Verwaltungsrecht

Widerruf der Reisegewerbekarte wegen Unzuverlässigkeit

Aktenzeichen  22 ZB 21.2109

Datum:
28.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30924
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO § 35 Abs. 1, § 57 Abs. 1
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Für die gerichtliche Beurteilung des Widerrufs einer gewerberechtlichen Zulassung ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 10 K 20.705 2021-03-19 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Bescheid des Landratsamts Bamberg vom 7. Juli 2020 widerrief der Beklagte die dem Kläger am 12. September 2006 mit der Nummer 16/06 erteilte Reisegewerbekarte zum „Feilbieten – Ankauf von: Kurzwaren, Werkzeugen, Haushaltswaren, Schrott und Buntmetall; Anbieten – Aufsuchen von Bestellungen auf – Leistungen: Dachfassaden und Hofreinigung, Dachbeschichtungen, Recycling von Schrott und Buntmetall“ (1.). Dem Kläger wurde aufgegeben, die selbstständige Ausübung dieses Reisegewerbes binnen zwei Wochen nach Zustellung des Bescheids einzustellen und die Reisegewerbekarte innerhalb dieser Frist zurückzugeben (2.; 3.). Ferner wurde dem Kläger jegliche weitere selbstständige Erwerbstätigkeit im Bereich des stehenden Gewerbes untersagt, ebenso die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als eine mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person (4.). Zur Durchsetzung der Verpflichtungen nach Nrn. 2 bis 4 wurden Zwangsgelder angedroht (5.; 6.). Nrn. 1 bis 4 des Bescheids wurden für sofort vollziehbar erklärt (7.). Die Kosten des Verfahrens wurden dem Kläger auferlegt (8.; 9.) Der Widerruf der Reisegewerbekarte wurde auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 5 BayVwVfG gestützt. Tatsachen rechtfertigten die Annahme, dass der Kläger entgegen § 57 Abs. 1 GewO die erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitze. Der Kläger habe in erheblicher Weise gegen steuerliche Zahlungs- und Erklärungspflichten verstoßen. Außerdem lägen sieben Eintragungen des Klägers im Vollstreckungsportal sowie strafrechtlich relevante Verhaltensweisen vor. Die Voraussetzungen für eine erweiterte Gewerbeuntersagung gem. § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO seien ebenfalls gegeben.
Mit Urteil vom 19. März 2021 – dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 8. Juli 2021 – hob das Verwaltungsgericht Nrn. 4, 5, 6 und 9 des Bescheids vom 7. Juli 2020 auf und wies die Klage im Übrigen ab. Die Entscheidungen in Nrn. 1 bis 3 des Bescheids seien rechtmäßig. Sie könnten auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG i.V.m. § 57 Abs. 1 GewO, auf § 60d GewO bzw. auf Art. 52 Satz 1 und 2 BayVwVfG gestützt werden. Hingegen fehle es an einer Rechtsgrundlage für die erweiterte Gewerbeuntersagung. Dies folge aus § 35 Abs. 8 GewO, da das vom Kläger ausgeübte Gewerbe erlaubnispflichtig sei. Rechtswidrig seien auch die Zwangsgeldandrohungen. Da der Beklagte den angeordneten Sofortvollzug mit Bescheid vom 19. August 2020 aufgehoben habe, seien die Fristen nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BayVwZVG nunmehr zu kurz bemessen. Zudem sei die Zwangsgeldandrohung betreffend die erweiterte Gewerbeuntersagung als Folge von deren Rechtswidrigkeit ebenfalls rechtswidrig. Gleiches gelte für die Höhe der festgesetzten Kosten.
Der Kläger beantragte mit Schriftsatz vom 5. August 2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht am gleichen Tag, die Zulassung der Berufung. Er begründete diesen Antrag mit Schriftsatz vom 2. September 2021, der am gleichen Tag beim Verwaltungsgerichtshof einging, und machte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Kläger wendet sich zwar nicht ausdrücklich, aber erkennbar nur insoweit gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil, als die Klage – betreffend den Widerruf der dem Kläger erteilten Reisegewebekarte sowie diesbezügliche Folgeentscheidungen – abgewiesen wurde; nur insoweit ist der Kläger durch das Urteil beschwert.
1. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen in der Antragsbegründung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergibt sich keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist eine bestimmte ober- oder höchstrichterlich noch ungeklärte und damit klärungsbedürftige Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren, ferner die Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Frage im Berufungsverfahren und damit ihre Klärungsfähigkeit aufzuzeigen sowie anzugeben, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht (Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2021, § 124a Rn. 76 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Der Kläger wirft die Frage auf, auf welchen Zeitpunkt im Rahmen der materiell-rechtlichen Prüfung einer Anfechtungsklage abgestellt werden müsse. Das Verwaltungsgericht habe pauschal auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abgestellt.
1.1 Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die von ihm aufgeworfene Frage – auch wenn man sie nicht allgemein auf Anfechtungsklagen, sondern allein auf die vorliegende Konstellation des Widerrufs der Reisegewerbekarte bezieht – klärungsbedürftig ist. Zwar kann insoweit nicht ohne weiteres auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer auf § 35 Abs. 1 GewO beruhenden Gewerbeuntersagung zurückgegriffen werden. Denn in Streit steht keine Untersagung eines (erlaubnisfreien) Gewerbes, sondern ein auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG beruhender Widerruf einer gewerberechtlichen Zulassung. Gleichwohl ist ein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf nicht dargetan.
Für die Anfechtungsklage gilt im Allgemeinen, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, es sei denn, das materielle Recht regelt etwas Abweichendes (BVerwG, U.v. 7.11.2012 – 8 C 28.11 – juris Rn. 13; U.v. 11.7.2011 – 8 C 11.10 – juris Rn. 17; U.v. 17.8.2005 – 6 C 15.04 – juris Rn. 20; U.v. 28.7.1989 – 7 C 39.87 – juris Rn. 8). Dies ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs für die gerichtliche Beurteilung des Widerrufs einer gewerberechtlichen Zulassung der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend (vgl. BVerwG, B.v. 25.10.1996 – 11 B 53.96 – juris Rn. 4 m.w.N.; vgl. zu diesem Zeitpunkt auch BVerwG, B.v. 3.12.1990 – 1 CB 35.90 – juris Rn. 4; B.v. 9.7.1993 – 1 B 105.93 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 22 ZB 20.363 – juris Rn. 37 [gaststättenrechtliche Erlaubnis]; B.v. 21.3.2018 – 22 ZB 17.2358 – juris Rn.12 f. [Erlaubnis nach § 33c Abs. 1 GewO]; B.v. 1.8.2017 – 22 ZB 16.2192 – juris Rn. 8 [Erlaubnis nach § 34c Abs. 1 GewO]). Bei einem solchen Widerruf ist deshalb auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – hier also den des Bescheiderlasses – abzustellen, weil es sich um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt in dem Sinne handelt, dass dem Betroffenen eine durch einen vorangegangenen Hoheitsakt gewährte Rechtsstellung wieder entzogen wird. Diese Entscheidung wirkt zwar mittelbar insoweit auch in die Zukunft, als der Betrieb eines Reisegewerbes gem. § 55 Abs. 2 GewO der Erlaubnis bedarf und die zuständige Behörde gem. § 60d GewO die Ausübung eines Reisegewerbes ohne Reisegewerbekarte verhindern kann. Der Regelungsgehalt der Entscheidung ist aber primär auf die mit dem vorangegangenen Hoheitsakt herbeigeführte Gestaltung der Rechtslage bezogen (vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – juris Rn. 12 f m.w.N.; zum maßgeblichen Zeitpunkt bei rechtsgestaltenden Verwaltungsakten ferner U.v. 17.8.2005 – 6 C 15.04 – BVerwGE 124, 110 – juris Rn. 20; B.v. 30.10.1996 – 1 B 197.96 – juris Rn. 5).
Mit dieser Rechtsprechung befasst sich das Zulassungsvorbringen nicht. Der Kläger beruft sich lediglich auf eine Literaturmeinung (Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2021, § 113 Rn. 239 f.), nach der es wegen Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 19 Abs. 4 GG schlüssiger sei, auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Hierdurch könne höherrangigem Recht eine größere Bedeutung zugemessen werden; letztlich sei eine dynamische Betrachtung vorzunehmen. Dies reicht nicht aus um darzutun, dass die genannte Rechtsprechung der Fortentwicklung oder der Korrektur bedürfte. Insbesondere Verfassungsrecht zwingt hierzu nicht, denn etwaigen Änderungen der Verhältnisse nach dem Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung kann in verfassungskonformer Weise bei der Entscheidung über einen Antrag des Gewerbetreibenden auf Wiedererteilung der Zulassung Rechnung getragen werden (vgl. BayVGH. B.v. 8.8.2008 – 22 ZB 07.3147 – juris Rn. 6 m.w.N.). Auch ist nicht ersichtlich, dass deshalb auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt werden müsste, weil es, wie klägerseits vorgetragen, einen bloßen Formalismus darstellen würde, den Betreffenden auf einen Wiedererteilungsantrag zu verweisen. Denn die Frage, ob wegen nach der Behördenentscheidung eingetretener Entwicklungen nicht mehr von einer Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden auszugehen ist, stellt sich bei der Prüfung eines solchen Antrags nicht anders als in einem gerichtlichen Verfahren, in welchem nachträgliche Änderungen der Verhältnisse berücksichtigungsfähig wären. Dass die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens leichter zu dem angestrebten Ziel führen könnte, das Gewerbe wieder ausüben zu können, ist nicht ersichtlich.
1.2 Im Übrigen hat der Kläger die Entscheidungserheblichkeit und damit die Klärungsfähigkeit der von ihm aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargelegt, und zwar auch dann nicht, wenn man sie abweichend von ihrer allgemeinen Formulierung nur auf die vorliegende Fallkonstellation des Widerrufs der Reisegewerbekarte bezieht. Seinem Vorbringen lässt sich im Ergebnis lediglich entnehmen, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an seiner Zuverlässigkeit hinsichtlich seines finanziellen Gebarens gearbeitet worden sei. Dies reicht nicht aus um darzutun, dass unter Berücksichtigung von nach Bescheiderlass eingetretenen tatsächlichen Umständen die Annahme gerechtfertigt wäre, der Kläger hätte i.S.d. § 57 Abs. 1 GewO im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (wieder) die erforderliche Zuverlässigkeit besessen. Auch dem verwaltungsgerichtlichen Urteil lassen sich entsprechende Feststellungen nicht entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat offengelassen, ob dem Vortrag des Klägers, er habe seine Schulden nach Bescheiderlass teilweise getilgt, gefolgt werden kann (vgl. UA S. 15: „womöglich“), weil es – im Ergebnis zutreffend – auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses abgestellt hat.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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