Verwaltungsrecht

Vorläufiger Rechtschutz gegen den Vollzug einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung nach Nigeria

Aktenzeichen  Au 9 E 20.30120

Datum:
18.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 3480
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AsylG § 71 Abs. 5 S. 1, § 71 Abs. 5 S. 2
VwVfG § 51

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege vorläufigen Rechtschutzes gegen den Vollzug einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung nach Nigeria.
Der (fiktiv) am … 1975 in … (Nigeria) geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger mit Volkszugehörigkeit der Igbo und christlichem (anglikanischem) Glauben.
Seinen Angaben zufolge reiste der Antragsteller erstmalig am 26. Oktober 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter gleichem Datum Asylerstantrag stellte.
Die persönlichen Anhörungen des Antragstellers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgten am 26. Oktober 2013 bzw. 4. November 2016. Auf den Vortrag des Antragstellers bei dessen persönlichen Anhörungen beim Bundesamt wird verwiesen.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 22. Februar 2017 (Gz.: …) wurden die Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter bzw. auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Nr. 1. bis 3. des Bescheids). In Nr. 4. des Bescheids wurde weiter festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. In Nr. 5. des Bescheids wurde der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Antragsteller die Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 6. des Bescheids setzt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung fest. Auf die Gründe des vorbezeichneten Bescheides wird Bezug genommen.
Ein hiergegen gerichteter Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes (Az.: Au 7 S 17.31165) blieb mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 9. Mai 2017 ohne Erfolg. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird verwiesen.
Mit Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg (Az.: Au 7 K 17.31164) vom 4. Dezember 2017 wurde die Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesamts vom 22. Februar 2017 als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
Am 4. Juli 2018 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag).
Mit Bescheid des Bundesamts vom 23. Juli 2018 (Gz.: …) wurde der Asylfolgeantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Nr. 1. des Bescheids). Nr. 2. des Bescheids stellt weiter fest, dass auch der Antrag des Antragstellers auf Abänderung des Bescheids vom 22. Februar 2017 bezüglich der Feststellung nationaler Abschiebungsverbote abgelehnt wird. Auf die Gründe dieses Bescheids wird verwiesen.
Die gegen den vorbezeichneten Bescheid gerichtete Klage des Antragstellers (Az.: Au 7 K 18.31332) wurde in der mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2019 zurückgenommen und das Verfahren eingestellt.
Am 25. Oktober 2019 stellte der Antragsteller einen weiteren Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) bzw. einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten. Zur Begründung seines Folgeantrages trug der Antragsteller vor, er habe zwischenzeitlich in der Bundesrepublik Deutschland eine am … 2019 geborene Tochter, die über ein Bleiberecht verfüge. Laut Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2019 habe ein Vater einen Schutzanspruch, wenn einem seiner Familienangehörigen Schutz gewährt worden sei. Er wohne zwar nicht mit der Kindsmutter und seiner Tochter zusammen, sie würden jedoch als Familie leben. Die Wohnung des Antragstellers sei nur wenige Minuten von deren Haus entfernt. Er besuche seine derzeitige Lebensgefährtin und seine Tochter täglich und verbringe den ganzen Tag mit ihnen.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 28. Januar 2020 (Gz.: …) wurde der Asylfolgeantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Nr. 1.). Nr. 2. des Bescheids bestimmt, dass auch der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 22. Februar 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG abgelehnt wird.
Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt aus, dass der Antrag unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrages nach § 71 Asylgesetz (AsylG) ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ein weiteres Asylverfahren gemäß § 71 Abs. 1 AsylG sei nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzung des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erfüllt seien, folglich in der Person des Antragstellers Wiederaufgreifensgründe vorlägen. Das Vorbringen des Antragstellers, er habe einen Schutzanspruch, weil dessen Tochter in der Bundesrepublik Deutschland über ein Bleiberecht verfüge, sei nicht geeignet, eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung hinsichtlich des Asylantrages herbeizuführen. Die Tatbestandsvoraussetzung des § 26 Abs. 1 AsylG lägen nicht vor, da die geltend gemachte Lebenspartnerschaft nicht in dem Staat (Nigeria) bestanden habe, in dem der Asylberechtigte bzw. subsidiär Schutzberechtigte politisch verfolgt werde. Es läge demnach keine nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erforderliche Änderung der Sachlage vor. Eine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG sei vom Antragsteller nicht vorgetragen worden. Der Asylfolgeantrag sei demnach als unzulässig abzulehnen. Auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifens § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG seien im vorliegenden Fall nicht gegeben. Einer erneuten Ausreisaufforderung Abschiebungsandrohung bedürfe es gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG nicht.
Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 28. Januar 2020 wird ergänzend verwiesen.
Der Antragsteller hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 4. Februar 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben (Az.: Au 9 K 20.30119), über die noch nicht entschieden worden ist.
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 4. Februar 2020 wurde im Wege vorläufigen Rechtschutzes beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung vorläufig bis zum Abschluss des Wiederaufgreifensverfahrens nicht durchgeführt werden dürfe.
Zur Begründung ist ausgeführt, dass der mit der Klage angegriffene Bescheid rechtswidrig sei, da das Bundesamt davon ausgehe, dass die Voraussetzung eines Wiederaufgreifens nicht gegeben sei. Diese Ansicht sei unzutreffend, weil sich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwischenzeitlich geändert habe und somit eine Änderung der Rechtslage vorliege. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch, da die Entscheidung des Bundesamtes der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts widerspreche und daher die Klage Aussicht auf Erfolg habe. Wenn bei einzelnen Familienmitgliedern bereits ein Schutzstatus anerkannt worden sei, müsse bei den anderen Familienmitgliedern das Bestehen von Abschiebehindernissen (erneut) geprüft werden. Lebe der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, so sei hiernach für die Bildung der Verfolgungsprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsstaat in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen. Im vorliegenden Fall lebe der Antragsteller mit seiner derzeitigen Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind in einer familiären Lebens- und Beistandsgemeinschaft. Ein gemeinsamer Wohnsitz liege zwar nicht vor, der Antragsteller wohne jedoch in der direkten Nachbarschaft. Das Bundesamt hätte den Bestand der Kernfamilie und die Feststellung von Abschiebehindernissen prüfen müssen. Das familiäre Zusammenleben zwischen Vater und Tochter sei aufgrund des Bleiberechts der Tochter nur in der Bundesrepublik Deutschland möglich, sodass der Antragsteller einen Anspruch auf Feststellung von Abschiebehindernissen habe.
Auf den weiteren Inhalt des Klage- und Antragsschriftsatzes vom 4. Februar 2020 wird verwiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt; ein Antrag wurde nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verfahrensakte und die vom Gericht beigezogenen Akten des Erst- und Folgeverfahrens Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist zwar zulässig. Insbesondere ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Antragsteller seinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens einstweilen sichern und etwaigen Abschiebemaßnahmen der Ausländerbehörde entgegenwirken will, statthaft.
Die Antragsgegnerin hat den Antrag des Antragstellers auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) bzw. auf Abänderung des Ausgangsbescheides im Erstverfahren vom 22. Februar 2017 abgelehnt, ohne eine weitere Abschiebungsandrohung zu erlassen, § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG. Mangels einer erneuten Abschiebungsandrohung bildet die im Bescheid vom 22. Februar 2017 enthaltene bestandskräftige Abschiebungsandrohung i.V.m. der Mitteilung an die Ausländerbehörde, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG nicht vorliegen, gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Grundlage für den Vollzug einer Abschiebung des Antragstellers. Da die auf §§ 24 Abs. 3, 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG gestützte Mitteilung an die Ausländerbehörde kein Verwaltungsakt ist (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 31.5.200 – 2 R 186/00 – juris), somit in der Hauptsache auch nicht mit der Anfechtungsklage angefochten werden kann, ist vorläufiger Rechtschutz nach zutreffender Auffassung nicht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, sondern dergestalt zu gewähren, dass der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der nach Ablehnung des Folgeantrages an die ergangene Mitteilung eine Abschiebung erfolgen darf (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – InfAuslR 1999, 256; VGH Baden-Württemberg, B.v. 2.12.1997 – A 14 S 3104/97 – InfAuslR 1998, 193; B.v. 13.9.2000 – 11 S 988/00 – EZAR 632 Nr. 35).
Der Antrag ist auch zutreffend gegen die Antragsgegnerin gerichtet. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde kommt nur in begründeten Ausnahmefällen etwa dann in Betracht, wenn angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalles zu befürchten ist, dass die Antragsgegnerin gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde nicht mehr rechtzeitig den Vollzug der Abschiebung durch die beschriebene Mitteilung verhindern kann (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 71 AsylVfG Rn. 49).
Dies gilt auch für die Sicherung des Wiederaufnahmebegehrens betreffend die Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. Nach der Asylantragstellung obliegt dem Bundesamt gemäß § 24 Abs. 2 AsylG die alleinige Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. An diese Entscheidung ist die zuständige Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylG gebunden. Wirkungsvoller Rechtsschutz ist damit im spezifisch asylrechtlichen Verfahren gewährleistet. Das zu sichernde Wiederaufnahmebegehren zielt darauf ab, im Wege der Änderung der frühen Entscheidung nunmehr eine positive Feststellung des Bundesamtes für das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses zu erlangen. Dieses Ziel ist nach Erlass eines ablehnenden Bescheides mit der Verpflichtungsklage gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verfolgen (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.1999 – 1 C 6.99 – InfAuslR 2000, 16), dementsprechend ist auch hier vorläufiger Rechtschutz durch Erlass einer einstweiligen Anordnung § 123 VwGO gegenüber dem Bundesamt als Antragsgegnerin zu gewähren.
2. Der Antrag ist jedoch in der Sache nicht begründet.
a) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).
Eine derartige einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 54).
Wie sich aus § 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG ergibt, kann vorliegend einstweiliger Rechtsschutz nur gewährt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. VG Augsburg, B.v. 1.10.2015 – Au 4 E 15.30540 – juris Rn. 17).
Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist vorliegend jedenfalls kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Folgeantrags bzw. des Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens durch das Bundesamt bestehen jedenfalls im Ergebnis nicht.
Diesbezüglich ist vorliegend bereits zweifelhaft, ob eine für die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens maßgebliche Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorliegt. Eine Änderung der Rechtslage setzt nämlich voraus, dass sich das maßgebliche materielle Recht nach Erlass des Verwaltungsakts geändert hat (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 51 Rn. 30). Keine Änderung der Rechtslage stellt dem Grunde nach die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar, sofern diese nicht Ausdruck neuer allgemeiner Rechtsauffassungen ist (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 51 Rn. 30). Selbst wenn man jedoch zugunsten des Antragstellers davon ausgeht, dass die von diesem zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2019 (Az.: 1 C 45/18) zu einer Änderung der allgemeinen Rechtsauffassung führt und damit einer Rechtsänderung gleichsteht, bleibt der Antrag des Antragstellers ohne Erfolg.
Denn selbst unter Zugrundelegung der Rechtsgrundsätze aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2019 (Az.: 1 C 45/18) bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Bundesamt den erneuten Folgeantrag des Antragstellers jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat.
Dies ergibt sich aus den nachfolgenden Überlegungen. Der Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat (hier Nigeria) drohen, ist eine zwar notwendige hypothetische, aber doch realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, U.v. 16.8.1993 – 9 C 7.93 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163, auf Seite 391 f.). Lebt der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit seiner Kernfamilie, so ist für die Bildung der Verfolgungsprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen.
Diese Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose setzt jedoch eine familiäre Gemeinschaft voraus, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern (Kernfamilie) bereits im Bundesgebiet tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft besteht und in Folge dessen die Prognose rechtfertigt, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland auch dort fortgesetzt werden. Für eine in diesem Sinne „gelebte“ Kernfamilie reichen allein rechtliche Beziehungen, ein gemeinsames Sorgerecht oder eine reine Begegnungsgemeinschaft nicht aus. Maßgeblich ist für die typisierende Betrachtung im Rahmen der Rückkehrprognose nicht der – nicht auf Kernfamilien beschränkte – Schutzbereich des Art. 6 Grundgesetz (GG) bzw. des Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Bestehende, von familiärer Verbundenheit geprägte enge Beziehungen jenseits der Kernfamilie mögen ebenfalls durch Art. 6 GG schutzwürdige besondere Zuneigung und Nähe, familiäre Verantwortlichkeit für einander, Rücksichtnahme- und Beistandsgemeinschaft geprägt sein (BVerfG, B.v. 24.6.2014 – 1 BvR 2926/13 – BverfGE 136, 383); sie rechtfertigen für sich allein aber nicht die typisierende Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der zu treffenden Verfolgungsprognose (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 18).
Ob vorliegend eine derartige familiäre Gemeinschaft vorliegt oder lediglich eine Begegnungsgemeinschaft, da es einem gemeinsamen Wohnsitz des Antragstellers und seinen übrigen Familienangehörigen fehlt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn eine im Regelfall gemeinsame Rückkehr im Familienverband ist der Gefährdungsprognose auch dann zugrunde zu legen, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits bestandskräftig – wie hier – ein Schutzstatus zuerkannt oder für diese ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 19).
Dennoch bleibt auch unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rückkehrprognose in Fällen, in denen Mitglieder der Kernfamilie in der Bundesrepublik Deutschland ein Schutzstatus zuerkannt worden ist, der Antrag ohne Erfolg. Denn selbst wenn man zugunsten des Antragstellers davon ausgeht, dass dieser (hypothetisch betrachtet) mit seiner aktuellen Lebensgefährtin und der gemeinsamen Tochter nach Nigeria zurückkehre würde, liegen weder die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens noch für die Zuerkennung eines nationalen Abschiebungsverbots auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Damit ist aber auch bei Zugrundelegung der geänderten Rechtsprechung in Gestalt einer allgemeinen Rechtsauffassungsänderung keine Sachlage gegeben, die sich zugunsten des Antragstellers auswirken würde und für den Antragsteller zu einem für ihn günstigeren Ergebnis führen würde. Der mit der Klage (Az.. Au 9 K 20.30119) angegriffene Bescheid erweist sich demnach jedenfalls in Ergebnis als rechtmäßig.
Das Gericht ist insoweit der Auffassung, dass auch die in der Sache gebotene Gesamtbetrachtung der familiären Einheit nicht dazu führt, dass bei einer Rückkehr nach Nigeria im Familienverbund die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt sind. Insbesondere verliert der Antragsteller nicht durch das gebotene Hinzutreten weiterer zurückkehrender Familienangehöriger, seine Fähigkeit, die eigene Versorgung und die der Familie zu sichern. Auch weicht die Familiengröße mit hypothetisch unterstellt drei Mitgliedern nicht signifikant von der übriger nigerianischer Familien ab. Wie bereits im Erstverfahren des Antragstellers ausgeführt, verfügt dieser auch über noch mehrere Familienangehörige in Nigeria. Der Antragsteller weist darüber hinaus einen weit überdurchschnittlichen Schulbesuch von 11 Jahren in Nigeria auf. Auch hat der Antragsteller bereits im Erstverfahren geltend gemacht, über Fähigkeiten im Bereich der Elektrik zu verfügen. So ist nicht ersichtlich, dass sich der Antragsteller samt Frau und Kind in einer solchen speziellen Situation befänden, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Nigeria sehenden Auges mit dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wären, wenn auch möglicherweise gewisse Anfangsschwierigkeiten zu überwinden sein mögen.
Des Weiteren ist auch in dem Zusammenhang nochmals darauf hinzuweisen, dass abgesehen von privaten Hilfemöglichkeiten und Hilfsorganisationen auch auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückgegriffen werden kann. So hat der Antragsteller die Option, seine finanzielle Situation in Nigeria aus eigener Kraft zu verbessern, um Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr besser zu überbrücken. Unter Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen für eine Rückkehr des Antragstellers nach Nigeria ist für das Gericht im Rahmen der im Verfahren einstweiligen Rechtschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Betrachtung von Sach- und Rechtslage nicht naheliegend, dass auch die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nunmehr gebotene Betrachtung der (hypothetischen) Betrachtung der Rückkehr im Familienverbund beim Antragsteller die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf Abschiebungsverbote nach Nigeria auch nur annähernd erfüllt wären.
Damit erweist sich aber die vom Bundesamt getroffene und mit der Klage vom 4. Februar 2020 angegriffene Entscheidung vom 28. Januar 2020 im Ergebnis als rechtmäßig und nicht geeignet, dem Antrag zum Erfolg zu verhelfen. Dieser war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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