Verwaltungsrecht

Zulassung zum Unterricht an der Staatlichen Realschule

Aktenzeichen  7 CE 17.1932

Datum:
8.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2018, 452
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123

 

Leitsatz

Nachteilsausgleich bedeutet nicht Verzicht auf die geforderte Leistung. Diese muss vielmehr unter den Bedingungen des Nachteilsausgleichs erbracht und bewertet werden. (Rn. 13)

Verfahrensgang

W 2 E 17.1036 2017-09-14 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. September 2017 wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Verpflichtung, die Antragstellerin im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Hauptsacheklage zum Unterricht an der Staatlichen Realschule M* … zu Beginn des Schuljahres 2017/2018 zuzulassen.
Die Realschule hat die Aufnahme der Antragstellerin in die 5. Jahrgangsstufe mit Schreiben vom 18. Mai 2017 abgelehnt, nachdem ihr im Übertrittszeugnis der Grundschule bei einer Gesamtdurchschnittsnote 3 lediglich die Eignung für den Besuch einer Mittelschule bestätigt worden ist und die Teilnahme am Probeunterricht mit Note 5 in Deutsch und Note 4 in Mathematik nicht erfolgreich war. Mit kinder- und jugendpsychiatrischem Attest vom 11. August 2017 wurde ihr eine Lesestörung und Rechtschreibschwäche (Legasthenie) bescheinigt.
Auf ihren Antrag hin verpflichtete das Verwaltungsgericht den Antragsgegner, die Antragstellerin vorläufig zum Unterricht an der Staatlichen Realschule zuzulassen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, es bestünden zumindest gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin an einer Lese- und Rechtschreibschwäche leide und bei früherer Diagnose Anspruch auf Nachteilsausgleich gehabt hätte. Es spreche einiges dafür, dass bei einer nachträglich festgestellten Lese- und Rechtschreibstörung ein Anspruch auf nachträglichen Nachteilsausgleich bzw. Notenschutz bestehen könne. Eine Interessenabwägung müsse zugunsten der Antragstellerin ausfallen, weil sie schwerwiegende und letztlich irreparable Nachteile hinnehmen müsste, wenn sie die Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache abwarten müsste. Wegen ihres Alters könne sie nur mit einer Ausnahmebewilligung im Schuljahr 2018/2019 in die Realschule aufgenommen werden.
Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit der Beschwerde. Die Antragstellerin habe keine der normierten Übertrittsvoraussetzungen erfüllt. Die Realschule habe das Vorliegen einer Lese- und Rechtschreibstörung zu Recht nicht geprüft. Nachteilsausgleich und Notenschutz erforderten einen Antrag. Es lägen keine offensichtlichen persönlichen Beeinträchtigungen der Antragstellerin vor, die einen Nachteilsausgleich ohne Antrag unter Vorlage eines ärztlichen Attestes rechtfertigen würden. Außerdem sei weder nach dem fachärztlichen Attest noch nach dem Gesamtbild der Prüfungsaufgaben davon auszugehen, dass die Eignungsfeststellung auf dem Vorliegen einer Lese- und Rechtschreibstörung beruht. Es gebe keinen Anspruch auf nachträglichen Nachteilsausgleich bzw. Notenschutz. Die schon nicht gebotene Interessenabwägung sei fehlerhaft, denn das Verwaltungsgericht verkenne, dass eine Ausnahmegenehmigung für den Wechsel in die 5. Jahrgangsstufe der Realschule nicht erforderlich sei, weil auch ein späterer Übertritt in die Jahrgangsstufe 6 oder eine höhere Jahrgangsstufe der Realschule in Betracht komme. Aufgrund der Durchlässigkeit des Schulsystems drohe kein schwerwiegender, irreparabler Nachteil.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. September 2017 abzuändern und den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die nachträgliche Antragstellung auf Nachteilsausgleich und Notenschutz dürfe der Antragstellerin nicht zum Nachteil gereichen, denn die Lese- und Rechtschreibstörung sei erst zum Zeitpunkt des Übertritts fachärztlich festgestellt worden. Die nachträgliche Berücksichtigung sei erforderlich, weil die Auswirkungen der Lese- und Rechtschreibstörung genau abgrenzbar seien und nachträglich hätten festgestellt werden können. Maßnahmen des Notenschutzes hätten zwangsläufig zu einer erheblichen Verbesserung der Erfolgschancen beim Probeunterricht geführt. Die Lesestörung sei für die schlechten Leistungen wegen des damit verbundenen Zeitverlusts kausal gewesen. Die Behauptung, die mündlichen Leistungen hätten Mängel im Auffassungs- und Denkvermögen gezeigt und es habe keinerlei Zeitnot bestanden, sei vom Antragsgegner nicht glaubhaft gemacht worden. Der Antragstellerin sei die Erleichterung gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 der Grundschulordnung, nämlich eine Übertrittseignung in die Realschule bei einer Gesamtdurchschnittsnote von 3,33 zu gewähren. Wegen einer auf die Umstände bei der Flucht zurückzuführenden posttraumatischen Belastungsstörung und des Todes ihrer Mutter sei sie Schülerinnen und Schülern mit nicht deutscher Muttersprache gleichzustellen, die nicht bereits ab der ersten Jahrgangsstufe eine deutsche Grundschule besucht haben. Im Übrigen habe sich die Antragstellerin sehr gut in der Realschule eingelebt und erziele auch gute Noten.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Akten dieses Beschwerdeverfahrens und die beigezogenen erstinstanzlichen Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen können (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Demgegenüber ist es nicht Sache des Antragsgegners, seinerseits Tatsachen, die er gegen einen Anordnungsanspruch ins Feld führt, glaubhaft zu machen.
Die Antragstellerin erfüllt keine der gesetzlichen Übertrittsvoraussetzungen in § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Schulordnung für die Realschulen (Realschulordnung – RSO) vom 18. Juli 2007 (GVBl S. 458, BayRS 2234-2-K), zuletzt geändert mit Verordnung vom 1. Juli (GVBl S. 193), i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 3 der Schulordnung für die Grundschulen in Bayern (Grundschulordnung – GrSO) vom 11. September 2008 (GVBl. 684; BayRS 2232-2-UK), zuletzt geändert durch Verordnung vom 14. Juni 2017 (GVBl. 305): Gesamtnotendurchschnitt 2,66, § 2 Abs. 3 Nr. 2 RSO: Probeunterricht oder § 2 Abs. 4 RSO: Antrag der Erziehungsberechtigten bei jeweils Note 4 in Deutsch und Mathematik. Daran ändert nichts, dass im Nachhinein eine Lese- und Rechtschreibstörung bei der Antragstellerin erkannt worden ist. Eine nachträgliche Gewährung von Nachteilsausgleich gemäß Art. 52 Abs. 5 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414, BayRS 2230-1-1-K), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2017 (GVBl S. 362), §§ 33, 34 der Schulordnung für schulartübergreifende Regelungen an Schulen in Bayern (Bayerische Schulordnung – BaySchO) vom 1. Juli 2016 (GVBl S. 164, ber. S. 241, BayRS 2230-1-1-1-K), zuletzt geändert mit Verordnung vom 28. August 2017 (GVBl S. 451), ist denkgesetzlich nicht möglich. Nachteilsausgleich bedeutet nicht Verzicht auf die geforderte Leistung. Diese muss vielmehr unter den Bedingungen des Nachteilsausgleichs erbracht und bewertet werden. Die nachträgliche Erkenntnis, dass eine Lese- und Rechtschreibschwäche vorliegt, rechtfertigt die Unterstellung, bei Gewährung von Nachteilsausgleich und Notenschutz wäre eine die Eignung für die Schullaufbahn begründende Leistung erbracht worden, nicht. Unabhängig davon wurden Anhaltspunkte, die einen derartigen Schluss rechtfertigen, weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Solche sind auch nicht ersichtlich. Allein der Hinweis, dass die Antragstellerin ein Drittel der Fragen in einer Aufgabenstellung nicht habe beantworten können, rechtfertigt einen solchen Schluss nicht.
Nach der pädagogisch-fachlichen Einschätzung der Schulleitung und der Lehrer war Zeitdruck für die Leistungsbewertung im Übertrittszeugnis nicht ausschlaggebend. Auch die Leistungsschwäche im Probeunterricht beruht nach pädagogisch-fachlicher Einschätzung nicht auf Zeitmangel infolge der Lese- und Rechtschreibstörung, sondern auf einem nur oberflächlichen logischen Denk- und Auffassungsvermögen. Das wird durch die schulpsychologische Stellungnahme vom 30. November 2017 gestützt.
Auch Notenschutz durch Nichtbewertung der Rechtschreibleistung hätte nicht zwingend zu einem besseren Ergebnis geführt, weil die Antragstellerin gerade im „Richtigschreiben“ das beste Ergebnis im Fach Deutsch im Rahmen des Probeunterrichts erzielt hat.
Der Antragstellerin ist auch bei Unterstellung einer posttraumatischen Belastungsstörung, wofür im Unterricht keine Symptome erkennbar waren, nicht die Erleichterung gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 GrSO, die Eignung für einen weiterführenden Bildungs Weg bei einem Gesamtnotendurchschnitt von 3,33 festzustellen, zu gewähren. Die Leistung müsste insoweit gerade auf eine im Zeitpunkt des Übertritts bestehende, noch behebbare Schwäche in der deutschen Sprache zurückzuführen sein. Anhaltspunkte für gegenwärtig bestehende Schwächen in der deutschen Sprache wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
Die Antragstellerin erscheint derzeit auch nicht wegen positiver Leistungen für die Realschullaufbahn geeignet. Guten Leistungen stehen auch schlechtere gegenüber. Insbesondere ergibt sich nach den pädagogisch-fachlichen Einschätzungen von Schulleitung und Lehrern wie auch der Schulpsychologin in ihrer Stellungnahme vom 30. November 2017 kein Gesamtbild, das die Antragstellerin als für die Realschule gegenwärtig geeignet erschienen ließe.
Die Antragstellerin hat schließlich auch keine schwerwiegenden und letztlich irreparablen Nachteile zu befürchten. Ihr werden pädagogisch-fachlich gute Chancen eingeräumt, auf der Mittelschule ein Niveau zu erreichen, das ihr einen Übertritt in höhere Klassen der Realschule ermöglicht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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