Verwaltungsrecht

Zum Antrag auf Einstellung der Vollstreckung

Aktenzeichen  M 26 K 15.2175

Datum:
11.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 1 u. 14, Art. 19 Abs. 4
Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz Art. 43 Abs. 2
RBStV RBStV § 2 Abs.1, § 4, § 14 Abs. 9
VwGO VwGO § 67 Abs. 2 S. 1, § 74, § 88, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 5, § 154 Abs. 1, § 167
RDGEG RDGEG § 3, § 5
VwZVG VwZVG Art 17, Art. 18 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 u. 2, Art. 21, Art. 23
ZPO ZPO § 708 ff., § 766 f.

 

Leitsatz

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung (Nr. II des Urteils) ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Entscheidung kann gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dem zugestimmt haben.
Die Klage hat keinen Erfolg, weil sie teilweise schon unzulässig und im Übrigen unbegründet ist.
1. Eine Auslegung seines Klagebegehrens gemäß § 88 VwGO i. V. m. den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch) ergibt, dass der Kläger zum einen die Einstellung der Zwangsvollstreckung erreichen will und zum anderen Schadens- bzw. Aufwendungsersatz vom Beklagten fordert.
1.1 Der Antrag auf „Einstellung der Vollstreckung (VAK)“ ist als Verpflichtungsantrag gerichtet auf den Erlass eines (gestaltenden) Verwaltungsaktes auszulegen, welcher die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt, §§ 113 Abs. 5, 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO i. V. m. Art. 21 VwZVG. Dem Kläger geht es vorliegend nicht um formelle Einwendungen, die je nach deren Art ggf. im Wege der §§ 766 f. ZPO i. V. m. § 167 Abs. 1 VwGO geltend zu machen wären (str.), sondern er erhebt materiellrechtliche Einwendungen gegen die den Feststellungsbescheiden zugrundlegende Rundfunkbeitragspflicht. Solche materiellrechtlichen Einwendungen können (bei Bestandskraft des zugrundeliegenden Bescheides) über den Weg des Art. 21 VwZVG bei der Anordnungsbehörde geltend gemacht werden, welche über den Antrag in Form eines Verwaltungsaktes zu entscheiden hat (im Einzelnen dogmatisch strittig, vgl. z. B. zur Frage der Statthaftigkeit/Zulässigkeit VG Würzburg, Urteil vom 25. Januar 2016 – W 6 K 15.1182 -, juris; VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 28. September 2015 – B 3 K 15.546 -, juris; dagegen bei ausdrücklich erhobener Vollstreckungsabwehrklage vgl. VG München, Beschluss vom 25. März 2015 – M 6a K 14.4769 -, juris).
1.2 Die weiteren vom Kläger auf „Kosten“ bzw. „Entschädigung“ gerichteten Anträge sind – soweit sie über den Antrag auf Auferlegung der Gerichtskosten gemäß § 154 Abs. 1 VwGO hinausgehen – mangels ausreichender Substantiierung bereits unzulässig, §§ 82 Abs. 1 Satz 2, 88 VwGO. Insbesondere bei nicht Rechtskundigen, die auch nicht anwaltlich vertreten sind, ist die Auslegung im Lichte von Art. 19 Abs. 4 GG möglichst so vorzunehmen, dass der ergriffene Rechtsbehelf jedenfalls zulässig ist. Sofern mehrere mögliche Rechtsbehelfe in Betracht kommen, darf das Gericht folglich nicht diejenige Auslegung wählen, die zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs führt, wenn eine Auslegung auch derart möglich wäre, dass zumindest ein zulässiger Rechtsbehelf ergriffen worden ist. Dies ist aber nicht der Fall.
Ein Leistungsantrag auf Schadens-/Aufwandsersatz wäre (unabhängig von der Frage des Rechtswegs) unzulässig, weil keine konkrete Geldleistung beziffert wurde und kein Fall der Stufenklage vorliegt. Auch die prozessualen Voraussetzungen für einen (Fortsetzungs-) Feststellungsantrag, insbesondere das Feststellungsinteresse, sind nicht dargelegt.
Im Übrigen wären aber auch diese Anträge schon dem Grunde nach unbegründet, weil der Beklagte vom Kläger zu Recht den (vollen) Rundfunkbeitrag erhebt und auch entsprechend beitreiben kann (s. u.).
2. Soweit die Klage im Verpflichtungsantrag auf Erklärung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung zulässig ist, ist sie unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verpflichtung oder Verbescheidung bzgl. einer Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung zu (§ 113 Abs. 5 VwGO), weil die Zwangsvollstreckung gegen ihn rechtmäßig ist und er dagegen keine Einwände im Sinne des Art. 21 VwZVG geltend machen kann.
2.1 Die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung gemäß Art. 18 ff., 23 ff. VwZVG liegen vor. Die beiden eine Geldleistung (Art. 18 Abs. 1, 23 Abs. 1 VwZVG) festsetzende Bescheide vom … August und … September 2014 sind bestandskräftig und überdies sofort vollziehbar (Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwZVG). Sie wurden ordnungsgemäß zugestellt (Art. 23 Abs. 1 i. V. m. Art 17 VwZVG), sind fällig (Art. 23 Abs. 2 VwZVG) und wurden nicht rechtzeitig erfüllt (Art. 19 Abs. 2 VwZVG). Der Beklagte hat den Kläger jeweils ordnungsgemäß gemahnt (Art. 23 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG).
2.2 Der Kläger trägt keine Einwendungen gemäß Art. 21 Satz 2 VwZVG vor, die erst nach Bescheidserlass entstanden sind. Mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit, die vor Erlass bereits bestanden haben, ist er aber präkludiert, weil die Bescheide mittlerweile bestandskräftig sind, § 74 VwGO i. V. m. Art. 43 Abs. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG. Gründe für eine Nichtigkeit der beiden Festsetzungsbescheide i. S. v. Art. 43 Abs. 3, 44 BayVwVfG sind nicht erkennbar.
2.3 Unabhängig davon sind die der Vollstreckung zugrundeliegenden Festsetzungsbescheide ohnehin rechtmäßig, weil der der Beklagte zu Recht den (vollen) Rundfunkbeitrag vom Kläger erhebt.
Der Kläger ist Inhaber einer Wohnung und damit zur Entrichtung des Rundfunkbeitrags im privaten Bereich („Wohnungsbeitrag“) gemäß § 2 Abs.1 RBStV verpflichtet.
Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gemäß § 4 RBStV liegen nicht vor bzw. hat der Kläger bisher nicht die dazu notwendigen Nachweise erbracht.
2.3.1 Möglicherweise – so ja auch der richterliche Hinweis vom 26. August 2015 – könnte der Kläger eine Befreiung gemäß § 4 Abs. 1 RBStV in Anspruch nehmen; es obliegt aber ihm und nicht dem Beklagten, die dafür erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, insbesondere das einschlägige Verfahren bei der zuständigen Sozialbehörde zu betreiben und so die notwendigen Nachweise vorzulegen.
2.3.2 Auch ein besonderer Härtefall gemäß § 4 Abs. 6 RBStV liegt nicht vor: Der Gesetzgeber hat in § 4 Abs. 1 RBStV bereits einige Fallgruppen von typischerweise einkommensschwachen Personen gebildet und die entsprechenden Befreiungsvoraussetzungen normiert. Für § 4 Abs. 6 RBStV als Auffangtatbestand für atypische, ungeschriebene Einzelfälle (Härtefallklausel) verleiben daher nur Konstellationen, die mit denen in § 4 Abs. 1 RBStV vergleichbar, aber eben nicht expliziert im RBStV formuliert sind. Allein die Tatsache eines geringen Einkommens – ohne weitere hinzukommende Faktoren – rechtfertigt daher keinen Rückgriff auf § 4 Abs. 6 RBStV.
Das Landratsamt A… lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Grundsicherung vom … November 2013 ab, weil dieser es versäumte, angeforderte Unterlagen einzureichen. Es ist nicht Sinn und Zweck der Härtefallregelung in § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV, solche Versäumnisse des Klägers, die zur Nichtanwendbarkeit des § 4 Abs. 1 RBStV führen, über den „Umweg“ der Härtefallregelung zu heilen. Die Befreiung einkommensschwacher Personen von der Rundfunkbeitragspflicht ist „bescheidgebunden“ und setzt den Nachweis der Bedürftigkeit durch Vorlage einer Bestätigung oder eines Bescheids der hierfür zuständigen Behörde oder des Leistungsträgers voraus. Die nicht in dieser Weise nachgewiesene Bedürftigkeit ist auch nicht als besonderer Härtefall anzusehen (BayVGH, Beschluss vom 3. Dezember 2013 – 7 ZB 13.1817 -, juris). Verzichtet der Kläger auf die Inanspruchnahme einer ihm wohl zustehenden Sozialleistung – aus welchen Motiven auch immer – so hat dies rechtlich zur Konsequenz, dass er auch nicht von der Rundfunkbeitragspflicht befreit werden kann. Auch die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht ist letztlich nichts anderes als eine Sozialleistung, lediglich dergestalt, dass ein Betroffener nicht Leistungen erhält, sondern auf einen Geldanspruch ihm gegenüber verzichtet wird (VG München, Urteil vom 26. Februar 2015 – M 6a K 14.877 -, juris).
Nichts anderes ergibt sich aus dem vom Kläger zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2011 (Az. 1 BvR 665/10): Dieser bezog sich noch auf den Befreiungstatbestand in § 6 Abs. 1 Nr. 3 Rundfunkgebührenstaatsvertrag. In dessen „Nachfolgeregelung“ § 4 Abs. 1 Nr. 3 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag wurde die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts monierte Ungleichbehandlung aufgegriffen und der Tatbestand entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst: „Von der Beitragspflicht nach § 2 Abs. 1 werden auf Antrag folgende natürliche Personen befreit: […] 4. Empfänger von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II einschließlich von Leistungen nach § 22 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches, soweit nicht Zuschläge nach dessen § 24 gewährt werden, die die Höhe des Rundfunkbeitrages übersteigen.“
2.3.3 Sonstige Befreiungs- oder Ermäßigungstatbestände sind nicht ersichtlich, insbesondere sind keine Ermäßigungsgründe nach § 4 Abs. 3 RBStV vorgetragen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 339,63 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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