Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  M 32 K 16.35725

Datum:
19.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55920
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, 7 S. 1, § 11

 

Leitsatz

Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG scheidet aus. Die behaupteten Verfolgungen knüpften nicht an ein asylrechtlich relevantes Merkmal i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG an. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG, noch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 und 38 AsylG, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in § 11 AufenthG.
Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG), auch im Hinblick auf die nicht hinreichende Glaubwürdigkeit des klägerischen Vortrags, und führt ergänzend aus:
Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG scheidet aus. Die behaupteten Verfolgungen – so der Vortrag überhaupt glaubwürdig sein sollte -knüpften nicht an ein asylrechtlich relevantes Merkmal i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG an. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verfolgungen des Klägers wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmtem sozialen Gruppe geschahen. Die Verfolgung des Klägers im Zusammenhang mit seiner behaupteten Tätigkeit als Schauspieler und seiner behaupteten Tätigkeit in der Polio-Prävention geschahen nach dem Vortrag des Klägers nicht, weil er sunnitisch-islamischen Glaubens ist, sondern wegen der nach dem Vortrag des Klägers von den Taliban vertretenen sunnitisch-islamischen Position, Schauspielerei und die Mitwirkung bei einer Polio-Schluckimpfung seien mit ihrer Religion nicht vereinbar. Der Kläger wurde wegen eines bestimmten Verhaltens, das keinerlei spezifisch religiösen Kontext aufwies, von Glaubensgenossen verfolgt. Das hat nichts mit einer Verfolgung wegen der Religion des Verfolgten zu tun.
Des Weiteren gingen die vom Kläger behaupteten Verfolgungen nicht von einem rechtlich relevanten Verfolgungsakteur i.S.v. § 3c AsylG aus. Die vom Kläger als „die Taliban“ bezeichnete Verfolgergruppe ist kein nichtstaatlicher Verfolgungsakteur im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass vor dieser Gruppe erwiesenermaßen nicht Schutz durch die in § 3c Nr. 1 und 2 AsylG genannten staatlichen Strukturen, z.B. die Polizei, gewährt werden kann (zum Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren siehe ausführlich VG München, U.v. 15.2.2019 – M 32 K 16.35712). Außerdem besteht nach § 3e AsylG für den Kläger eine inländische Fluchtalternative. Die Voraussetzungen, nämlich dass der Kläger in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und er in diesen Landesteil reisen, dort aufgenommen werden und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt, sind erfüllt. Nach der aktuellen Erkenntnislage (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand August 2018, S. 20) können potentiell Verfolgte in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan aufgrund der dortigen Anonymität unbehelligt leben. In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.000 m², ca. 200 Mio. Einwohner) ohne funktionierendes Meldewesen ist es grundsätzlich möglich, in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines potentiellen Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014). Besondere individuelle Ausschlussgründe sind beim Kläger nicht ersichtlich. Im Gegenteil führt der Kläger selbst aus, dass er in Pakistan gut Geld verdienen und gut leben konnte. Er besaß auch ein gut gehendes Dönergeschäft. Außerdem war er nach seinen Worten als Assistent und Talentvermittler tätig. Nichts spricht dagegen, dass er sich mit seinen Fähigkeiten in Pakistan nicht wenigstens ein bescheidenes Auskommen wird verschaffen können (zum Gesundheitszustand des Klägers siehe unten).
Der Kläger hat ebenso keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Wie bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft fehlt es bereits an einem rechtlich relevanten Akteur und besteht eine inländische Fluchtalternative (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
Es besteht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
Ebenso besteht kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, insbesondere nicht wegen des Gesundheitszustandes des Klägers. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (Satz 1 der Vorschrift). Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Satz 2 der Vorschrift). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 3 der Vorschrift). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (Satz 4 der Vorschrift). Gefahren nach Satz 1 der Vorschrift, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Satz 5 der Vorschrift). § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG (welche Vorschrift auch bei § 60 Abs. 7 AufenthG Anwendung findet, BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris), spricht die Vermutung aus, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, stellt Anforderungen an den qualifizierten ärztlichen Nachweis von geltend gemachten gesundheitlichen Einwendungen und bestimmt die unverzügliche Vorlage eines solchen Nachweises.
Gemessen an diesen Anforderungen begründen die geltend gemachten Erkrankungen des Klägers kein Abschiebeverbot. Nach den vorgelegten kardiologischen Attesten ist beim Kläger am 18. April 2016 ein mechanischer Mitralklappenersatz am Herzen vorgenommen worden. Die Operation ist gut verlaufen und hat ein gutes Ergebnis gebracht. Die Operation in Deutschland hat den Gesundheitszustand des Klägers deutlich verbessert. Der Kläger muss aber nach dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten aktuellen allgemeinärztlichen Attest vom 13.2.2019 antikoaguliert werden, also Medikamente zur Blutgerinnungshemmung (Blutverdünnung) einnehmen, derzeit Marcumar. Sicherlich ist bei einem mechanischen Mitralklappenersatz eine antikoagulative Medikation zur Embolieprophylaxe medizinisch sinnvoll. Rechtlich maßgeblich ist aber, ob diese Medikation beim Kläger erforderlich ist, um eine ansonsten lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu vermeiden, was sich den Attesten nicht entnehmen lässt. Die Frage kann aber dahingestellt bleiben, denn ausweislich der Erkenntnismittel ist eine antikoagulative Medikation auch in Pakistan möglich (siehe Erkenntnismittel Independent Advisory Group on Country Information (IAGCI) – Home Office, Medical and Healthcare issues, Februar 2015, Nr. 1.7.2 „Blood clotting“). Bei dem im aktuellen allgemeinärztlichen Attest weiter angeführten „bekanntem“ Asthma bronchiale kann mangels weiterer ärztlicher Darlegungen nicht davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG handelt. Da es sich bei Asthma bronchiale um einer der häufigsten chronischen Erkrankungen handelt (Inzidenzrate etwa 5% der Bevölkerung bei insgesamt zunehmender Inzidenz, siehe dazu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort Asthma bronchiale) könnte die Erkrankung außerdem schon als allgemeine Gefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zu qualifizieren sein. Jedenfalls ist ausweislich der Erkenntnismittel (siehe das obige Erkenntnismittel und Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 21.8.2018, IV. 1.2) eine Behandelbarkeit in Pakistan gegeben.
Die Klage war von daher mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO.


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