Verwaltungsrecht

Widerruf einer Waffenbesitzkarte, Unzuverlässigkeit, Aufbewahrung des Schlüssels für den Waffenschrank

Aktenzeichen  W 9 K 19.1131

Datum:
22.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16401
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 45 Abs. 2 S. 1
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 5

 

Leitsatz

Die dauerhafte übliche Aufbewahrung des Schlüssels für einen Waffenschrank an ein und demselben Ort über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren stellt keine hinreichende Vorsichtsmaßnahme mehr dar, um Unbefugten den Zugriff auf Waffen und Munition zu verwehren.

Verfahrensgang

W 9 K 19.1133 2021-01-22 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die im hiesigen Verfahren angefochtene Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 22. Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Das Landratsamt Schweinfurt war nach § 48 Abs. 1 Satz 1 WaffG, § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Ausführung des Waffen- und Beschussrechts (AVWaffBeschR), Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LKrO sachlich und gem. § 49 Abs. 1 WaffG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a BayVwVfG örtlich zum Erlass des Bescheids zuständig. Der Kläger wurde mit Schreiben vom 14. Juni 2019 nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ordnungsgemäß angehört.
2. Darüber hinaus erweist sich der streitgegenständliche Bescheid in Ziffer 2 auch als materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG für einen Widerruf der Waffenbesitzkarte des Klägers liegen vor.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz – vorliegend die Waffenbesitzkarte (§ 10 Abs. 1 Satz 4 WaffG) – zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Voraussetzung für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis ist u.a. die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 5 WaffG.
2.1 Die Prognose des Landratsamts betreffend die Unzuverlässigkeit des Klägers nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 2 Nr. 5 WaffG i.V.m. § 36 WaffG im Hinblick auf die Aufbewahrung des Waffenschrankschlüssels ist nicht zu beanstanden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist insoweit der Erlass des Widerrufsbescheids (vgl. BayVGH, U.v. 30.7.2020 – 24 BV 18.2500 – juris Rn. 11).
Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG Personen u.a. nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition nicht sorgfältig verwahren werden. Waffen sind demnach nur dann sorgfältig verwahrt, wenn alle Sicherungsvorkehrungen ausgenutzt werden, um die sich aus § 36 WaffG ergebenden Anforderungen zu erfüllen (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2013 – 21 CS 13.1758 – juris Rn. 10), also sämtliche zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Waffe so zu verwahren, dass ein Zugriff Unberechtigter nach Möglichkeit verhindert wird (vgl. Gade/Gade, 2. Aufl. 2018, WaffG § 5 Rn. 15). Die waffenrechtlichen Aufbewahrungsvorschriften, insbesondere § 36 Abs. 1 Satz 1 WaffG, dienen der Umsetzung eines der vordringlichsten und wichtigsten Ziele des Waffengesetzes, nämlich das Abhandenkommen oder die unbefugte Ansichnahme von Waffen durch Dritte – sowohl unbefugt sich in der Wohnung befindliche Personen, als auch Familienangehörige – zu verhindern, indem sichergestellt wird, dass Dritte keinen unkontrollierten Zugriff auf Waffen haben (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2020 – 24 ZB 20.1648 – juris Rn. 9 mwN). Art und Ausmaß der anzuwendenden Sorgfalt bestimmen sich nach den Anforderungen, die bei (objektiver) Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage in der sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 758p).
Die Prüfung der Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG ist anhand einer Prognose vorzunehmen. Bei der auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zu erstellenden Prognose ist der allgemeine Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG), nämlich zum Schutz der Allgemeinheit diese vor den schweren Folgen eines nicht ordnungsgemäßen Umgangs mit Waffen zu bewahren (vgl. BT-Drs. 14/7758 S. 51). In Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, ist für die gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbare Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, vielmehr genügt eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2007 – 21 ZB 07.2711 – juris Rn. 7; B.v. 22.12.2014 – 21 ZB 14.1512 – juris Rn. 12; B.v. 4.12.2013 – 21 CS 13.1969 – juris Rn. 14). Es genügt, dass bei verständiger Würdigung aller Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen und Munition besteht (BayVGH, B.v. 16.9.2008 – 21 ZB 08.655 – juris Rn. 7).
Durch das regelmäßige Verstecken des Schlüssels für seinen Waffenschrank an einer Schraube unter dem Waschbecken in der Toilette – wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung eigeräumt hat – hat der Kläger gegen die waffenrechtlichen Aufbewahrungsvorschriften verstoßen. Dieser Verstoß führt nach Überzeugung des Gerichts zur Annahme seiner Unzuverlässigkeit und begründet den nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG zwingenden Widerruf der erteilten waffenrechtlichen Erlaubnis. Zwar besteht keine gesetzliche Regelung zur Aufbewahrung des Waffenschrankschlüssels. Der Schlüssel ist jedoch als Teil der Waffenaufbewahrung anzusehen, sodass die Anforderungen an die Aufbewahrung vergleichbar sind, da durch die nachlässige Aufbewahrung des Schlüssels der Schutz durch den Waffenschrank vor unbefugtem Zugriff Dritter auf die Waffe im Ergebnis aufgehoben wird, weshalb es zur sorgfältigen Aufbewahrung von Waffen auch gehört, den Schlüssel so aufzubewahren, dass er einem Dritten nicht zugänglich ist (vgl. VG Ansbach, U.v. 3.12.2003 – AN 15 K 03.00325 – juris Rn. 23). Dem Gericht ist die Problematik bewusst, dass es sich als äußerst schwierig gestaltet, den Schlüssel für einen Waffenschrank immer so aufzubewahren, dass es jederzeit ausgeschlossen ist, dass Dritte – insbesondere solche, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem zum Waffenbesitz Berechtigten leben – Zugriff auf den Schlüssel und damit auf den Waffenschrank samt der darin befindlichen Waffen nehmen können. Diese Schwierigkeit entbindet den Waffenbesitzer allerdings nicht davon, sich stets aufs Neue an die durch § 36 Abs. 1 WaffG vorgegebenen Mindeststandards zur Waffenaufbewahrung zu halten, insbesondere Nachlässigkeiten, die sich diesbezüglich im Laufe der Zeit erfahrungsgemäß einstellen, zu begegnen. In der Rechtsprechung gibt es verschiedenste Beispiele, was als unzureichendes „Versteck“ für einen Waffenschrankschlüssel anzusehen ist – so etwa die Aufbewahrung des Schlüssels in einem Porzellanbierkrug im Esszimmer (VG Ansbach, U.v. 3.12.2003 – AN 15 K 03.00325) oder im häuslichen Büro (VG Bayreuth, U.v. 30.10.2015 – B 1 K 15.345). Gemein ist diesen als nicht ausreichend angesehenen Aufbewahrungsorten, dass Dritte zumindest Kenntnis davon hätten haben können, wo der Waffenschrankschlüssel ohne weitere Mechanismen, die den Zugriff auf diesen zumindest erschwert hätten, verwahrt wurde, weil der Berechtigte pflichtwidrig darauf vertraute, dass der Schlüssel sicher verwahrt sei. Diese Annahme eröffnete Dritten die Möglichkeit, den Waffenschrankschlüssel ungehindert an sich zu nehmen, mithin unkontrolliert Zugriff auf den Waffenschrank und die darin befindlichen Waffen zu erlangen. Dementsprechend kann es im vorliegenden Fall nach Ansicht des Gerichts dahinstehen, ob das Versteck unterhalb des Waschbeckens an sich eine zunächst geeignete Stelle zur zeitweisen Aufbewahrung des Schlüssels war, da es jedenfalls auf die Dauer gesehen nicht geeignet ist, fortwährend als „sicheres Versteck“ zu gelten. Die dauerhafte übliche Aufbewahrung des Schlüssels für einen Waffenschrank an ein und demselben Ort über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren ohne weitere Mechanismen, die den Zugriff auf diesen erschweren, stellt keine hinreichende Vorsichtsmaßnahme mehr dar, um Unbefugten den Zugriff auf Waffen und Munition zu verwehren. Die vom Berechtigten in der Überzeugung der idealen Geeignetheit vorgenommene Auswahl des Aufbewahrungsortes führt dazu, dass er im falschen Vertrauen darauf, dass sicherlich niemand auf die Idee kommen werde, dass der Schlüssel dort verborgen dauerhaft aufbewahrt wird, regelmäßig davon absehen wird, zu kontrollieren, ob dies tatsächlich der Fall ist. Auch das beste Versteck verliert allerdings nach allgemeiner Lebenserfahrung auf die Dauer seine Geeignetheit zur ständigen Aufbewahrung des Waffenschrankschlüssels, da mit fortschreitender Zeit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Schlüssel – absichtlich oder zufällig – entdeckt wird. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angegeben, dass er den Schlüssel zum Waffenschrank, solange er Waffen besessen habe, immer im Toilettenraum unter dem Waschbecken an einer Schraube aufgehängt hat. Der Kläger erwarb am 31. Oktober 2016 seine Repetierbüchse „R 8 Success“ der Marke Blaser (Bl. 1 d.BA), bewahrte also zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung am 23. März 2019 den Schlüssel zu seinem Waffenschrank schon über zwei Jahre an derselben Stelle auf und dies nicht nur gelegentlich als kurzfristigen Aufbewahrungsort, sondern stets, wenn der Schlüssel nicht benötigt wurde. Somit kam der Schraube unterhalb des Waschbeckens im Ergebnis die gleiche Funktion wie die eines verstecktes Schlüsselbretts zu. Damit hatte der Kläger zu genügend Zeitpunkten keine physischen Einwirkungsmöglichkeiten auf den Schlüssel zum Waffenschrank. Zwar hat der Kläger darüber hinaus berichtet, dass er mit dem Reinigen des Toilettenraums betraut sei, doch dies bedeutete nicht, dass das Gäste-WC exklusiv von ihm benutzt wird. Es ist bei lebensnaher Betrachtung vielmehr davon auszugehen, dass der Raum regelmäßig von waffenrechtlich Unbefugten – sowohl Mitgliedern des Hausstands als auch Besuchern – aufgesucht wurde, ohne dass der Kläger den Schlüssel zuvor an sich genommen hätte. Dementsprechend gab es genügend Situationen, in denen der Kläger keinerlei Kontrolle über den Schlüssel ausüben konnte und die Gefahr bestand, dass unbefugte Dritte den Schlüssel und als Folge dessen auch Waffen und Munition an sich nehmen konnten. Als sorgfältiger Waffenbesitzer hätte der Kläger jedoch, auch wenn es keinen erhöhten Grund für Vorsichtsmaßnahmen gab, Sorge dafür tragen müssen, dass auch verhältnismäßig geringe Möglichkeiten für Dritte, sich in den Besitz von Waffen und Munition zu bringen, ausgeschlossen sind (vgl. VG Bayreuth, U.v. 30.10.2015 – B 1 K 15.345 – juris Rn. 30).
Damit hat der Kläger gegen die Aufbewahrungsvorschrift des § 36 WaffG verstoßen. Dies rechtfertigt auch die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG. Denn bei § 36 WaffG handelt es sich um eine zentrale waffenrechtliche Vorschrift, bei deren Verstoß die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit gerechtfertigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2015 – 21 CS 15.2130 – juris Rn. 22). Die Prognose der Unzuverlässigkeit ist bei Berücksichtigung des strikt präventiven, auf die Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten gerichteten Regelungskonzepts des Waffengesetzes nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tatsachen, auf die sie gestützt ist, nach aller Lebenserfahrung kein plausibles Risiko dafür begründen, dass die in Rede stehende Person künftig Verhaltensweisen im Sinn von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begehen wird, was etwa dann der Fall ist, wenn es sich bei dem Verstoß gegen die Aufbewahrungspflicht um eine situative Nachlässigkeit minderen Gewichts (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2020 – 24 ZB 20.1648 – juris Rn. 13) oder ein Augenblicksversagen (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 20.3.2015 – 6 K 2873/13 – juris Rn. 29) handelt. Der Aufbewahrungsverstoß kann vorliegend jedoch aufgrund seiner Schwere nicht als ein situationsbedingter Ausnahmefall angesehen werden, da der Schlüssel dauerhaft über einen langen Zeitraum unter dem Waschbecken aufbewahrt wurde und nicht, wie zunächst vom Kläger schriftsätzlich vorgetragen, nur anlässlich der Hausdurchsuchung.
Zudem ist der Aufbewahrungsverstoß auch als gröblich i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG anzusehen. Gröblich ist ein Verstoß dann, wenn die Rechtsverletzung gemessen an den genannten Zielsetzungen objektiv schwer wiegt und in subjektiver Hinsicht im Besonderen dem Betreffenden als grobe Pflichtverletzung zuzurechnen ist, sei es weil er vorsätzlich gehandelt oder sich als besonders leichtsinnig, nachlässig oder gleichgültig gezeigt hat, sodass sich in dem Verstoß die fehlerhafte Einstellung zu waffenrechtlichen Ordnungsvorschriften widerspiegelt (BayVGH, B.v. 20.7.2020 – 24 ZB 19.1204 – juris Rn. 12 mwN). Die lange Aufbewahrung des Schlüssels unterhalb des Waschbeckens ist aus Sicht des Gerichts als nachlässig zu bewerten, da es sich um einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen die zentrale waffenrechtliche Aufbewahrungsvorschrift des § 36 WaffG handelt und § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG nach seinem Sinn und Zweck gerade darauf abzielt, das mit dem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten (Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 773i).
2.2 Darüber hinaus bestehen auch hinsichtlich der Prognose des Landratsamts betreffend der sich aufgrund eines Vorfalls im Sommer 2017 oder 2018 ergebenden Unzuverlässigkeit des Klägers nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b WaffG keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist insoweit ebenfalls der Erlass des Widerrufsbescheids (vgl. BayVGH, U.v. 30.7.2020 – 24 BV 18.2500 – juris Rn. 11).
2.2.1
Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WaffG. Demnach besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden. Dies erfordert, dass Schusswaffen nicht ihrer Zweckbestimmung entsprechend und auch nicht verantwortungsbewusst, nach Prüfung der gesetzlichen Nutzungsmöglichkeiten, verwendet werden. Unter missbräuchlicher Verwendung wird jedes zumindest bedingt vorsätzlich Gebrauchmachen verstanden, das von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist, während eine leichtfertige Verwendung einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit erfordert. Der Maßstab für die gerichtlich uneingeschränkt überprüfbare Prognose ist diesbezüglich der gleiche wie bei § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG. Es wird daher in Anbetracht von Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen in § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WaffG und der erheblichen Gefahren, die von Waffen oder Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, nicht der Nachweis verlangt, der Betroffene werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden, sondern es genügt eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Einschätzung (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1/14 – juris Rn. 9). Erforderlich sind daher konkrete Tatsachen, die den nachvollziehbaren und plausiblen Schluss rechtfertigen, dass der Erlaubnisinhaber in Zukunft mit Waffen in einer vom Waffengesetz nicht geduldeten Form umgehen wird (vgl. VG Würzburg, U.v. 23.6.2016 – W 5 K 15.1003 – juris Rn. 51)
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass es zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt zu einem Vorfall zwischen dem Kläger und den Zeugen P* … und S* … kam, bei dem der Kläger gegenüber den beiden Zeugen seine Pistole hochhielt, um mit dieser anzugeben. Die Überzeugungsbildung des Gerichts gründet sich insbesondere auf den glaubhaften Angaben der beiden Zeugen, an deren Glaubwürdigkeit seitens des Gerichts keine Zweifel bestehen. Insbesondere konnten beide sehr glaubhaft schildern, wie perplex sie über das Verhalten, aber auch den Kommentar des Klägers waren. Auch wenn die Schilderungen der Zeugen in Detailfragen voneinander abweichen, so ist das Gericht dennoch davon überzeugt, dass der Kläger nach Verlassen seiner Ausfahrt am Grundstück des Zeugen P* … angehalten, seine Pistole aus dem geöffneten Fenster nach oben gehalten und in fränkischem Dialekt sinngemäß geäußert hat, er werde jetzt zum Schießen fahren. Hinsichtlich der voneinander abweichenden Angaben ist zu berücksichtigten, dass der fragliche Zwischenfall nur kurz andauerte und schon mindestens dreieinhalb Jahr zurückliegt. Sofern der Klägerbevollmächtigte mit seiner Anregung, die polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Akten beizuziehen, die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Zweifel ziehen wollte, ist anzumerken, dass sich das Gericht den bereits aus den dem Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgängen zu entnehmenden Nachbarschaftsstreitigkeiten zwischen dem Kläger und den Zeugen, insbesondere dem Zeuge S* …, sehr wohl bewusst ist. Beide Zeugen haben selbst zugegeben, dass sie mittlerweile ein schlechtes bzw. nichtexistentes Verhältnis zum Kläger pflegen und nicht mehr mit diesem reden. Dennoch konnte das Gericht bei beiden Zeugen keinen Belastungseifer feststellen, da keine übertriebenen oder effektheischenden Schilderungen des Sachverhalts erfolgten. Ebenso zeugt das Abweichen in Details davon, dass sich die Zeugen nicht abgesprochen haben, was sie hinsichtlich des Vorfalls berichten wollen.
Nach Auffassung des Gerichts stellt das Hochhalten einer Waffe zwar keine missbräuchliche, sehr wohl jedoch eine leichtfertige Verwendung von Waffen i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WaffG dar. Ein missbräuchliches Verwenden ist nach der Rechtsprechung anzunehmen, wenn unmissverständlich mit Waffen gedroht wird (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2013 – 21 ZB 13.415 – juris Rn. 7), mittels einer Waffe eine Drohkulisse aufgebaut wird, um Personen einzuschüchtern (vgl. VG Minden U.v. 3.4.2017 – 8 K 2340/16 – juris Rn. 21) oder die Waffe zur Abschreckung verwendet wird (vgl. VG Würzburg, U.v. 7.12.2018 – W 9 K 17.821 – juris Rn. 58), da all diese Verhaltensweisen nicht mehr von der Rechtsordnung gedeckt sind. Das kurze – nach Angabe des Zeugens P* … hat der Vorfall kaum zwei Minuten gedauert – Hochhalten der Pistole genügt nicht, um die Gefahr eines missbräuchlichen Verwendens zu begründen. Beide Zeugen haben übereinstimmend ausgesagt, dass sie sich durch das Hochhalten der Waffe – der Zeuge P* … sagte explizit aus, dass die Waffe nicht auf ihn und den Zeugen S* … gerichtet wurde – nicht bedroht gefühlt und es auch nicht als Droh- oder Einschüchterungsversuch wahrgenommen hätten. Das Hochhalten einer Waffe in unmittelbarer Nähe zu Dritten ist im vorliegenden Fall allerdings als leichtfertig zu bewerten. Leichtfertiges Handeln erfordert zumindest ein Verhalten, das sich dadurch auszeichnet, dass der Betreffende grob achtlos handelt und keine einfachsten, jedem einleuchtenden Überlegungen angestellt hat (vgl. VGH BW, U.v. 26.10.2018 – 1 S 1726/17 – juris Rn. 51). Zwar zielte der Kläger nicht auf die Zeugen, doch zumindest der Zeuge S* … befand sich eigenen Angaben zufolge maximal eineinhalb Meter vom Kläger – und somit auch der Waffe – entfernt. Dadurch wäre es ihm beispielsweise möglich gewesen, dass er einen Schritt auf den Kläger zumacht und nach der Waffe greift. Die Verhaltensweise des Klägers zeigt folglich, dass dieser seiner Garantenpflicht für den von ihm besessenen gefährlichen Gegenstand nicht nachgekommen ist. Der Zeuge S* … gab weiter an, dass er das Verhalten des Klägers, sowohl beim Hochhalten der Waffe als auch zuvor beim Herumtragen auf seinem Grundstück, als Angeberei aufgefasst hat. Auch das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung durch die Angaben des Klägers die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger die Zurschaustellung seines Waffenbesitzes wichtig war und ist. Folglich bestehen insoweit hinreichende Anhaltspunkte, dass der Kläger auch weiterhin mit seinem Waffenbesitz prahlen wird.
2.2.2
Der Kläger erfüllt darüber hinaus aufgrund dieses Vorfalls auch die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG. Demnach besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit u.a. nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen werden. Vorsichtig im Sinn dieser Vorschrift ist der Umgang mit Waffen und Munition nur dann, wenn alle zumutbaren Sicherungsmöglichkeiten ergriffen werden, um die von einer Waffe ausgehenden Gefahren für sich oder andere auszuschließen (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2018 – 21 CS 18.72 – juris Rn. 26). Sachgemäß erfordert einen Umgang, der den tatsächlichen Anforderungen des Einzelfalls und den gesetzlichen Vorschriften entspricht (Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 758p).
Es kann vorliegend offenbleiben, ob sich der Kläger, der auch Inhaber eines Jagdscheins ist, bei diesem Vorfall auf einer nach § 13 Abs. 6 Satz 1 WaffG privilegierten Fahrt befand und so von der gem. § 12 Abs. 3 Nr. 2 WaffG bestehenden Vorgabe, dass Waffen nur nicht zugriffsbereit befördert werden dürfen, befreit war. Denn jedenfalls stellt das Hochhalten der Pistole und deren Heraushalten aus dem Autofenster während der unterbrochenen Fahrt im vorliegenden Einzelfall eine bedenkliche Handhabung der Waffe, also keinen sachgerechten Umgang mit dieser dar. Eine solche Zurschaustellung der Pistole ist darüber hinaus auch nicht von Sinn und Zweck der Privilegierung des § 13 Abs. 6 Satz 1 WaffG gedeckt. Darüber hinaus hat der Kläger durch sein Verhalten – wie bereits ausgeführt – Dritten einen Zugriff auf die Waffe ermöglicht. Damit hat der Kläger bewiesen, dass er nicht nur nicht alle ihm zumutbaren Sicherungsmöglichkeiten bei dem Transport der ggfs. zulässigerweise zugriffsbereit im Auto befindlichen Pistole ergriffen hat, sondern vielmehr sogar bewusst das Risiko eingegangen ist, dass Dritte in den Besitz der Waffe gelangen. Auch insoweit verbleibt dementsprechend ein nicht hinzunehmendes Restrisiko der Wiederholungsgefahr.
2.3 Da die Unzuverlässigkeit des Klägers nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b, Abs. 2 Nr. 5 WaffG feststeht und mithin die Voraussetzungen des zwingenden Widerrufs gem. §§ 45 Abs. 2 Satz 1, 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erfüllt sind, ist es unschädlich, dass die im Bescheid angegebene mangelnde persönliche Eignung des Klägers gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WaffG nicht feststeht. Das Landratsamt verkennt insoweit, dass die Norm über das waffenrechtliche Fehlverhalten hinausgehend noch weitere in der Person des Klägers liegende Umstände verlangt, um dem Betreffenden die erforderliche persönliche Eignung abzusprechen. Ein Automatismus, dass bei Vorfällen, die die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Betreffenden begründen, zugleich auf dessen mangelnde persönliche Eignung zu schließen ist, besteht nach der Gesetzessystematik gerade nicht.
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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