Verwaltungsrecht

Weiterer Aufklärungsbedarf hinsichtlich des Bestehens systemischer Mängel des Asylverfahrens in Ungarn

Aktenzeichen  AN 3 S 16.50379

Datum:
19.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 14a Abs. 2
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Im Hinblick auf eine uneinheitliche Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte zum Bestehen systemischer Mängel im Asylverfahren wegen der Missachtung von Verfahrensrechten im Rahmen der Anordnung von Asylhaft in Ungarn wird zugunsten von Asylsuchenden der Vollzug von Abschiebungsanordnungen suspendiert. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts bewilligt.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. November 2016 wird angeordnet.
3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
4. Der Gegenstandswert beträgt 500,00 EUR.

Gründe

I.
Die am … in der Bundesrepublik Deutschland geborene Antragstellerin ist irakische Staatsangehörige. Am 11. August 2016 wurde die Antragstellerin dem Bundesamt zur Asylantragstellung gemäß § 14 a Abs. 2 AsylG angezeigt.
Die Klagen der Eltern und Geschwister der Antragstellerin gegen die Unzulässigkeitsentscheidung über ihre Asylanträge und die Abschiebungsanordnung nach Ungarn wurden durch Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 7. November 2016 (AN 3 K 16.50010) abgewiesen, nachdem mit Beschluss vom 18. Juli 2016 bereits negativ im Eilverfahren entschieden worden war (AN 3 S 16.50009).
Mit Bescheid vom 11. November 2016, der am 15. November 2016 als Einschreiben zur Post gegeben wurde, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Zifffer 4).
Der Antragstellerin drohe keine Verletzung der in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG genannten Rechtsgüter, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheides Bezug genommen.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten, der am 21. November 2016 beim Verwaltungsgericht Ansbach einging, ließ die Antragstellerin Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes erheben (AN 3 K 16.50380). Gleichzeitig beantragte sie,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen.
Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2016 beantragte die Antragsgegnerin,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung gegen die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides ausgesprochene Abschiebungsanordnung anzuordnen, ist wegen als offen zu beurteilender Erfolgsaussichten in der Hauptsache auch begründet.
Das Interesse der Antragstellerin überwiegt im Rahmen der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung das gesetzlich angeordnete Vollzugsinteresse nach § 75 Abs. 1 AsylG, weshalb die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen ist, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO.
Das Verwaltungsgericht Ansbach ging bislang in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass hinsichtlich Ungarn die Schwelle zur Annahme des Bestehens systemischer Mängel nach
Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO mangels des Bestehens tatsächlicher Anhaltspunkte nicht überschritten werde, weshalb eine Verpflichtung zum Selbsteintritt der Antragsgegnerin abgelehnt wurde, Art. 3 Abs. 2 UA 3 Dublin III-VO.
Sowohl der VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 13. Oktober 2016 – A 11 S 1596/16 -, juris) als auch das OVG Lüneburg (Urteil vom 15. November 2016 – 8 LB 92/15 -, juris ) gehen derzeit vom Bestehen systemischer Mängel in Ungarn aus. Die Entscheidungen stützen sich im Wesentlichen auf die Missachtung von Verfahrensrechten im Rahmen der Anordnung von Asylhaft und bei der Durchführung des Asylverfahrens.
Die Kammer sieht derzeit weiteren Aufklärungsbedarf. Die notwendige Aufklärung kann im Rahmen des Eilverfahrens nicht durchgeführt werden, weshalb die Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin derzeit als offen zu beurteilen sind.
Wegen der möglicherweise betroffenen hohen Rechtsgüter der Antragstellerin aus Art. 3 EMRK fällt die Interessenabwägung zu ihren Gunsten aus, weshalb die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist.
III.
Nachdem die Antragstellerin die Erklärung zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen am 12. Dezember 2016 vorgelegt hat und der Antrag wie dargelegt begründet ist, ist der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung zu bewilligen, §§ 166 VwGO i. V. m. 114 ff. ZPO. Die Beiordnung eines nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts kann nur erfolgen, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen, §§ 166 VwGO i. V. m. 121 Abs. 3 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt aus
§ 83 b AsylG, der Gegenstandswert aus § 30 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 RVG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde angreifbar, § 80 AsylG.


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