Verwaltungsrecht

Wirksamkeit der Klagerücknahmefiktion

Aktenzeichen  M 3 K 19.5402

Datum:
15.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49641
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 92 Abs. 2, § 92 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage im Verfahren M 3 K 16.2319 ist zurückgenommen.
II. Der Kläger hat die Kosten des fortgesetzten Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Fortsetzung seines Klageverfahrens gegen den Bescheid der beklagten TUM vom 25. November 2013 und den Widerspruchsbescheid vom 14. April 2016 ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Entsteht über das Vorliegen der Voraussetzungen der gesetzlichen Rücknahmefiktion Streit, so hat das Gericht das Verfahren fortzusetzen und über die Frage der Beendigung des Verfahrens aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, wenn ein Beteiligter – wie vorliegend durch die Klagepartei mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2019 geschehen – dies beantragt. Erweist sich, dass die Voraussetzungen für die Rücknahmefiktion vorliegen, so ergeht Urteil, dass das Verfahren beendet ist und der Antragsteller die Kosten des fortgesetzten Verfahrens zu tragen hat (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 92 Rn. 26). So ist es im vorliegenden Fall:
Das Klageverfahren M 3 K 16.2319 ist beendet. Der Einstellungsbeschluss des Gerichts vom 15. Oktober 2019 ist zu Recht ergangen, da die Klage vom 18. Mai 2016 nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO als zurückgenommen gilt (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Die Voraussetzungen für eine Klagerücknahmefiktion nach § 92 Abs. 2 VwGO sind vorliegend gegeben.
1. Die Fiktion der Klagerücknahme nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO setzt voraus, dass im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung – hier 1. August 2019 – bestimmte, sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses bestanden haben (BVerfG (Kammer), B. v. 27.10.1998 – 2 BvR 2662/95 – juris Rn. 18; BVerwG, B.v. 7.7.2005 – 10 BN 1/05 – juris Rn. 4; B.v. 12.4.2001 – 8 B 2/01 – juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 6.6.2016 – 22 B 16.611 – juris Rn. 24).
Hinreichend konkrete Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses können sich etwa aus dem fallbezogenen Verhalten des jeweiligen Antragstellers, aber auch daraus ergeben, dass er prozessuale Mitwirkungspflichten verletzt hat. Stets muss sich daraus aber der Schluss auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses, also auf ein Desinteresse des Antragstellers an der weiteren Verfolgung seines Begehrens ableiten lassen (BVerwG, B.v. 7.7.2005 – 10 BN 1/05 – juris Rn. 4). Nicht geboten ist ein sicherer, über begründete Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses hinausgehender Schluss (BVerwG, B.v. 7.7.2005 – 10 BN 1/05 – juris Rn. 4).
Bei Unterbleiben von Antragstellung und Klagebegründung ist zu berücksichtigen, dass die Klageschrift nach § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO noch keinen Antrag enthalten muss. Im Hinblick auf die Klagebegründung geht § 82 Abs. 1 Satz 3 VwGO zwar vom Regelfall aus, dass der Kläger seine Klage begründet. Unterbleibt eine Begründung, hat das Gericht im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes den wesentlichen Sachverhalt zu ermitteln und ggf. vom Amts wegen Beweis zu erheben. Die Grenze ist dort erreicht, wo die prozessualen Mitwirkungspflichten des Klägers beginnen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019 § 82 Rn. 12). Vor diesem Hintergrund kommt es für die Frage, ob sich aus dem Unterbleiben der Klagebegründung Zweifel an Fortbestand des Rechtsschutzinteresses ergeben, maßgeblich auf die näheren Umstände an. Dabei ist zum einen die Höhe des Streitwerts, zum anderen etwa die Frage zu berücksichtigen, ob durch Vorlage des angefochtenen Bescheids der Streitstoff für das Gericht hinreichend bezeichnet ist (BVerwG, B.v. 12.4.2001 – 8 B 2/01 – juris Rn. 6).
Im Bereich des Prüfungsrechts ist allerdings weiter zu berücksichtigen, dass Prüfungsentscheidungen nicht von Amts wegen vollumfänglich überprüft werden. Mit dem Recht des Prüflings, auf vermeintliche fachliche Irrtümer und daran anknüpfende Rechtsfehler wirkungsvoll hinweisen zu können, korrespondiert im Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung eine Mitwirkungspflicht. Der Prüfling hat derartige Fehler mit „wirkungsvollen Hinweisen“ gegenüber dem Gericht aufzuzeigen, d.h. sie substantiiert mit einer nachvollziehbaren Begründung bestehender Einwände darzulegen. Soll sein Vorbringen berücksichtigt werden können, hat der Prüfling klarzustellen, in welchen konkreten Einzelpunkten die Korrektur bestimmter Prüfungsleistungen nach seiner Auffassung Korrekturfehler aufweist; dabei hat er auf Inhalt und Zielrichtung einzelner Prüferbemerkungen und – wertungen einzugehen (BVerwG, U.v. 4.5.1999 – 6 C 13/98 – juris Rn. 35; vgl. auch BayVGH, U.v. 6.6.2016 – 22 B 16.611 – juris Rn. 26).
Vor diesem Hintergrund bestanden vorliegend zum maßgeblichen Zeitpunkt der Betreibensaufforderung am 1. August 2019 sachlich begründete Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses beim Kläger.
a) In der Klageschrift vom 18. Mai 2016 ist lediglich der angegriffene Prüfungsbescheid vom 25. November 2013 und der Widerspruchsbescheid vom 14. April 2014 genannt; Klageanträge und Klagebegründung werden nach erfolgter Akteneinsicht angekündigt. Aus der Bezeichnung des angegriffenen Bescheids und Widerspruchsbescheids in der Klageschrift allein ist nicht ersichtlich, in welcher Hinsicht und in welchem Umfang der Kläger eine gerichtliche Überprüfung verlangt und welches Ziel er mit der Klage verfolgt. Insbesondere ist aus der Klageschrift weder erkennbar, ob der Kläger Mängel des Prüfungsverfahrens, Bewertungsfehler oder sonstige materiellen Mängel rügt. Der Kläger hat im Widerspruchsverfahren verschiedene allgemeine, teilweise auch konkreter gefasste Rügen vorgebracht (vgl. E-Mail vom 6. Dezember 2013, Schreiben vom 28. Januar 2014), einzelne davon wohl wieder zurückgezogen (Schreiben vom 28. Januar 2014); die von ihm konkreter erhobene Rügen hat der Kläger allerdings stets als nur beispielhaft bezeichnet und angekündigt, „bei Bedarf“ (Schreiben vom 28. Januar 2014 an die TUM) weitere Unzulänglichkeiten der Gutachten aufzuzeigen. Da zudem in der Klageschrift der Vortrag im Widerspruchsverfahren nicht in Bezug genommen, sondern eine gesonderte Klagebegründung angekündigt wird, lässt sich auch aus dem vorangegangenen Widerspruchsverfahren nicht ableiten, in welcher Hinsicht der Kläger sich gegen die Prüfungsentscheidung wenden will. Vor diesem Hintergrund war eine weitere Sachaufklärung durch das Gericht ohne Mitwirkung des Klägers nicht möglich.
b) Indem der Kläger durch seine Bevollmächtigten hierzu trotz Aufforderung des Gerichts nicht Stellung nahm, verletzte er seine prozessualen Mitwirkungspflichten.
Auf die Mitteilung des Gerichts vom 26. Juli 2016, dass Akten vorgelegt und in der Geschäftsstelle eingesehen werden können, ist über den Zeitraum von 2 Jahren und 10 Monaten keine Reaktion der Klagepartei gegenüber dem Gericht erfolgt.
Auch auf die Aufforderung des Gerichts vom 26. Juni 2019, die Klage bis zum 31. Juli 2019 zu begründen, ist keine Rückmeldung der Klagepartei an das Gericht gefolgt. Es liegen keine Hinweise dafür vor, dass diese Aufforderung der Kanzlei Dr. L. & Kollegen nicht zugegangen wäre. Die Aufforderung des Gerichts konnte auch an die Kanzlei Dr. L. & Kollegen (Anschrift M2.str. 2, M1.) gerichtet werden. Was den Einwand von Rechtsanwalt Dr. L. (vgl. Schreiben vom 12. November 2019) anbelangt, die damalige Kanzlei in München Bogenhausen sei am 28. Dezember 2016 verkauft worden und man habe davon ausgehen können, dass die Tätigkeit sowohl durch den neuen Erwerber als auch durch Rechtsanwalt E. fortgeführt werde, kommt es hierauf vorliegend nicht an. Nach § 173 VwGO i.V.m. § 84 Satz 1 ZPO sind mehrere Bevollmächtigte berechtigt, sowohl gemeinsam als auch einzeln die Partei zu vertreten. Mit der Klageschrift vom 18. Mai 2016 hat sich die Kanzlei Dr. L. & Kollegen als Sozietät zur Prozessbevollmächtigten des Klägers bestellt. Demnach ist davon auszugehen, dass die Prozessvollmacht nicht nur Rechtsanwalt E., sondern jedenfalls auch Rechtsanwalt Dr. L. erteilt wurde. Nach § 173 VwGO i.V.m. § 87 Abs. 1 ZPO besteht die Prozessvollmacht auch bei Kündigung so lange fort, bis die Kündigung bzw. die Niederlegung des Mandats dem Gericht bzw. dem Prozessgegner mitgeteilt ist (Weber in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/ Gehle, ZPO, 78. Aufl. 2020, § 87 Rn. 4). Vorliegend ist dem Gericht jedoch keine diesbezügliche Mitteilung von Rechtsanwalt Dr. L. oder dem Kläger zugegangen.
c) Aus dem Vortrag des Klägers, frühzeitig eine Klagebegründung erstellt zu haben, die, ohne dass dies für die Kläger erkennbar gewesen wäre, von Rechtsanwalt E. nicht an das Gericht weitergeleitet worden sei, folgt nichts Anderes. Nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 ZPO muss eine Partei, die ihren Prozess durch einen Vertreter führen lässt, sich in jeder Hinsicht so behandeln lassen, als wenn sie den Prozess selbst geführt hätte; dies gilt auch für die Kenntnisnahme und für Unterlassungen (Weber in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 78. Aufl. 2020, § 85 Rn. 5).
2. Die Betreibensaufforderung des Gerichts vom 1. August 2019 enthielt den gemäß § 92 Abs. 2 Satz 3 VwGO erforderlichen Hinweis auf die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens. Von einer wirksamen Zustellung der Betreibensaufforderung nach § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist auszugehen, die oben genannten Vorschriften zur Fortgeltung der Prozessvollmacht bis zur Anzeige der Kündigung gelten auch im Rahmen von Zustellungen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann/ Anders/Gehle, ZPO, 78. Aufl. 2020, § 87 Rn. 6; Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 172 Rn. 9).
3. Der Kläger hat das Verfahren im Sinne des § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht betrieben. Ein Nichtbetreiben liegt vor, wenn der Kläger innerhalb der Zwei-Monatsfrist nicht substantiiert dargetan hat, dass und warum das Rechtsschutzbedürfnis trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist (BVerfG (Kammer), B.v. 17.9.2012 – 1 BvR 2254/11 – juris Rn. 29; BVerwG, B.v. 7.7.2005 – 10 BN 1/05 – juris Rn.7). Vorliegend hat der Kläger auf die Betreibensaufforderung nicht reagiert.
Damit gilt die Rücknahmeerklärung als abgegeben; die nachträgliche Äußerung des Klägers kann hieran nichts ändern (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 92 Rn. 18).
Die Voraussetzungen für den Eintritt der Klagerücknahmefiktion nach § 92 Abs. 2 und 3 VwGO lagen daher vor. Die Klage ist Verfahren M 3 K 16.2319 gilt als zurückgenommen, so dass das Klageverfahren zu Recht eingestellt wurde.
Der Antrag auf Fortführung des Verfahrens bleibt damit ohne Erfolg. Die Kosten des fortgesetzten Verfahrens sind dem Kläger aufzuerlegen (§ 154 Abs. 2 VwGO entsprechend, vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 92 Rn. 26).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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