Verwaltungsrecht

Zulassung zum Studium der Humanmedizin

Aktenzeichen  7 CE 20.10064

Datum:
9.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14713
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
HZV aF § 53
BayHZV § 7 Abs. 3 S. 6, § 10 Abs. 1 S. 4

 

Leitsatz

1. Die Studienplatzvergabe über die Kapazitätsberechnung hinaus (sog. Überbuchung) verletzt weder Rechte von Bewerbern um außerkapazitäre Studienplätze noch vermittelt sie ihnen einen Rechtsanspruch auf Zuweisung eines Studienplatzes. Der Anspruch auf Zulassung zum Studium kann sich nur auf die Kapaziätsberechnung beziehen und dass über die dort festgesetzte Anzahl hinaus noch Kapazitäten bestehen. Dabei werden „Überbuchungen“ im (innerkapazitären) Vergabeverfahren grundsätzlich als kapazitätsdeckend anerkannt.  (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Ermittlung der Schwundquote (§ 53 HZV a.F.) müssen sich die verwendeten Bestandszahlen auf einen ausreichend langen Zeitraum beziehen, so wie vorliegend auf die fünf vorhergehenden Semester. Außerdem ist die Bestandszahl an einheitlichen und für die statistische Erhebung geeigneten Stichtagen zu erheben und für die Berechnung ein mathematisch geeignetes Modell, z.B. das sog. Hamburger Modell, zugrunde zu legen (BeckRS 2009, 37159). Die vor oder nach dem Stichtag liegenden zahlenmäßigen Veränderungen können unberücksichtigt bleiben (BeckRS 2011, 32938) (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 3 E L 19.10109 2020-04-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin (Vorklinik) im ersten Fachsemester an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Wintersemesters 2019/2020. Er macht geltend, dass mit der in der Satzung der LMU über die Festsetzung von Zulassungszahlen für die im Studienjahr 2019/2020 als Studienanfängerinnen und Studienanfänger sowie in höhere Fachsemester aufzunehmenden Bewerberinnen und Bewerber (Zulassungszahlsatzung) vom 3. Juli 2019 festgesetzten Zahl von 878 Studienanfängern die vorhandene Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft sei.
Das Verwaltungsgericht München hat den Antrag mit Beschluss vom 27. April 2020 abgelehnt. Es werde nicht als überwiegend wahrscheinlich angesehen, dass über die für das Wintersemester 2019/2020 kapazitätswirksam vergebenen 927 Studienplätze hinaus noch (mindestens) ein weiterer Studienplatz im Studiengang Humanmedizin (Vorklinik) im ersten Fachsemester zur Verfügung stehe, der vom Antragsteller in Anspruch genommen werden könnte.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der vorliegenden Beschwerde. Der Bevollmächtigte trägt im Wesentlichen vor, die exzessive Überbuchung von 49 Studienplätzen sei dem Antragsteller gegenüber insoweit nicht gänzlich als kapazitätswirksam anzuerkennen, als die zusätzlichen Immatrikulationen zum Teil darauf beruhten, dass der Antragsgegner mit den Zulassungen mehr Studienplätze habe besetzen wollen, als in der Satzung festgesetzt worden seien. Nach der Rechtsprechung sei das nicht zulässig. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts beruhe der Schwundausgleichsfaktor nicht auf fünf, sondern lediglich auf drei Stichprobensemestern, nämlich den Wintersemestern 2015/2016, 2016/2017 und 2017/2018, da der Antragsgegner ausschließlich Studienplätze im Wintersemester anbiete. Dies entspreche weder den Vorgaben des sog. Hamburger Modells noch der in der Rechtsprechung üblichen Heranziehung von mindestens vier vorhergehenden Semestern. Bei einer diesen Anforderungen entsprechenden Berechnung des Schwundfaktors würde ein für den Antragsteller günstigerer Schwundausgleichsfaktor zu Stande kommen. Die Erfassung des Stands der Studierenden vier bis sechs Wochen nach Vorlesungsbeginn sei zu früh und gebe damit nicht die aktuelle Wirklichkeit wieder. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung betrage die Abbrecherquote an Universitäten 32% und die Mehrheit dieser Studenten verlasse die Universität bereits in den ersten beiden Semestern. Bei einer aktuellen Neufeststellung des Bestands der Studierenden der Humanmedizin könnten kapazitätserschöpfend weitere Studienplätze vergeben werden. Unter Berücksichtigung des Ärztemangels sei unverständlich, warum keine weiteren Studienplätze im Studienfach Humanmedizin geschaffen würden, sondern im Gegenteil ein Drittel der Studienplätze in den letzten 15 Jahren abgebaut worden seien.
Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch des Antragstellers nicht.
Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die LMU ihre Ausbildungskapazität im Studiengang Humanmedizin (Vorklinik) ausgeschöpft hat. Der Verwaltungsgerichtshof folgt den Gründen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen zu bemerken:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind über die festgesetzten Zulassungszahlen hinausgehende „Überbuchungen“ von Studienplätzen im (innerkapazitären) Vergabeverfahren grundsätzlich als kapazitätsdeckend anzuerkennen. Sie beruhen auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage (§ 7 Abs. 3 Satz 6, § 10 Abs. 1 Satz 4 BayHZV (vom 18.6.2007 [GVBl S. 401, BayRS 2210-8-2-1-1-K], in der hier einschlägigen Fassung der Verordnung vom 28.4.2018 [GVBl S. 277] – HZV a.F.) und bezwecken, die knappen Ausbildungskapazitäten der Hochschulen möglichst zeitnah auszuschöpfen. Maßgeblich hierfür ist das von der Hochschule prognostizierte Annahmeverhalten anhand der Erfahrungswerte der letzten Jahre. Die im Wege von Überbuchungen ordnungsgemäß vergebenen Studienplätze sind nicht mehr frei und stehen für eine außerkapazitäre Vergabe nicht zur Verfügung (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 8.1.2018 – 7 CE 17.10225 – juris Rn. 8). Eine Überbuchung verletzt weder Rechte von Bewerbern um außerkapazitäre Studienplätze noch vermittelt sie ihnen einen Rechtsanspruch auf Zuweisung eines solchen. Nicht entscheidungserheblich ist deshalb, ob es sich um eine unzulässige Überbuchung handelt. Denn es wurden schon keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Kapazitätsberechnung der LMU nicht kapazitätserschöpfend ist und sich über die in der Zulassungszahlsatzung festgesetzte Anzahl von 878 Studienplätzen hinaus noch mindestens ein weiterer freier Studienplatz errechnen lässt, den der Antragsteller für sich beanspruchen könnte. Nur unter dieser Voraussetzung wäre zu prüfen, ob die Überbuchung zulässig ist.
Gegen die Ermittlung der Schwundquote (§ 53 HZV a.F.) bestehen keine Bedenken. Bei der Ermittlung ist zu berücksichtigen, dass die verwendeten Bestandszahlen sich auf einen ausreichend langen Zeitraum beziehen, dass sie an einheitlichen und für die statistische Erhebung geeigneten Stichtagen erhoben werden und dass der Berechnung ein mathematisch geeignetes Modell, z.B. das sog. Hamburger Modell, zugrunde liegt (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2006 – 7 CE 06.10197 – juris Rn. 20). Wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, wurde die Berechnung der Schwundquote anhand von fünf vorangegangenen Stichprobensemestern vorgenommen und entspricht damit der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2002 – 7 CE 02.10015 – juris Rn. 13). Entgegen dem Vortrag des Antragstellers wurden ausweislich der Unterlagen zur Kapazitätsberechnung bei der Berechnung der Schwundquote (auch) das Wintersemester 2018/2019 sowie die Sommersemester 2017 und 2018 berücksichtigt. Anders als der Antragsteller meint, beginnt das Studium der Humanmedizin (Vorklinik) sowohl im Wintersemester als auch im Sommersemester (s. Anlage zur Zulassungszahlsatzung). Nicht durchdringen kann der Antragsteller zudem mit der Forderung, es sei eine aktuelle Neufeststellung des Bestands der Studierenden anhand der Abgänge durch Exmatrikulation, durch Rücktritte von der Immatrikulation und durch Höherstufungen vorzunehmen, um freie Studienplätze zu ermitteln. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Universität nach einem Stichtagssystem verfährt und die vor oder nach dem Stichtag liegenden zahlenmäßigen Veränderungen unberücksichtigt lässt (BayVGH, B.v. 11.4.2011 – 7 CE 11.10004 u.a. – juris Rn. 13). Gemäß § 53 HZV a.F. ist die Studienanfängerzahl zu erhöhen, wenn zu erwarten ist, dass wegen Aufgabe des Studiums oder Fachwechsels oder Hochschulwechsels die Zahl der Abgänge an Studierenden in höheren Fachsemestern größer ist als die Zahl der Zugänge. Bei der insoweit anzustellenden Prognose widerspräche es dem System der auf Stichtagen beruhenden Schwundberechnung, jeweils auf die für den Schwund kapazitätsgünstigste Studentenzahl eines Semesters – gleich zu welchem Zeitpunkt – abzustellen; dies würde die Schwundberechnung eher verfälschen (BayVGH, B.v. 16.5.2000 – 7 ZE 00.10008 – juris Rn. 9). Die vom Antragsteller vorgelegte Berechnung der Schwundquote der Universität Mainz ist ohne Relevanz für das im Rahmen der Schwundquote zu prognostizierende Studierverhalten der Studierenden der LMU. Unabhängig davon teilte der Antragsgegner mit, dass Studienabbrüche in der Vorklinik – wie sich aufgrund der Schwundquote ergebe – selten vorkommen und die vom Antragsteller genannte Zahl von 32% „Abbrechern“ nicht für die medizinischen Studienfächer gilt.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass es einen einklagbaren Individualanspruch auf Schaffung von neuen, zusätzlichen Studienplätzen nur bei einer evidenten Verletzung des Verfassungsauftrags zur Schaffung ausreichender Ausbildungskapazitäten geben kann (vgl. BayVGH, B.v. 7.5.2020 – 7 CE 19.10137 – Rn. 20, zur Veröffentlichung vorgesehen, unter Bezugnahme auf BVerfG, U.v. 18.7.1972 – 1 BvL 32/70 u.a. – BVerfGE 33, 303/333 Rn. 62; B.v. 10.3.1999 – 1 BvL 27/97 – NVwZ-RR 1999, 481 Rn. 17). Auch im modernen Sozialstaat bleibt es der nicht einklagbaren Entscheidung des Gesetzgebers überlassen, ob und inwieweit er im Rahmen der darreichenden Verwaltung Teilhaberechte gewähren will (vgl. BVerfG, U.v. 18.7.1972 – 1 BvL 32/70 u.a. – BVerfGE 33, 303/331 Rn. 62; B.v. 10.3.1999 – 1 BvL 27/97 – NVwZ-RR 1999, 481 Rn. 17; U.v. 19.12.2017 – 1 BvL 3/14 u.a. – BVerfGE 147, 253 Rn. 105).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Eyermann, 15. Aufl. 2019, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.


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