Verwaltungsrecht

Voraussetzungen für die Schonzeitaufhebung, Übermäßiger Wildschaden

Aktenzeichen  M 7 S 22.1688

Datum:
30.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 7186
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
UmwRG § 2
UmwRG § 3
BJagdG § 22 Abs. 1
BayJG Art. 33 Abs. 5
AVBayJG § 19

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (M 7 K 22.1669) vom 17. März 2022 gegen die mit Bescheid des Landratsamts A. vom 17. März 2022 genehmigte Aufhebung der Schonzeit für Rehwild (Böcke) vom 1. bis 30. April 2022 für das Jagdrevier GJR W. wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um die Aufhebung der Schonzeit für Rehböcke im Jagdrevier der Beigeladenen.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2022 beantragte die Beigeladene beim Antragsgegner zur Vermeidung übermäßiger Wildschäden die Vorverlegung der Jagdzeit für Schmalrehe und Rehböcke für das Gemeinschaftsjagdrevier W. … vom 1. Mai auf den 1. April. Der Antrag wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die durch Orkane, Klima- und Käferschäden und Eschentriebsterben entstandenen Kahlflächen rasch wieder bewaldet werden müssten. Hierbei sei der Schutz vor Fegeschäden und Verbiss dringend geboten. Es gebe im Revier eine Reihe staatlich geförderter Flächen, die mit großem finanziellen Aufwand durch Steuergelder zu klimatoleranten Wäldern umgebaut würden. Aufgrund der Geländestruktur seien flächige Schutzmaßnahmen wie Zaunbau nur in Einzelfällen möglich und Einzelpflanzenschutz insbesondere vor Fegeschäden sei nur bedingt praktikabel und wirkungsvoll und zudem zeitlich begrenzt. Trotz tragbarer Verbissbelastung zeigten sich Verbissschwerpunkte (z.B. K. …). Pflanzungen ohne Schutz wiesen verstärkte Verbiss- und Fegeschäden auf. Klimawandelbedingt setzte die Belaubung der Wälder immer früher ein. Das saubere Ansprechen werde dadurch enorm erschwert. Im Revier gebe es innerhalb der Wälder nicht immer ausreichend lichte Flächen zur Rehwildbejagung. Eine Vorverlagerung würde auch der hohen Aktivität des Rehwilds im April Rechnung tragen. Es sei ein räumliches und zeitliches Vorgehen erforderlich. Dem Wild könne über das gesamte Jahr mehr Jagdruhe gegeben werden.
Der im Rahmen des Verwaltungsverfahrens angehörte Kreisjagdberater lehnte mit Stellungnahme vom 6. Februar 2022 die beantragte Schonzeitverkürzung ab, da übermäßige Wildschäden weder im Rahmen einer am 27. April 2021 erfolgten Begehung festgestellt worden noch aus dem Forstlichen Gutachten 2021 erkennbar seien und die Verbiss- und Fegeschäden durch einfache Schutzmaßnahmen, eventuelle Äsungsverbesserungen und Schwerpunktbejagung ab dem 1. Mai an schadensträchtigen Flächen vermieden werden könnten. Auf der besichtigten Fläche habe ein geringer Teil der Douglasien Fegeschäden aufgewiesen. In Bereichen, in denen Tannen nicht ausgemäht worden seien, seien keinerlei Fegeschäden erkennbar gewesen. In dem GJR W. … seien alleine für den Zeitraum 2019 bis 2021 in den ersten beiden Jahren schon 86,2 Prozent des Jahresabschusses erfüllt worden.
Das angehörte Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Töging a. Inn sprach sich in seiner Stellungnahme vom 14. Februar 2022 für die beantragte Schonzeitverkürzung aus, da auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs die notwendigen Voraussetzungen Erforderlichkeit und übermäßiger Wildschaden gegeben seien.
Die Hegegemeinschaft 6 P. … sowie ein Großteil der dortigen Revierpächter sprachen sich mit Schreiben vom 15. Februar 2022 und vom 23. Februar 2022 gegen die beantragte Schonzeitverkürzung aus.
Im Rahmen einer Besprechung bei dem Landrat des Antragsgegners am 7. März 2022 nahm die Beigeladene den Antrag in Bezug auf die Schmalrehe zurück.
Mit Bescheid vom 17. März 2022 genehmigte das Landratsamt A. den von der Beigeladenen gestellten Antrag auf Aufhebung der Schonzeit für Rehwild (Böcke) vom 1. bis 30. April 2022 für das Jagdrevier GJR W. … (Nr. 1). Der Unteren Jagdbehörde sei im Nachgang ein Bericht über die Ergebnisse der Schonzeitaufhebung vorzulegen (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung des – kostenfreien – Bescheides wurde angeordnet (Nrn. 3 und 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, gemäß Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 BayJG könne die Jagdbehörde durch Einzelanordnung Regelungen treffen und gemäß Art. 33 Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG Ausnahmen von den festgelegten Jagdzeiten zulassen. Wie aus dem Antrag zu entnehmen sei, gehe es hierbei nicht um die Behebung einer allgemein zu hohen Verbissbelastung, da der Verbiss in dem GJR W. … tragbar sei. Um diesen Zustand zu erreichen, seien bereits nicht unerhebliche Geldmittel in die Waldverjüngungsflächen investiert worden. Diese seien laut Antrag unter anderem auch durch diverse Fördermittel bezuschusst worden. Jedoch seien die Waldverjüngungsflächen nach den Angaben der Beigeladenen im beantragten Zeitraum durch Verfegung und Verbiss besonders stark gefährdet. Wie auch aus der Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 14. Februar 2022 hervorgehe, könne ein wirksamer Objekt- und Investitionsschutz nur gewährleistet werden, indem die Gefahrenabwehr in Bezug auf Verfegung und Verbiss der Waldverjüngungsflächen bereits in dem Zeitraum erfolgen könne, in welchem die Schäden am erheblichsten aufträten. Nach Auffassung des Landratsamts sei der Verlust der o.g. Geldmittel als übermäßiger Wildschaden i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG zu bewerten. Diese Auffassung werde in der vorgenannten Stellungnahme bestätigt. Um dieser Gefährdung der Waldverjüngungsflächen entgegenzuwirken, sehe es das Landratsamt – untere Jagdbehörde – als erforderlich an, die Genehmigung der Schonzeitaufhebung für Rehwild (Böcke) für den Zeitraum 1. bis 30. April 2022 in dem Revier GJR W. … zu bewilligen. Bei der Jagdausübung seien die Grundsätze der Waldgerechtigkeit sorgfältig zu beachten. Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten habe das waldbauliche Interesse an der verstärkten Bejagung in seiner Stellungnahme bestätigt und unterstütze die Beigeladene. Der Jagdbeirat habe der Ausnahmegenehmigung bei der Sitzung vom 1. Februar 2022 ebenfalls zugestimmt. Der angeforderte Bericht solle der unteren Jagdbehörde Informationen für gegebenenfalls zukünftige Anträge und Genehmigungen darlegen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liege im öffentlichen Interesse (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel würde eine mögliche Bejagung verzögern. Es bestehe aber die Gefahr, dass bereits erhebliche Wildschäden durch Verfegung oder Verbiss durch das Rehwild (Böcke) verursacht worden seien. Durch die Verkürzung der Schonzeit und die Zulassung von Jagdhandlungen seien sofortige Maßnahmen möglich. Die Kostenfreiheit des Bescheids stütze sich auf Art. 1, 2 und 6 KG i.V.m. Tarif-Nr. 6.I.1.51 KVz.
Hiergegen erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers, einer Naturschutzvereinigung, am 17. März 2022 Klage (M 7 K 22.1669) und stellte am 21. März 2022 einen Antrag nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, der in der Hauptsache angefochtene Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig. Der Antrag sei zulässig. Der Antragsteller sei als eine nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigung gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG antragsbefugt. Zweck des Antragstellers sei gemäß § 2 seiner Satzung der Umwelt-, Natur- und Artenschutz, insbesondere durch Förderung eines verantwortungsvollen Umgangs mit Wildtieren und deren Lebensräumen, sowie Tierschutz. Das Rechtsschutzbegehren richte sich gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG (Einzelanordnung über die Schonzeitaufhebung). Ein Vorhaben i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG sei die Errichtung und der Betrieb einer technischen Anlage, der Bau einer anderen Anlage oder die Durchführung einer sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahme sowie deren Änderung bzw. Erweiterung. Ein Anlagenbezug sei nicht Voraussetzung. Maßgeblich sei alleine, ob bei der Zulassungsentscheidung umweltbezogene Vorschriften anzuwenden seien. Umweltbezogene Rechtsvorschriften seien nach § 1 Abs. 4 UmwRG alle Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf den Zustand von Umweltbestandteilen i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG (§ 1 Abs. 4 Nr. 1 UmwRG) oder auf Faktoren i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 2 UIG (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 UmwRG) bezögen. Im Zweifel sei der Umweltbezug weit auszulegen; es genüge, dass sich die betreffende Rechtsvorschrift in irgendeiner Weise auf die Umwelt beziehe, was näher ausgeführt wurde. Dies sei bei Schonzeitregelungen der Fall. Die Entnahme von Tieren aus der Umwelt habe unmittelbare Auswirkungen auf Umweltbestandteile, auch handele es sich bei Streckenlisten und Abschusszahlen um Umweltinformationen. Als eine nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigung könne der Antragsteller Rechtsbehelfe auch im Rahmen des Eilrechtsschutzes gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG ohne Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten einlegen, wenn er geltend mache, dass die Entscheidung Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein könnten, widerspreche und geltend mache, durch die Entscheidung in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt zu sein. Dies sei vorliegend gegeben. Der Antrag sei auch begründet. Die Begründung des Sofortvollzuges genüge nicht dem formalen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, was näher ausgeführt wurde. Eine inhaltliche Abwägung sei nicht vorgenommen worden. Die Begründung des Landratsamts für den Sofortvollzug beschränke sich auf die Nennung der Vorverlagerung der Jagdzeit für Rehböcke auf April. Konkrete Gründe, warum trotz der in dem streitgegenständlichen Revier nach dem aktuellen Forstgutachten 2021 ermittelten „tragbaren“ Verbissbelastung und des Umstands, dass die Abschusszahlen für Rehwild seit Jahren innerhalb der gesetzlichen Jagdzeiten erreicht und übererfüllt worden seien, würden nicht dargelegt. Es fehlten triftige Gründe, weshalb die günstige bzw. tragbare Wildschadenssituation zu einem Erfordernis der sofortigen Umsetzung einer eng auszulegenden Ausnahmevorschrift über die Schonzeitaufhebung auch dann zwingen solle, wenn Rechtsbehelfe gegen die behördliche Entscheidung ergriffen würden. Die Anordnung des sofortigen Vollzugs sei schon aufgrund der nicht ausreichenden Begründung rechtswidrig. Ferner überwiege das Interesse des Antragstellers an der Vollzugsaussetzung das vom Landratsamt behauptete Vollzugsinteresse. Der Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig. Nach Art. 33 Abs. 1 Nr. 2 BayJG i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b AVBayJG beginne die gesetzliche Jagdzeit auf Rehböcke am 1. Mai 2022 und ende am 15. Oktober 2022. Aus dem Bescheid und dem zugrundeliegenden Sachverhalt ergebe sich nicht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 33 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG gegeben seien. Schonzeiten verfolgten den Zweck der Hege des Wildes und sollten die Aufzucht der Jungtiere sichern. Diese könnten schon nach dem Wortlaut nur aus besonderen Gründen, die den Regelbeispielen in der genannten Norm entsprechen, aufgehoben werden. Als Ausnahmebestimmungen seien sowohl § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG als auch Art. 33 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG eng auszulegen und ein strenger Maßstab anzulegen. Die Verkürzung der Schonzeit sei nicht erforderlich, um den Eintritt eines übermäßigen Wildschadens zu verhindern und erfolge auch nicht im Allgemeininteresse. Übermäßige Wildschäden lägen nicht vor. Nach der Revierweisen Aussage sei die Verbissbelastung im GJR W. … „tragbar“. Daher könnten besondere Gründe für die Vorverlagerung der Jagdzeit schon nicht vorliegen. Verbiss- oder Fegeschäden käme das Gewicht eines besonderen Grundes nur dann zu, wenn es um die Vermeidung von das übliche Maß in erheblichem Umfang übersteigende Wildschäden gehe, die nicht allein auf mangelnder Abschlusserfüllung beruhten, sondern auf andere jagdliche oder forstliche Faktoren zurückzuführen seien, denen durch zumutbare Schutzmaßnahmen nicht wirksam begegnet werden könne. Von derartigen Wildschäden gäbe es vorliegend keine Spur. Die vom Landratsamt völlig unkritisch übernommene Behauptung, wonach die Waldverjüngungsflächen von Verbiss besonders gefährdet sein sollten (was in der Natur der Sache liege und keine Sondersituation begründen könne), sei vom Landratsamt weder hinsichtlich des Ausmaßes überprüft worden noch wäre sie geeigneter Ansatz für eine Schonzeitverkürzung. Es werde weder dargelegt noch näher begründet, warum nicht durch zumutbare Schutzmaßnahmen dieser Situation effektiv begegnet werden könne. Augenscheinlich seien die Grundbesitzer und das Landratsamt der Auffassung, die Schonzeitaufhebung sei vorrangig gegenüber zumutbaren Einzel-/ Flächenschutzmaßnahmen auf begrenzten Flächen, was mit dem Jagdrecht nicht im Einklang stehe. Letztlich erweise sich die Schonzeitverkürzung als Mittel, den wirtschaftlichen Interessen der Waldeigentümer in optimaler Weise gerecht zu werden. Dieses Ansinnen stehe mit § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG nicht in Einklang. Denn der Vorrang der wirtschaftlichen Interessen der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft vor dem Gebot einer angemessenen Wildhege sei nicht schrankenlos. § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG stelle ausdrücklich auf den Schutz (nur) der berechtigten Ansprüche der genannten Wirtschaftsbereiche auf Schutz gegen Wildschäden ab. Das bedeute, dass durch die Abschussregelung nicht jeglicher Wildschaden vermieden werden solle und dass die Schutzwürdigkeit der genannten Wirtschaftsbereiche in gleicher Weise wie in § 1 Abs. 2 BJagdG durch das Attribut „ordnungsgemäß“ begrenzt sei. Dieser Begriff werde nicht nur von den am Ertrag ausgerichteten betriebswirtschaftlichen Erfordernissen bestimmt, sondern auch von den Anforderungen, die die Rechtsordnung an die land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Wirtschaftszweige stelle. Daher könne nur eine solche Nutzung ordnungsgemäß und somit vorrangig sein, die neben den ökonomischen Zielen auch die ökologischen Forderungen zur Erhaltung der Wildlebensräume verfolge. Der Schutz von Verjüngungsflächen, deren übermäßige Beeinträchtigung vorliegend gar nicht ersichtlich sei, könne bei tragbarer Verbisssituation niemals ausreichend für die Anwendung der Ausnahmevorschrift sein. Aus der Revierweisen Aussage ergebe sich bereits nicht, dass eine besondere Gefährdung von Verjüngungsflächen vorliege, was näher ausgeführt wurde. Im Übrigen werde in dem streitgegenständlichen Revier das Abschuss-Soll seit 2010 stets übererfüllt. Das Ziel, Verbissschwerpunkte zu entlasten, könne innerhalb der Jagdzeit mittels Schwerpunktbejagung auf diesen Verjüngungsflächen ohne weiteres erreicht werden. Es sei auch nicht ersichtlich, welchen Umfang die Verjüngungsflächen an dem 32-prozentigen Waldanteil haben sollten. Auch die klimabedingte Vorverlegung der Austreibungsphase der heimischen Flora begründe keine revierbezogene Sondersituation. Soweit das im Bayerischen Jagdgesetz verankerte Waldverjüngungsziel hierdurch gefährdet sein sollte, wäre es Sache des Verordnungsgebers, eine entsprechende Regelung zu finden. Es sei weder angebracht, die Schonzeit zur „Jagdoptimierung“ angesichts früherer Austriebszeiten noch wegen der damit angestrebten weiteren Optimierung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Grundeigentümer zu verkürzen. Zudem sei zu befürchten, dass bei einem früheren Jagdbeginn in einem nur zu 32 Prozent aus Wald bestehenden Revier sich aufgrund eines Rückzugs des Rehwilds in die Waldflächen der Verbiss dort mehre. Weiter werde bestritten, dass der Jagdbeirat der Schonzeitaufhebung zugestimmt haben solle. Schließlich überwiege auch bei einem offenen Ausgang der Hauptsache das Aussetzunginteresse das Vollzugsinteresse. Tiere, die aufgrund eines vorläufig vollziehbaren Bescheids erlegt würden, seien als Umweltbestandteile unwiederbringlich verloren. Hingegen sei das vom Landratsamt reklamierte „Allgemeininteresse“ ebenso wenig erkennbar wie schützenswerte Interessen der Grundeigentümer.
Der Antragsteller beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller geführten Klage gegen den Bescheid des Landratsamts A. vom 17. März 2022 über die Aufhebung der Schonzeit für Rehwild (Böcke) vom 1. April 2022 bis 30. April 2022 für das GJR W. … wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
Zur Begründung verweist er mit Schreiben vom 23. März 2022 auf den Inhalt der vorgelegten Jagdakte und insbesondere auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids. Der Sachverhalt werde unstreitig gestellt.
Mit Beschluss vom 21. März 2022 hat das Gericht die durch den streitgegenständlichen Bescheid begünstigte Jagdgenossenschaft beigeladen.
Die Beigeladene hat sich im Verfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Hauptsacheverfahren (M 7 K 22.1669) und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (M 7 K 22.1669) gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 17. März 2022 genehmigte Aufhebung der Schonzeit für Rehwild (Böcke) vom 1. bis 30. April 2022 hat Erfolg.
Der Antrag ist zulässig.
Der Antragsteller ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 UmwRG antragsbefugt.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 UmwRG kann eine nach § 3 UmwRG anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht (Nr. 1) oder geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein (Nr. 2). Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 UmwRG muss die Vereinigung bei Rechtsbehelfen gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2a bis 6 oder gegen deren Unterlassen zudem die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend machen.
Der Antragsteller ist eine nach § 3 Abs. 1 UmwRG i.V.m. § 63 Abs. 2 BNatSchG im Freistaat Bayern anerkannte landesweit tätige Naturschutzvereinigung (vgl. Bekanntmachung nach § 3 Abs. 1 Satz 5 UmwRG, https://www.lfu.bayern.de/wir/anerkennung/index.htm).
Bei der streitgegenständlichen Schonzeitverkürzung handelt es sich um eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG.
Nach dem als weitem Auffangtatbestand (vgl. VG Neustadt/Weinstraße, B.v. 25.2.2021 – 5 K 384/20.NW – juris Rn. 20 m.w.N.) konzipierten § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG ist die im Streit stehende Genehmigung der Aufhebung der Schonzeit ein Verwaltungsakt, durch den unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union ein anderes als in den Nrn. 1 bis 2b genanntes Vorhaben zugelassen wird. Hierbei kann für die Bestimmung des Vorhabensbegriffs auf die weite Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 4 UVPG zurückgegriffen werden (vgl. Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 1 UmwRG Rn. 19). Vorhaben sind hiernach die Errichtung, der Betrieb und die Änderung von technischen und sonstigen Anlagen sowie die Durchführung und Änderung von sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahmen.
Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 4 UmwRG sind umweltbezogene Rechtsvorschriften Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 des UIG (Nr. 1) oder Faktoren i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 2 des UIG (Nr. 2) beziehen. Der Begriff der umweltbezogenen Rechtsvorschriften ist weit zu verstehen. Es genügt, wenn die Bestimmungen wahrscheinlich unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf die Umwelt haben (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2019 – 14 BV 17.1278 u.a. – juris Rn. 32). Erfasst sind damit alle Normen, die zumindest auch dazu beitragen, dass gegenwärtige und künftige Generationen in einer ihrer Gesundheit und ihrem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt leben können, weiter auch Normen, die – wie § 1 Abs. 7 BauGB – verlangen, dass die Belange des Umweltschutzes gerecht abgewogen werden (Abwägungsgebote) sodass jeder im Rahmen eines Abwägungsvorgangs auch der Umwelt zuzurechnende Belang dessen Umweltbezogenheit insgesamt begründet (vgl. Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 1 UmwRG Rn. 31).
Nach diesen Maßstäben handelt es sich nach Auffassung des Gerichts bei Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG um eine unter § 1 Abs. 4 UmwRG fallende umweltbezogene Rechtsvorschrift. Das Jagdrecht weist in Art. 1 Abs. 2 BayJG zahlreiche Berührungspunkte mit dem Naturschutzrecht auf. So soll das Gesetz u.a. dazu dienen, einen artenreichen und gesunden Wildbestand in einem ausgewogenen Verhältnis zu seinen natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, die natürlichen Lebensgrundlagen des Wildes zu sichern und zu verbessern und die jagdlichen Interessen mit den sonstigen öffentlichen Belangen, insbesondere mit den Belangen der Landeskultur, des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen (vgl. zu dem entsprechenden § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG Rheinland-Pfalz VG Neustadt/Weinstraße, B.v. 25.2.2021 – 5 K 384/20.NW – juris Rn. 20 m.w.N.). Aufgrund des weiten Verständnisses ist ein Umweltbezug der Vorschrift bereits aufgrund der dargelegten (allgemeinen) Bezugnahmen auf das Naturschutzrecht gegeben. Darüber hinaus ergibt sich der Umweltbezug der streitgegenständlichen Vorschrift auch aus dem Sinn und Zweck der Schonzeiten, denn diese verfolgen den Zweck der Hege des Wildes und sollen die Aufzucht der Jungtiere sicherstellen (vgl. VG München, B.v. 24.1.2012 – M 7 SE 12.166 – juris Rn. 17). Dass eine Aufhebung der Schonzeit direkte Auswirkungen auf die Hege des Wildes und die Aufzucht der Jungtiere haben kann, liegt schon in der Natur der Sache begründet.
Indem der Antragsteller Bedenken gegen die Schonzeitaufhebung erhoben hat und einen Verstoß gegen Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG rügt, macht er geltend, dass die erteilte Genehmigung Rechtsvorschriften widerspricht, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG). Dabei macht der Antragsteller auch die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG). Schließlich macht der Antragsteller ebenfalls geltend, durch die Schonzeitaufhebung in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt zu sein (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG). Zweck des Antragstellers ist nach § 2 seiner Satzung der Umwelt-, Natur- und Artenschutz, insbesondere durch Förderung eines verantwortungsvollen Umgangs mit Wildtieren und deren Lebensräumen, sowie Tierschutz. Damit ist der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich und der mit dem Rechtsbehelf angegriffenen Entscheidung gegeben.
Der Antrag ist auch begründet.
Nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eines Dritten die aufschiebende Wirkung seiner Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei seiner Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten der Hauptsache als wesentliches, wenn auch nicht alleiniges Indiz für die vorzunehmende Interessenabwägung zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Hauptsacherechtsbehelf offensichtlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer (dann reinen) Interessenabwägung.
Den Maßstab für die Erfolgsaussichten der Hauptsache bestimmt § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwRG als eine von § 113 VwGO abweichende Sonderregelung (vgl. Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 2 UmwRG Rn. 18). Der Erfolg eines (zulässig erhobenen) Rechtsbehelfs nach § 2 Abs. 1 UmwRG setzt hiernach voraus, dass die angegriffene Entscheidung gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind und der Verstoß Belange berührt, die zu den satzungsgemäßen Zielen der Vereinigung gehören. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist insoweit grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheidserlasses. Zugunsten des beigeladenen Genehmigungsinhabers sind nachträgliche Änderungen zur Vermeidung erneuter Genehmigungsverfahren auch im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40/98 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage dürfte der Bescheid vom 17. März 2022 voraussichtlich gegen maßgebliche Umweltvorschriften verstoßen und mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig sein.
Gemäß Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG kann die Jagdbehörde durch Einzelanordnung für bestimmte Gebiete oder für einzelne Jagdreviere aus besonderen Gründen, insbesondere aus Gründen der Wildseuchenbekämpfung und Landeskultur, zur Beseitigung kranken und kümmernden Wildes, zur Vermeidung von übermäßigen Wildschäden, zu wissenschaftlichen Zwecken, Lehr- und Forschungszwecken, bei Störung des biologischen Gleichgewichts oder der Wildhege die Schonzeiten aufheben.
Die auf diese Rechtsgrundlage gestützte im Streit stehende Schonzeitaufhebung dürfte nach summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses jedoch voraussichtlich sowohl in formeller, als auch in materieller Hinsicht rechtswidrig sein.
So bestehen schon aufgrund der nach Aktenlage nicht erfolgten Beteiligung der zuständigen Naturschutzbehörde erhebliche Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheids.
Nach Art. 49 Abs. 1 Satz 4 BayJG sind beim Vollzug des Bundesjagdgesetzes und des Bayerischen Jagdgesetzes diejenigen Naturschutzbehörden zu beteiligen, die dem Zuständigkeitsbereich der Jagdbehörde der vergleichbaren Verwaltungsstufe entsprechen, soweit wesentliche Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege berührt werden. Hiernach dürfte im vorliegenden Fall eine Beteiligung der unteren Naturschutzbehörde erforderlich gewesen sein, da nach Auffassung des Gerichts die Erteilung einer Ausnahme von der bundesrechtlichen Jagd- und Schonzeitenregelung nach Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 BJagdG im konkreten Fall wesentliche Belange des Naturschutzes berühren dürfte (vgl. hierzu Leonhardt, Jagdrecht, Stand: Oktober 2018, Art. 49 BayJG, 15.49 Erl. 4). Denn zum einen handelt es sich hier um die Verkürzung der Schonzeit um einen ganzen Monat und damit nicht um einen lediglich unerheblichen Zeitraum. Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gestattung der Jagd auf Rehböcke auch Auswirkungen auf das übrige Rehwild hat, da der Zeitraum zwischen dem 15. Januar 2022 und dem 1. Mai 2022, in dem nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c AVBayJG die Jagd auf sämtliches Rehwild ruht und dieses in dieser Zeit grundsätzlich auch nicht durch jagdliche Handlungen beunruhigt wird, um fast ein Drittel verkürzt wird.
Darüber hinaus dürfte der Bescheid voraussichtlich auch in materieller Hinsicht rechtswidrig sein, da schon die Voraussetzungen für die Aufhebung der Schonzeit vom 1. April 2022 bis zum 30. April 2022 gemäß Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG nicht gegeben sein dürften und ein besonderer Grund aufgrund der hier allein in Betracht kommenden übermäßigen Wildschäden i.S.d. vorgenannten Vorschriften nicht vorgelegen haben dürfte bzw. es hierfür jedenfalls an einer tragfähigen Tatsachengrundlage fehlt.
Wie sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG ergibt, können die Schonzeiten nur aus besonderen Gründen aufgehoben werden. Es dürfte im Ergebnis dabei auch nicht entscheidungserheblich darauf ankommen, ob § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG bzw. Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG als Ausnahmebestimmung eng auszulegen ist mit der Folge, dass bei der Frage, ob ein besonderer Grund im Sinne der genannten Normen vorliegt, ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. OVG NW, U.v. 30.3.2015 – 16 A 1610/13 – juris Rn. 65, 67; VG Ansbach, B.v. 1.2.2021 – An 16 E 21.00520 – juris Rn. 16; B.v. 30.4.1998 – AN 15 E 98.00625 – juris Rn. 15; VG München, B.v. 24.1.2012 – M 7 SE 12.166 – juris Rn. 17) oder es genügen soll, wenn die Ausweitung der Jagdzeiten unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände vernünftigerweise geboten ist und die besonderen Gründe höheres Gewicht haben als die Gründe für die allgemeine (regelmäßig dem Schutz von Brut- und Setzzeit dienene) Schonzeitregelung (vgl. VG Neustadt/Weinstraße, U. v. 25.2.2021 – 5 K 384/20.NW – juris Rn. 41 mit Verweis auf BayVGH, U.v. 11.12.2017 – 19 N 14.1022 – juris Rn. 96 und U.v. 13.2.2019 – 19 N 15.420 – juris Rn. 108).
Denn nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist nicht hinreichend ersichtlich, dass die Aufhebung der Schonzeit in der Zeit vom 1. April 2022 bis zum 30. April 2022 zur Verhinderung des Eintritts eines übermäßigen Wildschadens erforderlich war.
Wildschäden kommt das Gewicht eines besonderen Grundes nach dem Wortlaut der Art. 33 Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 S. 3 BJagdG nur zu, wenn übermäßige Wildschäden zu befürchten sind und diese durch die Verkürzung der Schonzeit vermieden werden können. Von einem übermäßigen Wildschaden ist auszugehen, wenn er das übliche Maß von durch Wild verursachten Schäden erheblich und in einem Umfang übersteigt, dessen Hinnahme dem Geschädigten nicht mehr zuzumuten ist (vgl. OVG NW, U.v. 30.3.2015 – 16 A 1610/13 – juris Rn. 62 m.w.N.). Die übliche Schadensverursachung durch Wild, für das Schonzeiten festgelegt sind, vermag daher die Verkürzung der Schonzeit noch nicht zu rechtfertigen, vielmehr ist erforderlich, dass die übermäßigen Wildschäden nicht allein auf mangelnder Abschusserfüllung beruhen, sondern auf andere jagd- und forstliche Faktoren, die im Einzelfall zu prüfen und zu bewerten sind und denen durch zumutbare Schutzmaßnahmen nicht wirksam begegnet werden kann, zurückzuführen sind (vgl. Leonhardt, Jagdrecht, Stand: Oktober 2818, Art. 33 BayJG, 15.33 Erl. 2.2; VG Neustadt/Weinstraße, B.v. 25.2.2021 – 5 K 384/20.NW – juris Rn. 46; VG München, B.v. 24.1.2012 – M 7 SE 12.166 – juris Rn. 19; VG Ansbach, B.v. 30.4.1998 – AN 15 E 98.00629 – juris Rn. 17).
Nach diesen Maßstäben dürfte ein übermäßiger Wildschaden nicht vorgelegen haben.
Aus Sicht des Gerichts ist bereits fraglich, ob der Antragsgegner den seiner Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt überhaupt in einer den Anforderungen des Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BayVwVfG genügenden Weise von Amts wegen aufgeklärt hat, sodass er den möglichen Eintritt eines übermäßigen Wildschadens ordnungsgemäß prüfen konnte.
Der Antragsgegner hat die Aufhebung der Schonzeit im Wesentlichen mit der Gefährdung der Waldverjüngungsflächen durch Verfegung und Verbiss und einem aufgrund des Verlustes der in diese investierten Geldmittel entstehenden übermäßigen Wildschaden begründet. Diese Annahme hat der Antragsgegner nach Aktenlage zum einen auf die entsprechenden Angaben der Beigeladenen in dem Antrag und zum anderen auf die Ausführungen in der eingeholten Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gestützt. Die Beigeladene hat indes in ihrem Antrag das Vorliegen übermäßiger Wildschäden allgemein damit begründet, dass bei der Aufforstung der aufgrund von Sturm-, Klima- und Käferschäden sowie des Eschentriebsterbens entstandenen Kahlflächen ein Schutz vor Fegeschäden und Verbiss dringend geboten sei und es sichergestellt werden müsse, dass eine Wiederbewaldung durch Pflanzung Aussicht auf Erfolg habe. Flächige Schutzmaßnahmen und Einzelpflanzenschutz seien nur bedingt praktikabel. Weiter hat sie ausgeführt, dass es im Revier eine Reihe von staatlich geförderten Flächen gebe, die mit großem finanziellen Aufwand durch Steuergelder zu klimatoleranten Wäldern umgebaut und gefördert würden. Zudem sei das saubere Ansprechen insbesondere von Schmalrehen aufgrund der Revierstruktur und der klimawandelbedingten früher einsetzenden Belaubung enorm erschwert. Weder hat die Beigeladene in ihrem Antrag nachvollziehbar dargelegt, um welche Aufforstungsflächen es sich im Einzelnen handelt (mit Ausnahme des Beispiels K. ….) noch hat sie einen Schadensumfang substantiiert dargelegt oder Angaben zu der Höhe des angeblichen großen finanziellen Aufwands oder der in Anspruch genommenen Fördermittel gemacht. Auch in der Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten finden sich hierzu keine Angaben, vielmehr werden die nicht näher substantiierten Angaben der Beigeladenen der Stellungnahme als „fachlich begründet“ und „glaubhaft“ zugrunde gelegt. Es ist weder aus der Behördenakte ersichtlich, dass der Antragsgegner in dieser Hinsicht eigene Ermittlungen angestellt hat noch geht aus ihr hervor, dass diese Umstände anderweitig amtsbekannt waren. Auch die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids verhält sich dazu nicht.
Der Annahme eines übermäßigen Wildschadens entgegenstehende Anhaltspunkte, die sich im Wesentlichen aus der Stellungnahme des vom Antragsgegner angehörten Kreisjagdberaters vom 6. Februar 2022, aber auch aus der Stellungnahme der betroffenen Hegegemeinschaft 6 vom 15. Februar 2022 und 23. Februar 2022 ergeben, hat der Antragsgegner demgegenüber trotz positiver Kenntnis weder gewürdigt noch hat er sich mit ihnen überhaupt erkennbar auseinandergesetzt. Offensichtlich hat der Antragsgegner die Erwähnung dieser Stellungnahme in dem streitgegenständlichen Bescheid auch nicht für notwendig erachtet.
Es erschließt sich dem Gericht auch nicht, wie der Antragsgegner alleine aufgrund der nicht näher substantiierten Angaben der Beigeladenen und der ebenfalls nicht näher begründeten Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten den Eintritt eines übermäßigen Wildschadens annehmen konnte, ohne die ihm bekannten dagegensprechenden Erkenntnisse zu würdigen. Denn nach Auffassung des Gerichts dürften insbesondere die sich aus der Stellungnahme des Kreisjagdberaters ergebenden Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Eintritt übermäßiger Wildschäden ohne die beantragte Schonzeitaufhebung im vorliegenden Fall nicht zu besorgen wäre.
So ist aus der Stellungnahme u.a. ersichtlich, dass bei einer Ortsbegehung auf einer Fläche im Revier des Beigeladenen am 27. April 2021, an der neben dem Kreisjagdberater auch ein Bediensteter des Antragsgegners teilgenommen hat, ein übermäßiger Wildschaden gerade nicht festgestellt werden konnte. Lediglich einzelne Pflanzen seien wegen Fegeschäden ausgefallen und der Verbiss sei spärlich. Ein geringer Teil der Douglasien habe Fegeschäden aufgewiesen, viele Tannen hätten Leittriebschutzmanschetten aufgewiesen. In einem nicht ausgemähten Bereich seien keine Fegeschäden erkennbar gewesen.
Darüber hinaus ist ausweislich des Forstlichen Gutachtens zur Situation der Waldverjüngung 2021 die Verbissbelastung in der Hegegemeinschaft P. …, in denen das streitgegenständliche Revier liegt, als „tragbar“ bewertet worden, ebenso weist die ergänzende Revierweise Aussage die Bewertung „tragbar“ auf. Auch diese Einwertung gepaart mit dem Ergebnis der Ortsbegehung spricht angesichts der fehlenden substantiierten Darlegung weder des materiellen oder finanziellen Schadensumfangs noch der im Einzelnen betroffenen Flächen nach Auffassung des Gerichts gegen die Annahme des Eintritts übermäßiger Wildschäden. Soweit der Bereich „K. …“ im Antrag als Beispiel für einen Verbissschwerpunkt genannt wird, ist festzustellen, dass sich auch der Revierweisen Aussage diesbezüglich weder Anhaltspunkte bezüglich der Flächengröße noch für das Vorliegen eines übermäßigen Wildschadens entnehmen lassen, da dort der Bereich nördlich von K. … lediglich als Beispiel für einen Teilbereich mit Verbesserungspotenzial aufgeführt wird. Darüber hinaus wurden nach den Ausführungen des Kreisjagdberaters im Zeitraum 2019 bis 2021 in den ersten beiden Jahren bereits 86,2 Prozent des Dreijahresabschusses erfüllt, sodass es auch keine Anhaltspunkte für einen etwaigen aktuellen Nachholbedarf gibt.
Der Antragsgegner hat auch nicht weiter geprüft, ob die Schonzeitaufhebung in dem jeweiligen Einzelfall erforderlich ist und dort keine anderen geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen, obwohl sich dies im vorliegenden Fall geradezu aufgedrängt hätte. Denn zum einen wurde bei der Ortsbesichtigung am 27. April 2021 festgestellt, dass einige Tannen eine Leittriebschutzmanschette hatten und dass in einem Bereich, in denen die Tannen nicht ausgemäht waren, keine Fegeschäden zu erkennen gewesen seien, was für die grundsätzliche Eignung derartiger Maßnahmen spricht. Soweit die Beigeladene in ihrem Antrag ausgeführt hat, dass Einzelpflanzenschutz insbesondere vor Fegeschäden nur bedingt praktikabel und wirkungsvoll und zudem nur zeitlich begrenzt sei, wurde dies nicht näher unterlegt. Zum anderen hat auch der angehörte Kreisjagdberater dargelegt, dass durch andere Maßnahmen wie beispielsweise eine Schwerpunktbejagung auf den gefährdeten Flächen – was im Übrigen auch in der Revierweisen Aussage empfohlen wird – Schutzmaßnahmen an gepflanzten Bäumen oder eventuelle Äsungsverbesserungen übermäßige Fege- und Verbissschäden vermieden werden könnten. Ausführungen hierzu oder zu der Frage der Verhältnismäßigkeit, insbesondere Angemessenheit solcher Maßnahmen (z.B. in finanzieller Hinsicht) sind in dem streitgegenständlichen Bescheid nicht im Ansatz vorhanden.
Soweit die Beigeladene ihren Antrag auch mit dem klimawandelbedingten früheren Austrieb der Begleitvegetation mit der Folge der Erschwerung der Jagd im Mai/Juni begründet, handelt es sich um einen Umstand, der nicht nur in dem streitgegenständlichen Jagdrevier, sondern allgemein zum Tragen kommt. Soweit das im Bayerischen Jagdgesetz verankerte Waldverjüngungsziel hierdurch gefährdet sein sollte, ist es Sache des Verordnungsgebers, diesen Umstand mit den Zielen abzuwägen, die mit den festgesetzten Schonzeiten verfolgt werden, und eine entsprechende Regelung zu finden (vgl. VG Ansbach, B.v. 1.4.2021 – AN 16 E 21.00524 – juris Rn. 20).
Hieraus folgt, dass der streitgegenständliche Bescheid schon aufgrund der fehlerhaften Annahme des Vorliegens eines besonderen Grundes i.S.d. Art. 33 Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 S. 3 BJagdG für die Schonzeitaufhebung rechtswidrig sein dürfte.
Jedenfalls dürfte der Antragsgegner aber auch bei unterstelltem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG das ihm nach dieser Vorschrift zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt haben. Voraussetzung für eine sachgerechte Ermessensausübung ist unter anderem, dass die Behörde den Sachverhalt in wesentlicher Hinsicht vollständig und zutreffend ermittelt hat und alle wesentlichen Gesichtspunkte in ihre Ermessenserwägungen einstellt (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 114 Rdnr. 24 f.). Dies hat der Antragsgegner durch die Nichtberücksichtigung der Stellungnahme des Kreisjagdberaters jedoch nicht getan, sodass der Bescheid auch wegen dieses Ermessensdefizits rechtswidrig sein dürfte.
Aufgrund der durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids, die damit voraussichtlich auch die Verletzung einer umweltbezogen Rechtsvorschrift indizieren und die vom Satzungszweck des Antragstellers umfasst sind, überwiegt das Interesse des Antragstellers an einer aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegenüber dem Interesse des Antragsgegners bzw. der Beigeladenen an einem sofortigen Vollzug.
Die aufschiebende Wirkung der Klage ist deshalb entsprechend wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da diese keinen Antrag gestellt hat und somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt war.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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