Verwaltungsrecht

Zur Abgrenzung von Bedingungen und Auflagen als Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung

Aktenzeichen  9 B 11.413

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2017, 747
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVZG Art. 19, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Art. 31, Art. 36
BayBO 1998 Art. 52 Abs. 3 S. 1
BayVwVfG BayVwVfG § 36 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 4

 

Leitsatz

1 Wenn in einem Verwaltungsakt ausdrücklich zwischen Auflagen und Bedingungen unterschieden wird, bedarf es gewichtiger Gründe, wenn entgegen der Bezeichnung eine Bedingung als Auflage gewertet werden soll (Verweis auf BVerwG BeckRS 9998, 110651). (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird die Erfüllung einer Nebenbestimmung zu einer Baugenehmigung innerhalb kurzer Frist nach Eintritt von deren äußerer Wirksamkeit verlangt, spricht dies dafür, dass das Landratsamt auch die der äußeren Wirksamkeit gegenüberstehende innere Wirksamkeit der Hauptregelung von dem mit der Nebenbestimmung aufgegebenen Verhalten abhängig machen wollte und die Erfüllung der Nebenbestimmung als essentiell für das Fortbestehen der Hauptregelung angesehen hat (Verweis auf OVG Lüneburg BeckRS 2011, 46673). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 09.406 2010-04-20 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 20. April 2010 wird aufgehoben.
II.
Der Bescheid des Landratsamts Kitzingen vom 17. April 2009 wird in den Nummern 2, 3 und 4 aufgehoben.
III.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten der Verfahren in beiden Instanzen jeweils zur Hälfte.
IV.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über die Berufung kann im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Bescheid des Landratsamts Kitzingen vom 17. April 2009 ist in den Nummern 2, 3 und 4 aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die isolierte Zwangsgeldandrohung (Nrn. 2 und 3 des Bescheids) ist rechtswidrig, da es hinsichtlich der Nebenbestimmung T0171 in der Baugenehmigung vom 28. Februar 2003, mit der der Kläger zur Ablösung von zwei Stellplätzen durch Abschluss eines Ablösevertrags mit der Gemeinde S. verpflichtet wurde, an einer besonderen Vollstreckungsvoraussetzung fehlt.
1. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei den Nummern 2 und 3 des angefochtenen Bescheids um eine isolierte Zwangsgeldandrohung zur Vollstreckung der Nebenbestimmung T0171 der Baugenehmigung vom 28. Februar 2003 handelt. Die Rechtsgrundlage für diese isolierte Zwangsgeldandrohung ergibt sich aus Art. 36 i. V. m. Art. 31 und Art. 29 Abs. 2 Nr. 1 VwZVG.
Wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, ist die Baugenehmigung vom 28. Februar 2003 mit dieser Nebenbestimmung bestandskräftig geworden, so dass auch die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen des Art. 19 VwZVG erfüllt sind.
2. Hinsichtlich der Nebenbestimmung T0171 fehlt es aber an einem Verwaltungsakt, mit dem die Vornahme einer sonstigen Handlung oder eine Duldung oder eine Unterlassung gefordert wird (Art. 29 Abs. 1 VwZVG). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handelt es sich bei dieser Nebenbestimmung nicht um eine – selbstständig vollstreckbare – Auflage, sondern um eine (aufschiebende) Bedingung, die nicht isoliert vollstreckungsfähig ist.
Eine Auflage ist nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG eine Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird. Demgegenüber wird eine Bedingung nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG dadurch charakterisiert, dass sie den Eintritt oder den Wegfall einer Vergünstigung oder Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängig macht, bei dem es sich um einen empirisch nachprüfbaren Vorgang handeln muss (vgl. BVerwG, U. v. 16.2.2015 – 10 C 15/14 – juris Rn. 12). Während die einer Baugenehmigung hinzugefügte Auflage für die Wirksamkeit der Baugenehmigung ohne unmittelbare Bedeutung ist, tritt die innere Wirksamkeit der Baugenehmigung bei einer aufschiebenden Bedingung erst mit dem Eintritt der Bedingung ein oder löst bei einer auflösenden Bedingung deren Eintritt unmittelbar den Wegfall der inneren Wirksamkeit der Baugenehmigung aus (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Auflage 2016, § 36 Rn. 57 und 68). Der Umstand, dass die Herbeiführung des Ereignisses vom Willen eines Beteiligten abhängt, schließt die Annahme einer Bedingung nicht aus (vgl. BVerwG, U. v. 29.3.1968 – IV C 27.67 – BVerwGE 29,261/266). Maßgeblich für die Abgrenzung ist nicht allein die von der Behörde gewählte Bezeichnung, sondern der objektive Erklärungsinhalt der Nebenbestimmung (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 36 Rn. 68 und 87; Henneke in Knack/Henneke, VwVfG, 10. Auflage 2014, § 36 Rn. 68). Falls aber in einem Verwaltungsakt ausdrücklich zwischen Auflagen und Bedingungen unterschieden wird, bedarf es gewichtiger Gründe, wenn entgegen der Bezeichnung eine Bedingung als Auflage gewertet werden soll (vgl. BVerwG, U. v. 29.3.1968 a. a. O. BVerwGE 29, 261/265). In der Baugenehmigung vom 28. März 2003 wird im Anhang, auf den in Nummer 1 des Bescheids hinsichtlich der dort abgedruckten Bedingungen, Auflagen und Hinweise Bezug genommen wird, unmissverständlich zwischen Bedingungen (T0170), Auflagen (T0200) und Hinweisen (T0600) unterschieden. Die Nebenbestimmung T0171 ist dort unter dem Abschnitt T0170 Bedingung aufgeführt.
Dem Urteil des Verwaltungsgerichts sind keine zwingenden sachlichen Gründe dafür zu entnehmen, warum es sich trotz dieser vom Landratsamt vorgenommenen ausdrücklichen Unterscheidung bei der in der Anlage als „Bedingung“ aufgeführten Nebenbestimmung T0171 gleichwohl um eine Auflage gehandelt haben soll. Soweit das Verwaltungsgericht darauf verweist, dass es sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bei Nebenbestimmungen, in denen die der Ablösung zugrunde liegenden Stellplatzzahlen festgeschrieben werden, um selbstständig anfechtbare Auflagen handelt, wird außer Acht gelassen, dass den vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 10.2.2003 – 2 ZB 02.1034 – juris; U. v. 14.8.2008 – 2 BV 06.540 – juris) Baugenehmigungen zugrunde lagen, in denen die diesbezügliche Nebenbestimmung jeweils ausdrücklich als Auflage bezeichnet wurde. Dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Dezember 2004 (Az. 25 B 98.1862), auf das die Beigeladene hingewiesen hat, lässt sich nicht entnehmen, ob in der dort streitgegenständlichen Baugenehmigung ausdrücklich zwischen Auflagen und Bedingungen unterschieden wurde. Gewichtige Gründe für die Auslegung der im Bescheid benannten „Bedingung“ als Auflage werden im Urteil nicht ausgeführt; es wird lediglich auf den erkennbaren Willen des Beklagten verwiesen.
Dem Wortlaut der Nebenbestimmung T0171 mag zwar, wie dem Verwaltungsgericht zuzugeben ist, nicht ausdrücklich entnommen werden können, dass die innere Wirksamkeit der Baugenehmigung von der Stellplatzablösung abhängen soll. Allerdings ist nach Satz 2 dieser Nebenbestimmung eine Ausfertigung des Ablösevertrags dem Landratsamt innerhalb von vier Wochen nach Erhalt der Baugenehmigung vorzulegen. Damit wird zwar nicht, wie bei der Bedingung T0174 an den Baubeginn angeknüpft. Es wird jedoch die Erfüllung der Nebenbestimmung innerhalb kurzer Frist nach Eintritt der äußeren Wirksamkeit der Baugenehmigung verlangt. Dies spricht dafür, dass das Landratsamt auch die der „äußeren Wirksamkeit“ gegenüberstehende „innere Wirksamkeit“ der Hauptregelung von dem mit der Nebenbestimmung aufgegebenen Verhalten abhängig machen wollte und die Erfüllung der Nebenbestimmung als essentiell für das Fortbestehen der Hauptregelung angesehen hat (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 18.1.2011 – 10 LB 70/09 – juris Rn. 55; Kopp/Ramsauer, VwVwfG, 17. Auflage 2014, § 36 Rn. 73; Henneke in Knack/Henneke, VwVfG, 10. Auflage 2014, § 36 Rn. 68).
Das Landratsamt hatte zudem gute sachliche Gründe, die geänderte Nutzung nur dann zu erlauben, wenn von vornherein sichergestellt war, dass der Kläger die für sein Vorhaben erforderlichen Stellplätze zur Verfügung stellt; das konnte nur mit Hilfe einer Bedingung geschehen (vgl. BVerwG, U. v. 29.3.1968 – IV C 27.67 – BVerwGE 29, 261/265). Das Landratsamt ist davon ausgegangen, dass durch die vom Kläger beantragte Nutzungsänderung von bestehendem Wohnraum in Gastronomie ein zusätzlicher Stellplatzbedarf ausgelöst wurde (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 BayBO 1998). Dies unterliegt, wie die – nicht entscheidungserheblichen, aber zutreffenden – Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu zeigen, keinen rechtlichen Bedenken. Wie sich zudem aus den Behörden- und Gerichtsakten entnehmen lässt, ist der Altortbereich der Beigeladenen, in dem sich das Anwesen des Klägers befindet, räumlich äußerst beengt. Gerade im Bereich dieses Anwesens herrschen enge Gassen vor. Es besteht danach ein gravierender Fehlbedarf an Stellplätzen im Altortbereich, da auch auf den privaten Grundstücken kein ausreichender Raum für Stellplätze und Garagen zur Verfügung steht, was auch vom Kläger nicht bestritten wird. Es war daher von vornherein unsicher, ob und wie die erforderlichen Stellplätze vom Kläger geschaffen werden können.
Mangels Rechtmäßigkeit der isolierten Zwangsgeldandrohung (Nrn. 2 und 3 des angefochtenen Bescheids) ist auch die Kostenentscheidung in Nummer 4 dieses Bescheids rechtswidrig, weil diese Nebenentscheidung das rechtliche Schicksal der Hauptentscheidung teilt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und Abs. 3, § 159 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.000 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG; wie Verwaltungsgericht).

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