landesgrenzen weitgehend zu schließen versucht. Zwar sind Bars und Nachtclubs geschlossen, vieles hat jedoch geöffnet. Straßenverkäufer und kleine Kioske sind nach wie vor da und sowohl für die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln als auch für das Überleben der Betreiber-Familien von entscheidender Bedeutung. Auch Supermärkte haben weiter geöffnet. Wo in ländlichen Gegenden lokale Märkte geschlossen sind, verkaufen die Menschen ihre landwirtschaftlichen Güter von den Türen der Bauernhöfe aus. Preiserhöhungen unter Ausnutzung der Situation werden bestraft. Gleichzeitig mehren sich Berichte über verstärkte Kleinkriminalität.
Hinsichtlich der Heuschreckenplage ist festzustellen, dass in Äthiopien große Heuschreckenschwärme vorhanden sind, die ganze Felder und Weideflächen kahlfressen. Im Juni 2019 machten sich die Tiere von Oman ausgehend auf den Weg in Richtung Horn von Afrika. In Äthiopien fanden sie dank außergewöhnlicher Regenfälle im Oktober und November 2019 günstige Bedingungen für die Vermehrung vor. Die Welthungerhilfe verteilt derzeit in Äthiopien gemeinsam mit den Partnern des NGO-Bündnisses Alliance 2015 Bargeld, dies zum Schutz vor Ernteverlusten und umsteigende Preise infolge der Krise bei Lebensmitteln und Viehfutter abzufedern. Zudem plant die Welthungerhilfe den Aufbau von Capacity-Building (z.B. Entwicklung von Frühwarnsystemen). In der Afar-Region plant die Welthungerhilfe weitere ernährungssichernde Maßnahmen. Dies macht deutlich, dass Äthiopien derzeit nicht so stark von der Heuschreckenplage betroffen ist, dass eine akute Hungersituation eingetreten wäre (vgl. Welthungerhilfe, Projekt-Update vom 12.5.2020, Heuschreckenplage in Ost-Afrika).
Diese Informationen können der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt werden. Aus ihnen ergibt sich, dass sowohl hinsichtlich der Auswirkungen der Corona-Pandemie als auch hinsichtlich derjenigen der Heuschreckenplage als auch in der Zusammenschau beider Ereignisse nach derzeitigem Stand nichts Konkretes erkennbar ist, was mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer erniedrigenden Behandlung des Klägers deshalb führen könnte, weil er bei einer Rückkehr nach Äthiopien seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern könnte.
Nachdem Rechtsfehler bezüglich der Abschiebungsandrohung unter Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots weder substantiiert geltend gemacht wurden noch erkennbar sind, war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.


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