Verwaltungsrecht

Vorliegen von Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz

Aktenzeichen  M 24 K 14.230

Datum:
21.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
DVAsyl DVAsyl § 8
AufnG Art. 4, Art. 5 Abs. 2, Abs. 3
AsylVfG AsylVfG § 50 Abs. 2, § 53 Abs. 1 S. 2, § 83b Abs. 2

 

Leitsatz

1 Ob es sich bei Streitigkeiten über landesinterne Umverteilung und/oder private Wohnsitznahme um eine solche des Asylverfahrensgesetzes handelt, bestimmt sich danach, ob diese vor oder nach dem Ende des Asylverfahrens erfolgen soll. (redaktioneller Leitsatz)
2 Reine Praktikabilitäsgesichtpunkte oder finanzielle Erwägungen stellen keine sonstigen humanitären Gründe von gleichem Gewicht iSd § 8 Abs. 1, Abs. 6 DVAsyl dar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Die Klage ist zwar zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Das Gericht kann gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden. Die Parteien wurden entsprechend angehört und haben innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist gegen diese Verfahrensweise keine Einwände erhoben.
Das Verwaltungsgericht (VG) München ist insbesondere örtlich zuständig, weil der Kl. im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts München zu nehmen hatte (§ 52 Nr. 2 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – i. V. m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO – i. V. m. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG).
Dabei handelt es sich um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz (AsylG; zuvor: Asylverfahrensgesetz – AsylVfG). Nach ständiger Rechtsprechung der 24. Kammer des VG München sind Streitigkeiten betreffend landesinterne Umverteilungen von Asylbewerbern (wie auch solche betreffend die private Wohnsitznahme (pWn) von Asylbewerbern) Streitigkeiten nach dem AsylG/AsylVfG. Der Einzelrichter schließt sich insoweit dem Kammerbeschluss vom 28. November 2014, Az. M 24 K 14.4799 und M 24 K 14.5348 (dort unter Nr. 2.3.) an, wo unter anderem Folgendes ausgeführt wird:
„Der Umstand, dass die näheren Einzelheiten einer landesinternen Umverteilung in § 8 der bayerischen Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes sowie des Aufnahmegesetzes (Asyldurchführungsverordnung – DVAsyl) und die private Wohnsitznahme in Art. 4 Aufnahmegesetz (AufnG) sowie in § 13 Abs. 3 und § 18 Abs. 2 DVAsyl geregelt sind, steht einer Einordnung als Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz jeweils nicht entgegen. Dabei ist nämlich zu sehen, dass zum einen die Asyldurchführungsverordnung nicht nur auf Art. 5 Abs. 2 und 3 des bayerischen Aufnahmegesetzes (AufnG) beruht, sondern (unter anderem) auch auf § 50 Abs. 2 AsylVfG und dass für die Frage einer privaten Wohnsitznahme von Asylbewerbern neben Art. 4 AufnG jedenfalls auch § 53 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG einschlägig ist.
Vor diesem Hintergrund hängt die Entscheidung, ob es sich jeweils um eine „Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz“ handelt oder nicht, im Ergebnis davon ab, ob der maßgebliche Zeitpunkt des Eingangs einer Klage, die auf landesinterne Umverteilung und/oder private Wohnsitznahme gerichtet ist, vor oder nach dem „Ende des Asylverfahrens“ des von der jeweiligen landesinternen Umverteilung betroffenen Ausländers erfolgen soll. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH B. v. 6. Mai 2004 – 21 CS 03.2993 – unter II.3., BA S. 24/25) hat hierzu im Fall einer landesinternen Umverteilung von Ausländern nach Abschluss der Asylverfahren im Kontext kostenrechtlicher Vorschriften wörtlich ausgeführt (Hervorhebungen nicht im Original):
„Für eine entsprechende Heranziehung von § 83b Abs. 2 AsylVfG sieht der Senat entgegen den Rechtsprechung des bisher hauptsächlich zuständigen 4. Senats des BayVGH (vgl. B. v. 19.1.2003, Az. 4 CS 03.2466) weder eine Grundlage noch eine Rechtfertigung (so auch BayVGH v. 8.4.2003, Az. 24 CE 03.393). Da es sich vorliegend um keine Rechtsstreitigkeit nach dem AsylVfG handelt, sondern nur eine nach dem Ende eines Asylverfahrens anhängig gewordene ausländerrechtliche Streitigkeit, für die der Gesetzgeber allgemein bewusst keine besonderen Streitwertbestimmungen getroffen hat, fehlt es bereits an einer die Analogie ermöglichenden Regelungslücke. Allein daraus, dass es auch während eines laufenden Asylverfahrens Rechtsstreitigkeiten über die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft gibt, für die die speziellen Bestimmungen des AsylVfG gelten, folgt auch nicht, dass die mit den speziellen Verhältnissen des Asylverfahrens zusammenhängenden Regelungen des AsylVfG nach dessen Ende auch auf nun entstehende ausländerrechtliche Streitigkeiten angewendet werden müssten und daher diese Ausländer anders behandelt werden sollen wie nicht durch ein Asylverfahren gegangene Ausländer, die auch unter Art. 1 AufnG, § 1 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 5 AsylbLG fallend ebenfalls in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden sollen.“
Aus dieser Passage lässt sich entnehmen, dass für Rechtsstreitigkeiten über die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft „während eines laufenden Asylverfahrens“ die speziellen Bestimmungen des AsylVfG gelten. Das bedeutet aber nach Ansicht des Gerichts – über den Kontext der Kostenentscheidung (§ 83b AsylVfG) hinaus – ganz allgemein, dass „bis zum Ende eines Asylverfahrens“ verwaltungsgerichtliche Verfahren von Ausländern, die im maßgeblichen Zeitpunkt des Klageeingangs Asylbewerber sind, über deren Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz sind. Ebenso wie Erstzuweisungen von Asylbewerbern nach § 7 Abs. 3 DVAsyl sind deshalb auch Verfahren betreffend innerbayerische Umverteilungen von Ausländern, die im maßgeblichen Zeitpunkt des Klageeingangs Asylbewerber sind, oder Verfahren betreffend den Auszug solcher Personen aus der Gemeinschaftsunterkunft (private Wohnsitznahme) Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz, und zwar im Hinblick auf alle Aspekte, für die dies vorentscheidende Wirkung hat, insbesondere § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO sowie §§ 12, 74, 76, 78, 80 und 83b AsylVfG (vgl. auch VG München Kammerbeschluss vom 21.11.2013 – M 24 K 13.2935 – sowie Kammerbeschluss vom 21.11.2013 – M 24 K 13.4286, M 24 S 13.4287 und VG Regensburg Gerichtsbescheid vom 21.1.2013 – RN 9 K 12.30298 – juris Rn. 17; anders wohl BayVGH B. v. 19.12.2011 – 21 C 11.30480 – juris sowie B. v. 18.9.2008 – 21 C 08.30254 – juris Rn. 2, allerdings mit Zitat von BayVGH B. v. 6.5.2004 – 21 CS 03.2993).“
Für die genannte Rechtsauffassung spricht zusätzlich die seit 1. Januar 2015 geltende Neufassung von § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG/AsylVfG, mit der der Bundesgesetzgeber nunmehr explizit erweiterte bundesrechtliche Maßstäbe auch für die landesinterne Verteilung aufgestellt hat, als deren Umsetzung auch § 8 Abs. 6 DVAsyl interpretiert werden kann. Es ist kein Grund ersichtlich, diese Maßstäbe nicht auch auf landesinterne Umverteilungen gemäß § 8 Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) wie vorliegend zu beziehen (vgl. auch VG München, Kammerbeschluss v. 24.6.2015 – M 24 K 15.2322 – juris Rn. 3 ff.).
Von einer Streitigkeit nach dem AsylVfG (nunmehr: AsylG) ist offenkundig (zu Recht) auch der streitgegenständliche Bescheid ausgegangen, der in seiner Rechtsbehelfsbelehrung eine nur 2-wöchige Klagefrist vorsieht, was § 74 Abs. 1 Satz 1 AsylG/AsylVfG entspricht.
Aufgrund des Kammerbeschlusses vom 8. August 2014 ist der Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung berufen (§ 76 Abs. 1 AsylG/AsylVfG), wobei aufgrund der zwischenzeitlichen Änderung der kammerinternen Geschäftsverteilung (Kammerbeschluss vom 12.11.2015) ab 16. November 2015 mit der Berichterstattung auch die Einzelrichterfunktion auf den Unterzeichnenden übergangen ist.
Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG ist für die vorliegend ohne mündliche Verhandlung ergehende gerichtliche Entscheidung, derjenige Zeitpunkt maßgebend, in dem diese gefällt wird. Deshalb sind auch die durch Art. 1 und Art. 15 Abs. 1 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722 – AsylVf-B-G) vorgenommenen und zum 24. Oktober 2015 in Kraft getretenen Änderungen des früheren Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG), das durch das AsylVf-B-G in „Asylgesetz“ (AsylG) umbenannt worden ist, im Rahmen der vorliegenden Entscheidung zu berücksichtigen.
Vorliegend ist die zulässige Versagungsgegenklage unbegründet (§ 113 Abs. 5 VwGO).
2. Der Kl. hat gegen den Bekl. keinen Anspruch auf die begehrte landesinterne Umverteilung.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl kann unter anderem auf Antrag des Leistungsberechtigten aus den in § 8 Abs. 6 DVAsyl genannten Gründen landesintern eine Umverteilung in einen anderen Landkreis oder in eine andere kreisfreie Gemeinde im selben oder in einem anderen Regierungsbezirk erfolgen (landesinterne Umverteilung). Die in § 8 Abs. 6 DVAsyl genannten Gründe sind die Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten sowie von Eltern und ihren minderjährigen, ledigen Kindern oder sonstige humanitäre Gründe von gleichem Gewicht; im Falle einer Verwandtschaft im weiteren Sinne (außerhalb der im Gesetz umschriebenen „Kernfamilie“) kommt ein Schutz nach dieser Vorschrift nur über „sonstige humanitäre Gründe von gleichem Gewicht“ in Betracht (VG Ansbach, B. v. 19.4.2011 – AN 14 K 11.30026 – juris Rn. 21 m. w. N.).
Dabei muss vorliegend nicht entschieden werden, inwieweit eine Adoption von Volljährigen begrifflich zu einem Eltern-Kind-Verhältnis i. S. v. § 8 Abs. 6 DVAsyl führt. Denn selbst wenn Letzteres der Fall sein sollte, wäre das Begehren des Klägers unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Kernfamilie trotz der Adoption des (volljährigen) Kl. durch seinen Bruder und durch die Schwägerin des Kl. jedenfalls deshalb nicht berücksichtigungsfähig, weil der Kl. volljährig ist – es geht nicht um eine Haushaltsgemeinschaft von Eltern und ihren „minderjährigen“ Kindern. Infolge dessen kommt im Fall des Kl. von vornherein nur die Fallgruppe der „sonstigen humanitären Gründe von gleichem Gewicht“ in Betracht. „Sonstige humanitäre Gründe von gleichem Gewicht“ in dem Sinn, dass in besonderem Maße der Kl. auf den Schutz der Adoptierenden oder die Adoptierenden auf den Schutz des Kl. angewiesen sind, die mit dem Maß der Schutzbedürftigkeit Minderjähriger gegenüber ihren Eltern vergleichbar wäre (etwa eine schwere Erkrankung eines Mitglieds eines Familienmitglieds bei gleichzeitig nachgewiesener Pflegebedürftigkeit, Pflegebereitschaft und Pflegequalifikation des anderen Familienangehörigen), sind hier aber weder vorgetragen noch ersichtlich. Insoweit reicht auch der Umstand nicht aus, dass der Kl. in Plattling eine Beschäftigung gefunden hat; denn für die Frage sonstiger „humanitärer“ Gründe von vergleichbarem Gewicht i. S. v. § 8 Abs. 1, 6 DVAsyl reichen lediglich praktische Erwägungen – ebenso wenig wie finanzielle Erwägungen (vgl. VG Ansbach, B. v. 14.4.2011 – AN 14 K 11.30026 – juris Rn. 22) – nicht aus.
Wenn aber sogar die erfolgte Adoption nicht zu sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht geführt hat, hat dies erst recht auch für die familiäre Situation des Kl. und seiner Familienangehörigen im Zeitraum vor der erfolgten Adoption zu gelten, als lediglich eine Adoptionsabsicht bestanden hatte.
Mangels Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen war und ist bereits kein Verwaltungsermessen eröffnet. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wären aber jedenfalls die Erwägungen der RNB im sgB und in ihrem Schreiben vom 11. Juni 2015 an das Gericht, aufgrund derer trotz der zwischenzeitlichen Adoption an der ablehnenden Haltung festgehalten wird, nicht ermessensfehlerhaft.
Die Klage ist daher im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung – wie auch während des gesamten vorangegangenen gerichtlichen Verfahrens – unbegründet.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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