Verwaltungsrecht

Zulassung zur staatlichen Ergänzungsprüfung ist zu gewähren

Aktenzeichen  M 27 K 19.5805

Datum:
20.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10665
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
NotSanG § 32 Abs. 3 S. 1
NotSan-APrtV § 5 Abs. 3, § 16 Abs. 4, § 18 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Der Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 27. Februar 2019 und 2. Mai 2019, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2019, verpflichtet, den Kläger zur staatlichen Ergänzungsprüfung nach § 32 Abs. 2 Satz 1 NotSanG als Erstprüfung zuzulassen.
II. Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Die im Übrigen zulässige Klage ist begründet. Soweit der Beklagte es dem Kläger verwehrt, die staatliche Ergänzungsprüfung zum Notfallsanitäter erneut als Erstprüfung (und damit bei Nichtbestehen auch erneut als Wiederholungsprüfung) abzulegen, sind die Bescheide des Beklagten vom 27. Februar 2019 und 2. Mai 2019, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2019, rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Dieser hat einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Zulassung zu dieser Ergänzungsprüfung als Erstprüfung (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Grundlage für die Durchführung der streitgegenständlichen Prüfung als Erst- und Wiederholungsprüfung ist § 32 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters (Notfallsanitätergesetz v. 22.5.2013, BGBl. I S. 1348, zul. geänd. d.G.v. 14.12.2019, BGBl. I S. 2768 – NotSanG) in Verbindung mit der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter (v. 16.12.2013, BGBl. I S. 4280, zul. geänd. d.G.v. 15.8.2019, BGBl. I S. 1307 – NotSan-APrV). Gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 NotSanG erhält eine Person, die eine mindestens fünfjährige Tätigkeit als Rettungsassistent nachweist, beim Vorliegen weiterer Voraussetzungen nach diesem Gesetz die Erlaubnis, u.a. die Berufsbezeichnung „Notfallsanitäter“ zu führen, wenn sie innerhalb von zehn Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes die staatliche Ergänzungsprüfung besteht. Diese Prüfung umfasst gemäß § 4 Abs. 3 NotSan-APrV einen mündlichen und einen praktischen Teil und ist gemäß § 10 Satz 1 NotSan-APrV dann bestanden, wenn jeder dieser Prüfungsteile bestanden ist.
Der mündliche Teil der Ergänzungsprüfung erstreckt sich gemäß § 18 Abs. 1 NotSan-APrV auf drei Themenbereiche, die gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 NotSan-APrV von mindestens zwei Fachprüfern abgenommen und benotet werden. Nach Abs. 3 Satz 3 dieser Bestimmung ist dieser Prüfungsteil dann erfolgreich abgeschlossen, wenn die Fachprüfer jeden Themenbereich gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses übereinstimmend mit „bestanden“ bewertet haben. Demgegenüber erstreckt sich der praktische Teil der Ergänzungsprüfung nach § 19 Abs. 1 Satz 1 NotSan-APrV auf zwei vorgegebene Fallbeispiele. Auch jedes dieser Fallbeispiele wird von mindestens zwei Fachprüfern abgenommen und bewertet (§ 19 Abs. 2 Satz 1 NotSan-APrV). Der praktische Teil der Ergänzungsprüfung ist dann erfolgreich abgeschlossen, wenn die Fachprüfer jedes Fallbeispiel übereinstimmend mit „bestanden“ bewerten (§ 19 Abs. 2 Satz 2 NotSan-APrV). Im Unterschied zum mündlichen Teil der Ergänzungsprüfung ist bei der Bewertung der Fallbeispiele als „bestanden“ eine Mitwirkung des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses in § 19 NotSan-APrV nicht vorgesehen.
2. Bei der Bewertung von Prüfungsleistungen steht den Prüfern grundsätzlich ein Bewertungsspielraum zu, der gerichtlich nur begrenzt überprüfbar ist (hierzu grundlegend BVerfG, B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u.a. – BVerfGE 84, 34 – juris Rn. 53 ff.; B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84 u.a. – BVerfGE 84, 59 – juris Rn. 65 ff.). Jedoch haben die Gerichte u.a. zu prüfen, ob die Prüfer anzuwendendes Recht einschließlich der Verfahrensvorschriften verkannt haben (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.1992 – 6 C 3.92 – BVerwGE 91, 262 – juris Rn. 24 ff.). Ansonsten aber ist es den Gerichten verwehrt, ihre Bewertung an die Stelle der Prüfer zu setzen.
Ergibt sich, dass die Bewertung einer regulär erbrachten Leistung fehlerhaft ist, ist grundsätzlich eine Neubewertung der Prüfungsleistung geboten. Allerdings scheidet ein solcher Anspruch auf Neubewertung dann aus, wenn es sich um eine mündliche oder, wie hier, eine Prüfung handelt, die aus einem mündlichen und einem praktischen Prüfungsteil besteht, weil für eine erneute Bewertung der erbrachten Leistung wegen der seit der Prüfung vergangenen Zeit keine verlässliche Bewertungsgrundlage mehr vorhanden ist. Allenfalls auf einen Anspruch auf Wiederholung dieser Prüfung könnte sich der Betroffene im Falle eines Bewertungsfehlers berufen (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 7 ZB 13.2221 – juris Rn. 7, m.w.N.). Leidet das Verfahren zur Ermittlung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings unter Mängeln, so ist die Prüfung oder der betroffene Prüfungsteil zu wiederholen, da eine unter irregulären Bedingungen erbrachte Leistung nicht bewertbar ist (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 500).
3. Unter Heranziehung dieses Maßstabs begegnet die Bewertung der Erst- und Wiederholungsprüfung des Klägers jeweils insgesamt als „nicht bestanden“ aufgrund von beachtlichen Verfahrensfehlern rechtlichen Bedenken.
3.1. Sowohl in der mündlichen Prüfung des Klägers im Rahmen seiner Erstprüfung am … Februar 2019 als auch in der mündlichen Wiederholungsprüfung am … April 2019 sind diejenigen Themenbereiche, die der Kläger jeweils nicht bestanden hatte, nur von den jeweils beiden Fachprüfern als „nicht bestanden“ gewertet worden. Aus den Niederschriften zu diesen mündlichen Prüfungen ergibt sich nicht, dass die von der Regierung mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 als stellvertretende Prüfungsvorsitzende bestellte Frau MedDin Dr. W. an der jeweiligen Bewertung der Prüfungsleistungen des Klägers zu diesen Themenbereichen teilgenommen und mitgewirkt hat. Das ist vom Beklagten auch nicht vorgetragen worden. Sein Einwand, eine zwingende Abnahme der Prüfung durch die Prüfungsausschussvorsitzende sei nicht vorgeschrieben, wie sich dies aus dem Umkehrschluss zu § 18 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 Satz 2 NotSan-APrV ergebe, ist hingegen unbehelflich. Nach § 16 Abs. 4 Satz 2 NotSan-APrV ist der Vorsitzende des Prüfungsausschusses berechtigt, sich an der mündlichen Prüfung zu beteiligen und dabei selbst Prüfungsfragen zu stellen. Auf diese Bestimmung nimmt § 18 Abs. 3 Satz 2 NotSan-APrV Bezug. Im hierauf anschließenden Satz 3 von § 18 Abs. 3 NotSan-APrV ist jedoch geregelt dass der mündliche Teil der Ergänzungsprüfung dann erfolgreich abgeschlossen ist, wenn die Fachprüfer jeden Themenbereich „gemeinsam mit dem oder der Vorsitzenden des Prüfungsausschusses“ übereinstimmend mit „bestanden“ bewerten. Demgegenüber regelt der auf § 16 Abs. 4 Satz 2 NotSan-APrV folgende dortige Satz 3, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses „im Benehmen mit den Fachprüfern“ aus den Noten der Fachprüfer die Note für den jeweiligen Themenbereich bildet. Nach § 16 Abs. 4 Satz 4 NotSan-APrV bildet der Vorsitzende des Prüfungsausschusses (anschließend) die Note für den mündlichen Teil der Prüfung aus dem arithmetischen Mittel der für jeden Themenbereich erteilten Einzelnote.
Auf § 16 Abs. 4 Satz 3 und 4 NotSan-APrV nimmt § 18 Abs. 3 Satz 2 NotSan-APrV nicht Bezug. Vielmehr regelt § 18 Abs. 3 Satz 3 NotSan-APrV eine besondere und insbesondere von den Bestimmungen in § 16 Abs. 4 Satz 3 und 4 NotSan-APrV abweichende Vorgehensweise und Einbindung des Prüfungsausschussvorsitzenden im Rahmen der staatlichen Ergänzungsprüfung zur Bewertung der einzelnen Themenbereiche bei der mündlichen Prüfung. Ein „Umkehrschluss“ aus § 18 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 Satz 2 NotSan-APrV ist hinsichtlich dieser besonderen Vorgehensweise und Einbindung nicht veranlasst, insbesondere deshalb nicht, weil § 16 Abs. 4 Satz 2 NotSan-APrV diese Vorgehensweise und Einbindung gerade nicht betrifft, sondern (nur) die Berechtigung des Prüfungsausschussvorsitzenden regelt, sich an der mündlichen Prüfung zu beteiligen und dort selbst Prüfungsfragen zu stellen. Im Gegenteil ergibt ein Umkehrschluss aus der Bestimmung in § 19 Abs. 2 Satz 2 NotSan-APrV, die eine Beteiligung des Prüfungsausschussvorsitzenden bei der Bewertung der jeweiligen Fallbeispiele im Rahmen der praktischen Prüfung gerade nicht vorsieht, dass es dem Verordnungsgeber auf die in § 18 Abs. 3 Satz 3 NotSan-APrV gesondert und besonders geregelte Mitwirkung des Prüfungsausschussvorsitzenden an der Bewertung einzelner Themenbereiche im Rahmen der mündlichen Prüfung besonders angekommen ist.
Da Frau MedDin Dr. W. an der Bewertung der jeweiligen Themenbereiche nicht mitgewirkt hat, sondern jeweils lediglich (abschließend, zum Teil undatiert) die Feststellung getroffen hat, dass der mündliche Teil der Prüfung nicht bestanden wurde, liegt ein beachtlicher Verfahrensfehler vor. Dieser führt im vorliegenden Fall nicht nur zum Anspruch des Klägers auf Wiederholung des mündlichen Prüfungsteils, sondern auf Wiederholung der staatlichen Ergänzungsprüfung insgesamt als Erstprüfung. Dies ergibt sich daraus, dass § 10 Satz 1 NotSan-APrV die staatliche Ergänzungsprüfung als bestanden regelt, wenn jeder Prüfungsteil bestanden ist. Die Kammer geht davon aus, dass der Verordnungsgeber damit von einer einheitlichen Prüfungsbewertung als insgesamt „bestanden“ oder „nicht bestanden“ ausgegangen ist und in § 10 NotSan-APrV lediglich zugunsten des Klägers die von ihm in der Erstprüfung bestandenen Fallbeispiele der praktischen Prüfung als hinsichtlich der Wiederholungsprüfung bestandene und deshalb nicht zu wiederholende Prüfungsteile angesehen hat.
3.2. Aus diesem Grund kann offenbleiben, ob die Bestellung des Schulleiters Th. M. als Fachprüfer ebenfalls zu einem beachtlichen Verfahrensmangel wegen Rechtswidrigkeit der Bestellung des Prüfungsausschusses 2019 geführt hat (vgl. hierzu – wohl bejahend – OVG NW, U.v. 14.3.2019 – 14 A 3800/18 – juris Rn. 41: „Schulleiter als notwendiges zweites Mitglied des Prüfungsausschusses“ u. Rn. 42: „Dass der Vorsitzende und der Schulleiter nicht zugleich Fachprüfer sein können, sondern vielmehr neben den Fachprüfern im Prüfungsausschuss vertreten sein müssen,(…)“). Nach Auffassung der Kammer hat der Kläger im Widerspruchsverfahren nicht wirksam auf diese Rüge verzichtet. Auch die Regierung ist jedenfalls im Schreiben vom 9. Oktober 2019 an den Bevollmächtigten des Klägers (nur) davon ausgegangen, dass sich der Einwand der Unlesbarkeit eines Prüfernamens mit der Bekanntgabe der Mitglieder des Prüfungsausschusses erledigt habe. Der Bevollmächtigte des Klägers hatte diesen Hinweis am 30. Oktober 2019 bestätigt. Ebenso kann offenbleiben, ob die Vergabe der Prüfungsaufgaben an den Kläger eine gesetzeswidrige Zulosung von Prüfungsaufgaben im Sinne der eben genannten Rechtsprechung (a.a.O., Rn. 47 ff.) darstellt. Aus Sicht der Kammer sprechen aber unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung sowohl für eine Rechtswidrigkeit der Bestellung des Schulleiters Th. M. und damit für eine Rechtswidrigkeit der Bestellung des Prüfungsausschusses insgesamt als auch für eine Rechtswidrigkeit der Vergabe der Prüfungsaufgaben aus einem Aufgabenpool als „Zulosung“ beachtliche Gründe.
4. Aus diesen Gründen ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO im ursprünglichen Hilfsantrag, der in der mündlichen Verhandlung hauptsächlich gestellt wurde, während der ursprüngliche Hauptantrag dort zurückgenommen wurde, erfolgreich und der Beklagte im beantragten Umfang zur Zulassung des Klägers zur Staatlichen Ergänzungsprüfung zu verpflichten.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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