Verwaltungsrecht

Widerruf von Taxi- und Mietwagengenehmigungen

Aktenzeichen  11 CS 17.2555

Datum:
17.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 500
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PBefG § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 25 Abs. 1, Abs. 2
PBZugV § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 Nr. 2 lit. d, Abs. 3

 

Leitsatz

1 Da § 1 Abs. 1 S. 2 PBZugV für die berücksichtigungsfähigen Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit keine abschließende Regelung enthält, ist für die an dem Gesamtverhalten und der Persönlichkeit des Betroffenen auszurichtende Zuverlässigkeitsprognose (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 181478; OVG Bln-Bbg BeckRS 2012, 52384) maßgeblich, ob dieser willens oder in der Lage ist, die einschlägigen Vorschriften zu beachten, wobei wegen der ihm anvertrauten Schutzgüter ein strenger Maßstab anzulegen ist und sich die Annahme der Unzuverlässigkeit auch aus einer Häufung von im Einzelnen nicht so schwerwiegenden Verstößen ergeben kann. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Prüfung, ob Verstöße gegen arbeitsrechtliche, sozialrechtliche oder steuerrechtiche Verpflichtungen(vgl. § 25 Abs. 2 PBefG) vorliegen, kann die Genehmigungsbehörde nach § 1 Abs. 3 PBZugV Auszüge aus Registern, in denen derartige Verstöße registriert sind, anfordern. Dabei können Taten und Verurteilungen verwertet werden, solange sie nach §§ 30 ff. BZRG in ein Führungszeugnis für Behörden aufzunehmen sind (HmbOVG BeckRS 2007, 22638). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein nachträgliches ordnungsgemäßes Verhalten während eines laufenden Straf- und Verwaltungsverfahrens bietet nicht die Gewähr dafür, dass ein solches Wohlverhalten ohne Weiteres auf Einsicht und charakterliche Läuterung hinweist (ebenso BVerwG BeckRS 1987, 06417). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 3 S 17.1561 2017-11-30 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 28.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Widerrufs seiner Genehmigungen zum Betrieb von sechs Taxen und einem Mietwagen.
Am 14. Februar 2017, rechtskräftig seit demselben Tag, verurteilte ihn das Amtsgericht G* … wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 36 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilung liegt zu Grunde, dass der Antragsteller von Januar 2012 bis April 2015 für mehrere Fahrer seines Taxi- und Mietwagenunternehmens Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt ca. 53.000 Euro nicht ordnungsgemäß abgeführt hatte.
Nach Anhörung widerrief das Landratsamt G* … (im Folgenden: Landratsamt) mit Bescheid vom 29. September 2017 die Genehmigungen zur Ausübung von Verkehr mit Taxen und Mietwagen, ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Rückgabe der Genehmigungsurkunden binnen zwei Wochen nach Zugang des Bescheids sowie die sofortige Vollziehung an.
Über den gegen den Bescheid vom 29. September 2017 erhobenen Widerspruch hat die Regierung von Schwaben nach Aktenlage noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Beschluss vom 30. November 2017 abgelehnt. Der Widerspruch werde voraussichtlich nicht erfolgreich sein, da das Landratsamt die Genehmigungen zu Recht widerrufen habe. Es würden mit der strafrechtlichen Verurteilung Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Antragstellers als Unternehmer dartun. Die Genehmigungen seien daher zwingend zu entziehen. Ein Ermessen stehe der Behörde nicht zu.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Er macht geltend, die vom Verwaltungsgericht als weggefallen angesehenen Genehmigungsvoraussetzungen lägen jetzt wieder vor. Die Verurteilung betreffe einen lange zurückliegenden Zeitraum. Der Antragsteller führe seinen Gewerbebetrieb nunmehr ordnungsgemäß. Eine Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Antragstellers ergebe, dass kein schwerwiegender Hang zur Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften erkennbar sei. Die Zukunftsprognose sei daher positiv. Im Übrigen würde auch eine verschärfte Überwachung ausreichen. Der Antragsteller verliere seine Existenz. Es sei daher zu prüfen, ob eine Ausnahmesituation vorliege.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen hingewiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu beanstanden wäre.
1. Nach § 25 Abs. 1 des Personenbeförderungsgesetzes vom 8. August 1990 (PBefG, BGBl I S. 1690), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2808), hat die Genehmigungsbehörde die Genehmigung zu widerrufen, wenn nicht mehr alle Voraussetzungen für die Erteilung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 PBefG vorliegen. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG dürfen keine Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Genehmigungsantragstellers oder der für die Führung der Geschäfte bestellten Person dartun. Der Begriff der Unzuverlässigkeit der vorgenannten Personen wird in § 1 Abs. 1 der Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr vom 15. Juni 2000 (PBZugV, BGBl I S. 851), zuletzt geändert durch Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl I S. 1474), näher konkretisiert. Danach gelten das Unternehmen und die zur Führung der Geschäfte bestellten Personen als zuverlässig im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG, wenn keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Führung des Unternehmens die für den Straßenpersonenverkehr geltenden Vorschriften missachtet oder die Allgemeinheit bei dem Betrieb des Unternehmens geschädigt oder gefährdet wird. Solche Anhaltspunkte sind anzunehmen bei rechtskräftigen Verurteilungen wegen schwerer Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 PBZugV) oder schweren Verstößen gegen arbeits- oder sozialrechtliche Pflichten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b PBZugV) oder abgabenrechtliche Pflichten, die sich aus unternehmerischer Tätigkeit ergeben (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. d PBZugV). Da für die berücksichtigungsfähigen Anhaltspunkte keine abschließende Regelung (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 PBZugV „insbesondere“) besteht, ist für die an dem Gesamtverhalten und der Persönlichkeit des Betroffenen auszurichtende Zuverlässigkeitsprognose (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.1970 – VII C 73.69 – BVerwGE 36, 288; OVG Berlin-Bbg, B.v. 12.6.2012 – OVG 1 S. 35.12 – juris Rn. 7) maßgeblich, ob dieser willens oder in der Lage ist, die einschlägigen Vorschriften zu beachten, wobei wegen der ihm anvertrauten Schutzgüter ein strenger Maßstab anzulegen ist und sich die Annahme der Unzuverlässigkeit auch aus einer Häufung von im Einzelnen nicht so schwerwiegenden Verstößen ergeben kann.
Darüber hinaus kann die Genehmigung nach § 25 Abs. 2 PBefG widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 PBefG nicht mehr vorliegen oder der Unternehmer die ihm gesetzlich obliegenden arbeitsrechtlichen, sozialrechtlichen oder die sich aus seinem Unternehmen ergebenden steuerrechtlichen Verpflichtungen wiederholt nicht erfüllt oder in schwerwiegender Weise dagegen verstoßen hat.
Zur Prüfung, ob Verstöße vorliegen, kann die Genehmigungsbehörde nach § 1 Abs. 3 PBZugV Auszüge aus Registern, in denen derartige Verstöße registriert sind, anfordern. Dabei können Taten und Verurteilungen verwertet werden, solange sie nach §§ 30 ff. des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) in ein Führungszeugnis für Behörden aufzunehmen sind (OVG Hamburg, B.v. 2.3.2007 – 1 Bs 340/06 – VRS 112, 384). Diese Frist beträgt im vorliegenden Fall nach § 34 Abs. 1 Nr. 3 BZRG fünf Jahre, beginnt gemäß § 36 Satz 1 BZRG mit dem Tag des ersten Urteils und ist hier noch nicht abgelaufen.
2. Gemessen an diesen Vorgaben, ist der Antragsteller voraussichtlich als unzuverlässig anzusehen und die Genehmigungen mussten widerrufen werden. Es kann dabei offen bleiben, in welchem Verhältnis die Widerrufsmöglichkeiten des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG und § 25 Abs. 2 PBefG zueinander stehen. Vorliegend sind auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PBefG erfüllt, da grobe Verstöße gegen die sozialrechtlichen Pflichten zum Abzug und zur Entrichtung der Beiträge zur Sozialversicherung in der Regel auch die Unzuverlässigkeit des Unternehmers belegen (Fromm/Sell-mann/Zuck, Personenbeförderungsrecht, 4. Auflage 2013, § 25 PBefG Rn. 5). Dass das Landratsamt Ermessen ausgeübt hat, obwohl es den Widerruf auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PBefG gestützt hat, führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids.
Hinsichtlich der Frage der Zuverlässigkeit trifft es zwar zu, dass die Taten schon längere Zeit zurückliegen. Die Verurteilung erfolgte aber erst im Jahr 2017 und kann dem Antragsteller daher noch entgegengehalten werden. Darüber hinaus ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 PBZugV, dass bei schweren Verstößen gegen strafrechtliche Vorschriften die Rechtskraft einer Verurteilung abgewartet werden muss und damit stets ein gewisser zeitlicher Abstand zwischen der Tatbegehung und dem Widerruf der Genehmigungen besteht. Ggf. hätten die Genehmigungen zwar auch schon früher widerrufen werden können, da bei einem schweren Verstoß gegen arbeits-, sozial- oder abgabenrechtliche Pflichten die Rechtskraft einer Verurteilung nicht Voraussetzung für den Wegfall der Zuverlässigkeit ist (vgl. OVG Hamburg, B.v. 1.11.2017 – 3 Bs 199/17 – VRS 132, 76 Rn. 8; OVG NW, B.v. 26.7.2017 – 13 Abs. 1675/16 – BeckRs 2017, 119543 Rn. 4) und das Landratsamt schon im Juli 2016 erfahren hat, dass ein Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller geführt wird. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, dass der Ausgang des Strafverfahrens abgewartet worden ist, denn gemäß der von der Staatsanwaltschaft übersandten Anklageschrift vom 5. Juli 2016 hatte sich der Antragsteller nicht zum Tatvorwurf eingelassen. Es stand damit noch nicht fest, dass es zu einer Verurteilung kommen würde.
Soweit der Antragsteller vorträgt, er führe seit dem Jahr 2015 seinen Betrieb ordnungsgemäß, ist dies zwar nicht bedeutungslos. Es kann diesem Umstand aber kein besonderes Gewicht beigemessen werden, denn ein nachträgliches ordnungsgemäßes Verhalten während eines laufenden Straf- und Verwaltungsverfahrens bietet nicht die Gewähr dafür, dass ein solches Wohlverhalten ohne weiteres auf Einsicht und charakterliche Läuterung hinweist (vgl. BVerwG, B.v. 16.6.1987 – 1 B 93.86; OVG RhPf, B.v. 7.3.2016 – 7 B 10052/16 – juris Rn. 10). Dem Antragsteller drohte angesichts der zahlreichen Verstöße eine ggf. zu vollstreckende Freiheitsstrafe und der Widerruf der Genehmigungen. Nur unter dem Eindruck dieser möglichen Rechtsfolgen hat er sich bisher wohlverhalten.
Auch der Einwand, der Widerruf der Genehmigungen führe zur Vernichtung seiner Existenz und es sei daher ein Ausnahmefall zu prüfen, greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Widerruf einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung wegen Unzuverlässigkeit nur in Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 25.10.1996 – 11 B 53.96 – juris Rn. 2). Ein Ausnahmefall wird insbesondere nicht dadurch begründet, dass der Betroffene seine Existenzgrundlage verliert (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1991 – 1 B 10.91 – juris Rn. 4). Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine solche Ausnahmesituation ersichtlich seien. Dem setzt der Antragsteller nichts entgegen, sondern behauptet nur, das Verwaltungsgericht habe einen Ausnahmefall nicht hinreichend geprüft.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 47.4 und 47.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, Anh. § 164 Rn. 14). Der Senat hält es aber für ermessensgerecht, hier dem Umstand, dass jede der widerrufenen sieben (Einzel) Genehmigungen zwar jeweils eine eigenständige Bedeutung i.S.d. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 5 ZPO hat, ihre (rechtliche) Verbindung zu einem Verkehr eines Unternehmens die Einzelbedeutung aber nicht unwesentlich relativiert, dadurch Rechnung zu tragen, dass hinsichtlich der weiteren Genehmigungen jeweils eine Halbierung des Werts vorzunehmen ist. Danach ist der Streitwert mit 1 x 15.000 Euro plus 5 x 7.500 Euro plus 1 x 5.000 Euro (insgesamt 57.500 Euro) zu bemessen und dann nach Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs nochmals zu halbieren.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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