Verwaltungsrecht

Widerruf des kleinen Waffenscheins wegen Zugehörigkeit zur sog. “Reichsbürgerbewegung”

Aktenzeichen  M 7 S 17.1380

Datum:
15.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
WaffG WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 45 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1 Sympathiebekundungen in Bezug auf die „Reichsbürgerbewegung“ rechtfertigen alleine noch nicht die Prognose einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten, die hinsichtlich der Rechtstreue Zweifel aufkommen lassen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Erforderlich ist auch bei Personen, die aus dem Kreis der sog. Reichsbürger oder Selbstverwalter zuzuordnen sind, stets eine Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere des konkreten Verhaltens der individuellen Person (Anschluss an VGH BW BeckRS 2017, 132013). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz in Bezug auf den Widerruf ihres Kleinen Waffenscheins.
Auf Antrag vom 12. August 2016 erteilte das Landratsamt München (im Folgenden: Landratsamt) der Antragstellerin am 17. August 2016 den Kleinen Waffenschein mit der laufenden Nr. 694/2016 zum Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen („PTB“).
Am 16. Februar 2015 hatte die Antragstellerin beim Landratsamt einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragt. In den vorgelegten Formularen hatte sie zum Erwerb ihrer deutschen Staatsangehörigkeit neben der Abstammung vom Vater unter „Sonstiges“ angegeben: „Abstammung gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913“.
Zur Frage einer weiteren Staatsangehörigkeit gab sie an, seit Geburt die Staatsangehörigkeit des „Königreichs Bayern“ durch „Abstammung gem. § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913“ erworben zu haben. Auch in der Anlage „Vorfahren“ zum Antrag bezog sie sich zweimal in gleicher Weise auf die „Abstammung gem. § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913“ ihres 1924 im „Königreich Bayern“ geborenen Vaters und gab an, dass dieser ebenfalls von Geburt an die weitere Staatsangehörigkeit des „Königreichs Bayern“ erworben habe. Zudem gab sie im Rahmen der Fragen nach Aufenthaltszeiten jeweils Wohnorte im Staat „Königreich Bayern“ an. Entsprechende Anträge füllte die Antragstellerin auch für ihre beiden Söhne aus.
Mit Schreiben vom 25. Januar 2017 wurde dem Landratsamt ein polizeilicher Ermittlungsbericht vom 20. Januar 2017 übersandt. Der Verfasser kam darin zu der Bewertung, dass die Antragstellerin aufgrund des Antrags auf Feststellung der Staatsangehörigkeit und der persönlichen Befragung vom selben Tag der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen sei. Sie habe keine schlüssige Erklärung für die Notwendigkeit ihres beantragten Staatsangehörigkeitsausweises nennen können. Der Nachweis „Ur-Deutsche“ zu sein und etwas in der Hand zu haben, falls die „Bodenrechte auslaufen“ würden, sei aus Sicht des Unterzeichners kein schlüssiges Argument. Dies rechtfertige aus Sicht des Unterzeichners nicht den Aufwand und die Kosten, die durch die persönliche Beantragung und die Beibringung der entsprechenden Nachweise und beglaubigten Kopien entstünden, zumal sie insgesamt drei Staatsangehörigkeitsausweise beantragt habe. Sie habe zwar sofort angegeben, „keine Reichsbürgerin“ zu sein, jedoch hätte sie bereits mit einer Befragung gerechnet und sei auf das Gespräch durchaus vorbereitet gewesen. Sie hätte sich ganz offensichtlich mit dem Thema Reichsbürger beschäftigt gehabt und dementsprechende Antworten gegeben. Die Antragstellerin habe von sich aus zugegeben, dass sie durch eine in der Nachbarschaft wohnende Freundin (Frau D.) vorgewarnt worden sei. Es sei naheliegend, dass die der Reichsbürgerbewegung zugerechnete Frau D. diejenigen Personen vor Ermittlungen der Polizei warne, von welchen sie wisse, dass sie der gleichen Gesinnung wie sie selbst seien. Die von der Antragstellerin genannten Internet-Videos seien durch den Unterzeichner zum Teil gesichtet worden. Hierbei sei festzustellen, dass die Person, von der die Videos stammten, eindeutig der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen sei. Zum Beispiel werde erklärt, dass die Bundesrepublik Deutschland von den Alliierten den Auftrag habe, das Deutsche Reich zu verwalten, dass diese Verwaltung einen Staat simuliere und dass sie für dieses Tun keine Legitimation besitze. Die Antragstellerin beziehe sich immer wieder auf Videos, welche eindeutig Gedankengut der Reichsbürgerbewegung verbreiteten und sie habe die eingesetzten Beamten mehrmals und nahezu penetrant aufgefordert, diese Videos genau und mindestens drei Mal anzuschauen, damit sie auch richtig verstanden würden. Es sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin diesem Gedankengut ebenfalls nahestehe. Ihre Aussage, einen Nachweis dafür zu wollen, dass sie „Ur-Deutsche“ sei, könne durchaus auf einen Bezug zum Deutschen Reich sowie die Nichtanerkennung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland hindeuten. Im Übrigen deuteten die Eintragungen im Antrag auf Feststellung der Staatsangehörigkeit darauf hin, dass sie die aktuelle Rechtsordnung nicht anerkenne, da sie sich auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 berufe. Auch die Eintragung „Königreich Bayern“ lasse auf eine Nichtanerkennung der territorialen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland schließen. Aufgrund dieser Einstellung bestehe durchaus die Besorgnis, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen könnte.
Im Rahmen der Anhörung zum beabsichtigten Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis trug die Antragstellerin mit E-Mail vom 21. Februar 2017 im Wesentlichen vor, der von dem verantwortlichen Kriminalbeamten geschilderte Vorwurf, der Zutritt zum Grundstück wäre verwehrt worden, entspreche nicht der Wahrheit. Sie seien überhaupt nicht gefragt worden, ob die Polizeibeamten eintreten könnten. Diese bewusst falsche Darstellung erschüttere nachhaltig ihren Glauben an die Polizei. Sie sei für die Gelegenheit dankbar, sich gegen die Anschuldigungen, sie wäre ein Reichsbürger, zu verteidigen. Ihres Erachtens hätten „subalterne Polizeibeamte“ nicht die Kompetenz, derartige schwere Beschuldigungen ohne die geringsten Anhaltspunkte auszusprechen. Daher wolle sie betonen, dass sie kein Reichsbürger, sondern eine unbescholtene Bürgerin sei, gegen die nichts vorliege. Das Landratsamt hätte sie auf evtl. Formfehler im Antragsformular zum „Gelben Schein“ hinweisen müssen. Dieser sei legal ausgestellt worden. Ohne die geringsten Anhaltspunkte habe das Landratsamt Bestandsdaten bezüglich des „Gelben Scheins“ und des Kleinen Waffenscheins ausgehändigt. Der Vorgang sei illegal, da Behördendaten an Polizeistellen nur ausgegeben werden dürften, wenn zumindest eine Ordnungswidrigkeit vorliege.
Mit Bescheid vom 2. März 2017, zugestellt am 3. März 2017, widerrief das Landratsamt die Erteilung der waffenrechtlichen Erlaubnis in Form des Kleinen Waffenscheins (Nr. 694/2016, ausgestellt am 17. August 2016) (Nr. 1) und verpflichtete die Antragstellerin, die genannte Originalausfertigung des Kleinen Waffenscheins innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Bescheids dem Landratsamt zu übergeben (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nr. 2 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 3). Sollte die Antragstellerin die Nr. 2 des Bescheids nicht innerhalb der gewährten Frist erfüllen, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 250,- Euro pro Originalausfertigung zur Zahlung fällig (Nr. 4). Die Kosten des Verfahrens habe die Antragstellerin zu tragen. Es wurde eine Gebühr von 150,- Euro festgesetzt und Auslagen in Höhe von 3,07 Euro (Nr. 5) erhoben.
Den Widerruf stützte das Landratsamt auf § 45 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG und § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b Waffengesetz – WaffG. Auf Grund des Verhaltens der Antragstellerin sei festzustellen, dass sie die bestehende Staats- und Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland und ihr Wertesystem ablehne. Infolgedessen sei nicht gesichert, dass sie die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen, insbesondere das geltende Waffenrecht, für sich als bindend ansehe und ihr Verhalten danach ausrichte. Personen, die signalisierten, dass sie nur ihre eigene Rechtsordnung anerkennen würden und sich an die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland und die Handlungen ihrer Staatsorgane nicht gebunden fühlten, könnten keine Gewähr dafür bieten, dass sie Waffen nur dergestalt und in den speziellen Einzelfällen nutzten, die ihnen die Rechtsordnung gestatte. Ein stets sorgsamer und verantwortungsbewusster Umgang mit Waffen könne Anhängern der sog. Reichsbürgerideologie daher nicht unterstellt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheids Bezug genommen. Am 30. März 2017 gab die Antragstellerin ihren Kleinen Waffenschein zurück.
Am 3. April 2017 ließ die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigten gegen den Bescheid vom 2. März 2017 Klage erheben (M 7 K 17.1379). Zudem wurde ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, Zweifel an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit seien nicht begründet. Insbesondere der Verweis auf RuStAG von 1913 belege, dass die Antragstellerin keinesfalls der „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sei. Dies hätte sie auch im Wege der Anhörungen mehrfach bestätigt. Es sei ihr lediglich darauf angekommen, einen Nachweis zu haben, dass sie „Ur-Deutsche“ mit deutschen Wurzeln seit 1913 sei. Keinesfalls habe die Antragstellerin die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat verneint und damit sogleich die darin bestehende Rechtsordnung offensiv abgelehnt. Die Mitteilungen der Polizeibeamten seien unkonkret und stützten sich vornehmend auf Vermutungen, welche von der Antragstellerin mit ihrer E-Mail richtig gestellt worden seien. Die Antragstellerin habe stets gegenüber den Polizeibeamten betont, dass sie den Staat und dessen Verfassung anerkenne. Insbesondere lägen keine Anhaltspunkte vor, dass sie das geltende Recht für sich nicht als bindend ansehen würde. Andernfalls hätte sie bereits nicht für das Tragen von Pfefferspray oder einer Schreckschusswaffe einen Kleinen Waffenschein beantragt. Durch Erbschaft erlangte Waffen hätte die Klägerin in der Vergangenheit freiwillig abgegeben und damit bestätigt, dass sie das Waffenrecht für sich als bindend ansehe und ihr Verhalten danach ausrichte. Eine Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung hätte sie vehement zurückgewiesen. Auch Sympathiebekundungen in Bezug auf die Reichsbürgerbewegung hätte die Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt geäußert, sondern stets betont, sich hiervon zu distanzieren. Solche würden allein auch noch nicht die Prognose rechtfertigen, dass der Inhaber einer Waffenbesitzkarte unzuverlässig im waffenrechtlichen Sinne sei, sofern nicht weitere Umstände hinzuträten, die hinsichtlich der Rechtstreue Zweifel aufkommen ließen. Die Ausgangsbehörde habe zudem ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Die Antragstellerin sei bislang weder strafnoch ordnungsrechtlich in Erscheinung getreten. Sie sei nicht im Besitz von waffenbesitzkartenpflichtigen Schusswaffen, weshalb der vorliegende Widerruf einen Verstoß gegen das Übermaßverbot darstelle. Eine tatsächliche Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit habe nicht stattgefunden. Stattdessen sei der Verdacht allein auf ein informelles Gespräch mit Polizeibeamten gestützt worden. Der Inhalt und Rahmen des Gesprächs werde von beiden Seiten unterschiedlich wiedergegeben, so dass es zunächst einer weiteren Überprüfung und entsprechender Ermittlungen bedurft hätte, bevor die waffenrechtliche Erlaubnis aufgrund von Vermutungen der Polizeibeamten widerrufen werde. Der Widerruf der Erlaubnis stelle damit das drastischste Mittel dar. Die Notwendigkeit des sofortigen Vollzugs sei nicht ausreichend begründet worden. Eine überlange Verfahrensdauer begründe hingegen ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.
Die Antragstellerin beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Hierzu wurde mit Schriftsatz vom 18. April 2017 im Wesentlichen vorgetragen, ein Bezug auf das RuStAG von 1913 als auch eine bayerische Staatsangehörigkeit seien starke Indizien für eine Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung und die damit einhergehende Anzweiflung bzw. Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer geltenden Rechtsordnung. Ferner habe die Antragstellerin keine glaubhafte schlüssige Erklärung für die Notwendigkeit des beantragten Staatsangehörigkeitsausweises benennen können. Auch habe sie weder in der Gefährderansprache noch in ihrer Stellungnahme die Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung zurückgewiesen bzw. ausgeführt, sich von dieser Gruppierung zu distanzieren. Das Waffenrecht betrachte ein bislang strafrechtlich beanstandungsfreies Leben als Normalfall und sehe hierfür keine weiteren Vergünstigungen vor. Der Widerruf stelle keinen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar. Die Antragstellerin lehne die bestehende Staats- und Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland und ihr Wertesystem ab. Infolgedessen bestehe eine ständige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, da seitens der Unteren Waffenbehörde nicht gesichert werden könne, dass die Antragstellerin die maßgeblichen waffenrechtlichen Regelungen für sich als bindend ansehe und ihr Verhalten danach ausrichte. Eine erneute Überprüfung der polizeilichen Ermittlung sei als entbehrlich erschienen, da die Stellungnahme der Antragstellerin vom 19. Februar 2017 keine neuen Erkenntnisse hervorgebracht habe bzw. nicht zu einer Änderung des bekannten Sachverhalts oder der polizeilichen Einstufung geführt hätte. Auch die Begründungsanforderungen des Sofortvollzugs seien eingehalten worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren (M 7 K 17.1379) sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
Der nach sachdienlicher Auslegung auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Nrn. 1, 4 und 5 sowie Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Nr. 2 des Bescheids gerichtete Antrag ist unbegründet.
Das Landratsamt hat das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Nr. 2 des Bescheids vom 14. März 2017 unter Verweis auf die besonderen Sicherheitsbedürfnisse im Bereich des Waffenrechts den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend begründet (vgl. zu den – nicht zu hoch anzusetzenden – Anforderungen im Einzelnen Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43).
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei seiner Entscheidung über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten bzw. kraft Gesetzes bestehenden Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten der Hauptsache als wesentliches, wenn auch nicht alleiniges Indiz für die vorzunehmende Interessenabwägung zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Hauptsacherechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der angefochtene Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ergibt die summarische Prüfung, dass derzeit keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der Klage im Hauptsacheverfahren angenommen werden kann. Durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 2. März 2017 sind nicht ersichtlich.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG hat die zuständige Behörde eine waffenrechtliche Erlaubnis, vorliegend den Kleinen Waffenschein gemäß § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG i.V.m. Anl. 2 Abschn. 2 Unterabschn. 3 Nr. 2.1, zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine Erlaubnis ist u.a. zu versagen, wenn eine Person nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG i.V.m. § 5 WaffG. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit Personen nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (Buchst. a), mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c).
Im Fall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG geht es um die auf Tatsachen gestützte Prognose eines spezifisch waffenrechtlich bedenklichen Verhaltens, aus dem mit hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt von Schäden für hohe Rechtsgüter resultiert (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zur Neuregelung des Waffenrechts, BT-Drs. 14/7758, S. 54). Bei der auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zu erstellenden Prognose ist der allgemeine ordnungsrechtliche Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG), nämlich zum Schutz der Allgemeinheit diese vor den schweren Folgen eines nicht ordnungsgemäßen Umgangs mit Waffen zu bewahren (vgl. BT-Drs. 14/7758 S. 51). Die erforderliche Prognose hat sich am Zweck des Gesetzes zu orientieren. Nach dem Waffengesetz soll das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering gehalten und nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (st. Rspr. BVerwG, vgl. B.v. 31.1.2008 – 6 B 4/08, B.v. 2.11.1994 – 1 B 215/93 – beide juris; st. Rspr. BayVGH, vgl. zuletzt B.v. 5.10.2017 – 21 Cs 17.1300 – juris Rn. 11). Dabei ist in Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, für die gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbare Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, sondern es genügt vielmehr eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2014 – 21 ZB 14.1512 – juris Rn. 12; B.v. 4.12.2013 – 21 CS 13.1969 – juris Rn. 14 mit Hinweis auf stRspr des BVerwG z.B. B.v. 31.1.2008 – 6 B 4/08 – juris sowie B.v. 2.11.1994 – 1 B 215/93 – juris). Bloße Vermutungen reichen hingegen nicht.
Zur waffenrechtlichen (Un-)Zuverlässigkeit von – mutmaßlichen – Anhängern der sog. „Reichsbürgerbewegung“, die ihrer Grundideologie nach der Bundesrepublik Deutschland die Existenz und daher den Behörden ihre Legitimation absprechen und das Grundgesetz sowie die darauf fußende Rechtsordnung ablehnen, hat das Gericht bislang in mehreren Eilverfahren bereits summarisch und mit gewisser Differenzierung Stellung bezogen (vgl. VG München, B.v. 8.6.2017 – M 7 S. 17.933; B.v. 8.6.2017 – M 7 S. 17.1202; B.v. 25.7.2017 – M 7 S. 17.1813; B.v. 5.9.2017 – M 7 S. 17.1331 – alle juris).
So erscheint es dem Gericht fraglich, ob Sympathiebekundungen in Bezug auf die „Reichsbürgerbewegung“ alleine bereits die Prognose einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigen können, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten, die hinsichtlich der Rechtstreue Zweifel aufkommen lassen (vgl. VG München, B.v. 25.7.2017 a.a.O. Rn. 25; B.v. 5.9.2017 a.a.O. Rn. 30; vgl. insoweit auch VG Gera, U. v. 16.9.2015 – 2 K 525/14 – juris Leitsatz; kritisch VG Augsburg, B.v. 7.9.2017 – Au 4 S. 17.1196 – juris Rn. 24). Das Äußern abstruser politischer Auffassungen bzw. Sympathiebekundungen für solche Auffassungen dürften für sich genommen nicht ohne weiteres den Schluss rechtfertigen, dass ein Ignorieren der waffenrechtlichen Vorschriften oder eine eigenwillige Auslegung zu befürchten und damit die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zu bejahen wäre (vgl. VG Gera, U.v. 16.9.2015 a.a.O., Rn 21).
Erforderlich ist auch bei Personen, die aus Sicht des Antragsgegners dem Kreis der sog. Reichsbürger oder Selbstverwalter zuzuordnen sind, stets eine Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere des konkreten Verhaltens der individuellen Person (vgl. VGH BW, B.v. 10.10.2017 – 1 S 1470/17 – juris Rn. 27). Von den Umständen des Einzelfalls hängt es daher auch ab, welche Bedeutung „Sympathiebekundungen in Bezug auf die Reichsbürgerbewegung“ im Rahmen einer Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit beizumessen ist. Jedenfalls dann, wenn eine Person über reine Sympathiebekundungen hinaus ausdrücklich oder konkludent ihre Bindung an in der Bundesrepublik geltende Rechtsvorschriften in Abrede oder unter einen Vorbehalt stellt, begründet dies Zweifel an ihrer Rechtstreue und wird infolgedessen das Vertrauen, dass die Person mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß – d.h. vor allem im Einklang mit der Rechtsordnung – umgeht, in aller Regel zerstört (vgl. VGH BW, B.v. 10.10.2017 a.a.O. Rn. 28 unter Hinweis auf NdsOVG, B.v. 18.7.2017 – 11 ME 181/17 – juris; VG München, B.v. 25.7.2017 – M 7 S. 17.1813 – juris; B.v. 8.6.2017 – M 7 S. 17.1201 – juris; B.v. 23.5.2017 – M 7 S. 17.408 – juris; VG Stuttgart, B.v. 7.4.2017 – 5 K 2101/17 – juris; VG Minden, U.v. 29.11.2016 – 8 K 1965/16 – juris; VG Freiburg, B.v. 10.11.2016 – 4 K 3983/16 – juris; VG Cottbus, U.v. 20.9.2016 – 3 K 305/16 – juris). Das gilt insbesondere und umso mehr dann, wenn die Person eine ausdrückliche oder sinngemäße Erklärung, sich außerhalb des geltenden Rechts bewegen zu können, auch in die Tat umsetzt, wenn sie also aus Bekundungen zur vermeintlich fehlenden Verbindlichkeit der in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften praktische Konsequenzen zieht (vgl. VGH BW, B.v. 10.10.2017 a.a.O. unter Hinweis auf VG München, B.v. 25.7.2017 a.a.O., zur „Rücksendung“ von Personalausweisen NdsOVG, B.v. 18.7.2017 a.a.O. und VG München, B.v. 23.5.2017 a.a.O., jeweils zur Verweigerung einer Bußgeldzahlung unter Ablehnung einer Bindung an das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten; VG Cottbus, U.v. 20.9.2016 a.a.O., zum Fahren ohne Fahrerlaubnis; VG Freiburg, B.v. 10.11.2016 a.a.O., zur – auch nur bedingten – Ankündigung von „aktivem Widerstand durch Gewalt“ gegenüber staatlichen Stellen).
Hier ist davon auszugehen, dass das festgestellte tatsächliche Verhalten der Antragstellerin über reine Sympathiebekundungen hinausgeht. Dieses ist geeignet, Zweifel an ihrer Rechtstreue zu begründen, so dass das Vertrauen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß – d.h. vor allem im Einklang mit der Rechtsordnung – umgeht, nicht mehr gerechtfertigt sein dürfte, auch wenn sie über die Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises in der vorgenommenen Form – soweit derzeit bekannt – keine darüber hinausgehenden „praktischen Konsequenzen“ gezogen hat.
Die Art und Weise der Beantragung sowie die im Rahmen des Antrags auf einen Staatsangehörigkeitsausweis gemachten Angaben sind aus Sicht des Gerichts ein nicht unerhebliches Indiz für eine Zugehörigkeit zur sog. „Reichsbürgerbewegung“ und eine Teilhabe an deren Gedankengut (vgl. VG München, B.v. 5.9.2017 – M 7 S. 17.1331 – juris Rn. 31).
Darüber hinaus liegen hier jedoch auch weitere tatsächliche Erkenntnisse vor, welche deutlich für eine Zugehörigkeit der Antragstellerin zur Reichsbürgerbewegung oder eine entsprechende Überzeugung bzw. Grundhaltung der Antragstellerin – und nicht bloß für eine Sympathie für entsprechendes Gedankengut – sprechen. So erfolgten diesbezüglich polizeiliche Ermittlungen, insbesondere fand eine Befragung der Antragstellerin statt. Wie sich aus dem Ermittlungsbericht ergibt, bezeichnete die Antragstellerin den Staatsangehörigkeitsausweis dabei stets als „gelben Schein“. Sie konnte keinen vernünftigen Grund nennen, weshalb sie den Staatsangehörigkeitsausweis für sich und ihre Söhne beantragt habe. Sie gab an, Angst zu haben, dass „die Bodenrechte“ ausliefen und daher ein Staatsangehörigkeitsausweis nützlich sein könne. Zudem wollte sie einen Nachweis haben, dass sie „Ur-Deutsche“ sei. Sie verwies immer wieder auf Videos einer Person im Internet, nach deren Anleitung sie den Antrag ausgefüllt habe. Aus Sicht des Polizeibeamten wirkte es so, als ob die Antragstellerin sehr von den Videos überzeugt war, da sie immer wieder darauf zu sprechen kam und zum genauen Ansehen aufforderte. Der Urheber der Videos ist nach polizeilicher Bewertung eindeutig der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen.
Soweit geltend gemacht wird, es hätte noch weiterer Ermittlungen bedurft, bevor die waffenrechtliche Erlaubnis aufgrund von „Vermutungen der Polizeibeamten“ widerrufen werde, greift dies nicht entscheidungserheblich durch. Die nachvollziehbare polizeiliche Bewertung stützt sich zum einen auf den Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit sowie zum anderen auf die persönliche Befragung der Antragstellerin. Aus den Feststellungen ergeben sich auch nach Einschätzung des Gerichts – wie oben dargelegt – hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit der Antragstellerin zur Reichsbürgerbewegung oder jedenfalls für eine entsprechende Überzeugung bzw. Grundhaltung der Antragstellerin, die über reine Sympathiebekundungen hinausgehen dürfte. Es bestehen auch keine ausreichenden Anzeichen dafür, dass die Einlassungen der Antragstellerin im Rahmen der Befragung im Ermittlungsbericht unzutreffend dargestellt worden wären. Dies hat sie auch selbst nicht vorgetragen. Die von ihr beanstandete „bewusst falsche“ Darstellung, es sei den Polizeibeamten der Zutritt zum Grundstück verwehrt worden, bezieht sich nur auf einen äußeren Umstand des Gesprächs, auf den die Bewertung – auch von polizeilicher Seite – nicht gestützt wurde.
Die Antragstellerin hat sich auch weder im Verwaltungsnoch im Gerichtsverfahren von der sog. „Reichsbürgerbewegung“ glaubhaft distanziert. So hat sie im Rahmen der polizeilichen Befragung und auch der Anhörung zum Bescheidserlass nur von sich gewiesen, dem Kreis der sog. „Reichsbürger“ anzugehören. Zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage beim Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung – hier des Widerrufsbescheids – hat die Antragstellerin damit jedoch keine aussagekräftige distanzierende Haltung erkennen lassen. Soweit vorgetragen wird, dass sich die Antragstellerin bislang stets an die einzuhaltenden Vorgaben des Waffenrechts gehalten habe, ist auch diese Einlassung nicht geeignet, die angestellte Prognose hinsichtlich der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit maßgeblich zu entkräften.
In Bezug auf die gerügte Ermessensfehlerhaftigkeit des Widerrufs ist darauf hinzuweisen, dass der Widerruf nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen zwingend zu verfügen ist und der zuständigen Behörde dabei kein Ermessen zukommt.
Hinsichtlich der weiteren Verfügungen des streitgegenständlichen Bescheids (Nrn. 2, 4 und 5) wurden rechtliche Bedenken weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz – GKG – unter Berücksichtigung der Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Für den Widerruf eines Kleinen Waffenscheins wird der Auffangwert von 5.000,- Euro angesetzt, der in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes halbiert wird (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 21 CS 17.856 – juris).


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