Verwaltungsrecht

Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  Au 4 K 20.30222

Datum:
20.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19393
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 73 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 8 S. 3
StGB § 22, § 23, § 56, § 224

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Widerruf der dem Kläger zuerkannten Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1 des Bescheids vom 24.1.2020) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes; die entsprechende Ablehnung im Nr. 2 des Bescheids vom 24. Januar 2020 ist daher ebenfalls rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Das Gericht folgt zunächst in vollem Umfang der umfassenden und überzeugenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und nimmt hierauf Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ferner ist folgendes auszuführen:
1. Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist rechtmäßig, weil beim Kläger die Voraussetzungen für ihre Zuerkennung nicht mehr vorliegen. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft wegen § 3 Abs. 4 AsylG nicht mehr zuerkannt werden, weil das Bundesamt nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG zu Recht abgesehen hat.
Der Kläger ist durch das Landgericht Augsburg wegen einer nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG beachtlichen Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit (versuchte gefährliche Körperverletzung; §§ 224, 22, 23 StGB) verurteilt worden. Die Tat wurde sowohl unter Anwendung von Gewalt als auch unter Anwendung einer Drohung mit Gefahr für Leib und Leben begangen. Nach den Feststellungen der Strafgerichte hat der Kläger mit einem Küchenmesser in Richtung des Bauchbereichs seines Mitbewohners gestochen und dabei ausgerufen, dass er diesen „in zwei Hälften“ schneiden werde (vgl. Bundesamtsakte, Bl. 10). Das nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG erforderliche Strafmaß einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ist ebenfalls erreicht.
Der Kläger stellt zur Überzeugung des Gerichts auch i.S.d. § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Auf die überzeugenden, auf den vorliegenden Einzelfall abstellenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid (hier S. 3, unter Nr. 1, zweiter Absatz, bis S. 4, vorletzter Absatz) wird erneut gem. § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.
Ferner ist auszuführen: Der Kläger hat im Rahmen der abgeurteilten Straftat ein ganz erhebliches Maß an krimineller Energie und an Gewaltbereitschaft erkennen lassen. Nach den Feststellungen der Strafgerichte hat der Kläger einen „starken Hieb“ mit einem Küchenmesser begangen, dessen Klingenlänge mit 9,5 cm geeignet war, tiefgehende und schwerwiegende Verletzungen bei seinem Opfer herbei zu führen. Zumindest solche Verletzungen hatte der Kläger offenbar auch beabsichtigt, wie sein von den Strafgerichten festgestellter Ausruf „Ich werde dich in zwei Hälften schneiden“ zeigt. Dass es nicht zu solchen Verletzungen kam, ist nach den Feststellungen der Strafgerichte allein darauf zurückzuführen, dass der angegriffene Mitbewohner die Hand des Klägers noch rechtzeitig wegschlagen konnte.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger die Tat nicht unmittelbar im Zuge des Streits mit seinem Mitbewohner begangen hatte, sondern nach einem weiteren Entschluss und mit einer weiteren Handlung, denn der Kläger hatte sich die Tatwaffe erst nach Beginn des Streits noch aus der Küche besorgt. Weiter folgt aus dem Vorgehen des Klägers, dass er bewusst ein Tatwerkzeug gewählt hat, welches erhebliche Verletzungen auslösen hätte können. Die Behauptung des Klägers in der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren, er habe das Küchenmesser bereits in der Hand gehabt; lediglich im Zuge einer den Mitbewohner davonweisenden Handbewegung habe er das Messer auf diesen zugeführt, hält das Gericht für eine bloße Schutzbehauptung. Sie steht im klaren Widerspruch zu den Feststellungen im rechtskräftig gewordenen Urteil des Landgerichts Augsburg (vgl. Bundesamtsakte, Bl. 10). Der Kläger hat diesen erstinstanzlich vom Amtsgericht Augsburg festgestellten Sachverhalt in Folge seiner Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch (§ 318 StPO) und seines Geständnisses vor dem Landgericht Augsburg eingeräumt (vgl. Bundesamtsakte, Bl. 12). Im Übrigen ist das Vorbringen des Klägers auch deshalb unstimmig und nicht glaubhaft, weil er vor dem Amtsgericht Augsburg das Geschehen noch so dargestellt hatte, dass er das Messer zur Verteidigung erhoben habe (vgl. Bundesamtsakte, Bl. 5). Von einer gleichsam bloß zufälligen Messerbewegung beim Hinausweisen des Mitbewohners, wie in der mündlichen Verhandlung des vorliegenden Verfahrens angeführt, hat der Kläger also vor Einräumung der Tat im Strafverfahren nicht gesprochen.
Zudem ist für die Gefahrprognose maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Gewalttat Folge eines eher alltäglichen Geschehens gewesen ist, nämlich eines Streits um Fragen der Sauberkeit. Eine hinsichtlich ihrer Alltäglichkeit vergleichbare Situation kann sich ohne weiteres wiederholen, so dass auch davon ausgegangen werden muss, dass der Kläger erneut eine derartige Gewaltbereitschaft und -ausübung zeigen würde. In Rechnung zu stellen ist auch das völlige Missverhältnis zwischen dem als geringfügig einzustufenden Tatanlass einerseits und dem vom Kläger gezeigten ganz erheblichen Aggressionspotenzial sowie seiner sehr niedrigen Aggressionsschwelle andererseits.
Die vom Kläger begangene Tat stellt sich nicht wegen seiner nunmehrigen Behauptung, sein Mitbewohner habe ihn zur Schwarzarbeit gedrängt, in milderem Licht dar. Vielmehr hält das Gericht dies ebenfalls für eine bloße Schutzbehauptung. Der Kläger hat sich vor dem Amtsgericht Augsburg zur Sache eingelassen; in seinem in dessen Urteil wiedergegeben Äußerungen findet sich eine derartige Aussage nicht (Bundesamtsakte, Bl. 5); ebenso wenig in seiner schriftlichen Stellungnahme an das Bundesamt vom 14. September 2019. Das Gericht ist vielmehr überzeugt davon, dass es sich um einen weiteren Versuch des Klägers handelt, die Tat nachträglich als verständlicher erscheinen zu lassen.
Dass der Kläger nicht vorbestraft war und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist, spricht vorliegend nicht entscheidend gegen die Annahme, der Kläger stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Ob der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht, die Anwendung des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG scheide unter diesen Umständen regelmäßig aus (vgl. VG Freiburg, B.v. 8.8.2019 – A 14 K 2915/19 – juris Rn. 15; Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 60 AufenthG, Rn. 31; Koch, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 15.8.2016, § 60 AufenthG Rn. 57) in dieser Allgemeinheit zu folgen ist, kann offenbleiben. Denn jedenfalls wäre eine solche Regelannahme aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles widerlegt.
Das Landgericht Augsburg hat die Strafaussetzung zur Bewährung maßgeblich damit begründet, dass der Kläger geständig und schuldeinsichtig sei; dies zeige, dass eine günstige Entwicklungsfähigkeit bei ihm gegeben sei. Diese Erwägungen lassen sich indes unter Würdigung der Erkenntnisse aus dem Widerrufsverfahren vor dem Bundesamt und im vorliegenden gerichtlichen Verfahren nicht aufrechterhalten.
Der Kläger hat in seiner schriftlichen Äußerung im Widerrufsverfahren vom 13. April 2019 (dort unter Nr. 3, Bundesamtsakte, Bl. 41 f.) die Straftat erneut bestritten, indem er geäußert hat, die gefährliche Körperverletzung sei nicht bewiesen, es gebe nur die Anzeige seines Mitbewohners bei der Polizei, er habe nichts getan. Von einem Geständnis kann daher nicht mehr ausgegangen werden; vielmehr hat der Kläger damit seinen Mitbewohner zumindest einer falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) bezichtigt. Jedenfalls hat der Kläger in seiner schriftlichen Stellungnahme der Sache nach eingeräumt, allein aus taktischen Gründen ein Geständnis abgelegt zu haben, um eine niedrigere Strafe zu erhalten. Eine Schuldeinsicht des Klägers, wie sie noch der Entscheidung des Landgerichts zugrunde lag, muss daher verneint werden.
Zwar hat der Kläger die Tat in der mündlichen Verhandlung des vorliegenden Verfahrens wieder eingeräumt. Angesichts der vorangehenden schriftlichen Äußerungen des Klägers muss jedoch davon ausgegangen werden, dass dies erneut eine taktische Äußerung darstellt, um einen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft zu vermeiden. Insgesamt betrachtet tätigt der Kläger Äußerungen, die ihm in den gegen ihn eingeleiteten Verfahren (Strafverfahren; Widerrufsverfahren) jeweils zum Vorteil gereichen würden. Diese Vorgehensweise ist durchschaubar, überzeugt nicht und spricht dafür, dass sich der Kläger auch in Zukunft allein von Verhaltensweisen leiten lässt, die ihm günstig erscheinen; dies spricht eher für als gegen eine Wiederholungsgefahr. Im Übrigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung des vorliegenden Verfahrens im Vergleich zu den Strafverfahren eine weitere Version geschildert, wie es zu dem Messerstich gekommen sein soll (vgl. oben). Auch dies spricht für ein rein taktisches Vorgehen des Klägers und gegen ein von Schuldeinsicht getragenes Geständnis. Insofern kann auch nicht von einem ernsthaften Bestreben des Klägers ausgegangen werden, einen Täter-Opfer-Ausgleich gem. § 46a Nr. 1 StGB abzuschließen; vielmehr ist das Gericht auch insoweit der Überzeugung, dass es sich dabei um ein taktisches, nicht von einer inneren Einstellung getragenes Vorgehen des Klägers handelt.
Soweit die dem Kläger zugestandene Bewährungszeit vom Landgericht damit begründet wurde, er verfüge seit 1 ¼ Jahren über ein festes Beschäftigungsverhältnis, trifft dies im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) zumindest absehbar nicht mehr zu. Nach den Erkenntnissen der mündlichen Verhandlung ist dem Kläger zum 18. Juni 2020 gekündigt worden. Zwar verfügt der Kläger seit dem 24. April 2020 erneut über ein Arbeitsverhältnis; dieses ist indes bis Ende 2020 befristet worden. Insofern ist auch die Grundlage für die Annahme im Strafverfahren, der Kläger unterstütze seine Eltern regelmäßig finanziell, so nicht mehr gegeben. Im Übrigen bestand bereits im Zeitpunkt der Straftat (4.9.2017), nämlich seit dem 27. August 2017, das früheren Beschäftigungsverhältnis des Klägers. Dieses hat sich also schon bisher nicht positiv auf das Straftatverhalten und die Gewaltbereitschaft des Klägers ausgewirkt.
Soweit vom Landgericht im Rahmen seiner Entscheidung zu § 56 StGB zusätzlich auf die dem Kläger erteilte Auflage abgestellt wurde, gemeinnützige Arbeit im Umfang von 80 Stunden zu leisten, ist zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass sein erster Einsatz bei der Augsburger Tafel vorzeitig beendet wurde, weil sich der Kläger „nicht sehr arbeitswillig verhalten“ hat (vgl. Bl. 58 Bundesamtsakte). Zwar hat der Kläger bei der Augsburger Tauch- und Wassersportjugend die Reststunden gemeinnütziger Arbeit geleistet (vgl. Bundesamtsakte, Bl. 57). Insgesamt zeigt sich jedoch, dass der Kläger seinen Bewährungsauflagen nur verzögert nachgekommen ist. Insofern fügt sich dies in das Bild, dass das Handeln des Klägers von taktischen Erwägungen geprägt ist und nicht davon ausgegangen werden kann, dass er zu seinem begangenen Unrecht steht und aus innerer Überzeugung Genugtuung geleistet hat (vgl. § 56b StGB).
Alles in allem spricht die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung hier nicht gegen eine Wiederholungsgefahr, sondern werden aus dem Verhalten des Klägers und seinen derzeitigen persönlichen Umständen eher für eine Wiederholungsgefahr sprechende Anhaltspunkte deutlich.
Für den Kläger spricht auch nicht, dass er in Deutschland über einen Bruder und somit über gewisse soziale Bindungen verfügt. Abgesehen davon, dass der Kläger dies selbst nicht als für ihn sprechenden Umstand angeführt hat, hat der Bruder des Klägers im Strafverfahren den Kläger entlastende Äußerungen getätigt, die das Amtsgericht Augsburg als Gefälligkeitsaussage gewertet hat (vgl. Bundesamtsakte. Bl. 5). Dies mag verständlich sein; ein maßgeblich zu Gunsten des Klägers wirkender Umstand ergibt sich aus dem Kontakt zum Bruder deshalb jedoch nicht.
Angesichts des Vorstehenden fällt auch nicht ins Gewicht, dass der Kläger seit seiner Verurteilung bisher, soweit erkennbar, keine weiteren Rechtsverstöße, insbesondere Straftaten, begangen hat. Dass sich ein strafrechtlich Verurteilter während und unter dem Druck der Bewährungszeit rechtstreu verhält, ist für sich genommen kein Umstand, der gegen eine Wiederholungsgefahr spricht. Im vorliegenden Fall ist nichts anderes anzunehmen. Zudem läuft die Bewährungszeit noch bis Dezember 2021; sie ist also erst in etwa bis zur Hälfte abgelaufen. Im Übrigen ist auch insofern zu berücksichtigen, dass den Umständen, die für die Aussetzung der Strafe zur Bewährung maßgeblich waren, zumindest in maßgeblichem Umfang nunmehr die Grundlage entzogen ist.
Rechtsfehler sind auch bei der vom Bundesamt ausgeübten Ermessensentscheidung (S. 4 f. des Bescheids) bezüglich der Anwendung des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG nicht erkennbar.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG. Einem Anspruch steht der Ausschlussgrund nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG entgegen. Der Kläger hat eine schwere Straftat begangen.
Insoweit wird zunächst erneut gem. § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (hier S. 5 f.).
Ferner gilt folgendes: § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG geht zurück auf Art. 17 Abs. 1 b) der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), die selbst ebenfalls keine Konkretisierung des Begriffs der schweren Straftat enthält. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der Begriff der schweren Straftat als Ausschlussgrund restriktiv auszulegen. Bei der Würdigung der Schwere der fraglichen Straftat ist eine vollständige Prüfung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Maßgeblich sind unter anderem die Art der Straftat, die verursachten Schäden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens, die Art der Strafmaßnahme sowie, ob die fragliche Straftat in anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen wird (vgl. EuGH, U.v. 13.9.2018 – C-369/17 – juris Rn. 52, 56, 58).
Ferner kann auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der „Straftat von erheblicher Bedeutung“ in § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG (früher: § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b) AufenthG) zurückgegriffen werden, da dieser Begriff inhaltsgleich mit demjenigen der „schweren Straftat“ i.S.d. Art. 17 Abs. 1 b) RL 2011/95/EU ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 22). Eine solche Straftat erfordert ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (BVerwG, a.a.O., Rn. 27).
Hieran gemessen liegt vorliegend eine schwere Straftat vor. Der Kläger hat gezielt versucht, seinem Mitbewohner mittels eines Küchenmessers schwerwiegende Verletzungen im Bauchbereich zuzufügen; dies hat er mit seinem drastischen Ausruf, er werde den Mitbewohner „in zwei Hälften schneiden“, verbal untermauert. Der Kläger hat die Tat auch nicht im Affekt begangen, sondern hat sich die Tatwaffe nach Beginn des Streites nach den Feststellungen der Strafgerichte gezielt besorgt. Für eine gefährliche Körperverletzung sieht § 224 StGB keine Geldstrafe mehr, sondern eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten vor; die Obergrenze des Strafrahmens ist vom Gesetzgeber mit zehn Jahren hoch angesetzt worden. Die körperliche Unversehrtheit ist durch Unionsgrundrechte (Art. 3 Abs. 1 EU-GR-Charta) und Grundrechte des GG (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) geschützt. Schon vor In-Kraft-Treten der EU-GR-Charta zählte sie zu den (seinerzeit ungeschriebenen) Unionsgrundrechten, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergaben (vgl. EuGH, U.v. 9.10.2001 – Rs. 377/98 – juris, LS 6). Dementsprechend besteht kein Zweifel, dass der Versuch, eine andere Person mit einem Messer ganz erheblich zu verletzen, auch in den meisten anderen Rechtsordnungen als schwerwiegende Straftat qualifiziert ist. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die – hier erfolgte – rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr nach der Wertung des § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG auch ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse indiziert (vgl. etwa VG München, B.v. 2.9.2019 – M 22 S 19.32826 – juris Rn. 23; U.v. 1.12.2016 – M 4 K 16.31646 – juris Rn. 30). Dass die Tat nicht vollendet wurde, hindert die Annahme einer schweren Straftat nicht, weil das Steckenbleiben im Versuchsstadium allein auf der Abwehrreaktion des angegriffenen Mitbewohners beruhte. Auch ist die vorliegende Straftat zumindest der mittleren Kriminalität zuzuordnen, stört den Rechtsfrieden empfindlich und ist geeignet, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. etwa VG Augsburg, U.v. 26.3.2020 – Au 4 K 19.31338 – juris Rn. 23 m.w.N.); dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass der Kläger wegen eines alltäglichen bis banalen Anlasses (Streit mit dem Mitbewohner über Sauberkeit) ein völlig unverhältnismäßiges Maß an Gewalt und Aggression gezeigt hat und willens war, seinem Mitbewohner schwere gesundheitliche Schäden zuzufügen.
3. Die Klage war nach allem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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