Verwaltungsrecht

Zur Bedeutung der Begriffe der ‚Ansammlung‘, ‚Veranstaltung‘ und ‚Versammlung‘ i.S.v. § 5 Satz 1 11. BayIfSMV

Aktenzeichen  202 ObOWi 220/22

Datum:
31.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11545
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
Art. 8 GG
BayIfSMV § 5 Satz 1 der 11.
BayIfSMV § 7 11.
BayIfSMV § 28 Nr. 4 11.
OWiG § 46 Abs. 1
OWiG § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
OWiG § 79 Abs. 5 Satz 1
OWiG § 80a Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine „Ansammlung“ i.S.d. § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV setzt ein Zusammentreffen einer größeren Anzahl von Personen voraus. Bei der Festlegung der erforderlichen Anzahl der Teilnehmer sind die Besonderheiten des Einzelfalles und insbesondere der infektionsschutzrechtliche Zweck, der darauf gerichtet war, die Ausbreitung des Corona-Virus zu unterbinden, zu berücksichtigen.
2. Eine nach § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV verbotene „Veranstaltung“ ist anzunehmen, wenn ein Veranstalter, ein bestimmter Veranstaltungsgegenstand und auch ein Minimum an Organisation vorhanden sind.
3. Unter eine vom Verbot des § 5 der 11. BayIfSMV ausdrücklich ausgenommene „Versammlung“ im verfassungsrechtlichen Sinne fallen nur solche Veranstaltungen, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind. Maßgeblich für eine Versammlung ist mithin die gemeinschaftliche Meinungskundgabe.

Tenor

I. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 25.10.2021 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat die Betroffene aufgrund der Hauptverhandlung vom 25.10.2021 wegen vorsätzlicher Teilnahme an einer Veranstaltung entgegen § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der diese die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie trägt hierzu im Wesentlichen vor, dass das Weihnachtssingen ein „stiller Protest“ gegen die Coronamaßnahmen gewesen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 14.02.2022 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts vom 25.10. 2021 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben.
1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts postete die anderweitig verfolgte T. wenige Tage vor dem 20.12.2020 um 14:52 Uhr in die Facebook-Gruppe ‚U-Dorf steht auf‘ folgenden Text:
„Einladung zum Weihnachts-Sing-Flashmob am Sonntag, 20.12.2020 um 15 Uhr in F. am Marktplatz. Bringt gerne auch Kerzen und Lichter mit. Wir hoffen auf rege Beteiligung.“
Unter diesem Text wurde ein Flyer geteilt, der seinerseits mit singenden Engeln versehen war. Zudem wurden die Liedtexte zu den geplanten Liedern als PDF-Datei zum Download zur Verfügung gestellt. Am 20.12.2020 gegen 14:45 Uhr wurden auf dem Marktplatz in F. Stühle aufgestellt und Liedtexte verteilt. Gegen 15:00 Uhr wurde das erst Lied ‚We are the world‘ von den nunmehr zehn anwesenden Teilnehmern, unter welchen sich auch die Betroffene befand, angestimmt. Es erfolgte vor und während des Singens keine Meinungsäußerung durch die angetroffenen Personen. Nach dem Ende des ersten Liedes wurde die Zusammenkunft nach ungefähr zehn Minuten durch die Polizei aufgelöst.
2. Der Schuldspruch, der von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen wird, ist nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Betroffene den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 28 Nr. 4 i.V.m. § 5 Satz 1 11. BayIfSMV, wonach Veranstaltungen, Versammlungen, soweit es sich nicht um solche nach § 7 11. BayIfSMV handelt, Ansammlungen und öffentliche Festivitäten landesweit untersagt waren, vorsätzlich verwirklicht hat.
a) Das gemeinsame Treffen anlässlich des „Weihnachts-Sing-Flashmobs“, an dem sich ausweislich der Urteilsfeststellungen 10 Personen beteiligt hatten, die teilweise einen Abstand von weniger als 1,5 m einhielten und gemeinsam das Lied ‚We are the world‘ sangen, stellt zweifelsfrei eine „Ansammlung“ im Sinne des § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV dar. Denn hierunter fällt jedes Zusammentreffen einer größeren Anzahl von Personen (vgl. BeckOK PolR Bayern/Münkler [17. Ed.; Stand: 01.09.2021] LStVG Art. 23 Rn. 18). Unter Berücksichtigung des infektionsschutzrechtlichen Zwecks, der darauf gerichtet war, die Ausbreitung des Corona-Virus zu unterbinden, was in erster Linie durch die Vermeidung von Kontakten gelingt, und der vom Amtsgericht festgestellten Besonderheiten, wonach die Abstände zwischen den Personen teilweise weniger als 1,5 m betrugen, ist das Zusammentreffen von 10 Personen für die Annahme einer Ansammlung ausreichend. Darüber hinaus erfüllt das zentral geplante und auch durchgeführte Treffen mehrerer Personen, verbunden mit dem gleichzeitigen Singen von (Weihnachts-) Liedern, den Begriff der nach § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV verbotenen „Veranstaltung“. Eine solche ist anzunehmen, wenn ein Veranstalter, ein bestimmter Veranstaltungsgegenstand und auch ein Minimum an Organisation vorhanden sind (vgl. Dürig-Friedl/Enders/Dürig-Friedl VersammlG [2016] § 17a Rn. 8). Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Es handelte sich um einen Aufruf durch eine Person über das Internet zu einem „Weihnachts-Sing-Flashmob“ zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem festgelegten Ort. Bei der Veranstaltung wurden Liedtexte verteilt und die Teilnehmer sangen gemeinsam ein Lied, sodass auch das organisatorische Element erfüllt ist.
b) Zu Recht ist das Amtsgericht nach den getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei dem Treffen nicht um eine Versammlung im Sinne des § 7 der 11. BayIfSMV i.V.m. Art. 8 GG handelte, die von dem Verbot des § 5 der 11. BayIfSMV ausdrücklich ausgenommen war.
aa) Unter eine Versammlung im verfassungsrechtlichen Sinne fallen nur solche Veranstaltungen, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.07.2001 – 1 BvQ 28/01 = NJW 2001, 2459 = DVBl 2001, 1351 = DÖV 2001, 907 = BayVBl 2001, 687 = NJ 2002, 27). Kennzeichnend für eine Versammlung ist mithin die gemeinschaftliche Meinungskundgabe.
bb) Dafür, dass eine gemeinschaftliche Meinungskundgabe in diesem Sinne stattgefunden hat oder auch nur beabsichtigt war, ergibt sich nach den Urteilsfeststellungen indes kein Anhaltspunkt. Zwar ist der gegenteiligen Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft zuzugeben, dass nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung der Schutz des Art. 8 GG nicht auf Veranstaltungen beschränkt ist, auf denen argumentiert und gestritten wird; vielmehr fallen hierunter vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, also auch solche mit Demonstrationscharakter, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233/81 = BVerfGE 69, 315 = EuGRZ 1985, 450 = DVBl 1985, 1006 = DÖV 1985, 778 = NJW 1985, 2395 = Fundstelle UPR 1985, 322 = BayVBl 1985, 589 = BayVBl 1985, 623 = ZfSH/SGB 1985, 451 = JZ 1986, 27 = JuS 1986, 644 = DÖD 1987, 21). Diese weite Auslegung des Versammlungsbegriffs findet aber ihre Grenze dort, wo eine kollektive Meinungskundgabe, die auf eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist (vgl. hierzu BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern Möstl/Schwabenbauer-Müller BayVersG Art. 2 Rn. 11), durch die Teilnehmer für Außenstehende nicht ersichtlich wird. Bei dem gemeinsamen Singen von Liedern und ähnlichen trivialen Handlungen, die weder durch explizite Aussagen noch durch nonverbales Verhalten auch nur im Ansatz erkennen lassen, dass der gemeinsame Auftritt der Mitteilung einer Meinung dienen soll, kann von einer Versammlung nicht die Rede sein. Dies gilt umso mehr, als nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Unterhaltungsveranstaltungen und musikalische Darbietungen in der Regel nicht als Versammlung im Sinne des Art. 8 GG einzustufen sind, weil sie nicht auf eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind (BVerfG, Beschluss vom 27.10.2016 – 1 BvR 458/10 = BVerfGE 143, 161).
cc) Soweit die Generalstaatsanwaltschaft darauf hinweist, dass die Einladung zu der Veranstaltung über die Facebook-Gruppe ‚U-Dorf steht auf‘ erfolgt sei, ergibt sich kein abweichendes Ergebnis. Ungeachtet dessen, dass sich für den Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft, diese Facebook Gruppe würde sich „dezidiert gegen die ergriffenen Coronamaßnahmen wenden“, weder aus den Urteilsfeststellungen noch den im Urteil in Bezug genommenen Lichtbildern auf Blatt 8/9 der Akten ein Anhaltspunkt ergibt, würde allein der Umstand, dass der Veranstalter des ‚Flashmobs‘ den staatlichen Coronamaßnahmen kritisch gegenübersteht, noch keineswegs dazu führen, dass das bloße Absingen von (Weihnachts-) Liedern der Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung diente.
3. Auch der Rechtsfolgenausspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen auf. Das Amtsgericht hat unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Zugrundelegung des zutreffenden Bußgeldrahmens die Höhe der Geldbuße rechtsfehlerfrei festgesetzt.
III.
Der Senat entscheidet durch Beschluss, § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.


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