Verwaltungsrecht

Verwaltungsgerichte, Kostenentscheidung, Schulweglänge, Widerspruchsbescheid, Besondere Gefährlichkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Widerspruchsverfahren, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Unbestimmter Rechtsbegriff, Prozeßkostenhilfeverfahren, Sicherheitsleistung, Befähigung zum Richteramt, Berufungszulassung, Streitwert, Entscheidungsgründe, Klageabweisung, Rechtsauffassung des Gerichts, Schülerbeförderung, Prüfung von Berechtigungsscheinen

Aktenzeichen  M 3 K 19.5149

Datum:
1.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41834
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SchBefV § 2 Abs. 2 S. 2
PAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 26. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Das Gericht folgt zunächst der Begründung des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 18. September 2019 und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Darüber hinaus begründet der Vortrag des Klägers zu der in der mündlichen Verhandlung allein strittig gebliebenen Frage, ob der Schulweg des Klägers aufgrund von Versammlungen und Veranstaltungen bzw. Kriminalitätsschwerpunkten besonders gefährlich sei im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Schulwegkostenfreiheitsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 452, BayRS 2230-5-1-K), das zuletzt durch § 1 Abs. 215 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98) geändert worden ist, und § 2 Abs. 2 Satz 2 Schülerbeförderungsverordnung (SchBefV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. September 1994 (GVBl. S. 953, BayRS 2230-5-1-1-K), die zuletzt durch Verordnung vom 12. Februar 2020 (GVBl. S. 144) geändert worden ist, keinen Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme.
Der Schulweg des Klägers ist nicht als „besonders gefährlich“ i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 2 der SchBefV anzusehen, da sich die Gefahren von den Umständen, die Schüler auf Schulwegen normalerweise zu bewältigen haben, bei objektiver Betrachtungsweise nicht erkennbar abheben. Der Begriff der besonderen Gefährlichkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung vollständiger gerichtlicher Nachprüfung unterliegt, ohne dass dem Träger der Schülerbeförderung bei Anwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ein eigener, der gerichtlichen Kontrolle nicht mehr zugänglicher Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (OVG Lüneburg, U.v. 19.08.2015 – 2 LB 317/14 – juris). Die besondere Gefährlichkeit kann sich nicht nur aus der Verkehrslage, sondern auch aus sonstigen zu befürchtenden Schadensereignissen ergeben.
Insoweit ist in der Rechtsprechung des BayVGH (B.v. 29.03.2007 – 7 ZB 06.1874 – juris; U.v. 30.01.2003 – 7 B 02.1135 – juris) sowie anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. z.B. OVG Lüneburg U.v. 19.08.2015 – 2 LB 317/14 – juris) anerkannt, dass ein Schulweg nicht nur wegen einer möglichen Gefährdung von Schülern durch den motorisierten Straßenverkehr, sondern auch wegen sonstiger denkbarer Schadensereignisse, die mit der Benutzung eines Schulweges verbunden sein können, wie z.B. krimineller Übergriffe von Sexualstraftätern oder sonstiger Gewalttäter, als besonders gefährlich angesehen werden kann. Eine die besondere Gefährlichkeit begründende gesteigerte Wahrscheinlichkeit, dass Schulkinder Opfer von Gewalttaten werden, ist grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der betreffende Schüler (z.B. aufgrund seines Alters und/oder seines Geschlechts) zu einem risikobelasteten Personenkreis gehört und wenn er sich darüber hinaus auf seinem Schulweg in einer schutzlosen Situation befindet, insbesondere weil nach den örtlichen Verhältnissen eine rechtzeitige Hilfestellung durch Dritte nicht gewährleistet ist.
Eine „besondere“ Gefährlichkeit ist erst dann anzunehmen, wenn zu der allgemeinen Gefahr konkrete Umstände hinzutreten, die das Schadensrisiko als überdurchschnittlich hoch erscheinen lassen, dieses also erheblich über dem Durchschnitt liegt. Ob solche Umstände vorliegen, ist hierbei allein nach den objektiven Gegebenheiten zu beurteilen.
Der Vortrag des Klägers konzentrierte sich zuletzt auf das Veranstaltungs- bzw. Versammlungsgeschehen u.a. am K……platz und auf die polizeilichen Kriminalitätsschwerpunkte K……platz und B……platz. Der Kläger trägt zum einen hinsichtlich des Veranstaltung- bzw. Versammlungsgeschehens insbesondere vor, dass während der für einen Ganztagsschüler üblichen Zeit des Heimwegs (16.00 Uhr) ein solches gehäuft gegeben sei und auch nur wenige Versammlungen bereits das Schulwegrisiko erhöhen würden. Zum anderen führe der Schulweg über zwei Kriminalitätsschwerpunkte, welche automatisch eine besondere Gefährlichkeit nach sich ziehen würden.
Dem Vortrag des Klägers ist nicht zu folgen. Zunächst konzentriert sich nach der im Verwaltungsverfahren eingeholten Auskunft der Polizei das Versammlungsgeschehen auf Zeiten außerhalb der Schulzeiten, insbesondere Wochenenden. Für das Gericht ist aufgrund der verbleibenden Versammlungen, denen der Kläger auf seinem Schulweg begegnen kann, kein erheblich über dem Durchschnitt liegendes Schadensrisiko festzustellen. Denn grundsätzlich verlaufen Versammlungen/Demonstrationen und Veranstaltungen in der Fußgängerzone, die zusätzlich genügend Platz zum (sicheren) Ausweichen bietet, friedlich. Zudem richten sich Ausschreitungen normalerweise gegen Gegendemonstranten oder Polizisten. Es ist nicht bekannt, dass Passanten oder gar Schulkinder von Ausschreitungen in der Fußgängerzone betroffen wären. Insofern handelt es sich bei dem Schulweg durch die Fußgängerzone um eine typische – und eben nicht erheblich vom Durchschnitt abweichende – innerstädtische Situation. Darüber hinaus werden besondere und größere Ereignisse durch ein erhöhtes Polizeiaufgebot begleitet. Dadurch wird auch der Kläger in solchen Fällen geschützt.
Auch mit seinem weiteren Vortrag zu den zu passierenden Kriminalitätsschwerpunkten kann der Kläger seine Klage nicht begründen. Der Kläger bezieht sich auf Kriminalitätsschwerpunkte nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Polizeiaufgabengesetz (PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl. S. 397, BayRS 2012-1-1-I), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 10. Dezember 2019 (GVBl. S. 691) geändert worden ist. Art. 13 PAG zur Identitätsfeststellung und Prüfung von Berechtigungsscheinen lautet in seinem hier relevanten Teil: „Die Polizei kann die Identität einer Person feststellen (…) 2.wenn die Person sich an einem Ort aufhält, a) von dem auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß dort aa) Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, bb) sich Personen ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen, oder cc) sich Straftäter verbergen, oder (…)“. Schon aus dem Wortlaut des Gesetzestextes ergibt sich, dass ein sog. Kriminalitätsschwerpunkt nicht zwingend bedeutet, dass an solchen Orten auch vermehrt Straftaten verübt werden. Bei den ausweislich des vom Kläger vorgelegten Sicherheitsreports 2018 des Polizeipräsidiums München an diesen Orten begangenen Delikten handelt es sich größtenteils um einfache Diebstähle und nur wenige Rohheitsdelikte, eine Aussage, inwieweit die Menge der begangenen Delikte sich vom sonstigen innerstädtischen Bereich abhebt, trifft der Report nicht. Eine solche Steigerung ist auch nicht durch die Klassifizierung als Schwerpunkt, wie der oben zitierte Gesetzestext zeigt, indiziert.
Ferner ist dem Gericht weder ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen worden, warum der Kläger als Unbeteiligter einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit, Opfer von Übergriffen zu werden, ausgesetzt sein soll. Der Report trifft keine Aussage, gegen wen sich die begangenen Straftaten richten. Deshalb ist der gutachterlichen Aussage des Polizeipräsidiums zu folgen, die keine besondere Gefährlichkeit des Schulwegs sieht.
Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass sich der Kläger nach der Rechtsprechung des BayVGH (B.v. 29.03.2007 – 7 ZB 06.1874 – juris; U.v. 30.01.2003 – 7 B 02.1135 – juris) zusätzlich auf dem zugrunde gelegten Schulweg in einer schutzlosen Situation befinden müsste, insbesondere wenn nach den örtlichen Verhältnissen eine rechtzeitige Hilfestellung durch Dritte nicht gewährleistet ist. Ein solcher Fall liegt auf dem Schulweg des Klägers besonders an den diskutierten Orten Fußgängerzone, K.-platz und Bahnhofsnähe nicht vor. Es handelt sich hier um durchweg belebte Orte an denen mit sozialer Kontrolle und Hilfestellung von Passanten gerechnet werden kann. In diesem Zusammenhang folgt das Gericht nicht dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argument eines „Zuschauereffekts“, aufgrund dessen sich wegen der Vielzahl an Passanten gerade keiner zum Helfen berufen fühle. Dasselbe gilt für das weiter vorgebrachte Argument, nach dem Panikreaktionen oder die Attraktivität einer Menge als Ziel von Anschlägen zu einer inhärenten Gefahr von Menschenmengen und damit der besonderen Gefährlichkeit des Schulweges des Klägers führten. Denn es ist dem Kläger jederzeit möglich von der N…… Straße/M……platz in kleinere, parallel verlaufende Straßen auszuweichen, ohne dass sich dadurch die Länge des Schulwegs entscheidungserheblich verändern würde.
Der von der Beklagten bei der Berechnung der Schulweglänge zugrunde gelegte Schulwegverlauf mit einer Weglänge von unter drei Kilometern ist daher für Schüler der Jahrgangsstufe 5 einer weiterführenden Schule durchaus zumutbar.
Die Klage hat daher keinen Erfolg und war infolgedessen abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


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