Verwaltungsrecht

Vorherige Zustellung des Titels bei Vollstreckung aus gerichtlichem Vergleich

Aktenzeichen  9 C 15.2497

Datum:
15.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
RÜ2 – 2016, 164
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO §§ 106 S. 2, 146, 167, 168 I Nr. 3
ZPO ZPO §§ 750 I, 795 S. 1, 890 II

 

Leitsatz

1. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung erfordern bei einem Vergleich, der durch schriftlichen Vorschlag des Gerichts gem. § 106 S. 2 VwGO zustande gekommen ist, die vorherige Zustellung einer Ausfertigung des Vergleichs an den Vollstreckungsschuldner mit dem Zusatz, dass der förmliche Vergleichsvorschlag des Gerichts durch die schriftlichen Erklärungen der Beteiligten angenommen worden ist. (amtlicher Leitsatz)

Tenor

I.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 26. Oktober 2015 wird aufgehoben.
II.
Der Antrag der Antragsteller auf Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft gegen den Antragsgegner für den Fall, dass dieser gegen Nr. 3 Buchst. a des Vergleichs vom 14. Juli 2015 zuwiderhandelt, wird abgelehnt.
III.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
Die Antragsteller und Vollstreckungsgläubiger begehren die Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft gegenüber dem Antragsgegner und Vollstreckungsschuldner.
Die Antragsteller erhoben im Jahr 2011 Klage vor dem Verwaltungsgericht Würzburg (Az. W 4 K 11.374) auf Erlass einer Nutzungsuntersagung durch das Landratsamt Aschaffenburg gegenüber dem Antragsgegner und damaligen Beigeladenen wegen dessen Nutzung eines Gebäudes auf der im Außenbereich gelegenen Fl.Nr. 10051 Gemarkung K… zur Pferdeunterstellung. Sie sind Eigentümer eines westlich gelegenen Grundstücks, das in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt und das mit einem Wohngebäude bebaut ist. Im Rahmen eines gerichtlichen Augenscheinstermins am 24. Juli 2012 wurde zwischen den Beteiligten ein Vergleich geschlossen, der u. a. folgende Formulierung enthielt:
„3. Bezüglich der Unterstellhalle auf dem Grundstück Fl.Nr. 10051 der Gemarkung K… wird zwischen den Beteiligten folgende Regelung getroffen:
(a) …
(b) …
(c) Eine vorübergehende Pferdeunterstellung darf stattfinden vom 1. Oktober eines jeden Jahres bis zum 30. April des jeweiligen Folgejahres. Es besteht Einverständnis, dass in dieser Zeit die Pferde nicht eingepfercht werden und dass zum Grundstück der Kläger hin maximal vier Pferde vorübergehend eine Unterstellmöglichkeit finden können. Ebenso sichert der Beigeladene zu, dass die Ponys östlich des Gebäudes und nicht zum Grundstück der Kläger hin gefüttert werden. Es besteht weiterhin Einverständnis, dass die Pferde nicht zum Grundstück der Kläger hin gesattelt werden.“
Im Jahr 2013 wurde im Rahmen der Beantragung einer vollstreckbaren Ausfertigung durch die Antragsteller festgestellt, dass in der Niederschrift des gerichtlichen Augenscheinstermins vom 24. Juli 2012 ein Vermerk fehlt, dass der dort geschlossene Vergleich vorgelesen oder vorgespielt und genehmigt wurde. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. Juli 2015 wurde daraufhin der Vergleichstext in Form eines schriftlichen Vorschlags des Gerichts den Beteiligten zugestellt und eine Frist zur schriftlichen Annahme gegenüber dem Gericht festgesetzt. Sämtliche Beteiligten nahmen den gerichtlichen Vergleichsvorschlag innerhalb der gesetzten Frist an.
Mit Schreiben vom 17. August 2015 beantragten die Antragsteller erneut die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung. Ferner wurde beantragt, für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen „Ziffer“ 3 c des Beschlusses vom 14. Juli 2015 dem damaligen Beigeladenen und nunmehrigen Antragsgegner ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,– Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren, anzudrohen. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat mit Beschluss vom 26. Oktober 2015 dem Antragsgegner „für den Fall, dass er entgegen der in Ziffer 3 c des Vergleichs vom 14. Juli 2015 übernommenen Verpflichtung zuwiderhandelt, ein Ordnungsgeld von 5.000,– Euro“ angedroht. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.
II.
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde (Pietzner in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Okt. 2015, § 167 Rn. 3, 6) ist auch im Übrigen zulässig und hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat dem Antrag der Vollstreckungsgläubiger zu Unrecht stattgegeben, weil auch im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht alle allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen.
Rechtsgrundlage für die Androhung des Ordnungsgeldes ist hier § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 890 Abs. 2 ZPO. Danach muss der Verurteilung zu einem Ordnungsgeld oder einer Ordnungshaft eine entsprechende Androhung vorausgehen, die, wenn sie in dem die Verpflichtung aussprechenden Urteil nicht enthalten ist, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges erlassen wird. Die Vollstreckung aus einem Vergleich bedarf dabei stets einer vorausgehenden Androhung, da dieser keine wirksame Androhung enthalten kann (vgl. Stöber in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 890 Rn. 12a und Greger in Zöller, a. a. O., § 278 Rn. 34; Stürner in Vorwerk/Wolf, Beckscher-Online-Kommentar zur ZPO, Stand 1.12.2015, § 890 Rn. 29). Für den Antrag der Vollstreckungsgläubiger ist kein besonderes Rechtsschutzbedürfnis in Form eines bereits erfolgten oder drohenden Pflichtverstoßes des Vollstreckungsschuldners erforderlich (VGH BW, B. v. 15.8.2012 – 3 S 767/12 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 30.3.2006 – 15 C 05.2757 – juris Rn. 12). Den Antragstellern fehlt auch nicht deswegen das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie ihr Grundstück zwischenzeitlich verkauft und zum 31. Dezember 2015 an den/die Rechtsnachfolger übergeben haben (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 265 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 ZPO; § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 727 Abs. 1, § 325 Abs. 1 ZPO). Die bisherigen Vollstreckungsgläubiger behalten ihr Recht vielmehr solange, bis eine Rechtsnachfolgeklausel erteilt wurde (vgl. Stöber in Zöller, a. a. O., § 727 Rn. 30; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl. 2016, § 727 Rn. 33).
Die begehrte Androhung eines Ordnungsgeldes stellt eine Maßnahme und den Beginn der Zwangsvollstreckung dar. Es müssen daher auch bereits zu diesem Zeitpunkt die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen – d. h. Titel, Klausel, Zustellung – vorliegen (§ 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 795 Satz 1 ZPO; vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 168 Rn. 18; BGH, B. v. 22.11.2012 – I ZB 18/12 – juris Rn. 10).
Es kann dahinstehen, ob es hier bereits an einem vollstreckbaren Titel i. S. d. § 168 Abs. 1 Nr. 3 VwGO fehlt. Einen solchen stellt jedenfalls nicht der Prozessvergleich vom 24. Juli 2012 dar, weil dieser wegen Verstoß gegen § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 162 Abs. 1 ZPO unwirksam ist (Geiger in Eyermann, a. a. O., § 106 Rn. 23). Hinsichtlich des auf gerichtlichen Vorschlag vom 14. Juli 2015 hin von allen Beteiligten angenommenen Vergleichs gemäß § 106 Satz 2 VwGO kann offen bleiben, ob es für die Vollstreckung – wie im Zivilprozess (vgl. Stöber in Zöller, a. a. O., § 794 Rn. 9 und Greger in Zöller, a. a. O., § 329 Rn. 27 und § 278 Rn. 34, 35; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 329 Rn. 35 und § 278 Rn. 65) – eines feststellenden Beschlusses gemäß § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO, der hier nicht vorliegt, bedarf oder ob er selbst unmittelbar – wovon auch die Gesetzesbegründung ausgeht (BT-Drs. 11/7030, S. 29 zur Neufassung von § 106 VwGO durch das 4. VwGOÄndG) und wofür einiges spricht (vgl. Geiger in Eyermann, a. a. O., § 106 Rn. 23; Hahn, Der „klarstellende“ § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG? – Prozessbeendigung durch schriftlichen Vergleich in sozialgerichtlichen Verfahren, NZS 2014, 368; unklar: Ortloff in Schoch/Schneider/Bier, a. a. O., § 106 Rn. 7 und Wolf in Posser/Wolf, Beckscher-Online-Kommentar VwGO, Stand 1.1.2016, § 173 Rn. 9.1 unter Verweis auf OVG Saarl., B. v. 29.3.2007 – 2 B 7/07 – juris Rn. 36, das allerdings nur § 278 Abs. 1 ZPO betrifft) – Vollstreckungstitel ist. Sofern letzterer Ansicht gefolgt wird, ist die vollstreckbare Ausfertigung hier jedenfalls mit dem dann notwendigen Vermerk, dass der förmliche Vergleichsvorschlag des Gerichts durch schriftliche Erklärungen der Beteiligten angenommen wurde sowie der Vollstreckungsklausel (§ 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 725 ZPO), dass die Ausfertigung zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt wurde, erteilt worden (vgl. BT-Drs. 11/7030, S. 29; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 106 Rn. 23; Dolderer in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 106 Rn. 73; Brüning in Posser/Wolf, a. a. O., § 106 Rn. 19).
Offen bleiben kann ferner, wie Nr. 3 Buchst. c des Vergleichs vom 14. Juli 2015, der von den Beteiligten unterschiedlich verstanden wird, auszulegen ist. Für die Auslegung ist allein der Inhalt des Vergleichs maßgebend (vgl. Stöber in Zöller, a. a. O., § 704 Rn. 5; Kopp/Schenke, a. a. O., § 168 Rn. 5). Hier spricht aufgrund des Wortlautes einiges dafür, dass Nr. 3 Buchst. c des Vergleichs – entgegen der Ansicht der Antragsteller – gar keine Regelungen für eine reine Weide- oder Koppelhaltung im Zeitraum 1. Mai bis 30. September eines jeden Jahres trifft, sondern nur die vorübergehende Pferdeunterstellung in der Unterstellhalle erfasst und Regelungen zur Einpferchung, zum Füttern und zum Satteln der Pferde enthält.
Jedenfalls fehlt hier aber die Zustellung des Titels an den Vollstreckungsschuldner. Gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 795 Satz 1, § 750 Abs. 1 ZPO ist der Titel dem Vollstreckungsschuldner zuzustellen. Maßgebend ist hier mangels Vorliegens eines feststellenden Beschlusses gemäß § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO, ob der Vergleich dem Vollstreckungsschuldner zugestellt wurde (vgl. VGH BW, B. v. 3.4.1990 – 8 S 341/90 – juris Rn. 6; Kraft in Eyermann, a. a. O., § 168 Rn. 18). Eine Zustellung des Titels an den Vollstreckungsschuldner ist hier ausweislich der Akten weder von Amts wegen noch gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 750 Abs. 1 Satz 2 ZPO seitens der Antragsteller und Vollstreckungsgläubiger, was der Bevollmächtigte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 7. März 2015 gegenüber dem Senat bestätigt hat, erfolgt. Für die Zustellung als allgemeine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung genügt es insoweit nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Juli 2015 mit dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag gemäß § 106 Satz 2 VwGO zugestellt wurde und dem Vollstreckungsschuldner im Nachgang hierzu die Annahmeerklärungen der anderen Beteiligten (formlos) übersandt wurden. Denn zum einen sind die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung stark formalisiert (vgl. Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 750 Rn. 15; Heßler in Münchner Kommentar, 4. Aufl. 2012, § 750 Rn. 1). Zum anderen ist aus der Zustellung des gerichtlichen Vergleichsvorschlags, die zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, zu dem der Vergleich materiell-rechtlich noch nicht wirksam war, für den (späteren) Vollstreckungsschuldner weder erkennbar, dass der Vergleich später tatsächlich wirksam zustande gekommen ist, noch dass nunmehr die Einleitung der Zwangsvollstreckung und die Gefahr von Vollstreckungsmaßnahmen droht. Hierfür bedarf es – mangels gerichtlichem Beschluss entsprechend § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO (s.o.) – vielmehr der Ausfertigung des Vergleichs mit dem Zusatz, dass der förmliche Vergleichsvorschlag des Gerichts durch schriftliche Erklärungen der Beteiligten angenommen worden ist. Die bloße Kenntnis des Vollstreckungsschuldners vom Inhalt des Vergleichs und dessen Zustandekommen genügt dabei dem formalen Zustellungserfordernis als Voraussetzung der Zwangsvollstreckung nicht (vgl. BGH, B. v. 22.11.2012 – I ZB 18/12 – juris Rn. 10). Die Zustellung des wirksam zustande gekommenen Vergleichs ist bis zur Entscheidung des Senats auch nicht nachgeholt worden (vgl. BGH, B. v. 8.11.2012 – V ZB 124/12 – BGHZ 195, 292 = juris Rn. 11 und B. v. 22.11.2012 – a. a. O. – juris Rn. 9 ff., 12, 14).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO.
Eine Streitwertfestsetzung ist nicht erforderlich, weil keine wertabhängigen Gerichtsgebühren anfallen (vgl. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben