Verwaltungsrecht

Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aufgrund unerlaubter Einreise trotz aufschiebender Wirkung der Klage gegen die Ausweisung

Aktenzeichen  B 4 E 16.467

Datum:
23.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123 Abs. 1 S. 1
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 7, § 58, § 59, § 60a

 

Leitsatz

Beruht eine Ausreisepflicht auf mehreren Sachverhalten, kann auch die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht auf mehreren Grundlagen beruhen. Maßgeblich ist dann diejenige, die nach dem Willen der Ausländerbehörde vollzogen werden soll. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen begehren im Wege einer einstweiligen Anordnung die vorläufige Aussetzung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen.
Die Antragstellerinnen sind mazedonische Staatsangehörige und besitzen gültige Pässe. Nachdem Asylverfahren der Antragstellerin zu 1 in Deutschland im Jahr 1991 sowie in Belgien und Schweden in den Jahren 2012 und 2013 erfolglos geblieben waren, beantragten die Antragstellerin zu 1 und die Antragstellerin zu 2 am 23.01.2014 in Neumünster (Schleswig-Holstein) unter Alias-Namen Asyl und wurden dem Kreis S. zugewiesen. Nach Ablehnung der Asylanträge am 03.08.2015 stellten die Antragstellerinnen am 22.12.2015 in B. unter ihren richtigen Namen einen Folgeantrag (Antragstellerin zu 1) bzw. einen Erstantrag (Antragstellerin zu 2). Seit 08.12.2015 sind sie verpflichtet, ihren Wohnsitz in der Ankunfts- und Rückführungseinrichtung in B. zu nehmen.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 07.01.2016 wurden die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Ziffern 1 und 2), die Anträge auf subsidiären Schutz abgelehnt (Ziffer 3), festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Die Antragstellerinnen wurden unter Fristsetzung von einer Woche und Abschiebungsandrohung nach Mazedonien oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat zur Ausreise aufgefordert (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG wurde angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise (Ziffer 6) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 7).
Die dagegen gerichteten Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschlüssen jeweils vom 20.01.2016 ab (B 4 S 16.30040 und B 4 S 16.30043). Die anhängigen Klageverfahren wurden am 12.05.2016 wegen Nichtbetreibens eingestellt (B 4 K 16.30041 und B 4 K 16.30043).
Am 27.01.2016 heiratete die Antragstellerin zu 1 den in G. (Landkreis F.-G.) wohnhaften deutschen Staatsangehörigen K.S. Am 31.03.2016 beantragten die Antragstellerin zu 1 und ihr Ehemann mit einer notariell beurkundeten Erklärung die Annahme der Antragstellerin zu 2 als Kind durch K.S. Die Annahme als Kind wurde vom Familiengericht noch nicht ausgesprochen.
Am 03.04.2016 reisten die Antragstellerinnen nachweislich freiwillig nach Mazedonien aus. Nach ihrer Wiedereinreise wurden sie von der Polizeiinspektion G. im Bundesgebiet aufgegriffen. Die für den 13.06.2016 geplante Abschiebung der Antragstellerinnen scheiterte daran, dass sie an ihrem angegebenen Wohnsitz in G. nicht angetroffen wurden.
Mit Schreiben vom 22.06.2016 beantragten die Bevollmächtigten der Antragstellerinnen beim Bundesamt die Aufhebung der Einreise- und Aufenthaltsverbote, hilfsweise ihre Befristung auf Null. Am selben Tag stellten sie beim Landratsamt F.-G. den gleichen Antrag und beantragten zusätzlich die Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 28 bzw. § 32 AufenthG. Über diese Anträge wurde noch nicht entschieden.
Mit Telefax vom 26.06.2016 haben die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen.
Die Voraussetzungen für eine Abschiebung lägen nicht vor. Die Abschiebungsandrohungen in den Bescheiden des Bundesamtes vom 07.01.2016 seien nach der freiwilligen Ausreise der Antragstellerinnen am 03.04.2016 verbraucht. Außerdem habe die Antragstellerin zu 1 einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG, weil sie die Ehegattin eines Deutschen sei und mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebe. Die Antragstellerin zu 2 habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG. Die entgegenstehenden Einreise- und Aufenthaltsverbote seien unverhältnismäßig und verstießen gegen Art. 6 GG, Art. 8 EMRK.
Am 25.07.2016 gaben die Prozessbevollmächtigten weiter an, die Antragstellerinnen hielten sich seit ihrer Wiedereinreise durchgehend in G. auf. Die Antragstellerin zu 2 besuche dort die Schule.
Der Antragsgegner hat beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Die Antragstellerinnen hätten aufgrund des vom Bundesamt angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbotes keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen.
Mit Bescheid vom 27.07.2016 wies die Regierung von Oberfranken – Zentrale Ausländerbehörde Bamberg die Antragstellerinnen aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1), drohte ihnen ohne Fristsetzung für eine freiwillige Ausreise die Abschiebung nach Mazedonien oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat an (Ziffer 2 und 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf vier Jahre, beginnend mit der Ausreise (Ziffer 4).
Die Ausweisung begründete die Behörde damit, dass das öffentliche Interesse der Antragstellerinnen an der Ausreise das Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiege. Das Ausweisungsinteresse wiege schwer, weil sie sich seit 20.05.2016 illegal im Bundesgebiet aufhielten und damit nicht nur geringfügig gegen Rechtsvorschriften verstießen. Dahinter trete in der Abwägung das Bleibeinteresse zurück, das sich bei der Antragstellerin zu 1 insbesondere aus ihrer Ehe mit einem Deutschen ergebe.
Die Abschiebungsandrohung begründete die Behörde damit, dass die Voraussetzungen für eine Abschiebung vorlägen. Die Antragstellerinnen seien ausreisepflichtig, weil sie keine für ihren beabsichtigten Daueraufenthalt erforderlichen Aufenthaltstitel besäßen. Die Ausreisepflicht sei aufgrund ihrer illegalen Einreise vollziehbar. Eine Ausreisefrist werde im Hinblick auf ihre Einreise unter Verstoß gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht gewährt. Die Überwachung der Ausreise sei erforderlich, weil die Antragstellerinnen mittellos seien. Abschiebungsverbote seien nicht ersichtlich.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen mit Telefax vom 15.08.2016 Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth (Az. B 4 K 16.578).
Am 19.08.2016 teilte der Antragsgegner mit, die Ausländerbehörde des Kreises S. habe am 28.07.2016 im Ausländerzentralregister gemeldet, dass sich die Antragstellerinnen unter ihren Alias-Personalien in K…, … aufhielten.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung ist, dass die Antragsteller das von ihnen behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft machen, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Zwar liegt wegen der drohenden Abschiebung ein Anordnungsgrund vor. Es fehlt jedoch an einem Anordnungsanspruch, weil die Voraussetzungen für eine Abschiebung gemäß § 58 und § 59 AufenthG erfüllt sind (a) und b)) und die Antragstellerinnen auch keinen Anspruch auf eine Duldung glaubhaft gemacht haben (c)).
a) Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde und die freiwillige Erfüllung dieser Ausreisepflicht nicht gesichert ist.
(1) Vollziehbar ist die Ausreisepflicht, wenn der Ausländer unerlaubt eingereist ist (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), was gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zutrifft, wenn er wegen eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG nicht einreisen darf.
Da das gegenüber den Antragstellerinnen vom Bundesamt angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot mit Bestandskraft der Entscheidung über ihren Asylantrag am 12.05.2016 wirksam geworden ist (§ 11 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), durften sie im Mai 2016 nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen.
An der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht ändert es nichts, dass die beim Verwaltungsgericht anhängige Klage gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 27.07.2016 verfügte Ausweisung und die sich daraus ergebende Ausreisepflicht gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat.
Beruht eine Ausreisepflicht auf mehreren Sachverhalten, kann auch die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht auf mehreren Grundlagen beruhen. Maßgeblich ist dann diejenige, die nach dem Willen der Ausländerbehörde vollzogen werden soll. Es genügt also deren Vollziehbarkeit, falls die Ausreisepflicht nicht nach allen Rechtsgrundlagen vollziehbar ist (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 58 AufenthG, Rn. 12).
Der Antragsgegner hat im Bescheid vom 27.07.2016 ausdrücklich angegeben, dass die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht auf der unerlaubten Einreise der Antragstellerinnen beruht. Damit hat er deutlich gemacht, dass er die Ausreisepflicht nicht aufgrund der Ausweisung vollziehen will.
(2) Eine Ausreisefrist wurde gemäß Ziffer 2 des Bescheides vom 27.07.2016 nicht gewährt.
(3) Die Antragstellerinnen bieten ersichtlich nicht die Gewähr einer freiwilligen Erfüllung der Ausreisepflicht, nachdem sie sich, um einer Beendigung ihres Aufenthalts durch den Antragsgegner zu entgehen, von ihrem zugewiesenen Aufenthaltsort unerlaubt entfernt haben und sich nach Mitteilung des Kreises St… unter Angabe von Alias-Personalien in K… aufhalten.
b) Die gemäß § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG erforderliche Abschiebungsandrohung wurde mit Ziffern 2 und 3 des Bescheides vom 27.07.2016 erlassen. Von einer Fristsetzung für eine freiwillige Ausreise konnte der Antragsgegner gemäß § 59 Abs.1 Satz 2 AufenthG ausnahmsweise absehen, weil dies im Hinblick darauf, dass die Antragstellerinnen unter Verstoß gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot eingereist sind und sich der für den 13.06.2016 geplanten Abschiebung entzogen haben, zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich war.
c) Die Abschiebung der Antragstellerinnen ist auch nicht gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG auszusetzen, denn sie ist weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich.
Die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung scheidet aus, weil die Antragstellerinnen gültige Pässe besitzen. Sie könnten aber ggf. auch mit einem vom Antragsgegner ausgestellten Laissez-Passer abgeschoben werden.
Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung liegt hier weder wegen der Eheschließung der Antragstellerin zu 1 mit einem deutschen Staatsangehörigen noch der beabsichtigten Adoption der Antragstellerin zu 2 durch den Ehemann der Mutter und der deswegen gestellten Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bzw. § 32 Abs.1 AufenthG vor.
Dies folgt aus der sich aus § 11 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 i. V. m. Abs. 1 AufenthG ergebenden Titelerteilungssperre. Da das vom Bundesamt angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam geworden ist, unterliegen die Antragstellerinnen gemäß § 11 Abs. 7 Satz 3 i. V. m. Abs. 1 AufenthG einem Einreise- und Aufenthaltsverbot, das die Erteilung eines Aufenthaltstitels selbst im Falle eines Anspruchs verbietet.
Es kann deshalb dahinstehen, ob die Antragstellerinnen ansonsten die speziellen und allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der §§ 28, 32 und 5 AufenthG erfüllen.
2. Als unterliegender Teil tragen die Antragstellerinnen gemäß § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG. Dabei war der halbe Auffangstreitwert, der In einem auf einen Duldung gerichteten Klageverfahren anzusetzen ist, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wiederum zu halbieren.


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