Verwaltungsrecht

Verwaltungsgerichte, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Abschiebungsverbot, Pakistanische Staatsangehörigkeit, Abschiebungshindernis, Antragsgegner, Prozeßbevollmächtigter, Streitwertfestsetzung, Antragstellers, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Festsetzung des Streitwerts, Streitwertkatalog, Asylverfahren, Ausländerrecht, Zumutbarkeit, Beschwerdeschrift, Beschwerde gegen, Wert des Beschwerdegegenstandes, Aussetzung der Abschiebung

Aktenzeichen  M 25 S 20.6842

Datum:
17.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3497
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AufenthG § 25 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger und reiste am 20. März 2015 erstmals ins Bundesgebiet ein und stellte hier am 29. Mai 2015 einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde mit Bescheid vom 26. Januar 2017 abgelehnt. Auf die dagegen erhobene Klage hin stellte das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 2. Juni 2020 ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans fest (VG München, U.v. 2.6.2020 – M 24 K 17.32006). Mit Bescheid vom 18. August 2020 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das entsprechende Abschiebungsverbot fest.
Am 28. November 2018 legte der Antragsteller beim Antragsgegner eine pakistanische „National Identity-Card“ ausgestellt am 14. November 2018 und gültig bis 14. November 2028 vor.
Mit Schreiben vom 6. Februar 2019 teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit, dass mit den vorhandenen Untersuchungsmöglichkeiten bei zerstörungsfreier Untersuchung Manipulationen an der „National Identity Card“ nicht festgestellt werden konnten. Weiter teilte das Bundesamt mit Schreiben vom 23. September 2019 mit, dass auf Grund der pakistanischen ID-Card die Staatsangehörigkeit des Antragstellers nicht geändert werde, weil auf der ID-Card keine Staatsangehörigkeit vermerkt sei. Auf ihr sei lediglich die Möglichkeit der visumsfreien Einreise vermerkt.
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2020 forderte die Bevollmächtigte des Antragstellers den Antragsgegner auf, dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu erteilen. Der Antragsteller sei afghanischer Staatsangehöriger.
Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 11. Dezember 2020 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziff. 1) und forderte den Antragsteller auf, bis 4. Januar 2021 das Bundesgebiet zu verlassen (Ziff. 2). Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Pakistan oder in einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziff. 3).
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG sei nicht möglich, da der Antragsteller jedenfalls auch pakistanischer Staatsangehöriger sei. Dies ergebe sich aus der vorgelegten pakistanischen ID-Card und den Äußerungen des Antragstellers im Rahmen der polizeilichen Anhörung am 17. Dezember 2018. Die Ausreise dorthin sei dem Antragsteller auch zumutbar, weil dort noch seine Ehefrau und seine Kinder lebten.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2020 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis anzuordnen.
Zur Begründung trug die Bevollmächtigte des Antragstellers im Wesentlichen vor, dass der Antragsteller nicht über die pakistanische Staatsangehörigkeit verfüge. Er sei afghanischer Staatsangehöriger. Dies habe er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München glaubhaft ausgeführt. Auch das Bundesamt habe trotz Vorlage der pakistanischen ID-Card die Staatsangehörigkeit nicht geändert, sondern lediglich mitgeteilt, dass die ID-Card eine visumsfreie Einreise ermögliche.
Mit Schreiben vom 18. Januar 2021 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig.
Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 AufenthG ist nur statthaft, wenn die Antragsablehnung zum Erlöschen der Fiktionswirkung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führt und der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig wird. Löst ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keine Fiktionswirkung aus, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung allein aus verfahrensrechtlichen Gründen anzustreben (vgl. VGH BW, B.v. 20.9.2018 – 11 S 1973/18 – beckonline Rn. 13).
Die Aufenthaltsgestattung ist nach Abschluss des Asylverfahrens nach § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylG seit 8. August 2020 erloschen. Der Antragsteller verfügte bislang auch über keine Aufenthaltserlaubnis, so dass sein Antrag vom 2. Dezember 2020 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3, Abs. 4 AufenthG ausgelöst hat. Der erforderliche Rechtsschutz kann somit nur über einen Antrag nach § 123 VwGO erreicht werden (Kluth in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerecht, Stand. 1.1.2021, § 81 Rn. 51).
2. Eine am Rechtsschutzbegehren (§ 88 VwGO) ausgerichtete Auslegung des Antrags auf Verpflichtung des Antragsgegners nach § 123 VwGO, einstweilen die Abschiebung bis zur Entscheidung des Gerichts über den Klageantrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auszusetzen, führt ebenfalls nicht zum Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, insbesondere auch, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich sind danach ein Anordnungsgrund, also die Eilbedürftigkeit der Sache, sowie ein Anordnungsanspruch, also der Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind nach § 123 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Der Antragsteller hat die Tatsachen für den Anordnungsanspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen eines rechtlichen Abschiebehindernisses in Form eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht.
a. Die Abschiebung ist rechtlich unmöglich, wenn sie einen Anspruch des Antragstellers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vereiteln oder unverhältnismäßig erschweren würde. Ein solcher Anspruch besteht nicht. Denn der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt, § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG.
Vorliegend besteht auf Grund des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. August 2020 zwar ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans. Gem. § 42 AsylG ist der Antragsgegner auch an die Entscheidung des Bundesamtes gebunden. Dem Antragsteller ist jedoch eine Ausreise nach Pakistan i.S.d. § 25 Abs. 3 Satz 3 AufenthG möglich und zumutbar.
Möglich i.S.d. § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist die Ausreise dann, wenn der Ausländer in den Drittstaat einreisen und sich dort aufhalten darf. Entscheidend ist, ob der Ausländer freiwillig in den betreffenden Staat ausreisen könnte (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: Juni 2020, § 25 Rn. 66). Nach vorläufiger Rechtsauffassung des Gerichts spricht viel dafür, dass der Antragsteller nach Pakistan ausreisen kann, da er (auch) über die pakistanische Staatsangehörigkeit verfügt. Dies ergibt sich insbesondere aus der vorgelegten pakistanischen „National Identity Card“, die der Antragsteller während seines Aufenthalts im Bundesgebiet beantragt hat. Eine solche „National Identity Card“ erhalten im Ausland lebende pakistanische Staatsangehörige. Sie gilt als Personalausweis (vgl. Information des Generalkonsulats der Islamischen Republik Pakistan, www.pakmissionfrankfurt.de/nicop-poc-frc abgerufen am 10.2.2021; United Kingdom Home Office, Country Information Note, Pakistan: Documentation, January 2020, S. 10). Sie ist zudem Grundlage für die Beantragung eines pakistanischen Passes. An der Echtheit der vorgelegten „National Identity Card“ bestehen ebenfalls keine Zweifel (vgl. Bl. 147 der Behördenakte). Auf der „National Identity Card“ des Antragsstellers ist zudem vermerkt, dass der Antragsteller visumsfrei nach Pakistan einreisen darf. Dem Antragsteller ist es daher möglich, nach Pakistan zu auszureisen.
Die Ausreise nach Pakistan ist dem Antragsteller auch zumutbar. Zumutbar ist die Ausreise, wenn die mit dem Aufenthalt in dem Drittstaat verbundenen Folgen die betreffende Person nicht stärker treffen als die Bevölkerung des Drittstaats (Maaßen/Kluth in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.1.2021, § 25 Rn. 41). Zudem dürfen in dem anderen Staat weder Lebensverhältnisse herrschen, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG begründen, noch darf dem Ausländer die Abschiebung in den Heimatstaat oder einen anderen Drittstaat drohen, in dem der Ausländer nicht hinreichend sicher vor Verfolgung ist (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: Juni 2020, § 25 Rn. 69). Erforderlich ist eine Gesamtbewertung der Lebensverhältnisse in dem Staat, in den grundsätzlich die Ausreise möglich ist.
Vorliegend ist der Antragsteller mit den Lebensverhältnissen in Pakistan vertraut und spricht die dortige Landessprache. Der Antragsteller hat im Asylverfahren angegeben, dass er als Kleinkind mit seinen Eltern nach Pakistan gezogen sei und dort 30 Jahre lang gelebt habe. Außerdem leben dort nach seinen Angaben noch seine Frau, seine vier Kinder und seine übrige Großfamilie (vgl. Blatt 70 der Behördenakte). Der Antragsteller hat in Pakistan einen eigenen Laden betrieben, den er von seinem Vater übernommen hat. Mit insgesamt 12.000 USD hat der Antragsteller seine Ausreise nach Deutschland selbst aus Ersparnissen finanziert. Seine wirtschaftliche Lage in Pakistan beschreibt der Antragsteller mit gut bis sehr gut.
Schließlich ist nicht davon auszugehen, dass die Lebensverhältnisse in Pakistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG begründen würden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 29.9.2020, Stand: Juni 2020, S. 25f.; United Kingdom Home Office, Country Policy and Information Note, Pakistan: Background information, including internal relocation, Juni 2020, S. 14ff.). Auf Grund seiner pakistanischen „National Identity Card“ muss der Antragsteller auch nicht eine Abschiebung von Pakistan nach Afghanistan fürchten, so dass insgesamt davon auszugehen ist, dass eine Ausreise nach Pakistan dem Antragsteller auch zumutbar ist.
b. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach einer anderen Rechtsgrundlage des Abschnitts 5 des AufenthG (Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen) hat, sind nicht ersichtlich. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach einem anderen Abschnitt des AufenthG ist gem. § 10 Abs. 3 AufenthG (Titelerteilungssperre) nicht möglich und wurde im Übrigen auch nicht beantragt, § 81 Abs. 1 AufenthG.
c. Sonstige Abschiebungshindernisse rechtlicher oder tatsächlicher Art sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs.


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