Verwaltungsrecht

Widerruf einer zuvor wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung erteilten Duldung

Aktenzeichen  B 4 S 17.70

Datum:
13.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 S. 2, Abs. 2c
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Mit der Neuregelung der Duldung zum Zweck der Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung durch das Integrationsgesetz wollte der Gesetzgeber nicht auf das bestehende Erfordernis einer Beschäftigungserlaubnis verzichten und Ausländern ohne einen Aufenthaltstitel abweichend vom Grundsatz des § 4 Abs. 3 S. 1 AufenthG einen unreglementierten Zugang zu einer Ausbildung eröffnen (ebenso NdsOVG BeckRS 2016, 111344). (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG begründen, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht, aber auch dann, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert (ebenso BayVGH BeckRS 2017, 100316 ). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner Duldung.
Der ledige Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 27.09.2015 ohne Visum und Ausweispapiere erstmals ins Bundesgebiet ein, stellte am 29.09.2015 einen Asylantrag und erhielt eine bis 29.12.2015 gültige Aufenthaltsgestattung.
Mit Bescheid vom 23.10.2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) seine Anträge auf Asylanerkennung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1-3). Zugleich stellte die Behörde fest, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 4) und forderte ihn auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, widrigenfalls ihm die Abschiebung nach Afghanistan angedroht werde (Ziffer 5). Schließlich befristete sie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
Am 27.10.2015 wurde ihm als Wohnsitz eine dezentrale Unterkunft für Asylbewerber in H.zugewiesen. Zuständige Ausländerbehörde war bis 15.09.2016 die Stadt H.
Am 06.11.2015 erhob der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Bayreuth Klage gegen den Bescheid vom 23.10.2015 und stellte einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Nachdem das Gericht am 23.11.2015 den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt hatte (B 3 S. 15.30581), wurde am 16.03.2016 die Klage abgewiesen (B 3 K 15.30582). Auf die Gründe des Urteils, das seit 24.05.2016 rechtskräftig ist, wird verwiesen.
Am 11.12.2015 erteilte die Stadt H. dem Antragsteller erstmals eine zunächst bis 10.03.2016 gültige Duldung mit der Nebenbestimmung, dass die Duldung erlischt, sobald die Ausreise bzw. Abschiebung möglich ist. Die Aussetzung der Abschiebung wurde am 10.03.2016 bis 09.06.2016 und am 15.06.2016 bis 14.09.2016 verlängert.
Bei Erteilung der Duldung forderte die Stadt H.den Antragsteller schriftlich auf, Identitätsnachweise vorzulegen. Eine freiwillige Ausreise lehnte der Antragsteller am 15.12.2015 schriftlich ab. Am 18.04.2016 übersandte die Stadt H. eine Kopie der Taskira des Antragstellers der Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde (ZAB Oberbayern) und fragte an, ob es möglich sei, ein Verfahren zur Ausstellung von Passersatzpapieren einzuleiten. Die ZAB Oberbayern antwortete am 20.04.2016, nach derzeitigem Stand werde der afghanische Konsul einen Reisepass nur ausstellen, wenn er davon überzeugt sei, dass der Antragsteller aus freiem Willen den Reisepass beantragt. Nur bei Vorliegen einer Verurteilung zu mindestens 50 Tagessätzen könne die Ausstellung eines Reisepasses auch gegen seinen Willen erwirkt werden. Bei einer Vorsprache des Antragstellers am 11.08.2016 lehnte das Afghanische Generalkonsulat die Ausstellung eines Reisepasses ab, weil er keine legalisierte Taskira vorlegen konnte.
Am 29.08.2016 wurde dem Ausländeramt ein Antrag auf Eintragung eines Berufsausbildungsverhältnisses an die IHK in Kopie vorgelegt. Ein Antrag auf eine Ausbildungsduldung wurde nicht gestellt. Daraufhin gestattete die Stadt H.am 31.08.2016 dem Antragsteller durch Aufnahme einer entsprechenden Nebenbestimmung in seiner bis 14.09.2016 gültigen Duldung eine Berufsausbildung als Koch in einem Hotel in …, Gemeinde … (Landkreis …) vom 01.09.2016 bis 31.08.2019.
Am 14.09.2016 verlängerte die Stadt H. die Duldung des Antragstellers bis 13.03.2017, gestattete ihm seine Ausbildung und forderte ihn auf, sich weiterhin intensiv um die Ausstellung eines Reisepasses zu bemühen. Den Hinweis, dass die Duldung erlischt, sobald die Ausreise bzw. Abschiebung möglich ist, enthält die Duldung nicht.
Am 15.09.2016 erklärte sich die Regierung von Oberfranken – Zentrale Ausländerbehörde (i. f. ZAB Oberfranken) für ausländerrechtlich zuständig. Am 13.10.2016 kündigte der Arbeitgeber das Ausbildungsverhältnis des Antragstellers fristlos.
Am 15.11.2016 genehmigte die Agentur für Arbeit … dem Antragsteller als Maßnahme zur Aktivierung und berufliche Eingliederung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III ein Praktikum in einer Kfz-Werkstatt in N. vom 21.11.2016 bis 16.12.2016, das der Antragsteller anschließend ableistete. Der Betriebsinhaber war danach so zufrieden mit dem Antragsteller, dass er in einem. Schreiben an den Antragsgegner vom 18.12.2016 erklärte, er biete ihm eine Lehrstelle als Kfz-Mechatroniker und nach bestandener Ausbildung eine Übernahme in Festanstellung an. Der Entwurf eines Ausbildungsvertrages wurde nicht vorgelegt.
Mit Bescheid vom 23.01.2017, per Postzustellungsurkunde versandt am 26.01.2017, widerrief die ZAB Oberfranken die am 14.09.2016 letztmals verlängerte Duldung (Ziffer 1) und ordnete die sofortige Vollziehung des Widerrufs an (Ziffer 2).
Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, die Abschiebung sei bislang ausschließlich deshalb auszusetzen gewesen, weil sie tatsächlich unmöglich war. Nach Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zwischen Deutschland und Afghanistan über die Zusammenarbeit im Bereich der Migration vom 02.10.2016 (i. f. Rückführungserklärung) sei dieses Abschiebungshindernis entfallen, so dass die Abschiebung vollzogen werden könne. Andere Gründe für eine Aussetzung der Abschiebung seien nicht ersichtlich. Deshalb werde die Duldung widerrufen. Der Sofortvollzug werde angeordnet, weil mit dem Widerruf die Voraussetzung dafür geschaffen werde, die vollziehbare Ausreisepflicht effektiv durchsetzen zu können und die bereits angedrohte Abschiebung durchführen zu können Mit Telefax vom 01.02.2017 hat der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigten Klage gegen den Bescheid beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und seine Aufhebung beantragt (B 4 K 17.71).
Zugleich wurde am 01.02.2017 im Wege eines Antrages gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung wird ausgeführt, die Duldung habe nicht widerrufen werden dürfen, weil der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung für eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker in dem … Betrieb habe. Außerdem sei seine Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich. Er sei wegen einer schweren depressiven Episode und einer posttraumatischen Belastungsstörung vom 10.01. bis 09.02.2017 in stationärer Behandlung im Bezirksklinikum … (Landkreis …) gewesen. Beim Gedanken, zwangsweise nach Afghanistan zurück zu müssen, plagten ihn Suizidgedanken. Nach einer erzwungenen Rückkehr in sein Heimatland werde er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst etwas antun. Auf jeden Fall werde sich sein Zustand so verschlechtern, dass er in Afghanistan sofort eingewiesen werden müsse. Es sei höchst fraglich, ob dort dann eine so gute und effektive Behandlung wie in … erfolge. Zur Glaubhaftmachung legte er den Entlassbericht der Bezirksklinik vom 08.02.2017 und einen Arztbrief der Klinik vom 20.02.2017 vor, die jeweils an den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. A., …, gerichtet sind. Schließlich bringt er vor, der Antragsteller sei aus dringenden humanitären und persönlichen Gründen im Ermessenswege zu dulden. Er werde in Afghanistan wegen eines am 14.04.2015 erschienen Zeitungsartikels gegen die Taliban gesucht und sei bei einer Rückkehr Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt.
Der Antragsgegner hat sinngemäß beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er trägt vor, der Widerruf sei rechtmäßig. Insbesondere habe der Antragsteller, der laut AZR-Eintrag am 14.09.2016 (weiter) wegen fehlender Reisedokumente geduldet worden sei, keinen Anspruch auf eine Duldung aus anderen Gründen. Die Ausländerbehörde dürfe im Duldungsverfahren nicht eigenständig beurteilen, ob die vom Antragsteller geltend gemachten Gefahren für Leib und Leben aufgrund der dortigen Verhältnisse vorlägen, sondern sei diesbezüglich an die gerichtlich bestätigte Entscheidung des Bundesamtes gebunden. Im Klageverfahren führt der Antragsgegner ergänzend weiter aus, der Antragsteller habe keinen Anspruch auf eine Ausbildungsduldung. Weder der Antragsteller noch der Inhaber des Ausbildungsbetriebes hätten bisher einen entsprechenden Antrag auf eine Duldung für eine Berufsausbildung gestellt.
Am 13.03.2017 teilte die ZAB Oberbayern der ZAB Oberfranken mit, es sei beabsichtigt, en Antragsteller zur Herkunfts- und Identitätsfeststellung voraussichtlich in der 14. KW beim Generalkonsulat vorladen zu lassen, um dann, wenn er positiv identifiziert sei, einen Heimreiseschein zu beantragen.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch die des Verfahrens B 4 K 17.71 und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der am 01.02.2017 erhobenen Klage gegen den Widerruf der Duldung im Bescheid vom 23.01.2017 ist zulässig, aber unbegründet.
a) Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO statthaft.
Da dem Antragsteller zu ermöglichen ist, gegen die Anordnung des Sofortvollzuges im Bescheid vom 23.01.2017, Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, kann offen bleiben, ob die Behörde den Sofortvollzug überhaupt hätte anordnen müssen oder ob der Widerruf der Duldung nicht vielmehr bereits kraft Gesetzes gemäß Art. 21a VwZVG sofort vollziehbar ist, weil es sich beim Widerruf der Duldung um eine Maßnahme im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung handelt (vgl. dazu Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 a Rn.50 b) Der Antrag ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids abzuwägen hat. Ausschlaggebend sind dabei insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache.
Nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass die Klage des Antragstellers voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, weil der Widerruf der Duldung mit Bescheid vom 23.01.2017 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
aa) Gemäß § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG wird die Aussetzung der Abschiebung widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen.
Die der Abschiebung bei Erteilung der Duldung durch die Stadt H. entgegenstehenden Gründe sind entfallen.
aaa) Bei Erteilung der Duldung am 14.09.2016 bestand ein Abschiebungshindernis, weil der Antragsteller nicht über einen Reisepass verfügte.
Die Islamische Republik Afghanistan bestand nach verlässlichen Informationen der ZAB Oberbayern zu diesem Zeitpunkt darauf, dass Rückführungen nur mit Reisepass durchgeführt werden können. Die Ausstellung dieses Dokuments war gegenüber dem Antragsteller jedoch am 11.08.2016 abgelehnt worden. Eine vom Antragsgegner vereinbarte erneute Vorsprache mit Tazkira versprach nicht von vornherein Erfolg, weil der afghanische Konsul nur dann deinen Reisepass ausstellte, wenn er zuvor den (subjektiven) Eindruck gewonnen hatte, der jeweilige Antragsteller beantrage das Dokument vollkommen freiwillig.
bbb) Demgegenüber steht der fehlende Reisepass des Antragstellers seit der Unterzeichnung der Rückführungserklärung am 02.10.2016 der Abschiebung nicht mehr dauerhaft entgegen. Die afghanische Auslandsvertretung erachtet inzwischen einen Heimreiseschein für ausreichend, der nach Einreichung eines Antrages, dreier Passbilder und von ID-Nachweisen innerhalb von vier Wochen nach einer Vorsprache des ausreisepflichtigen Afghanen im Generalkonsulat auch dann erteilt wird, wenn der Antragsteller seiner Ausstellung nicht freiwillig zustimmt. Wird der Heimreiseschein binnen dieser Frist nicht ausgestellt, kann die zuständige Ausländerbehörde ein EU-Laissez-passer ausstellen (ZAB Oberbayern, Pass-Informationen für Afghanistan, Stand 24.02.2017, Gerichtsakte Bl. 46ff.).
bb) Gegenüber dem Widerruf der ihm wegen der tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung erteilten Duldung kann sich der Antragsteller auch nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe einen Anspruch auf Duldung aus anderen Gründen.
Zwar darf die Behörde einen Aufenthaltstitel, den sie einem Ausländer aus anderen Rechtsgründen sogleich wieder erteilen muss, nicht widerrufen (BVerwG; U. v.13.04.2010 – 1 C 10/09 – NVwZ 2010,1369/1371 Rn.18) Dies gilt auch für den Widerruf einer Duldung nach § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG (Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 60a AufenthG Rn. 53).
Der Antragsteller hat jedoch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung aus einem anderen Rechtsgrund.
aaa) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung (§ 60 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Danach ist einem Ausländer eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbaren Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen.
aaaa) Der Antragsteller kann bereits deshalb keine Ausbildungsduldung beanspruchen, weil der Antragsgegner noch keine Entscheidung über die begehrte Duldung treffen konnte. Der Inhaber einer Kfz-Werkstatt hat zwar seine Bereitschaft bekundet, den Antragsteller auszubilden. Der Behörde liegt aber kein prüffähiger Entwurf des konkret abzuschließenden Berufsausbildungsvertrages vor.
bbbb) Außerdem hat der Antragsteller bisher seine Ausbildung nicht aufgenommen und kann sie auch nicht in unmittelbarer Zukunft beginnen.
Einerseits hat er bislang keinen Ausbildungsvertrag geschlossen und seine Ausbildung tatsächlich begonnen. Andrerseits kann er die Ausbildung auch nicht im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften aufnehmen, weil er bisher keine Beschäftigungserlaubnis beantragt und erhalten hat. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dürfen Ausländer eine Erwerbstätigkeit nur ausüben, wenn der Aufenthaltstitel sie dazu berechtigt. Das gilt nicht, wenn dem Ausländer aufgrund einer Rechtsverordnung die Erwerbstätigkeit gestattet ist, ohne dass er hierzu durch einen Aufenthaltstitel berechtigt sein muss. Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BeschV kann einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn er sich seit drei Monaten erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält. Keiner Zustimmung (der Bundesagentur für Arbeit) bedarf die Erteilung einer Erlaubnis zur Ausübung einer Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 BeschV). Die die damit gemäß § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG i. V .m. § 32 Abs. 1 Satz 1
AufenthG erforderliche Ermessensentscheidung über eine Beschäftigungserlaubnis ist auch weiterhin erforderlich. Denn mit der Neuregelung der Duldung zum Zweck der Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung durch das Integrationsgesetz wollte der Gesetzgeber nicht auf das bestehende Erfordernis einer Beschäftigungserlaubnis verzichten und Ausländern ohne einen Aufenthaltstitel abweichend vom Grundsatz des § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG einen unreglementierten Zugang zu einer Ausbildung eröffnen (Nds OVG, B. v. 09.12.2016 – 8 ME 184/16 – juris Rn. 6).
cccc) Schließlich stehen – jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Widerruf – Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung konkret bevor. Zu diesen Maßnahmen zählt auch das Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapiers (BayVGH, B. v.15.12.2016 – 19 CE 16.2025 – juris Rn. 19 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9090 S.25). Dieses Verfahren wurde inzwischen auf den Weg gebracht. Die zuständige ZAB Oberbayern hat erklärt, dass sie beabsichtigt, den Antragsteller für den aus organisatorischen Gründen frühestmöglichen Zeitpunkt, d.h. in der Woche ab 14.04.2017, vom Afghanischen Generalkonsulat vorladen zu lassen, um dann einen Heimreiseschein zu beantragen, der binnen vier Wochen auszustellen ist. Damit hat sie konkrete eigene Schritte zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet. Dass ein derartiges Verfahren einige Zeit in Anspruch nimmt, insbesondere weil es bei der Terminvergabe durch die Auslandsvertretung zu Verzögerungen kommt, entwertet die Schritte nicht, weil die Ausstellung entsprechender Unterlagen in der Hoheit des jeweiligen Herkunftsstaates liegt (BayVGH, a.a.O.).
bbb) Der Antragsteller hat weiter keinen Anspruch auf eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 2. Alt. AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit seiner Abschiebung aus Krankheitsgründen.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht. In Betracht kommen damit nur inlandsbezogene Abschiebungsverbote. Eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG begründen, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht, aber auch dann, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert (BayVGH, B. v. 05.01.2017 – 10 CE 17.30 – juris Rn. 4).
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Wird die geltend gemachte Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen soll, nicht durch eine qualifizierte Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG belegt, so wird auch die gesetzliche Vermutung für die Reisefähigkeit nicht widerlegt (BayVGH, a.a.O. Rn. 5).
Die vom Antragsteller vorgelegte (retrospektive) ausführliche ärztliche Stellungnahme vom 20.02.2017 legt zwar dar, dass der Antragsteller vor seiner stationären Behandlung von Selbstmordgedanken gehegt hatte und im Zeitraum vom 10.01. bis 09.02.2017 an einer schweren depressiven Episode sowie an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Der Arztbrief legt jedoch nicht dar, dass der Antragsteller gerade deshalb reiseunfähig ist oder dass sich das Krankheitsbild infolge einer Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Vielmehr stellt die Bezirksklink abschließend fest, zum Zeitpunkt der Entlassung hätten keine Hinweise auf eine Selbst- oder Fremdgefährdung bestanden. Der vorgelegte Arztbrief entspricht insoweit nicht den Anforderungen, die an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2, 3 AufenthG zu stellen sind.
Umso mehr gilt dies für den Bericht der Bezirksklinik vom 08.02.2017. Der Entlassbericht geht, seinem Zweck entsprechend, Empfehlungen für die Weiterbehandlung zu geben, mit keinem Wort darauf ein, ob der Antragsteller, der in einem ausreichend stabilisierten Zustand entlassen wurde, dennoch wegen Reiseunfähigkeit nicht abgeschoben werden kann.
Damit konnte der Antragsteller die gesetzliche Vermutung für die Reisefähigkeit nicht widerlegen.
Selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr liegt im Übrigen nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor. Vielmehr ist die Abschiebung von der Ausländerbehörde dann ggf. so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (BayVGH, B. v. 23.08.2016 – 10 CE 15.2784 – juris Rn. 16).
ccc) Schließlich hat der Antragsteller auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung aus dringenden persönlichen oder humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG.
Nach § 60 Abs. 2 Satz 3 AufenthG kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Mit dieser Vorschrift soll ausreisepflichtigen Ausländern im Ermessenswege ein vorübergehender Aufenthalt ermöglicht werden, wenn sich der Aufenthaltszweck noch nicht zu einem rechtlichen Abschiebungshindernis verdichtet hat und tatsächliche Abschiebungshindernisse nicht vorliegen. Dringende humanitäre oder persönliche Interessen liegen vor, wenn die persönlichen Interessen des Ausländers an der weiteren vorübergehenden Anwesenheit im Bundesgebiet schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der Ausreispflicht z.B. weil eine Operation durchzuführen ist oder vorübergehend ein schwer erkrankter Familienangehöriger zu betreuen ist (Kluth in BeckOK AuslR, Stand 01.02.2017, § 60 a AufenthG Rn. 23f.).
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ermessensduldung für einen vorübergehenden Aufenthalt liegen schon deshalb nicht vor, weil der Antragsteller nicht nur seine vorübergehende weitere Anwesenheit, sondern einen zeitlich unbegrenzten Aufenthalt im Bundesgebiet anstrebt. Darüber hinaus hat er mit der (erneuten) Schilderung seiner Fluchtgründe keine im Rahmen von § 60 Absatz. 2 Satz 3 AufenthG zu berücksichtigenden inlandsbezogenen persönlichen Interessen geltend gemacht. Die vorgetragenen Gründe wurden vielmehr bereits im Asylverfahren vom Bundesamt und vom Verwaltungsgericht geprüft und haben nicht dazu geführt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festgestellt wurden.
2. Als unterliegender Teil trägt der Antragsteller gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert beträgt wie bei einem Verfahren auf Erteilung einer Duldung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des bei einem entsprechenden Klageverfahren anzusetzenden halben Auffangwertes, d.h. 1.250 EUR (§ 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, Ziffern 8.3, 1.5 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen