Verwaltungsrecht

Wiederaufgreifen des Verfahrens, Änderung der dem Verwaltungsakt zugrundeliegenden Sachlage zugunsten des Betroffenen (verneint)

Aktenzeichen  15 ZB 22.30406

Datum:
10.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12074
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 71 Abs. 1, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 27 K 21.31288 2022-03-04 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben jordanischer Staatsangehöriger und arabischer Volkszugehörigkeit. Mit rechtskräftigem Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 4. Oktober 2019 wurde seine Klage, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. Juni 2017 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie (weiter hilfsweise) festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, abgewiesen.
Das Oberlandesgericht München – 1. Strafsenat – ordnete mit Beschluss vom 12. Februar 2021 (unter Zurückstellung der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung) auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, dem ein jordanisches Strafurteil vom 12. Dezember 2012 sowie ein jordanischer Haftbefehl vom 3. November 2020 zugrunde lagen, gegen den Kläger vorläufige Auslieferungshaft an (die nach zwischenzeitlicher Verlängerung mit Beschluss vom 10. Mai 2021 wieder aufgehoben wurde). Es liege – so der OLG-Beschluss vom 12. Februar 2021 – folgender Sachverhalt zugrunde: „Am 06.05.2010 nutzte der Genannte die Schwäche der Anzeigeerstatterin aus, die dringend Geld benötigte, und veranlasste sie dazu, sich mit Prostitutionshandlungen gegen Bezahlung vertraut zu machen. Die Anzeigeerstatterin konnte jedoch fortlaufen. Sie reichte Klage gegen den Genannten ein und die Strafverfolgung wurde dementsprechend eingeleitet.“ Der Kläger sei deshalb durch das vorgenannte jordanische Urteil in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden.
Mit – hier streitgegenständlichem – Bescheid vom 28. April 2021 lehnte das Bundesamt den mit Schreiben vom 11. März 2021 gestellten Asylfolgeantrag des Klägers als unzulässig ab und lehnte zudem auch den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 1. Juni 2017 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ab. Es seien keine neuen Umstände vorgetragen worden, die möglicherweise zu einer günstigeren Entscheidung im Hinblick auf §§ 3 ff. AsylG führen könnten. Die vom Kläger neu vorgebrachten Umstände hinsichtlich einer Verurteilung in Jordanien, über die er nach seinen Angaben vormals aus Angst vor Abschiebung nichts erzählt habe und die auf einem aus seiner Sicht ihm zu Unrecht vorgeworfenen Sachverhalt basiere, sowie hinsichtlich einer Todesdrohung seitens der Familie der betroffenen jungen Frau (s.o.: Anzeigeerstatterin) gegen ihn erfüllten nicht die Voraussetzung der Nachträglichkeit des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V. mit § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dar. Es liege keine geänderte bzw. neue Sachlage vor. Diese Umstände hätten bereits zum Zeitpunkt des vorangegangenen Verfahrens bestanden. Auch sei der Wiederaufgreifensgrund eines neuen Beweismittels (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) nicht gegeben. Der Kläger müsse sich zudem grobes Eigenverschulden hinsichtlich des Nichtvorbringens im Asylerstverfahren bzw. im vorherigen Gerichtsverfahren vorwerfen lassen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Es seien keine schwerwiegenden Gründe ersichtlich, die den Kläger daran gehindert hätten, den nun vorgebrachten Sachverhalt nicht schon in seinem Asylerstantrag beziehungsweise im vorherigen Gerichtsverfahren vorzutragen. Da der Sachverhalt auch nicht gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG innerhalb der 3-Monats-Frist seit Kenntnis vorgetragen worden sei, sei der Antrag zudem verfristet. Der Antrag auf Durchführung eines erneuten Asylverfahrens (Folgeantrag) sei somit unzulässig. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG gem. § 49 VwVfG rechtfertigten, lägen ebenfalls nicht vor.
Mit Urteil vom 4. März 2022 wies das Verwaltungsgericht München die vom Kläger gegen den Bescheid vom 28. April 2021 erhobene Klage ab. In den Entscheidungsgründen wird auf die Ausführungen des Bescheids Bezug genommen und ergänzend ausgeführt: Bei dem jordanischen Strafurteil handele es sich weder um eine nachträgliche Sachlagenänderung i.S. von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG noch um ein neues Beweismittel i.S. von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. Denn dieses Urteil sei dem Kläger nach eigener Aussage bereits seit 2016 bekannt gewesen. Damit habe das Strafurteil schon während des Asylerstverfahrens sowie des mit Urteil vom 4. Oktober 2019 abgeschlossenen Klageverfahrens vorgelegen. Unabhängig hiervon scheitere der Wiederaufgreifensantrag auch an § 51 Abs. 2 VwVfG. Der Kläger sei nicht ohne grobes Verschulden nicht in der Lage gewesen, den Grund für das Wiederaufgreifen geltend zu machen. Dass er das Strafurteil bewusst nicht eingeführt habe, weil er Angst vor einer Auslieferung durch die deutschen Behörden nach Jordanien gehabt habe, ändere daran ebenso wenig wie die Tatsache, dass seine frühere Bevollmächtigte ihm geraten haben soll, das jordanische Urteil nicht in das Asylverfahren oder das Gerichtsverfahren einzuführen. Dem Kläger hätte sich die Relevanz des jordanischen Urteils für das Asylverfahren aufdrängen müssen. Bei den gerichtlichen Entscheidungen / Verfügungen des OLG München im Auslieferungsverfahren handele es sich nicht um neue Tatsachen im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG. Zwar sei ein „Nachwachsen von Gründen“ im gerichtlichen Verfahren noch möglich. Allerdings existiere überhaupt noch keine abschließende Entscheidung des OLG im Auslieferungsverfahren, sondern allein ein kritischer Aktenvermerk vom 19. Juli 2021, in dem Fragen hinsichtlich des jordanischen Strafurteils gestellt würden. Dieser Aktenvermerk beruhe aber auf Umständen, die sich auch schon aus dem jordanischen Strafurteil – das der Kläger vorzulegen versäumt habe – selbst ergeben hätten. Aus demselben Grund stelle der Vermerk auch kein neues Beweismittel dar. Unabhängig hiervon ergebe sich aus dessen Inhalt auch keine Tatsache, die für den Kläger eine günstigere Entscheidung im Hinblick auf § 3 ff., § 4 AsylG herbeigeführt haben würde. Zunächst sei nicht ersichtlich, dass es sich um eine politisch motivierte Verfolgung handele. Auch soweit der Kläger behaupte, es handele sich bei dem Strafurteil um eine von einem einflussreichen und ihm feindlich gesinnten Stamm erwirkte bzw. lancierte Entscheidung, habe das Auswärtige Amt über das Bundesamt für Justiz im Auslieferungsverfahren mitgeteilt, dass über eine solche Familie keinerlei Erkenntnisse vorlägen, was ganz entscheidend gegen die Einflussnahmemöglichkeiten oder sogar die Existenz dieser Familie spreche und sich daher eine asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Verfolgung nicht als beachtlich wahrscheinlich darstelle. Auch habe das Auswärtige Amt zu einer vom Kläger vorgelegten ministeriellen Bescheinigung mitgeteilt, dass es sich wohl um eine „Gefälligkeitsbescheinigung“ handele. Dieser Einschätzung sei der Kläger nicht entgegengetreten. Der Kläger habe ferner keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG, selbst wenn man im Rahmen der Prüfung von Abschiebungsverboten von den Voraussetzungen des § 51 VwVfG absähe. Es sei nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihm im Hinblick auf die allgemeine Situation in Jordanien oder aufgrund besonderer individueller Umstände eine relevante Gefährdung drohe. Vielmehr ergebe sich aus § 60 Abs. 6 AufenthG, dass die Gefahr gesetzmäßiger Strafverfolgung einer Abschiebung nicht entgegenstehe. Im Übrigen sei nichts für ein gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot ersichtlich. Der Kläger habe schließlich auch keinen Anspruch auf die ausnahmsweise Feststellung von Abschiebungsverboten unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der vom Kläger allein geltend gemachte Berufungszulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2021 – 15 ZB 21.31689 – juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 16.3.2022 – 15 ZB 22.30278 – juris Rn. 17).
Diese Anforderungen erfüllt der Kläger mit seiner Antragsbegründung nicht. Er trägt vor, die Auffassung des Verwaltungsgerichts sei falsch, dass die Verfügung des OLG München vom 19. Juli 2021 einen bloßen kritischen Aktenvermerk des zuständigen Berichterstatters am OLG München zu dem jordanischen Strafurteil darstelle, sodass weder eine nachträgliche Sachlagenänderung angenommen werden könne und somit auch kein neues Beweismittel vorliege, und dass sich hieraus keine Tatsache ergebe, die für ihn – den Kläger – eine günstigere Entscheidung im Hinblick auf §§ 3 ff, § 4 AsylG herbeigeführt haben würde. Tatsächlich habe die Verfügung vom 19. Juli 2021 zur Einleitung von weiteren Aufklärungsmaßnahmen seitens der Generalstaatsanwaltschaft München geführt. So habe Letztere das Bayerische Staatsministerium der Justiz über die Verfügung informiert und darum gebeten, bestimmte, vom OLG erbetene Informationen bei den jordanischen Behörden einzuholen. Dies habe sodann in eine Verbalnote der Bundesrepublik Deutschland an die Botschaft des Haschemitischen Königreichs Jordanien gemündet. Diese sei zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Seiten Jordaniens noch nicht beantwortet gewesen. Diese Vorgänge stellten eine zu berücksichtigende neue Tatsache i.S. von § 51 VwVfG dar. Es komme nicht darauf an, dass Ausgangspunkt das bereits bekannt jordanische Strafurteil sei, sondern dass auf Basis der Verfügung vom 19. Juli 2021 nunmehr eine richterliche Bewertung vorliege, die aufgrund hierdurch ausgelöster Aufklärungsmaßnahmen einschließlich einer Verbalnote ein eigenständiges Gewicht mit Außenwirkung erlangt habe. Die vom Auswärtigen Amt vorgenommene Einschätzung hinsichtlich der vom Kläger vorgelegten ministeriellen Bescheinigung, wonach es sich angeblich nur um eine Gefälligkeitsbescheinigung handeln solle, ändere daran nichts. Mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts, dass die OLG-Verfügung vom 19. Juli 2021 Umstände betreffe, die sich bereits aus dem jordanischen Strafurteil ergeben hätten, und es sich somit schon nicht um eine nachträgliche Sachlagenänderung handeln könne, werde verkannt, dass sich die neue Tatsache i.S. von § 51 Abs. 1 VwVfG aus der OLG-Verfügung vom 19. Juli 2021 selbst ergebe und nicht aus dem Objekt der Bewertung, nämlich dem jordanischen Strafurteil. Die Verfügung vom 19. Juli 2021 beziehe sich als neuer Umstand auf asylrechtlich entscheidungserhebliche Umstände. Die Einschätzung des Auswärtigen Amts sei diesbezüglich nicht ausreichend, zumal die Generalstaatsanwaltschaft sich in Umsetzung der OLG-Verfügung über das Bayerische Staatsministerium der Justiz an das Auswärtige Amt gewendet habe, um die Verbalnote an die jordanische Botschaft zu stellen. Wäre eine eigene Einschätzung des Auswärtigen Amts ausreichend gewesen, wäre es nicht notwendig gewesen, die Verbalnote an die Botschaft Jordaniens zu stellen. Der Umstand, dass die Verbalnote noch nicht beantwortet sei, genüge nicht, auf eine eigene Einschätzung des Auswärtigen Amts abzustellen. Zudem betreffe die Einschätzung des Auswärtigen Amts lediglich die vom Kläger vorgelegte ministerielle Bescheinigung. Die Verbalnote beziehe sich dagegen auf grundlegende Fragestellungen in Bezug auf das jordanische Urteil vom 12. Dezember 2012.
Zur Beantwortung der vom Kläger als grundsätzlich angesehene Frage
„Stellen richterliche Verfügungen in Bezug auf zu treffende Aufklärungsmaßnahmen in einem Auslieferungsverfahren eine neue Tatsache im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG in Verbindung mit § 71 Abs. 1 AsylG dar, wenn die Aufklärungsmaßnahmen zu Fragestellungen ergehen, die auch Gegenstand der asylrechtlichen Bewertung sein können?“,
bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens, weil sie sich ohne Weiteres anhand des Gesetzes und der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten lässt.
Gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegt ein Wiederaufgreifensgrund vor, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sachlage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Änderung der Sachlage zugunsten des Betroffenen nur vorliegt, wenn „Tatsachen“, die im Zeitpunkt des Erlasses des früheren Bescheides vorlagen und für die behördliche Entscheidung objektiv bedeutsam waren, nachträglich wegfallen oder wenn neue, für die Entscheidung erhebliche Tatsachen nachträglich eintreten (BVerwG, U.v. 4.12.2001 – 4 C 2.00 – BVerwGE 115, 274 = juris Rn. 22 m.w.N.; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: August 2021, § 51 VwVfG Rn. 59). Entscheidend ist, dass die geänderten Tatsachen ein Merkmal eines gesetzlichen Tatbestands oder ein Teilstück hiervon betreffen (Decker in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand: April 2022, zu § 51 VwVfG Rn. 18; Thietz-Bartmann LKV 2011, 152/153); als Änderung der Sachlage sind mithin nur solche tatsächlichen Vorgänge anzusehen, die eine Änderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts zur Folge haben (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 51 Rn. 94). Hinsichtlich der Sachverhaltsbewertung kann eine Änderung der Sachlage auch durch Gewinnung neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse eintreten, weil mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen der als objektiv angesehene Wissensstand im Nachhinein verändert wird (BVerwG, U.v. 4.12.2001 a.a.O.; Schoch a.a.O.).
Eine Verfügung des OLG im Auslieferungsverfahren, mit der die Rechtsstaatlichkeit eines ausländischen Strafurteils und deswegen das Vorliegen der Voraussetzungen einer Auslieferung hinterfragt werden und die Ausgangspunkt für weitere Aufklärungsmaßnahmen im Auslieferungsverfahren ist, stellt unter Zugrundelegung des Gesetzeswortlauts des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG und der insofern keine grundsätzlichen Fragen offenlassenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung keine geänderte „Tatsache“ im o.g. Sinn dar. Es geht insofern allein um Einzelfragen zur Bewertung einer von vornherein – und nicht nachträglich – vorliegenden Tatsache, nämlich eines gegen den Kläger in Jordanien ergangenen Strafurteils, die dieser im ersten Asyl- und im hierauf bezogenen (ersten) gerichtlichen Verfahren verschwiegen hat.
Sollte der Vortrag des Klägers dahingehend zu verstehen sein, dass es ihm mit der als grundsätzlich bezeichneten Frage, auch um die Klärung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens gem. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG (neues Beweismittel) geht, ist ebenfalls der Berufungszulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht einschlägig. Insofern ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt, dass „neu“ ausschließlich solche Beweismittel sind, die während der Anhängigkeit des ersten Verwaltungsverfahrens noch nicht vorhanden waren, als auch solche, die ohne Verschulden des Betroffenen nicht oder nicht rechtzeitig beigebracht werden konnten. Beweismittel sind solche Erkenntnismittel, die die Überzeugung von der Existenz oder Nichtexistenz von Tatsachen begründen können (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1994 – 2 C 12.92 – BVerwGE 95, 86 = juris Rn. 24 m.w.N.; Schoch a.a.O. Rn. 66). Einer Verfügung des OLG im Auslieferungsverfahren, mit der Einzelfragen eines Strafurteils (etwa zur Rechtsstaatlichkeit des diesem zugrundeliegenden Verfahrens) aufgeworfen werden und die Ausgangspunkt für weitere Aufklärungsmaßnahmen im Auslieferungsverfahren ist, kommt offensichtlich nicht die Eigenschaft eines solchen Erkenntnismittels zu; diese beweist selbst nicht das Vorhandensein von Tatsachen, auf die es für die rechtliche Würdigung des Sachverhalts (hier: in Bezug auf asylrechtliche Ansprüche) ankommt (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1994 a.a.O., wonach selbst das Urteil eines Gerichts – dort: eines Disziplinargerichts – kein Beweismittel i.S. von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG ist).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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