Verwaltungsrecht

Zu den Voraussetzungen für die Berichtigung bzw. Ergänzung des Tatbestands einer rechtskräftigen Entscheidung

Aktenzeichen  22 CS 17.2291

Datum:
12.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14538
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 119
ZPO § 314

 

Leitsatz

1 Nach Eintritt der formellen Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung ist für die Zulässigkeit eines Antrags auf Berichtigung oder Ergänzung des Tatbestands die Darlegung erforderlich, dass hieran im Hinblick auf einen anderen Rechtsstreit ein anerkennenswertes Interesse und damit ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Beweis für das mündliche Vorbringen in einem vorangehenden Rechtszug erbringt nur der Tatbestand einer in dieser Instanz erlassenen Entscheidung, nicht aber eine seitens des Rechtsmittelgerichts vorgenommene Wiedergabe seinerzeitiger Ausführungen von Beteiligten (Anschluss an BGH BeckRS 1999, 30045221). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3 Über den Wortlaut des § 314 S. 1 ZPO hinaus erstreckt sich der Anwendungsbereich dieser Bestimmung auch auf die in der jeweiligen Instanz ggf. gestellten Rechtsmittelanträge und die dort abgegebenen sonstigen Prozesserklärungen (Anschluss an BVerwG BeckRS 2013, 52675). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 CS 17.2291 2018-05-08 Bes VGHMUENCHEN VG München

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag, gemäß §§ 119, 122 Abs. 1 VwGO die Sachverhaltsdarstellung im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Mai 2018 (22 CS 17.2291 – juris) zu berichtigen, ist als unzulässig abzulehnen, da der Antragstellerin das für ein solches Verlangen notwendige Rechtsschutzbedürfnis (vgl. zu dessen Erforderlichkeit OLG Bamberg, B.v. 27.2.2013 – 1 W 11/13 – juris Rn. 8; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 119 Rn. 1; Orth in Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 119 Rn. 3; Feskorn in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 320 Rn. 12) fehlt.
Die Tatbestandsberichtigung nach § 119 VwGO wurde vom Gesetzgeber mit Rücksicht auf die urkundliche Beweiskraft, die dem Tatbestand nach § 173 VwGO i.V.m. § 314 ZPO zukommt, zugelassen (BVerwG, B.v. 31.5.2013 – 2 C 6.11 – NVwZ 2013, 1237/1238). Es soll verhindert werden, dass infolge dieser Beweiskraft unrichtig beurkundeter Prozessstoff Grundlage für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts wird (BVerwG, B.v. 31.5.2013 a.a.O. S. 1238). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die nicht mit Rechtsmitteln anfechtbar sind (der Beschluss vom 8.5.2018 gehört nach § 152 Abs. 1 VwGO hierzu), besteht diese Gefahr von vornherein nicht.
Gleichwohl folgt der beschließende Senat nicht uneingeschränkt der Auffassung, mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung entfalle stets das Rechtsschutzbedürfnis für eine Tatbestandsberichtigung (so aber OLG Bamberg, B.v. 27.2.2013 – 1 W 11/13 – juris Rn. 11; ebenso Musielak in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 320 Rn. 1, wonach die formelle Rechtskraft die „Grenze für die Tatbestandsberichtigung“ bilde). Denn es ist vorstellbar, dass Beteiligte eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens im Hinblick auf einen anderen Rechtsstreit ein anerkennenswertes Interesse daran besitzen, die sich aus § 173 VwGO i.V.m. § 314 ZPO ergebende Beweiswirkung des Tatbestands zu beseitigen. Dies bedarf indes der Darlegung durch denjenigen, der die Berichtigung oder Ergänzung des Tatbestands erstrebt (so zu Recht Feskorn in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 320 Rn. 12). Von solchen Darlegungen kann allenfalls dann abgesehen werden, wenn die sich aus § 314 ZPO ergebende Relevanz des Tatbestands für ein anderes Verfahren auf der Hand liegt.
Auch auf dieser Grundlage ist ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin für die beantragte Berichtigung bzw. Ergänzung des Teils I der Gründe des Beschlusses vom 8. Mai 2018 bzw. weiterer in jener Entscheidung enthaltener Feststellungen tatsächlicher Art weder aufgezeigt noch erkennbar. Denn zu „mündlichem Parteivorbringen“ im Sinn von § 314 Satz 1 ZPO ist es im Beschwerdeverfahren 22 CS 17.2291 nicht gekommen. Anders verhielt es sich zwar im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht. Beweis für das mündliche Vorbringen in einem vorangehenden Rechtszug erbringt jedoch nur der Tatbestand einer in dieser Instanz erlassenen Entscheidung, nicht aber eine seitens des Rechtsmittelgerichts vorgenommene Wiedergabe seinerzeitiger Ausführungen von Beteiligten (BGH, U.v. 2.2.1999 – VI ZR 25/98 – BGHZ 140, 335/339).
Über den Wortlaut des § 314 Satz 1 ZPO hinausgehend erstreckt die Rechtsprechung den Anwendungsbereich dieser Bestimmung zwar auch auf die in der jeweiligen Instanz ggf. gestellten Rechtsmittelanträge und die dort abgegebenen sonstigen Prozesserklärungen (BVerwG, B.v. 31.5.2013 – 2 C 6.11 – NVwZ 2013, 1237/1238). Die Antragstellerin behauptet jedoch zu Recht nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof die von ihr im Verfahren 22 CS 17.2291 gestellten Beschwerdeanträge unzutreffend wiedergegeben habe. Soweit sie unter der Nummer 24 ihrer Zuschrift vom 5. Mai 2018 rügt, im Tatbestand des Beschlusses vom 8. Mai 2018 fehle ein Hinweis auf ihren Schriftsatz vom 15. Januar 2018 und den darin gestellten Antrag, die Akten des erstinstanzlichen Verfahrens M 16 K 18.126 beizuziehen, ferner darauf, dass sie als Anlagen zu jenem Schriftsatz die Unterlagen K 32 bis K 33b übersandt hat, hat der Verwaltungsgerichtshof in der Randnummer 15 des Beschlusses vom 8. Mai 2018 auf die Zuschrift vom 15. Januar 2018 ausdrücklich Bezug genommen. Da § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO eine solche Vorgehensweise – sogar im Rahmen des Tatbestands von Urteilen – ausdrücklich zulässt, kann schon deshalb von einer nach § 119 i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO zu behebenden Unvollständigkeit dieser Entscheidung keine Rede sein.
Soweit von § 314 ZPO nicht erfasstes Parteivorbringen in Frage steht, erschöpft sich die Funktion des Tatbestands einer mit ihrem Erlass rechtskräftig werdenden Gerichtsentscheidung darin, den bisherigen Gang des Verfahrens, insbesondere den Inhalt der Entscheidungen vorangegangener Instanzen, zusammengefasst aufzuzeigen, um dadurch das Verständnis der nachfolgenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Gerichts zu erleichtern (vgl. OVG SA, B.v. 1.3.2017 – 2 L 117/16 – juris Rn. 25). Da sowohl der Antragstellerin als auch der Antragsgegnerin die Vorgeschichte des Rechtsstreits, dessen Verlauf sowie die Argumente bekannt sind, die sie in diesem und in parallel dazu geführten gerichtlichen Auseinandersetzungen ausgetauscht haben, ist eine noch ausführlichere Wiedergabe dieser Gegebenheiten, als sie in Teil I der Gründe des Beschlusses vom 8. Mai 2018 erfolgt ist, von Rechts wegen nicht geboten, zumal sich § 117 Abs. 3 Satz 1 VwGO sogar bei Urteilen mit einer „gedrängten“ Darstellung des Sach- und Streitstandes begnügt (vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2010 – 22 CS 09.3227 u. a. – juris Rn. 3). Dies gilt umso mehr, als bei einem Beschluss nach § 122 Abs. 1 VwGO auf einen Tatbestand auch vollständig hätte verzichtet werden können.
Muss der Antrag auf Berichtigung bzw. Ergänzung des Beschlusses vom 8. Mai 2018 nach § 119 i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO aber bereits aus diesen Gründen erfolglos bleiben, so kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, dass der diesen Antrag enthaltende Schriftsatz vom 5. Juni 2018 aus den gleichen Gründen, wie sie in den Randnummern 36 bis 40 jenes Beschlusses aufgezeigt wurden, als unzulässiger Versuch der Umgehung des Vertretungserfordernisses nach § 67 Abs. 4 Satz 1 bis 3 VwGO angesehen werden muss.
Die vorliegende Entscheidung ist nach § 119 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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