Aktenzeichen 8 CS 18.2529
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
LuftSiG § 7 Abs. 1a S. 1, S. 2 Nr. 1
Leitsatz
1 Für die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeitsprüfung ist angesichts der bei Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs gefährdeten hochrangigen Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit zahlreicher Menschen ein strenger Maßstab anzulegen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die durch das Vorliegen des Regeltatbestands des § 7 Abs. 1a S. 2 Nr. 1 LuftSiG indizierte luftverkehrsrechtliche Unzuverlässigkeit kann nur durch Tatsachen widerlegt werden, die die Straftat bei einer Gesamtwürdigung von Verhalten und Persönlichkeit des Betroffenen derart in den Hintergrund treten lassen, dass im Hinblick auf diese allein keine Zweifel an der Zuverlässigkeit aufkommen können (ebenso BayVGH BeckRS 2006, 16847). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Sicherheit des Luftverkehrs ist auch gefährdet, wenn sich Persoenen, bei denen Zweifel an der Zuverlässigkeit bestehen, nur gelegentlich im Sicherheitsbereich aufhalten. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 10 S 18.1985 2018-11-05 Bes VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Widerruf seiner luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit.
Der Antragsteller betreibt ein Speditionsunternehmen für Eiltransporte. Bei der Abwicklung der Eiltransporte werden manchmal Flugdienstleistungen benötigt; im Rahmen einer raschen Abwicklung ist es dann notwendig, das Flugvorfeld zu befahren.
Mit Urteilen des Amtsgerichts Pfaffenhofen a.d. Ilm vom 25. Oktober 2017 und des Landgerichts Ingolstadt vom 21. Juni 2018 wurde der Antragsteller wegen Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt. Der Antragsteller war auf der Autobahn einem auf der linken Fahrspur vorausfahrenden Fahrzeug auf einer Strecke von mindestens 4 km bei einer Geschwindigkeit 160 bis 200 km/h unter Betätigung der Lichthupe immer wieder dicht aufgefahren und hatte den Fahrzeuginsassen den „Vogel“ gezeigt.
Mit Bescheid vom 11. September 2018 widerrief die Regierung von Mittelfranken – Luftamt Nordbayern – unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die am 16. Juli 2014 getroffene Feststellung der Zuverlässigkeit des Antragstellers und entzog ihm die Zutrittsberechtigung zum Sicherheitsbereich des Flughafens Nürnberg.
Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid am 11. Oktober 2018 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Den am selben Tag eingegangenen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 5. November 2018 abgelehnt. Aufgrund der Verurteilung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen sei der Regeltatbestand luftverkehrsrechtlicher Unzuverlässigkeit nach § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 LuftSiG erfüllt. Bei einer Gesamtwürdigung träten die Zuverlässigkeitszweifel nicht in den Hintergrund, insbesondere weil das Verhalten des Antragstellers auf eine fehlende Steuerungsfähigkeit in gewissen Situationen schließen lasse.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
1. Das Beschwerdevorbringen genügt in weiten Teilen bereits nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Danach muss sich die Beschwerdebegründung mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen, d.h. an sie anknüpfen und aufzeigen, aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Gründen diese unrichtig sein soll. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und somit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses; eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens ohne Eingehen auf die jeweils tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts reicht grundsätzlich ebenso wenig aus wie bloße pauschale oder formelhafte Rügen (vgl. BayVGH, B.v. 9.7.2018 – 9 CE 18.1033 – juris Rn. 13; VGH BW, B.v. 29.6.2018 – 5 S 548/18 – BauR 2018, 1874 = juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 22a).
Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, dass die abgeurteilte Tat schon fast zwei Jahre zurückliege, das Strafmaß nur leicht oberhalb der Schwelle von 60 Tagessätzen liege und er in der Gesamtschau durchaus in der Lage sei, beherrscht, angepasst und sicher zu agieren, fehlt es an einer solchen Auseinandersetzung mit der Begründung des angefochtenen Beschlusses. Das Beschwerdevorbringen erschöpft sich diesbezüglich in der Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags, ohne auf die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BA S. 8 ff.) einzugehen.
2. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts‚ der Widerrufsbescheid sei nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG i.V.m. § 7 Abs. 1a LuftSiG zu Recht ergangen, erweist sich auch in Ansehung der vom Antragsteller innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe als zutreffend.
2.1 Nach § 7 Abs. 1a Satz 1 LuftSiG bewertet die Luftsicherheitsbehörde die Zuverlässigkeit des Betroffenen auf Grund einer Gesamtwürdigung des Einzelfalles. Zuverlässig im Sinne des § 7 Abs. 1 LuftSiG ist nur derjenige, der die Gewähr bietet, jederzeit das ihm Mögliche zum Schutze der Sicherheit des Luftverkehrs zu tun (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2016 – 8 ZB 15.470 – juris Rn. 14; Meyer in Grabherr/Reidt/Wysk, Luftverkehrsgesetz, Stand Januar 2018, § 7 LuftSiG Rn. 34). Da bei Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs hochrangige Güter wie das Leben und die Gesundheit zahlreicher Menschen gefährdet werden, ist im Rahmen der Prüfung ein strenger Maßstab anzulegen; die Zuverlässigkeit ist schon dann zu verneinen, wenn hieran auch nur geringe Zweifel bestehen (vgl. BVerwG, U.v. 15.7.2004 – 3 C 33.03 – NVwZ 2005, 453 = juris Rn. 21 zur früheren, durch § 7 LuftSiG ersetzten Regelung des § 29d LuftVG; BayVGH, B.v. 26.1.2016 – 8 ZB 15.470 – juris Rn. 14; B.v. 14.7.2015 – 8 ZB 13.1666 – NVwZ-RR 2015, 933 = juris Rn. 8).
Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LuftSiG fehlt es in der Regel an der erforderlichen Zuverlässigkeit, wenn der Betroffene u.a. wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen verurteilt worden ist, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Die gesetzlichen Regelbeispiele in § 7 Abs. 1a Satz 2 sollen eine Orientierung für die Konkretisierung des Begriffs der Unzuverlässigkeit geben. Es handelt sich nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bunderegierung um typisierte Fallgruppen, die keinesfalls abschließenden oder ausschließenden Charakter haben (vgl. BT-Drs. 18/9752 S. 53; vgl. auch OVG NW, B.v. 1.3.2018 – 20 B 1340/17 = juris Rn. 14 ff.).
2.2 Ausgehend von diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht die luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit des Antragstellers zu Recht verneint.
Aufgrund der Verurteilung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen ist der Regeltatbestand des § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 LuftSiG vorliegend erfüllt. Die hierdurch indizierte luftverkehrsrechtliche Unzuverlässigkeit kann nur durch Tatsachen widerlegt werden, die die Straftat bei einer Gesamtwürdigung von Verhalten und Persönlichkeit des Betroffenen derart in den Hintergrund treten lassen, dass im Hinblick auf diese allein keine Zweifel an der Zuverlässigkeit aufkommen können (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2005 – 20 CS 05.1674 – juris Rn. 12; B.v. 12.4.1999 – 20 B 98.2979 – NVwZ-RR 1999, 501 = juris Rn. 18; van Schyndel in Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Stand Oktober 2018, § 7 LuftSiG Rn. 50). Einen solchen atypischen Umstand hat der Antragsteller nicht dargelegt.
2.2.1 Die vom Antragsteller begangene Straftat wird in ihrer Bedeutung für die Beurteilung seiner luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit nicht dadurch relativiert, dass er als „Vielfahrer“ eine jährliche Fahrleistung von mehr als 120.000 Kilometern erbringt. Das Verwaltungsgericht hat aus dem abgeurteilten Fehlverhalten auf eine fehlende Steuerungsfähigkeit in gewissen Situationen geschlossen, das von luftsicherheitsrechtlicher Relevanz sei (vgl. BA S. 10; vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 12.7.2005 – 20 CS 05.1674 – juris Rn. 12; B.v. 12.4.1999 – 20 B 98.2979 – NVwZ-RR 1999, 501 = juris Rn. 21). Diese erstinstanzliche Wertung, die der Antragsteller nicht entkräftet hat, wird durch eine hohe jährliche Fahrleistung nicht infrage gestellt.
2.2.2 Der Umstand, dass die Tatbegehung (19.2.2017) fast zwei Jahre zurückliegt und der Antragsteller seitdem nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, rechtfertigt ebenfalls keine Abweichung vom Regeltatbestand. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der negativen behördlichen Feststellung der Zuverlässigkeit nach § 7 Abs. 1 LuftSiG ist derjenige der (letzten) Behördenentscheidung (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 27.4.2017 – OVG 6 S 13.17 – juris Rn. 7). Im Übrigen genügt für die Verwirklichung des Regeltatbestands ein einmaliges einschlägiges strafrechtlich sanktioniertes Fehlverhalten. Die Vermutung kann daher grundsätzlich nicht schon dann entkräftet sein, wenn der Betroffene ansonsten nicht strafrechtlich aufgefallen ist (vgl. OVG NW, B.v.1.3.2018 – 20 B 1340/17 = juris Rn. 38).
2.2.3 Die gegen den Antragsteller ausgesprochene Geldstrafe von 80 Tagessätzen liegt auch deutlich oberhalb der für die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit nach § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 LuftSiG vorgesehenen Schwelle von 60 Tagessätzen. Im Übrigen ist es im Hinblick auf die nach dem Strafgesetzbuch eröffneten Möglichkeiten, bestimmte Straftaten auch mit deutlich geringeren bzw. milderen Sanktionen strafrechtlich zu ahnden, bei einer wegen einer Straftat verhängten Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen für gewöhnlich ausgeschlossen, dass es sich dabei um ein Bagatelldelikt handelt (vgl. OVG NW, B.v.1.3.2018 – 20 B 1340/17 = juris Rn. 34).
2.2.4 Auch der Umstand, dass der Antragsteller bislang ohne Beanstandungen im Sicherheitsbereich des Flughafens tätig geworden ist, kann nicht als ausreichend angesehen werden, um die Zweifel an seiner Zuverlässigkeit zu zerstreuen (vgl. NdsOVG, B.v. 17.2.2011 – 7 PA 36/11 – GewArch 2011, 172 = juris Rn. 2; vgl. auch Meyer in Grabherr/Reidt/Wysk, § 7 LuftSiG Rn. 39b). Im Übrigen macht es rechtlich keinen Unterschied, ob der Betroffene am Flughafen beschäftigt ist oder wie der Antragsteller als Transportunternehmer dort nur gelegentlich tätig wird. Die Sicherheit des Luftverkehrs ist auch gefährdet, wenn sich Personen, bei denen Zweifel an der Zuverlässigkeit verbleiben, auch nur zeitweise im Sicherheitsbereich aufhalten.
2.2.5 Das Vorbringen des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe außer Acht gelassen, dass er selbständiger Spediteur sei, ist unberechtigt (vgl. BA S. 2, 9). Dass seine berufliche Existenz als Inhaber eines Speditionsunternehmens durch den Widerruf der Feststellung seiner Zuverlässigkeit gefährdet wird, hat er nicht dargelegt; es ist auch nicht erkennbar, dass die Eiltransporte am Flughafen nicht von einem der im Unternehmen angestellten Fahrer (vgl. S. 21 VG-Akte) abzuwickeln sind.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG unter Orientierung an Nr. 26.5 i.V.m. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).