Verwaltungsrecht

Zur grundsätzlichen Bedeutung einer Asylrechtsstreitigkeit

Aktenzeichen  24 ZB 21.30687

Datum:
7.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16411
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Asylrechtsstreitigkeit, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich und obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Darlegung dieser Voraussetzungen erfordert wenigstens die Bezeichnung einer konkreten Frage, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für das Berufungsverfahren erheblich wäre. Eine verallgemeinerungsfähige Frage tatsächlicher Natur ist als grundsätzlich bedeutsam anzusehen, wenn sich nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel klärungsbedürftige Gesichtspunkte ergeben, weil diese Erkenntnismittel in ihrer Gesamtheit keine klare und eindeutige Aussage zu der Tatsachenfrage zulassen. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
3. Insoweit verlangt das Darlegungserfordernis gem § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG, dass die tatsächliche Frage nicht nur aufgeworfen wird, sondern im Wege der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil und mit den wichtigsten Erkenntnismitteln, etwa aktuellen Lageberichten des Auswärtigen Amtes, herausgearbeitet wird, warum ein allgemeiner Klärungsbedarf bestehen soll. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 K 17.41734 2021-03-17 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Asylrechtsstreitigkeit, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich und obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegung dieser Voraussetzungen erfordert wenigstens die Bezeichnung einer konkreten Frage, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für das Berufungsverfahren erheblich wäre. Eine verallgemeinerungsfähige Frage tatsächlicher Natur ist als grundsätzlich bedeutsam anzusehen, wenn sich nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel klärungsbedürftige Gesichtspunkte ergeben, weil diese Erkenntnismittel in ihrer Gesamtheit keine klare und eindeutige Aussage zu der Tatsachenfrage zulassen. Insoweit verlangt das Darlegungserfordernis gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass die tatsächliche Frage nicht nur aufgeworfen wird, sondern im Wege der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil und mit den wichtigsten Erkenntnismitteln, etwa aktuellen Lageberichten des Auswärtigen Amtes, herausgearbeitet wird, warum ein allgemeiner Klärungsbedarf bestehen soll (Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 211 ff.). Dabei gilt allgemein, dass die Anforderungen an die Darlegung nicht überspannt werden dürfen, sondern sich nach der Begründungstiefe der angefochtenen Entscheidung zu richten haben.
Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob
1. derzeit einfachen Partei-Mitgliedern der Halklarin Demokratik Partisi (HDP) in der Türkei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus politischen Gründen staatliche Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1, 2 AsylG droht“, und
2. ob „eine solche Verfolgung zumindest bei vergangenen untergeordneten Tätigkeiten, bspw. im Rahmen der Verantwortung für die Jugendabteilung und/oder Aktivitäten im Parteiwahlkampf droht“.
Sie machen im Wesentlichen geltend, aus mehreren, im einzelnen zitierten Presseartikeln werde deutlich, dass sich die Lage für Oppositionelle in der Türkei seit Erlass des angefochtenen Urteils verschärft habe. Insbesondere drohe mittlerweile ein Verbot der HDP, welches befürchten lasse, dass, anders als vom Verwaltungsgericht angenommen, auch für einfache Mitglieder der HDP mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine gegenwärtige Gefahr staatlicher Verfolgung drohe.
Mit diesem Vorbringen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Im Hinblick auf die erste Frage gilt dabei folgendes: Abgesehen davon, dass die Klägerin zu 2 nach ihren eigenen Angaben selbst keine Probleme in der Türkei hatte, sondern nur wegen ihres Mannes nach Deutschland ausgereist ist (UA S. 13), geht aus den von den Klägern zitierten Quellen, die ihrer Ansicht nach belegen, dass die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnismittel veraltet sind, zwar hervor, dass die HDP von einem förmlichen Verbotsverfahren bedroht wird. Auch seien einige ihrer „Top-Politiker wie die Co-Vorsitzende Pervin Buldan und die zurzeit inhaftierten Ex-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag“ sowie „regionale Vorstandsmitglieder und Kommunalpolitiker“ verhaftet worden. In keinem der von den Klägern vorgelegten Presseartikel wird jedoch darüber hinaus gehend berichtet, dass „einfache Partei-Mitglieder der HDP“ wie der Kläger zu 1 von derartigen Maßnahmen betroffen bzw. staatlicher Verfolgung ausgesetzt sein könnten und damit hinreichend belegt, dass die vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Erkenntnismittel insoweit nicht mehr ausreichend aktuell sind.
Die zweite von den Klägern aufgeworfene und als grundsätzlich erachtete Frage rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist ersichtlich auf das behauptete Verfolgungsschicksal des Klägers zu 1 zugeschnitten und kann deshalb auch nur in Abhängigkeit von den Umständen des konkreten Einzelfalls (z.B. der Art und Weise der untergeordneten Tätigkeiten bzw. der Aktivitäten im Wahlkampf), nicht jedoch fallübergreifend beantwortet werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.


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