Verwaltungsrecht

Zur Bedeutung einer nicht fristgerecht erfolgten Antwort auf ein Aufnahmegesuch

Aktenzeichen  M 8 S 17.51442

Datum:
13.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 2 S. 1, S. 2, § 75 Abs. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 12 Abs. 2, Abs. 4 UAbs. 1, Art. 18 Abs. 1 a, Art. 21, Art. 22

 

Leitsatz

Die Zuständigkeit für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz ergibt sich nicht gemäß Art. 22 Abs. 7 der Dublin-III-VO allein aus einer nicht fristgerecht erfolgten Antwort auf ein Aufnahmegesuch. Art. 22 Abs. 7 der Dublin-III-VO setzt die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats gerade – z. B. gemäß Art. 12 der Dublin-III-VO – voraus und begründet sie demzufolge nicht (wie VG Düsseldorf, B.v. 22.5.2015 – 22 L 246/15.A – juris). (Rn. 13)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 31. Mai 2017, bei Gericht eingegangen am 1. Juni 2017, gegen Nr. 3 des Bescheids vom 26. Mai 2017, Az. …, wird angeordnet
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 26. Mai 2017.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger, reiste ebenfalls eigenen Angaben zufolge am 30. Januar 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 20. Februar 2017 einen Asylantrag. Eine Recherche durch das Bundesamt ergab, dass der Antragsteller möglicherweise mit einem maltesischen Visum nach Deutschland eingereist ist. Nach eigenen Angaben des Antragstellers erfolgte die Einreise mit einem italienischen Visum über Frankreich.
Das Bundesamt hat am 20. März 2017 ein Übernahmeersuchen an Malta gerichtet, das dort am selben Tag einging und von dort bislang unbeantwortet blieb.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 26. Mai 2017, über dessen Zustellung sich kein Nachweis bei den Akten des Bundesamts befindet, wurde in Nummer 1 der Antrag auf Asyl als unzulässig abgelehnt, in Nummer 2 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, in Nummer 3 die Abschiebung nach Malta angeordnet und in Nummer 4 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2017, der bei Gericht am 1. Juni 2017 eingegangen ist, hat der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 26. Mai 2017 erhoben. Mit gleichzeitig gestelltem Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wird sinngemäß beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 3 des Bescheid vom 26. Mai 2017 anzuordnen.
Das Bundesamt hat die Verfahrensakte elektronisch vorgelegt. Eine Erwiderung oder Antragstellung erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Akte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (Asyl G) i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage gegen die Anordnung der Abschiebung in Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts vom 26. Mai 2017 ist begründet, da die in der Hauptsache erhobene Klage, die bei Gericht unter M 8 K 17. 51443 geführt wird, voraussichtlich im Klageantrag zu 1. Erfolg haben wird.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung. Diese Abwägung fällt aufgrund der nicht unerheblichen Erfolgsaussichten des Klageantrags zu 1. im Verfahren M 8 K 17.51443, gerichtet auf Aufhebung des Bescheids vom 26. Mai 2017, zugunsten des Antragstellers aus
1. Lehnt das Bundesamt auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Durchführung eines Asylverfahrens als unzulässig ab und ordnet nach § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier nach Malta – an, besteht die Besonderheit, dass das Bundesamt lediglich die Frage nach dem für die Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat erwogen hat, sich aber nicht mit den Gründen für die Gewährung von Asyl und der Frage nach einer Abschiebung in den Herkunftsstaat befasst hat. Die Zuständigkeitsprüfung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens erfolgt in zwei getrennten Verfahren. Die Frage nach der Prüfung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaates ist der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagert. Die Klageanträge zu 2. und 3. des Hauptsacheverfahrens, sinngemäß gerichtet auf materielle asylrechtliche Entscheidung, sind mithin nicht Gegenstand des Vollzugs der Dublin-III-VO.
2. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Entgegen der Auffassung des Bundesamts ist die Zuständigkeit vorliegend wohl nicht gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. a, Art. 21 und 22 der Dublin-III-VO auf Malta übergegangen; die Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich sodann aus Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 der Dublin-III-VO.
Malta ist voraussichtlich nicht gemäß Art. 12 Abs. 2 oder Abs. 4 UAbs. 1 der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitel III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Malta voraussichtlich nicht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, da der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung in Deutschland nicht gemäß Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 der Dublin-III-VO nachweislich im Besitz eines gültigen oder seit weniger als sechs Monaten abgelaufenen, von den maltesischen Behörden ausgestellten Visums war. Damit liegen die Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 2 oder Abs. 4 UAbs. 1 der Dublin-III-VO für Malta nicht vor. Nach Aktenlage (Auszug aus der VIS-Datenbank des Bundesverwaltungsamts, Bl. 99 f. dA) wurde dem Antragsteller von der maltesischen Auslandsvertretung in Lagos gerade kein Visum erteilt bzw. ein solches wieder annulliert, da Zweck und Bedingungen des geplanten EU-Aufenthalts nicht glaubhaft gemacht wurden. Ebenfalls ergibt sich aus dem vorgenannten Auszug aus der VIS-Datenbank, dass ein Visumsetikett gerade nicht erzeugt wurde, sodass eine Einreise mit einem maltesischen Visum wohl kaum in Betracht kommen dürfte. Da folglich die tatbestandlichen Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 2 oder Abs. 4 UAbs. 1 der Dublin-III-VO in Bezug auf Malta wohl nicht vorliegen, führt auch der Ablauf der Zwei-Monats-Frist nach Art. 22 Abs. 7 der Dublin-III-VO nicht zu einer Fiktion der Stattgabe des Aufnahmegesuchs des Bundesamts vom 20. März 2017. Die Zuständigkeit für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz ergibt sich nicht gemäß Art. 22 Abs. 7 der Dublin III-VO allein aus einer nicht fristgerecht erfolgten Antwort auf ein Aufnahmegesuch. Art. 22 Abs. 7 der Dublin-III-VO setzt die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats gerade – hier gemäß Art. 12 der Dublin-III-VO – vielmehr voraus und begründet sie demzufolge nicht (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 22.5.2015 – 22 L 246/15.A – juris).
Folglich steht vorliegend die Verpflichtung Maltas zur Wiederaufnahme des Antragstellers nicht fest. Aus Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 i.V.m. UAbs. 1 der Dublin-III-VO folgt aufgrund des Ablaufs der 3-Monats-Frist ab dem 21. Mai 2017 vielmehr voraussichtlich – vorbehaltlich weiterer bzw. abweichender Erkenntnisse zur Frage der Erteilung eines Visums an den Antragsteller im Hauptsacheverfahren – die Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags des Antragstellers vom 20. Februar 2017.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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