Verwaltungsrecht

Voraussetzungen der Übernahme von Schülerbeförderungskosten

Aktenzeichen  W 2 K 18.1347

Datum:
5.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15739
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SchKfrG Art. 1 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1
SchBefV § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2

 

Leitsatz

1. Das Recht der Kostenfreiheit für Schulwege ab einer bestimmten Mindestlänge ist nicht mit einem Anspruch auf exakte Messung in der Natur verbunden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Vorschrift, die eine Kostenfreiheit auch für kürzere Schulwege eröffnet, wenn sie besonders beschwerlich oder gefährlich sind, ist als Ausnahmeregelung eng auszulegen. Es muss ein besonderer Ausnahmefall vorliegen, der aus vielen anderen Einzelfällen herausragt und dementsprechende Einzelfallmerkmale aufweist. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Beförderungskosten für ihren Sohn zur David-Schuster-Realschule, weshalb sich der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 18. September 2018 als rechtmäßig erweist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Kostenfreiheit des Schulweges (Schulwegskostenfreiheitsgesetz – SchKfrG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 452), zuletzt geändert durch Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl S. 98) in Verbindung mit § 1 Satz 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 der Verordnung über die Schülerbeförderung (Schülerbeförderungsverordnung – SchBefV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. September 1994 (GVBl S. 953), zuletzt geändert durch Verordnung vom 8. Mai 2018 (GVBl S. 356).
Nach diesen Vorschriften ist die notwendige Beförderung der Schüler auf dem Schulweg u.a. bei öffentlichen Realschulen durch den Aufgabenträger sicherzustellen. Die Kosten der notwendigen Beförderung trägt der Aufgabenträger. Aufgabenträger ist im vorliegenden Fall die Beklagte als kreisfreie Stadt, Art. 1 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG, § 1 Satz 2 SchBefV.
Die Beförderungspflicht besteht grundsätzlich nur, soweit der Weg zu dem Ort, an dem regelmäßig Unterricht stattfindet, für Schüler ab der Jahrgangsstufe 5 länger als drei Kilometer ist und den Schülern die Zurücklegung des Schulwegs auf andere Weise nach den örtlichen Gegebenheiten und nach allgemeiner Verkehrsauffassung nicht zumutbar ist (unten Punkt 1.1). Darüber hinaus kann bei besonders beschwerlichen oder besonders gefährlichen Schulwegen auch bei kürzeren Wegstrecken in widerruflicher Weise die Notwendigkeit der Beförderung anerkannt werden (unten Punkt 1.2).
1.1 Es besteht keine Beförderungspflicht nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG, da die Länge des von J. zurückzulegenden Schulwegs kürzer als drei Kilometer ist.
Bei der Messung der Entfernung ist als Ausgangspunkt der Ort zu sehen, an dem der Schüler aus seinem Wohnanwesen in der …straße …, Würzburg, kommend auf den öffentlichen Grund tritt. Als Endpunkt ist der Punkt maßgeblich, an dem der Schüler das Schulgrundstück in der S-straße 1, W., betritt (BayVGH, U.v. 9.8.2011 – 7 B 10.1565 – juris).
Entscheidungserheblich ist der kürzeste Fußweg, der auch unter Einbeziehung einer Treppe zurückgelegt werden kann. Daher ist bei der Beurteilung des Schulwegs folgender Streckenverlauf zugrunde zu legen:
…straße – M. Straße – L-brücke – S-ring – O-straße – F.-E.-Ring – S1straße – G-straße – S2straße.
Laut der Landkarte der Beklagten mit einem Maßstab 1:5.000 beträgt die auf dieser Strecke zu Fuß zurückzulegende Entfernung nur 2,73 km. Die Messung mit dem Programm “BayernAtlas” (Kartenviewer des Freistaats Bayern), das vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus für die Messung der Schulweglängen vorgeschlagen wurde, ergab ebenfalls nur eine Entfernung von 2,75 km (vgl. Blätter 54 und 55 der Akte der Beklagten) und damit eine nur geringfügige Abweichung von 20 Metern. Auch die vom Gericht vorgenommenen Messungen mittels der allgemein gebräuchlichen Routenplaner, (z.B. google-maps, map24, falk) ergaben keine größere Entfernung als drei Kilometer. Die Klägerseite hat nicht vorgetragen, dass eine eigene Messung des Schulwegs vor Ort zu einer größeren Distanz als drei Kilometer geführt habe.
Die von der Klägerseite angeregte Messung vor Ort durch das Gericht, gegebenenfalls mittels eines Rolltachos, ist nicht veranlasst. Ein Anspruch auf exakte Messung in Natur besteht nicht. Das ergibt sich aus den folgenden Überlegungen:
In den einschlägigen Vorschriften im Schulwegkostenfreiheitsgesetz und der hierauf beruhenden Schülerbeförderungsverordnung sind keine Regelungen enthalten, die angeben, auf welche Art und Weise die Entfernung zu bemessen ist. Das Recht der Kostenfreiheit des Schulwegs war von Anfang an nicht mit einem Anspruch auf exakte Messung in der Natur verbunden. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Verwaltung kann eine Verpflichtung der Verwaltung, exakte Entfernungsmessung in der Natur vorzunehmen, auch nicht vom Gesetzgeber gewollt sein. Dies würde zu einem nicht zumutbaren und vertretbaren Verwaltungs-, Zeit- und Kostenaufwand führen. Die kreisfreien Gemeinden und die Landkreise, denen die notwendige Beförderung der Schüler als Aufgabenträger obliegt, haben in einer Vielzahl von Fällen die jeweils zugrunde zu legende Schulweglänge zu ermitteln. Gerade in Städten mit einer hohen Schüleranzahl wäre der Aufwand enorm. Darüber hinaus ist zu beachten, dass heute mit den modernen Techniken der digitalen Vermessung Messergebnisse erzielt werden, deren Genauigkeit nicht entscheidungserheblich hinter denen der Messung in Natur zurückbleibt. Das Gericht folgt mit dieser Rechtsauffassung der herrschenden Rechtsprechung (vgl. VG Augsburg, U.v. 9.11.1984 – Au 3 K 84.A.265; VG München, U.v. 14.11.2011 – M 3 K 11.670; VG Ansbach, U.v. 1.6.2011 – AN 2 K 10.290; VG Regensburg, GB.v. 14.2.2018 – RO 3 K 17.513; alle juris).
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerseite auch nicht aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 17. Januar 2007 – W 2 K 06.786, juris. Dort hat zwar der Einzelrichter eine Messung in der Natur vorgenommen, dies geschah jedoch vor dem Hintergrund, dass die von der Verwaltung zur Messung herangezogenen Karten keine zweifelsfreien Feststellungen bezüglich der Entfernung zugelassen hatten. In dem diesem Urteil zugrundeliegenden Fall ergaben sich Unterschiede bei den Messwerten von über 100 Metern ganz knapp an der Drei-Kilometer-Grenze. Außerdem wies der Schulweg in dem damaligen Fall enorme Steigungen und Höhenunterschiede auf, so dass durchaus die Möglichkeit im Raum stand, dass im Wege einer Messung vor Ort höhere Entfernungswerte als bei einer zweidimensionalen Messung auf der Grundlage digitaler Karten ermittelt würden. Außerdem wurde im damaligen Fall vorgetragen, dass die Klägerseite vor Ort mehr als drei Kilometer Entfernung gemessen habe.
Im vorliegenden Fall, sind – wie oben gezeigt – solche Zweifel an der Korrektheit der Messungen der Beklagten nicht gegeben. Außerdem ist davon auszugehen, dass im Zuge des technischen Fortschritts gerade in den letzten zwölf Jahren die digitalen Messmethoden eine große Genauigkeit aufweisen. Gegen die Richtigkeit des von der Beklagten dokumentierten Messergebnisses hat die Klägerin ohnehin keine substantiierten Einwendungen vorgebracht.
Die von der Beklagten durchgeführten Messmethoden sind daher ausreichend, um zu belegen, dass der Schulweg des Sohnes J. der Klägerin weniger als drei Kilometer beträgt.
1.2.
Die von der Klägerseite beanspruchte Beförderungspflicht besteht weiterhin nicht in der Gestalt des Schulweges nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SchBefV. Es liegt keine besondere Beschwerlichkeit oder Gefährlichkeit des Schulweges vor.
Diese Vorschrift ist als Ausnahmeregelung eng auszulegen. Es sind strenge Anforderungen an die Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe zu stellen, da eine „besondere“ Beschwerlichkeit oder Gefährlichkeit vorliegen muss, die Anerkennung im Ermessen des Aufgabenträgers steht und die Gewährung widerruflich ist. Es muss daher ein besonderer Ausnahmefall vorliegen, der aus vielen anderen Einzelfällen herausragt und dementsprechende Einzelfallmerkmale aufweist (VG Regensburg, GB.v. 14.2.2018 – RO 3 K 17.513 – juris). Dabei ist eine objektive Betrachtungsweise anzustellen.
Eine Ortseinsicht im Rahmen eines Augenscheins ist nicht erforderlich, weil die erkennende Kammer die örtlichen Gegebenheiten ausreichend kennt.
Dafür, dass der Schulweg besonders beschwerlich wäre (§ 2 Abs. 2 Satz 2, 1. Alternative SchBefV), ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Beförderungspflicht lässt sich darüber hinaus nicht mit der besonderen Gefährlichkeit des Schulwegs begründen (§ 2 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative SchBefV).
Das Merkmal der „besonderen Gefährlichkeit“ umschreibt eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Dabei sind die Anforderungen an die gesteigerte Wahrscheinlichkeit allerdings umso geringer, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. OVG NRW, B.v. 16.11.1999, Az. 19 A 4220/96 – Juris -).
Erwähnenswert sind diesbezüglich folgende Abschnitte des Schulwegs:
– In der …straße ist zwar – wie die Klägerseite vorbringt – die Straße gerade morgens durch den Berufsverkehr stark frequentiert. Aber auch an einer verkehrsreichen Straße ist eine Gefährlichkeit nur zu bejahen, wenn ein Gehweg oder begehbarer Randstreifen fehlt. Dies ist in der …straße aber nicht der Fall. Der Sohn der Klägerin muss auch keine stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen ohne Sicherung durch Ampelanlagen, Zebrastreifen oder dergleichen überqueren. Außerdem liegt die Leistenstraße innerorts, weshalb eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h gegeben ist.
– Im Bereich der L-brücke kann sich die besondere Gefährlichkeit nicht daraus ergeben, dass kein Radweg vorhanden ist, denn für den Antrag auf Übernahme der Schulwegkosten ist allein der Fußweg maßgeblich. Es kommt nicht auf die Strecke an, die mit anderen Verkehrsmitteln zurückgelegt wird. Gehwege sind auf beiden Seiten der L-brücke vorhanden. Selbst wenn der Schüler mit dem Rad zur Schule fährt, ist es ihm ohne weiteres zuzumuten, das Fahrrad auf dem Gehsteig über die L-brücke zu schieben. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die Geschwindigkeit über die L-brücke auf 30 km/h beschränkt ist. Dass der Gehweg wegen des hohen Verkehrsaufkommens auf der Straße oft auch von Fahrradfahrern benutzt wird, kann ebenfalls keine besondere Gefährlichkeit begründen. Denn im Rahmen der Beurteilung muss von sich ordnungsgemäß verhaltenden Verkehrsteilnehmern ausgegangen werden. Das nicht vorhersehbare regelwidrige Verhalten der Radfahrer und die möglicherweise resultierende Gefährdung von Kindern auf dem Schulweg kann nicht der Beklagten angelastet werden. Vielmehr muss dem mit polizeilichen Mitteln begegnet werden.
– Letztlich ist auch eine besondere Gefährlichkeit in Bezug auf den Ringpark zu verneinen. Der entscheidungserhebliche Weg führt nicht durch den Ringpark, sondern am Rande des Ringparks entlang. Dort gibt es öffentliche Gehwege, welche entlang der Fahrbahn verlaufen. Gerade zu Zeiten des Schulbeginns und des Schulendes ist der Weg – unter anderem aufgrund der sich in diesem Stadtbereich befindlichen zahlreichen Schulen und der Universität – gut besucht. Eine Gefahr der Einsamkeit besteht deshalb nicht. Der Weg ist auch im Winter ausreichend beleuchtet.
Auch die mit Schreiben der Beklagten vom 28. Mai 2019 vorgelegten Stellungnahmen der Polizeiinspektion W.-Stadt vom 24. Mai 2019 und des Schulwegbeauftragten der Beklagten (Fachabteilung Tiefbau) vom 22. Mai 2019 belegen, dass keine besondere Gefährlichkeit des Schulwegs angenommen werden kann.
Aus den dargestellten Gründen war die Verpflichtungsklage abzuweisen.
2.
Da die Klägerin unter keinem in Betracht kommenden Gesichtspunkt einen Anspruch auf Übernahme der Beförderungskosten hat, ist auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Bescheidung (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) als unbegründet abzuweisen.
3.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 159 Abs. 2 VwGO.
4.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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