Verwaltungsrecht

Wiederaufgreifensgrund wegen depressiver Störung

Aktenzeichen  M 17 S 17.38038

Datum:
8.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 71a Abs. 4
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2c S. 2
VwVfG VwVfG § 51

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 21. April 2017 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. April 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, paschtunischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 23. April 2014 wurde ein Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Belgien angeordnet, da der Antragsteller nach Aktenlage bereits einen Asylantrag in Belgien gestellt hatte. Nach Ablauf der Überstellungsfrist nach Belgien und Mitteilung, dass das Asylverfahren in Belgien negativ abgeschlossen worden sei, beantragte der Antragsteller die Durchführung eines Asylverfahrens durch die Antragsgegnerin. Am … März 2017 wurde der Antragsteller informatorisch im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG angehört.
Im weiteren Verfahren legte der Antragsteller ärztliche Atteste des Klinikums der … – vom … Januar 2017 und … Februar 2017 vor.
Mit Bescheid vom 10. April 2017, nach Aktenlage am 12. April 2017 zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziff. 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetztes nicht vorliegen (Ziff. 2.) und forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Afghanistan abgeschoben. Der Antragsteller könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Ziff. 3.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller in Belgien, einem sicheren Drittstaat, bereits ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe, so dass von einem Zweitantrag auszugehen sei. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen jedoch mangels Vorliegens von Wiederaufgreifensgründen gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor. Ebenso bestünden keine Abschiebungsverbote.
Am 21. April 2017 erhob der Antragsteller gegen den Bescheid des Bundesamts Klage zum Verwaltungsgericht München (M 17 K 17.38036) und beantragte zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antragsteller leide an einer behandlungsbedürftigen schweren depressiven Episode und sei auf verschiedene Medikamente angewiesen. Auf die vorgelegten ärztlichen Atteste des … … werde verwiesen. Nach der derzeitigen Erkenntnislage sei in Afghanistan weder eine psychiatrische, noch eine neurologische Behandlung gewährleistet.
Die Antragsgegnerin legte die Akten vor, äußerte sich sonst aber nicht zum Verfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten des Eil- und Klageverfahrens sowie die vorgelegten Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die nach § 71a Abs. 4, § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AsylG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
Gemäß § 71a Abs. 4, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf das Gericht die Aussetzung der Abschiebung nur anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen, d.h. hier vor allem daran, dass die Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Derartige ernstliche Zweifel bestehen im vorliegenden Fall.
Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin geprüft hat, inwieweit die durch qualifizierte ärztliche Atteste gemäß § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG nachgewiesene Erkrankung des Antragstellers Eingang in das in Belgien durchgeführte Asylverfahren gefunden hat. Weder im streitgegenständlichen Bescheid vom 10. April 2017, noch sonst in den vorgelegten Akten finden sich entsprechende Hinweise. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung, wonach eine depressive Störung, vorliegend beschrieben als gegenwärtig schwere depressive Episode gemäß F 33.2 der ICD-10, in Afghanistan wohl nicht ausreichend behandelbar ist (vgl. VG München B.v. 10.04.2017 – M 16 E 17.34086 – sowie B.v. 23.12.2016 – M 15 E 16.35844), muss zumindest im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO davon ausgegangen werden, dass erhebliche Wiederaufgreifensgründe vorgebracht wurden, deren abschließende Überprüfung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt.
Dem (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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