Verwaltungsrecht

Widerruf der Flüchtlingsanerkennung wegen Vergewaltigung, Prognosemaßstab

Aktenzeichen  RO 4 K 18.32906

Datum:
9.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24523
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 34 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 8

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 22.10.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für den von dem Kläger angefochtenen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen. Das ist aufgrund der seit dem 13.10.2016 rechtskräftigen Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Amberg vom 26.01.2017 wegen Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren der Fall.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Abs. 1 der Vorschrift ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzung des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG ist danach, dass dieser keine Versagungsgründe entgegenstehen.
§ 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG knüpft daran an, dass der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren allerdings nur dann zum Ausschluss eines Abschiebungsverbots, wenn im Einzelfall eine konkrete Wiederholungsgefahr festgestellt wird. Dies ist der Fall, wenn in Zukunft neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen. Bei dieser Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und seine Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Dabei ist die der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die so schwerwiegend sind, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt haben, typischerweise mit einer hohen Wiederholungsgefahr verknüpft sind (U. v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 -, juris – BVerwGE 112, 185 zu der Vorgängerregelung § 51 Abs. 3 AuslG; B. v. 12.10.2009 – 10 B 17.09, juris).
Aus der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich indes auch, dass bei der Frage, welche Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen sind, kein zu strenger Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde zu legen ist (vgl. hierzu auch HessVGH, U.v. 10.8.2011 – 6 A 95/10.A, juris) und nicht eine “hinreichend sichere Gefahr” der Begehung gleichartiger Straftaten von entsprechendem Gewicht zu fordern sei. Der Prognosemaßstab, dass es genüge, wenn im Einzelfall eine konkrete Wiederholungs- oder Rückfallgefahr vorliege, also eine Gefahr durch neue vergleichbare Straftaten ernsthaft drohe, genüge angesichts der vorausgesetzten hohen Mindeststrafe auch den aus Art. 16a GG folgenden verfassungsrechtlichen Anforderungen. Eine weitergehende Beschränkung des Anwendungsbereichs durch einen strengeren Prognosemaßstab sei auch im Hinblick auf die in letzter Konsequenz mögliche Abschiebung eines politisch Verfolgten in den Verfolgerstaat nicht geboten, weil bei Abwägung des Schutzinteresses des politisch Verfolgten und des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit zu berücksichtigen sei, dass der politisch Verfolgte, sofern ihm Gefahren im Heimatstaat drohten, auch bei Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 51 Abs. 3 AuslG (jetzt § 60 Abs. 8 AufenthG) nicht in den Verfolgerstaat abgeschoben werden dürfe (BVerwG, U. v. 16.11.2000, a.a.O.).
In Anwendung der dargestellten Maßstäbe ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass beim Kläger eine Wiederholungsgefahr besteht.
Vorliegend sprechen zunächst die auf die Straftat bezogenen Kriterien für die eine Wiederholungsgefahr bejahende Prognose.
Beim Tatbestand der Vergewaltigung handelt es sich um eine schwere Straftat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung ist hoch anzusetzen. Auch liegt die Höhe der im konkreten Fall gegen den Kläger verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren nicht nur knapp über der gesetzlichen Mindeststrafe von drei Jahren für die Anwendung von § 60 Abs. 8 AufenthG. Nicht entkräften kann diese Wertung das Vorbringen des Klägervertreters, der meint, dass das Strafmaß sehr hoch ausgefallen sei, da das Maß der Gewaltanwendung gering gewesen sei. Ungeachtet dessen, dass die Umstände der Strafzumessung im strafgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachvollzogen werden können, ergibt sich aus den Urteilsgründen des Urteils des LG Amberg zudem, dass dieses im Rahmen der Strafzumessung bereits berücksichtigt hat, dass das Maß der Gewaltanwendung nicht allzu groß war. Es hat dem jedoch strafschärfend gegenübergestellt, dass die durch die Tat Geschädigte eine für den Kläger völlig fremde Person war, die ihm zudem eine Gefälligkeit erwiesen hatte, was durch den Kläger ausgenutzt worden sei. Strafschärfend hat das Landgericht zudem berücksichtigt, dass die Geschädigte der Tat – für den Kläger vorhersehbar – zur Zeit des Urteils noch an den Folgen der Tat gelitten habe,. Albträume habe, nachts schreiend aufwache und Angst habe, im Dunkeln rauszugehen. Angesichts dessen kann das entscheidende Gericht keine tatbezogenen Merkmale erkennen, die Zweifel an der Prognose der Widerholungsgefahr wecken könnten.
Auch die auf die Persönlichkeit und das Nachtatverhalten des Klägers bezogenen Kriterien bestätigen dieses Ergebnis.
Insoweit ist zunächst auf den in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 23.7.2019 – StVK 142/18 zu verweisen, mit welchem entschieden wurde, dass die Führungsaufsicht nicht entfällt. Dort ist ausgeführt, dass der Kläger zwar an therapievorbereitenden Maßnahmen habe teilnehmen und in weiterführende therapeutische Maßnahmen habe vermittelt werden können und er an einer Deliktaufarbeitungsgruppe für Sexualstraftäter mit besonderem Förderungsbedarf teilgenommen habe. Es sei aber unklar, ob der Kläger die behandelten Themen tatsächlich sprachlich verstanden und von der Therapie habe profitieren können. Aufgrund seiner sprachlichen Fähigkeiten sei die Mitarbeit dürftig gewesen und er habe der Therapie aufgrund seiner mangelhaften Deutschkenntnisse kaum folgen können. Zudem habe der Kläger sowohl im deliktsunspezifischen als auch im deliktsspezifischen Teil des Behandlungsprogramms für Sexualstraftäter Bagatellisierungstendenzen gezeigt. Eine Delikthypothese sowie ein individueller Rückfallplan hätten nicht erarbeitet werden können. Ein Erkennen zukünftiger Risikosituationen sowie der Einsatz entsprechender rückfallpräventiver Strategien bleibe daher fraglich. Es könne nicht von einer erfolgreich beendeten Therapie ausgegangen werden. Weiterhin sei die Führung des Klägers in der Haft nicht beanstandungsfrei gewesen. Er habe bislang dreimal disziplinarisch geahndet werden müssen. Aufgrund wiederholten vollzuglichen Fehlverhaltens und fehlender Therapiefortschritte sei er aus der Wohngruppe für Sexualstraftäter abgelöst worden. Zudem sei die Entlassungssituation des Klägers ungesichert. Nach der Haftentlassung könne er wieder in einer Asylbewerberunterkunft wohnen, was jedoch kein ausreichend protektives soziales Umfeld darstelle. Auch verfüge er nicht über soziale Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland. Des Weiteren wird ausgeführt, dass die Höchstdauer der Führungsaufsicht zumindest vorerst nicht abzukürzen gewesen sei, weil derzeit nicht abgesehen werden könne, dass die vom Verurteilten ausgehende Gefährlichkeit bereits zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr vorliegen werde. Die Straftat sei noch nicht aufgearbeitet, was die Begehung erneuter einschlägiger Straftaten befürchten lasse.
Auch in der Folgezeit nach der Haftentlassung des Klägers am 9.10.2019 sind keine neuen Erkenntnisse eingetreten, welche die Prognose einer konkreten Wiederholungsgefahr in Frage stellen könnten.
Insbesondere ist das vom Klägervertreter vorgelegte Schreiben des Bewährungshelfers des Klägers vom 5.8.2021, wonach sich der Kläger seit Bewährungsbeginn “sehr zuverlässig und weisungskonform” zeige, seine Lebenssituation geordnet sei und neue Straftaten nicht bekannt geworden seien, nicht geeignet, die Hinweise auf eine konkrete Wiederholungsgefahr zu entkräften. So hat der Kläger auf Frage des Gerichts eingeräumt, dass er den Bewährungshelfer seit ungefähr zwei Jahren kenne und ihn lediglich einmal im Monat für einen Zeitraum von einer halben bis einer Stunde sehe. Auch wenn man, wie vom Klägervertreter dargelegt, davon ausgeht, dass es sich um einen erfahrenen Bewährungshelfer handle, der seinen Beruf seit 20 Jahren ausübe, bleibt doch festzuhalten, dass es letztlich um einzelne punktuelle Treffen handelt, die nicht geeignet sind, die zahlreichen anderslautenden Indizien zu entkräften. Hinzu kommt, dass das Schreiben selbst darauf hinweist, dass der Kläger noch immer als Risikotäter geführt wird und lediglich unkonkret in Erwägung zieht, dass über eine Aufhebung des Risikostatus “nachgedacht” werden könne.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf das Vorbringen, der Kläger arbeite. Zum einen erachtet das Gericht dies als den Regelfall, zum anderen erlaubt es keinen unmittelbaren Rückschluss auf das Risiko, Sexualstraftaten zu begehen.
Ungeeignet ist auch der Verweis des Klägers, er beabsichtige, seine Frau nach Deutschland zu holen. Insoweit erachtet das Gericht die Argumentation des Klägervertreters, eine in Deutschland lebende Ehefrau biete Gewähr dafür, dass der Kläger keine Straftaten im sexuellen Bereich mehr begehe, als überaus fragwürdig.
II. Der Kläger kann auch nicht die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG beanspruchen. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Abs. 1 der Vorschrift ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat. Das ist, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, aufgrund der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Amberg vom 22.6.2016 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren der Fall.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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