Verwaltungsrecht

Zulassung zum Studium der Humanmedizin

Aktenzeichen  7 CE 20.10074

Datum:
10.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32756
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
HZV aF § 35 Abs. 1 S. 1, § 7 Abs. 3 S. 6, § 10 Abs. 1 S. 4, § 48 Abs. 2
LUFV § 7
BayHZG Art. 4 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

1. Die Studienplatzvergabe über die Kapazitätsberechnung hinaus (sog. Überbuchung) verletzt weder Rechte von Bewerbern um außerkapazitäre Studienplätze noch vermittelt sie ihnen einen Rechtsanspruch auf Zuweisung eines Studienplatzes. Der Anspruch auf Zulassung zum Studium kann sich nur auf die Kapaziätsberechnung beziehen und dass über die dort festgesetzte Anzahl hinaus noch Kapazitäten bestehen. Dabei werden „Überbuchungen“ im (innerkapazitären) Vergabeverfahren grundsätzlich als kapazitätsdeckend anerkannt (BeckRS 2020, 14713). (Rn. 11 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Beurteilung der Kapazitätsberechnung ist die Rechtsgrundlage zugrunde zu legen, die zum Zeitpunkt des Vergabeverfahrens für das Bewerbungssemester galte. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Deputatsminderungen sind kapazitätsrechtlich unbedenklich, wenn sie durch zusätzliche Erhöhung von Lehrangebots kompensiert werden (BeckRS 2017, 128093). Auch der  Dienstleistungsexport ist beim Schwundabschlag nicht zu berücksichtigen (BeckRS 2019, 3456). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 3 E 19.18104 2020-04-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin (Vorklinik) im dritten Fachsemester an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Wintersemesters 2019/2020, hilfsweise die vorläufige Zulassung zu einem niedrigeren Fachsemester der Vorklinik. Er macht geltend, die LMU habe im ersten Abschnitt des Studiums der Humanmedizin (Vorklinik) die vorhandene Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft.
Das Verwaltungsgericht München hat den Antrag mit Beschluss vom 27. April 2020 abgelehnt. Es werde als nicht überwiegend wahrscheinlich angesehen, dass an der LMU im Studiengang Humanmedizin, 1. Studienabschnitt, im Wintersemester 2019/2020 über die Zahl der im zulassungsbeschränkten Studienabschnitt (Fachsemester 1 mit 4) insgesamt immatrikulierten 1796 Studierenden hinaus noch ein weiterer Studienplatz im dritten Fachsemester vorhanden ist, der vom Antragsteller in Anspruch genommen werden könnte.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der vorliegenden Beschwerde. Der Bevollmächtigte trägt im Wesentlichen vor, die von der LMU vorgenommene Überbuchung von Studienplätzen sei kapazitätsrechtlich nicht anzuerkennen, da die Universität deren Zustandekommen nicht konkret dargelegt habe und nicht auszuschließen sei, dass sie willkürlich sei. Es sei die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu berücksichtigen, wonach die Hochschulen keine Studienplätze vergeben dürften, die in der „Zulassungszahlenverordnung“ nicht ausgewiesen seien. Beteiligte eines Kapazitätsprozesses gingen Bewerbern vor, die kein Kapazitätsverfahren führten. Des Weiteren seien die Deputatsminderungen im Umfang von insgesamt 21 Semesterwochenstunden von der LMU nicht dargelegt und begründet worden. Im Rahmen des Dienstleistungsexports sei fehlerhaft kein Schwundabschlag berücksichtigt worden. Zudem sei die Bayerische Hochschulzulassungsverordnung vom 18. Juni 2007 bereits am 30. November 2019 außer Kraft getreten, während die Hochschulzulassungsverordnung vom 10. Februar 2020 erst für das Vergabeverfahren zum Sommersemester 2020 (vgl. § 59 dieser Verordnung) anwendbar sei. Der Kapazitätsberechnung der LMU sei damit die normative Grundlage entzogen und es könne dem Antragsteller nicht die Kapazitätsauslastung entgegengehalten werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Antragstellers vom 2. Juli 2020 und vom 30. Juli 2020 verwiesen.
Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde mit Schriftsatz vom 8. Juli 2020.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch des Antragstellers nicht.
Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die LMU ihre Ausbildungskapazität im 1. Studienabschnitt (Vorklinik) des Studiengangs Humanmedizin ausgeschöpft hat. Der Verwaltungsgerichtshof folgt den Gründen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen zu bemerken:
1. Rechtliche Grundlage für die streitgegenständliche Kapazitätsberechnung ist die Bayerische Hochschulzulassungsverordnung vom 18. Juni 2007 (GVBl S. 401), in der hier einschlägigen Fassung der Verordnung vom 28. April 2018 (GVBl S. 277) – HZV a.F. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung eines Anordnungsanspruchs als dem Bindeglied zur Vorausbeurteilung der Hauptsache ist derjenige Zeitpunkt, der im Hauptsacheverfahren entscheidend ist (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 123 Rn. 166). Der Anspruch des Antragstellers auf vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin ist infolgedessen nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Vergabeverfahrens für das Bewerbungssemester, mithin des Wintersemesters 2019/2020, das am 1. Oktober 2019 begonnen hatte, zu entscheiden. Zu diesem Zeitpunkt war die Hochschulzulassungsverordnung a.F. noch in Kraft. Unmaßgeblich ist deshalb, dass die neue Verordnung über die Hochschulzulassung an den staatlichen Hochschulen in Bayern vom 10. Februar 2020 (GVBl. S. 87) mit Wirkung vom 1. Dezember 2020 (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 HZV) in Kraft getreten ist, aber erstmals für das Vergabeverfahren für das Sommersemester 2020 gelten soll (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 2 HZV).
2. Soweit sich der Antragsteller gegen die von der LMU in Ansatz gebrachte Verminderung des Lehrdeputats von Professoren, Oberassistenten und Amtsräten (gemeint wohl Akademischen Räten) in Höhe von insgesamt 21 Lehrveranstaltungsstunden wendet, kann er damit nicht durchdringen. Die Deputatsminderungen beruhen – wie vom Antragsgegner mit Schriftsatz vom 8. Juli 2020 für jede einzelne Stelle dargelegt – auf § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 (Studiendekan) bzw. § 7 Abs. 4 LUFV (Budget zur Ermäßigung der Lehrverpflichtung). Reduzierungen der Lehrverpflichtung werden bei der Ermittlung der Aufnahmekapazität berücksichtigt (Art. 4 Abs. 1 Satz 3 BayHZG, § 46 Abs. 2 Satz 1 HZV). Sie sind nach Maßgabe des § 46 Abs. 2 Satz 1 LUFV anzuerkennen. Die auf der Grundlage des § 7 Abs. 4 LUFV gewährten Deputatsminderungen sind kapazitätsrechtlich jedenfalls so lange unbedenklich, wie sie – wie vorliegend vom Antragsgegner im Schriftsatz vom 8. Juli 2020 dargelegt – durch eine zu diesem Zweck zugunsten der Lehreinheit Vorklinische Medizin vorgesehene zusätzliche Erhöhung des Lehrangebots kompensiert werden (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2017 – 7 CE 17.10112 u.a. – juris Rn. 14). Zu diesem Vortrag des Antragsgegners verhält sich der Antragsteller nicht. Seinem Antrag, dem Antragsgegner die Vorlage sämtlicher Dokumentationen im Zusammenhang mit den vorgenommenen Deputatsreduzierungen aufzugeben, musste daher nicht nachgekommen werden, weil eine weitere Sachaufklärung nicht erforderlich war.
3. Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 HZV erfolgt eine Zulassung für ein höheres Fachsemester, wenn die Zahl der in diesem Semester und gleichzeitig die Gesamtzahl der in dem betreffenden Studiengang eingeschriebenen Studierenden unter die hierfür festgesetzten Zulassungszahlen sinkt. Im Studiengang Medizin sind dabei die vier Fachsemester des ersten Studienabschnitts (Vorklinik) maßgebend (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 der Zulassungszahlsatzung 2019/2020 der LMU). Zwar wird die für das 3. Fachsemester festgesetzte Aufnahmekapazität von 844 Studenten durch die Anzahl der in diesem Fachsemester immatrikulierten 837 Studenten nicht erschöpft. Wie das Verwaltungsgericht aber zutreffend ausgeführt hat, erschöpfen die im ersten Studienabschnitt immatrikulierten 1796 Studierenden die festgesetzte Kapazität von insgesamt 1722 Studienplätzen in diesem Studienabschnitt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind über die festgesetzten Zulassungszahlen hinausgehende Überbuchungen von Studienplätzen im (innerkapazitären) Vergabeverfahren grundsätzlich als kapazitätsdeckend anzuerkennen. Sie beruhen auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage (§ 7 Abs. 3 Satz 6, § 10 Abs. 1 Satz 4 BayHZV a.F.) und bezwecken, die knappen Ausbildungskapazitäten der Hochschulen möglichst zeitnah auszuschöpfen. Maßgeblich hierfür ist das von der Hochschule prognostizierte Annahmeverhalten anhand der Erfahrungswerte der letzten Jahre. Die im Wege von Überbuchungen ordnungsgemäß vergebenen Studienplätze sind nicht mehr frei; deren kapazitätswirksame Besetzung kann einem Bewerber im gerichtlichen Zulassungsverfahren entgegengehalten werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2020 – 7 CE 20.10064 – juris Rn. 8; B.v. 8.1.2018 – 7 CE 17.10225 – juris Rn. 8).
Eine Überbuchung verletzt die Rechte von Bewerbern um außerkapazitäre Studienplätze grundsätzlich nicht und vermittelt ihnen daher keinen Rechtsanspruch auf Zuweisung eines solchen. Der Antragsteller hat keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Kapazitätsberechnung der LMU nicht kapazitätserschöpfend ist und sich über die in der Zulassungszahlsatzung festgesetzte Anzahl von 844 Studienplätzen im 3. Fachsemester hinaus noch mindestens ein weiterer freier Studienplatz errechnen lässt, den der Antragsteller für sich beanspruchen könnte. Nur unter dieser Voraussetzung wäre zu prüfen, ob die Überbuchung zulässig ist und dem Antragsteller als kapazitätsdeckend entgegengehalten werden könnte. Denn Anhaltspunkte dafür, dass die Anzahl der überbuchten Studienplätze bzw. der Überbuchungsfaktor willkürlich hoch angesetzt worden wären, sind bei einer Überschreitung von rund 4,3% nicht ersichtlich.
Nichts Anderes ergibt sich aus dem vom Antragsteller in Bezug genommenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. März 2011 – 6 CN 3.10 – (juris). Es verhält sich nicht zur Frage der – wie oben ausgeführt – gesetzlich vorgesehenen Überbuchungen. Vielmehr beschäftigt es sich mit den Auswahlkriterien für die Verteilung der im gerichtlichen Verfahren aufgedeckten Restkapazitäten (vgl. juris Rn. 32 f.). Daran fehlt es hier.
4. Ebenfalls nicht durchdringen kann der Antragsteller mit dem Argument, im Rahmen des Dienstleistungsexports sei ein Schwundabschlag zu berücksichtigen. Gemäß § 48 Abs. 2 HZV sind zur Berechnung des Bedarfs an Dienstleistungen Studienanfängerzahlen für die nicht zugeordneten Studiengänge anzusetzen, wobei die voraussichtlichen Zulassungszahlen für diese Studiengänge und/oder die bisherige Entwicklung der Studienanfängerzahlen zu berücksichtigen sind. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Senats, dass hierbei kein Schwund zu berücksichtigen ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2019 – 7 CE 18.10065 u.a. – juris Rn. 14 m.w.N.). § 48 Abs. 2 HZV stellt ausdrücklich auf die Studienanfängerzahlen der nicht zugeordneten Studiengänge ab und verlangt im Unterschied zu den Regelungen in § 51 Abs. 3 Nr. 3, § 53 HZV keine Korrektur dieser Werte aufgrund einer Prognose über die Bestandszahlen der nachfolgenden Semester.
5. Soweit der Antragsteller nunmehr erstmalig im Beschwerdeverfahren hilfsweise die Zulassung zu einem niedrigeren Fachsemester beantragt, fehlt – ungeachtet der Frage, ob die damit verbundene Erweiterung des bisherigen Rechtsschutzbegehrens im Beschwerdeverfahren zulässig ist (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 146 Rn. 25) – jegliche Darlegung eines Anordnungsanspruchs.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im den erstinstanzlichen Verfahren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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