Verwaltungsrecht

Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis (kleiner Waffenschein), Annahme der fehlenden persönlichen Eignung, unklarer Sachverhalt, Amtsermittlungsgrundsatz, Gutachtensanordnung

Aktenzeichen  AN 16 K 21.00671

Datum:
3.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22572
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 45 Abs. 2 S. 1
WaffV § 4 Abs. 1, Abs. 6
BayVwVfG Art. 24 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2021 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der unter Ziffer 1 des Bescheids verfügte Widerruf der dem Kläger erteilten waffenrechtlichen Erlaubnis entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben. Da er einen den Kläger belastenden Verwaltungsakt darstellt, wird dieser hierdurch in seinen Rechten verletzt.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist dann der Fall, wenn eine oder mehrere Erlaubnisvoraussetzungen nach § 4 Abs. 1 WaffG nicht mehr erfüllt sind. Vorliegend hat die Beklagte zu Unrecht den Wegfall der nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis erforderlichen persönlichen Eignung des Klägers damit begründet, dass bei ihm die konkrete Gefahr der Selbstgefährdung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 WaffG besteht.
Soweit die Beklagte diese Annahme auf die polizeiliche Meldung über den Vorfall vom 26. Januar 2020 stützt, verkennt sie, dass diese allein nicht ausreicht, um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 WaffG zu bejahen. Denn aus der Mitteilung der Polizei geht lediglich hervor, dass die Mutter des Klägers behauptet hat, dieser habe Suizidgedanken geäußert. Von den Polizeibeamten darauf angesprochen, hat sich der Kläger hiervon sofort ausdrücklich distanziert und plausibel erläutert, dies lediglich im Affekt und aus Ärger über seine Mutter gesagt zu haben. Er machte dabei ausweislich der Polizeimeldung einen vernünftigen und gefassten Eindruck, eine akute Fremd- bzw. Eigengefährdung war für die Streife nicht erkennbar. Soweit in der Mitteilung weiter festgehalten ist, dass der Kläger psychisch angeschlagen sei und die Schuld daran erkennbar auf andere schiebe, wird schon nicht deutlich, ob es sich hierbei um eine eigene Feststellung der Polizeibeamten handelt oder ob lediglich die Angaben der Mutter des Klägers wiedergegeben werden, wofür der Umstand sprechen könnte, dass der Kläger als „vernünftig“ und „gefasst“ beschrieben wird. Unabhängig davon ist diese Aussage allein noch keine Grundlage für die Feststellung einer Selbstgefährdung.
Auch der Aktenvermerk vom 22. März 2021 über die telefonische Auskunft der Mitarbeiterin des sozialpsychiatrischen Dienstes des Gesundheitsamtes ist nicht geeignet, die Annahme, beim Kläger bestehe die konkrete Gefahr einer Selbstgefährdung, zu begründen. Zwar geht aus dem Vermerk hervor, dass die Gesundheitsamtsmitarbeiterin mitgeteilt habe, der Kläger leide an einer chronischen psychischen Krankheit, es gebe bereits eine „sehr lange Akte“ „beim“ (gemeint war wohl: über den) Kläger. Träfe diese Aussage zu, wäre die waffenrechtliche Eignung des Klägers bereits nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 3 WaffG nicht gegeben. Aus dem Aktenvermerk geht jedoch nicht hervor, worauf die Angaben der Mitarbeiterin des Gesundheitsamts beruhen. Insbesondere wird hieraus nicht ersichtlich, ob dem Gesundheitsamt Untersuchungsberichte über den Kläger vorliegen oder ob dieser vom Gesundheitsamt untersucht worden ist. Das hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestritten. Nach seiner Einlassung war er lediglich einmal, nämlich im Dezember 2019, beim Gesundheitsamt vorstellig, nachdem er vorgeladen worden war, weil „sich Angehörige um ihn Sorgen machen“. Bei dieser Vorsprache will er ein einstündiges Gespräch mit einem Arzt und einer weiteren Frau geführt und seitdem nichts mehr von dem Amt gehört haben. Die Richtigkeit dieser Aussage unterstellt, besteht die Möglichkeit, dass die im Aktenvermerk festgehaltenen Feststellungen der Gesundheitsamtsmitarbeiterin lediglich auf den Angaben der Mutter des Klägers beruhen, wofür spricht, dass diese nach der polizeilichen Auskunft zum Vorfall am 26. Januar 2020 gegenüber den Beamten erklärt hatte, dass sie wegen des Klägers in Kontakt mit dem Gesundheitsamt stehe. Es liegt auf der Hand, dass eine derartige „Diagnose vom Hörensagen“ keine hinreichende Grundlage wäre, um die Annahme einer fehlenden waffenrechtlichen Eignung zu begründen. Da der Aktenvermerk hierzu keine Feststellungen trifft, ist auch die darin festgehaltene Aussage, der Kläger sei „eine instabile und unverlässliche Persönlichkeit mit einer potentiellen Selbstgefährdung“, nicht ausreichend, um den Widerruf der Waffenbesitzkarte zu begründen. Zwar gehen verbleibende Zweifel an der gesundheitlichen Eignung eines Betroffenen zum Umgang mit Waffen zu dessen Lasten, dies gilt jedoch erst dann, wenn die Behörde ihre grundsätzlich bestehende Verpflichtung zur Aufklärung eines Sachverhalts (Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) ausreichend wahrgenommen hat (BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris Rn. 23). Das ist hier aus vorgenannten Gründen nicht der Fall.
Der Widerruf erweist sich auch nicht deshalb als rechtmäßig, weil der Kläger kein amts- oder fachärztliches oder fachpsychologisches Gutachten über seine geistige und körperliche Eignung vorgelegt hat. § 6 Abs. 2 WaffG, § 4 Abs. 1 WaffV sieht zwar vor, dass die Behörde der betroffenen Person aufzugeben hat, auf eigene Kosten ein amts- oder fachärztliches oder fachpsychologisches Zeugnis über ihre geistige oder körperliche Eignung vorzulegen, wenn Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die persönliche Eignung nach § 6 Abs. 1 WaffG begründen. Gemäß § 4 Abs. 6 WaffV darf die Behörde im Falle einer Weigerung oder nicht fristgerechten Vorlage des geforderten Gutachtens bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung der betroffenen Person schließen, soweit hierauf in der Anordnung hingewiesen worden war. An die Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit einer derartigen Gutachtensanordnung sind jedoch im Hinblick darauf, dass diese nicht selbständig anfechtbar ist, strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Brunner in Adolph/Brunner/Bannach, Waffenrecht, Stand Oktober 2020, § 6 WaffG Rn. 19 m.w.N.). Ein Rückschluss auf die mangelnde Eignung zum Umgang mit Waffen aufgrund der Nichtbeibringung eines Gutachtens ist nur gerechtfertigt, wenn die Aufforderung, ein solches beizubringen, selbst rechtmäßig war (BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris Rn. 22 m.w.N.). Vorliegend erscheint es bereits zweifelhaft, ob die Ereignismeldung der Polizei über den Vorfall am 26 Januar 2020 alleine überhaupt ausreicht, eine derartige Aufforderung zur amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Untersuchung zu begründen. Bloße unsubstantiierte Andeutungen Dritter über die geistige und körperliche Verfassung des Betroffenen sind keine Tatsachen im Sinne des § 6 Abs. 2 WaffG (vgl. Brunner a.a.O. Rn. 16). Wie oben ausgeführt ergibt sich aus der polizeilichen Meldung kein klares Bild, ob die Polizeibeamten selbst Feststellungen über die psychische Verfassung des Klägers getroffen haben oder ob die Auskunft lediglich die Aussagen der Mutter des Klägers widergibt. Da der Kläger diese bestreitet, hätte die Behörde zunächst im Rahmen der Amtsermittlung (Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) den Sachverhalt selbst aufklären und dies auch in dem Vorgang festhalten müssen, bevor sie dem Kläger aufgeben kann, selbst ein amts- oder fachärztliches bzw. fachpsychologisches Gutachten vorzulegen. Dies hätte auch durch die Einholung einer Auskunft des Gesundheitsamtes erfolgen können, soweit dieses über eigene Erkenntnisse verfügt, was dann aber auch entsprechend zu dokumentieren wäre. Hinzu kommt, dass die Gutachtensanforderung bereits mit dem Anhörungsschreiben vom 11. Dezember 2020 erfolgte, während die Nachfrage beim Gesundheitsamt erst am 22. März 2021 stattfand. Darüber hinaus ist, wie der Kläger zu Recht rügt, die Gutachtensanforderung auch deshalb rechtswidrig, weil die ihm für die Vorlage gesetzte Frist zu kurz und daher unverhältnismäßig ist. Es liegt auf der Hand, dass es dem Kläger nicht möglich war, innerhalb weniger Werktage einen Termin für eine amts- oder fachärztliche oder fachpsychologische Untersuchung zu bekommen, zumal in der Weihnachtszeit und darüber hinaus in einer Phase mit den höchsten Inzidenzwerten der Corona-Pandemie. Der Umstand, dass der Kläger auch in der Folgezeit kein entsprechendes Gutachten vorgelegt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis.
2. Die Rechtswidrigkeit des Widerrufs der Waffenbesitzkarte hat zur Folge, dass auch die in Ziffern 2 bis 6 getroffenen Anordnungen keinen Bestand haben können, da es sich bei diesen Verfügungen um Folgeentscheidungen zu dem in Ziffer 1 ausgesprochenen Widerruf handelt. Der Bescheid war daher vollumfänglich aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
4. Das Gericht hat die Berufung gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die Gründe dafür nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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