Verwaltungsrecht

Zulassung eines Bürgerbegehrens

Aktenzeichen  M 7 K 16.4091

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayGO BayGO Art. 18a Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

1 Zwar sind die Initiatoren eines Bürgerbegehrens nicht zu einer objektiv ausgewogenen Erläuterung ihres Anliegens verpflichtet; allerdings darf die Begründung eines Bürgerbegehrens keine in entscheidungsrelevanter Weise unzutreffenden Tatsachenbehauptungen oder eine unzutreffende oder unvollständige Erläuterung der Rechtslage enthalten.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Bürgerbegehren ist unzulässig, wenn eine inhaltliche Diskrepanz zwischen Fragestellung und tragenden Begründungselementen besteht, die nach allgemeiner Lebenserfahrung als so gewichtig anzusehen sind, dass ohne sie möglicherweise weniger Unterzeichner das Bürgerbegehren unterstützt hätten.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Bürgerbegehren, das einen bestimmten Inhalt eines Bebauungsplans vorgibt, ist unzulässig, wenn nicht ein Planungsspielraum von substanziellem Gewicht mit genügend Alternativen zur Abwägung der konkreten Belange offen gelassen wird. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage auf Zulassung des Bürgerbegehrens „Rettet den Helmut-Karl Platz“ ist unbegründet. Durch die Ablehnung der Zulassung des Bürgerbegehrens durch die Beklagte werden die Kläger daher nicht in ihren Rechten verletzt, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Begründung des Bürgerbegehrens wird den Anforderungen, die an eine solche zu stellen sind, nicht gerecht. Dies gilt sowohl in Bezug auf den Beschluss des Haupt- und Finanzausschusses vom 13. Oktober 2015 als auch auf die veränderte Beschlusslage bei der Beklagten mit dem Stadtratsbeschluss vom 27. Juli 2017.
Nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 Bayerische Gemeindeordnung (GO) muss ein Bürgerbegehren eine (auf allen Unterschriftslisten gleichlautende) Begründung enthalten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gemeindebürger, wenn sie zur Unterschriftsleistung aufgefordert werden, schon in dieser ersten Phase des direktdemokratischen Verfahrens die Bedeutung und Tragweite der mit Ja oder Nein zu entscheidenden Fragestellung erkennen können (vgl. zum Volksgesetzgebungsverfahren VerfGH, E.v. 13.4.2000 – Vf. 4-IX-00 – VGH n.F. 53, 81/105). Dabei stellt die Regelung in Art. 18a GO an die Begründung eines Bürgerbegehrens zwar an sich keine besonderen Anforderungen (VG München, U.v. 2.12.1997 – M 7 K 97.853 – juris Rn. 42) und können komplexe oder rechtliche Sachverhalte durchaus vereinfacht und pointiert dargestellt werden. Da aber bereits mit der Unterzeichnung eines Bürgerbegehrens das Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt in Gestalt der Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 Bayerische Verfassung (BV)) ausgeübt wird, ergeben sich aus der Bayerischen Verfassung auch Mindestanforderungen an die Richtigkeit der Begründung (BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – juris Rn. 33 m.w.N.). Die Bürger können nur dann sachgerecht über die Unterstützung eines Bürgerbegehrens entscheiden und von ihrem Eintragungsrecht Gebrauch machen, wenn sie nicht durch den vorgelegten Begründungstext in wesentlichen Punkten in die Irre geführt werden. Es ist daher mit dem Sinn und Zweck eines Plebiszits auch auf kommunaler Ebene nicht vereinbar, wenn in der Begründung des Bürgerbegehrens in einer entscheidungsrelevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder wenn die maßgebende Rechtslage unzutreffend bzw. unvollständig erläutert wird (BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – juris Rn. 33; BayVGH, B.v. 9.12.2010 – 4 CE 10.2943 – juris Rn. 2; B.v. 20.1.2012 – 4 CE 11.2771 – juris Rn. 31; B.v. 25.6.2012 – 4 CE 12.1224 – BayVBl 2013, 19 Rn. 31; B.v. 14.10.2014 – 4 ZB 14.707 – juris Rn. 3 ff.; U.v. 4.7.2016 – 4 BV 16.105 – BayVBl 2017, 92 Rn. 27; anders noch B.v. 14.3.2001 – 4 ZE 00.3658 – BayVBl 2002, 184). Die einem Bürgerbegehren beigefügte Begründung muss hingegen noch keinen (vorläufigen) Überblick über die Ausgangssituation und den kommunalpolitischen Streitstand vermitteln (BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – juris Rn. 35). Die Betreiber des Bürgerbegehrens nehmen am öffentlichen Meinungskampf teil und sind nicht zu einer objektiv ausgewogenen Erläuterung ihres Anliegens verpflichtet. Die um ihre Unterschrift gebetenen Gemeindebürger müssen sich vielmehr selbständig ein Urteil darüber bilden, ob sie die – in der Regel einseitig zugunsten des Bürgerbegehrens – vorgebrachten Gründe für stichhaltig halten oder ob sie sich zusätzlich aus weiteren Quellen informieren wollen. Zu beanstanden ist die Begründung eines Bürgerbegehrens daher nur, wenn sie über eine bloß tendenziöse Wiedergabe hinaus einen entscheidungsrelevanten Umstand nachweislich falsch oder in objektiv irreführender Weise darstellt (BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – juris Rn. 35).
Dies ist vorliegend der Fall.
1. Die Begründung des streitgegenständlichen Bürgerbegehrens enthält insofern offenkundig erhebliche unrichtige Aspekte, als sie dem Haupt- und Finanzausschuss zur Last legt, den Lieferverkehr für LKW bis 12 t von der Münchner Straße über den Bürger Platz zur Telschow Straße ganztägig freigegeben zu haben.
Zum einen ist mit dem zugrundeliegenden Beschluss des Haupt- und Finanzausschusses vom 13. Oktober 2015 schon keine Freigabe des Lieferverkehrs erfolgt. Sowohl nach dem Beschluss des Haupt- und Finanzausschusses vom 13. Oktober 2015 als auch des Stadtrats vom 27. Juli 2017 ist nur beabsichtigt, auf der Grundlage von Ausnahmegenehmigungen des Ordnungsamtes und mit der Erforderlichkeit einer entsprechenden Fernbedienung dem Lieferverkehr – wohl auch nur für die Anwesen Bürger Platz 6 und 8 – die Durchfahrt vom Helmut-Karl Platz zur Telschow Straße mittels elektronisch versenkbarer Poller zu ermöglichen. Eine Beschilderung „Lieferverkehr frei“ (vgl. Nr. 5 der Beschlussvorlage) hat der Haupt- und Finanzausschuss gerade nicht beschlossen. Während die Beklagte beabsichtigt, den anfallenden Anlieferverkehr für die benannten Anwesen zu regeln, impliziert die Begründung die Absicht bei der Beklagten, die Durchfahrt für Lieferverkehr ohne weiteres freizugeben. Damit wird eine derart verzerrtes Bild gezeichnet, so dass dieses geeignet ist, Unterzeichner in die Irre zu führen.
Unrichtig ist die Begründung auch, soweit sie der Beklagten eine Freigabe für Lastwagen bis 12 Tonnen zur Last legt. Dies ist mit dem Beschluss vom 13. Oktober 2015 nicht geschehen. Schließlich hat der Haupt- und Finanzausschuss in seiner Sitzung nicht über diesen unter Nr. 3 der Beschlussvorlage enthaltenen Aspekt beschlossen. Eine Aussage zu LKW über 7,5 t könnte dem Beschluss allenfalls insoweit entnommen werden, als mit der Nichtzustimmung zur Beschlussvorlage in Nr. 3 gerade ein entgegenstehender Wille im Sinne einer Ablehnung zu einer entsprechenden Regelung getätigt wurde. Wie sich im Übrigen aus dem Protokollauszug über die Sitzung des Stadtrats vom 28. Juli 2016 (TOP 13) ergibt, wurde der Mediationsvorschlag des Haupt- und Finanzausschusses auch deshalb nicht unterzeichnet, weil die Ermächtigung „12 Tonnen“ fehlte. Dahinstehen kann daher, ob die Durchfahrtsmöglichkeit des Lieferverkehrs von der Beklagten auch nicht ganztägig, sondern nur von 7-19 Uhr von Montag bis Freitag und am Samstag von 7-13 Uhr, nach dem Beschluss des Stadtrats vom 27. Juli 2017 sogar nur bis 15 Uhr wochentags eröffnet wurde. Gerade die verkürzte Samstagsregelung könnte für Bürger ein nicht unwesentlicher Aspekt in Bezug auf den Besuch von Eisdielen, Straßencafés und Restaurants sein.
Unrichtig und irreführend ist die Begründung zum Bürgerbegehren zudem insoweit, als der Beklagten vorgeworfen wird, dass der Beschluss des Haupt- und Finanzausschusses die Festsetzung der Fußgängerzonen in den Bebauungsplänen missachten würde. Schließlich ist im maßgeblichen Bebauungsplan bislang bereits ausdrücklich ein Fußgängerbereich mit zulässigem Anlieferverkehr vorgesehen. Die entsprechenden Beschlüsse der Beklagten missachten somit die bisherige bauplanungsrechtliche Festsetzung gerade nicht, sondern versuchen, den anfallenden Anlieferverkehr zu regeln.
Von Relevanz und Gewicht ist zudem die Diskrepanz zwischen Fragestellung und Begründung des Bürgerbegehrens. Die Begründung zielt deutlich darauf ab, das Befahren des Helmut-Karl-Platzes durch LKW zu verhindern, da der Helmut-Karl Platz durch LKW massiv beeinträchtigt werde und die Überquerung des Platzes gefährlich sei. Mit der Bejahung der Fragestellung kann ein Befahren des Platzes mit LKW jedoch nicht verhindert werden, sondern nur die Durchfahrt von der Münchner Straße aus kommend über den Helmut-Karl Platz und den Bürger Platz zur Telschow Straße. Dem Unterzeichner des Bürgerbegehrens wird so irreführend durch die deutliche Formulierung in der Begründung eine Zielsetzung vermittelt, welche ihn zur Unterzeichnung motivieren kann, die jedoch rein objektiv durch die Fragestellung nicht erreichbar ist.
Bei den genannten irreführenden Inhalten in der Begründung des Bürgerbegehrens handelt es sich um tragende Begründungselemente, die nach allgemeiner Lebenserfahrung durchaus als so gewichtig anzusehen sind, dass ohne sie möglicherweise weniger Unterzeichner das Bürgerbegehren unterstützt hätten (vgl. BayVGH, U.v. 4.7.2016 – 4 BV 16.105 – juris Rn. 35 m.w.N.). Für viele Unterzeichner dürfte von wesentlichem Gewicht sein, dass auf dem Helmut-Karl Platz bereits jetzt bauplanungsrechtlich Anliegerverkehr zulässig ist, dieser auch nach dem Bestreben der Beklagten weiterhin eine Ausnahmegenehmigung vom Ordnungsamt benötigt und für eine Durchfahrt einer Fernbedienung zum Versenken der Poller bedarf, bei einer Sperre der Durchfahrt aber ggf. ein Wenden der LKW auf dem Platz erfolgen könnte.
2. Das Bürgerbegehren ist zudem insoweit unzulässig und daher rechtmäßiger Weise von der Beklagten abgelehnt worden, als es auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet ist.
Die Beantwortung der Frage im Bürgerbegehren lässt der Beklagten keinen hinreichend substanziellen Spielraum mehr für das in einem bebauungsplanrechtlichen Verfahren erforderliche Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB. Die Beklagte setzt sich diesbezüglich in der Bescheidsbegründung bereits zutreffend mit der bisher hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auseinander. Die entgegenstehenden Ausführungen des Landratsamtes, auf die sich auch die Kläger beziehen, überzeugen insofern nicht. Gibt ein Bürgerbegehren einen bestimmten Inhalt eines Bebauungsplans vor, ist dieses unzulässig, wenn nicht ein Planungsspielraum von substanziellem Gewicht mit genügend Alternativen zur Abwägung der konkreten Belange offen gelassen wird (BayVGH, B.v. 16.4.2012 – 4 CE 12.517 – juris Rn 28 f. m.w.N.). Die vorliegend begehrte Durchfahrtsbreite von 1,80 m belässt keinen solchen Planungsspielraum zur Lösung der Anliefersituation mehr, weil damit faktisch eine Durchfahrt mittels LKW – und weitgehend auch PKW – ausgeschlossen wäre. Dass die Fragestellung (nur) die Einleitung eines bauplanungsrechtlichen Verfahrens zum Gegenstand hat und damit formal noch nicht das Ergebnis vorwegnimmt, verschafft der Beklagten keinen verbleibenden einen Planungsspielraum, da ihr im Ergebnis nur ein „Ja“ oder „Nein“ beim vorgegebenen Ziel verbliebe. Soweit sich die Kläger auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts München vom 13. Juni 2012 beziehen, ist die dortige Konstellation nicht vergleichbar. Das dortige Bürgerbegehren zielte auf die Aufstellung eines Bebauungsplans für ein gemeindeübergreifendes Logistikzentrum eines großen Einzelhandelsunternehmens. Dies beließ gerade eine hinreichenden Spielraum bei der bauplanungsrechtlichen Umsetzung (vgl. VG München, U.v. 13.6.2012 – M 7 K 11.4737 – juris).
Es kommt somit nicht mehr darauf an, dass bereits fraglich ist, ob für eine entsprechende bauplanungsrechtliche Änderung – wie vom Bürgerbegehren beabsichtigt – überhaupt eine Erforderlichkeit i.S.v. § 1 Abs. 3 BauGB besteht (vgl. VG Würzburg, U.v. 11.11.2015 – W 2 K 14.1124 – juris Rn. 42). Voraussetzung für den Erlass eines Planaufstellungsbeschlusses zur Änderung oder Aufstellung eines Bebauungsplanes ist das Bestehen einer (planungsrechtlichen) Erforderlichkeit im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2011 – 4 CE 11.1619 – juris Rn. 5 m.w.N.). Danach haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Ordnung erforderlich ist. Eine Bauleitplanung ist immer nur dann erforderlich, wenn sie vernünftigerweise geboten ist, wobei es für diese Beurteilung maßgebend auf die planerische Konzeption der Gemeinde ankommt (vgl. BayVGH, B.v. 13.12.2010 – 4 CE 10.2839 – juris Rn. 29). Dabei muss nicht nur der Bebauungsplan selbst, sondern jede einzelne Darstellung und Festsetzung erforderlich sein. Die bauplanungsrechtliche Erforderlichkeit erfüllt dabei dieselbe Funktion wie die Planrechtfertigung im Planfeststellungsrecht (vgl. u.a. BVerwG, U.v. 27.3.2013 – 4 CN 6/11 – juris). Dies erscheint vorliegend zweifelhaft, nachdem der Beklagten auch die Möglichkeit für straßenverkehrsrechtliche Regelungen (wie bisher erfolgt) offensteht.
Das Bürgerbegehren ist daher sowohl zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts unzulässig. Die Verpflichtungsklage auf Zulassung des Bügerbegehrens ist damit unbegründet und daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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