Verwaltungsrecht

Zur vorläufigen Gestattung des Besuchs einer Schule außerhalb Thüringens

Aktenzeichen  4 EO 30/22

Datum:
21.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 4. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGTH:2022:0321.4EO30.22.00
Normen:
§ 17 Abs 1 S 1 SchulG TH 2003
§ 17 Abs 3 S 2 SchulG TH 2003
§ 15 SchulG TH 2003
Art 2 Abs 1 GG
Art 7 Abs 1 GG
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Zwingende persönliche Gründe, die darauf führen könnten, den Besuch einer Schule außerhalb Thüringens (§ 17 Abs. 3 Satz 2 ThürSchulG; juris: SchulG TH 2003) vorläufig zu gestatten, sind nur dann anzunehmen, wenn die Nachteile des Besuches der zuständigen Pflichtschule ungleich schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an dem Besuch der örtlich zuständigen Pflichtschule und wenn der Schüler nicht zumutbar auf die Begründung eines Gastschulverhältnisses nach § 15 ThürSchulG verwiesen werden kann. Es muss eine individuelle Ausnahmesituation vorliegen, die es unter Berücksichtigung des Wohls des Kindes unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar macht, die bisherige Schule zu besuchen.(Rn.22)

2. Erheblicher Unterrichtsausfall an einer Schule begründet keine individuelle Ausnahmesituation eines einzelnen Schülers und rechtfertigt nicht allein deshalb die Annahme eines zwingenden persönlichen Grundes i. S. d. § 17 Abs. 3 Satz 2 ThürSchulG (juris: SchulG TH 2003).(Rn.28)

3. Aus dem aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 7 Abs. 1 GG abgeleiteten Recht auf schulische Bildung folgt ein grundrechtlich geschützter Anspruch von Schülern auf Einhaltung eines nach allgemeiner Auffassung für ihre chancengleiche Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit unverzichtbaren Mindeststandards von Bildungsangeboten an staatlichen Schulen. (Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 971/21 – , juris, Rn. 47 und Rn. 57). Aus einer etwaigen Verletzung des Anspruchs auf Gewährung eines Mindeststandards von Bildungsangeboten kann kein Anspruch auf Gestattung des Besuchs einer Schule außerhalb Thüringens hergeleitet werden.(Rn.31)

Verfahrensgang

vorgehend VG Weimar, 30. Dezember 2021, 2 E 1721/21 We, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar vom 30. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar, mit dem es einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, wörtlich gerichtet auf Erteilung einer vorläufigen Genehmigung, die Schulpflicht außerhalb Thüringens zu erfüllen, abgelehnt hat.
Die 2008 geborene Antragstellerin besuchte zunächst die 8. Klasse der in ihrem Wohnort gelegenen Staatlichen Regelschule W…. Seit dem 29. September 2021 wird sie an der H…-S…-Realschule in D…, Niedersachsen, beschult.
In dem am 28. Oktober 2021 beim Staatlichen Schulamt Nordthüringen eingegangenen Antrag auf Gestattung des gastweisen Besuchs der H…-S…-Realschule D…. machte sie zur Begründung geltend, es gebe an der Staatlichen Regelschule W… einen erheblichen Lehrermangel und deshalb Unterrichtsausfall, sie habe Zukunftsängste und keinen Anschluss in ihrer Klasse, woraus Bauchschmerzen resultierten.
Den Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. November 2021 ab und verwies auf das Erfordernis von zwingenden persönlichen Gründen, die nicht vorlägen. Über den hiergegen am 14. Dezember 2021 eingelegten Widerspruch ist bislang nicht entschieden worden.
Mit dem am 14. Dezember 2021 beim Verwaltungsgericht Weimar eingegangenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, wörtlich gerichtet auf vorläufige Genehmigung des Gastschulverhältnisses an der H…-S…-Realschule in D_-…, hat die Antragstellerin weiter vertiefend geltend gemacht, es würden nur 25 von 32/33 Unterrichtsstunden unterrichtet; Chemie, Ethik, Religion, Kunst und Werken fielen dauerhaft aus, sodass sie Angst habe, wegen des fehlenden Unterrichts in ihrem Werdegang eingeschränkt zu werden. Weiter stoße sie mit ihrem Willen zum Lernen auf große Ablehnung bei anderen Schülern. Beides führe zu körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen. Bei ihr lägen besondere pädagogische und soziale Gründe i. S. d. § 15 Abs. 1 ThürSchulG vor, weil die Staatliche Regelschule W… aufgrund des seit Jahren bestehenden Lehrermangels den Auftrag zur Beschulung nicht mehr erfüllen könne und sie in ihrer Ausbildungswahl eingeschränkt werde. Eine Rückkehr an die Staatliche Regelschule W… berge die Gefahr dauerhafter psychischer Schäden. Ferner hat sie ein Attest der Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin M…-… vom 20. Januar 2020 sowie eine Stellungnahme der psychologischen Psychotherapeutin H… vom 12. Dezember 2021 vorgelegt.
Den ablehnenden Beschluss vom 30. Dezember 2021 hat das Verwaltungsgericht Weimar damit begründet, dass keine zwingenden persönlichen Gründe glaubhaft gemacht worden seien. Abzuwägen sei hierbei das vom Gesetzgeber grundsätzlich als vorrangig zu bewertende öffentliche Interesse aus Gründen der Planung und sinnvollen Nutzung schulischer Einrichtungen zur Erfüllung der Schulpflicht in der jeweiligen Pflichtschule des Bundeslandes mit dem Interesse des Schulpflichtigen bzw. seiner Eltern im Hinblick auf Beschulung an einer den persönlichen und familiären Gegebenheiten am besten entsprechenden Schule. Nur wenn die Nachteile des Besuchs der Pflichtschule ungleich schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Pflichtschule, könnten zwingende persönliche Gründe angenommen werden. Es müsse eine besondere individuelle Ausnahmesituation gegeben sein, die den Besuch der Pflichtschule als unzumutbar erscheinen lasse, was bei der Antragstellerin nicht gegeben sei. So treffe der Unterrichtsausfall jeden Schüler der Klasse und die hieraus resultierenden Defizite seien eine nicht näher belegte Vermutung der Antragstellerseite. Auch sei keine individuelle Ausnahmesituation durch gesundheitliche Störungen mit Krankheitswert glaubhaft gemacht worden, weil es an der Glaubhaftmachung der krankheitsauslösenden Wirkung des Unterrichtsausfalls sowie der Kausalität von erwähnten depressiven Episoden fehle. Schließlich komme es auf den Inhalt eines möglichen Anspruchs wegen längerfristigen Unterrichtsausfalls nicht an, weil dieser allenfalls innerhalb Thüringens zu erfüllen sei.
Gegen den am 4. Januar 2022 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 18. Januar 2022 Beschwerde zum Thüringer Oberverwaltungsgericht erhoben und zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags eine eidesstattliche Versicherung ihrer Mutter vorgelegt.
Die Antragstellerin beantragt wörtlich,
ihr die vorläufige Genehmigung zu erteilen, ihre allgemeine Schulpflicht außerhalb Thüringens zu erfüllen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er nimmt auf seine bisherigen Ausführungen Bezug und weist ergänzend darauf hin, dass möglicherweise die Begründung eines Gastschulverhältnisses nach § 15 Abs. 1 ThürSchulG mit im Vergleich zu § 17 Abs. 3 ThürSchulG niederschwelligeren Voraussetzungen angezeigt sein könnte, wenn seit Beginn der Klassenstufe 5 Probleme im schulischen / schulisch-sozialen Umfeld bestanden hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens (eine Heftung) sowie den vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgang. Diese waren Gegenstand der Beratung.
II.
Der Antrag ist in entsprechender Anwendung des § 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) unter Beachtung des erkennbaren Willens der Antragstellerin sachgerecht dahingehend auszulegen, dass sie neben der Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Weimar die einstweilige Gestattung des Besuchs einer Schule außerhalb Thüringens begehrt.
Die Antragstellerin hat in Anlehnung an die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung ihres Begehrens wörtlich eine „vorläufige Genehmigung“ beantragt, die das Thüringer Schulgesetz jedoch nicht vorsieht. Die Erteilung einer Genehmigung zur Erfüllung der Schulpflicht außerhalb Thüringens im einstweiligen Rechtsschutzverfahren käme einer Vorwegnahme der Hauptsache gleich, die im Lichte des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) nicht geboten ist (vgl. zu den strengen Voraussetzungen: Beschluss des Senats vom 23. März 2020 – 4 EO 113/20 -, juris, Rn. 46). Denn ersichtlich geht es der Antragstellerin nicht um eine endgültige, sondern eine vorläufige Regelung, nämlich darum, bis zu einer Entscheidung im Widerspruchsverfahren bzw. in einem sich anschließenden Klageverfahren nicht verpflichtet zu sein, die Regelschule W…. besuchen zu müssen, sondern einstweilen eine Schule in einem anderen Bundesland besuchen zu dürfen – hier die H…-S…-Realschule D….
Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg.
Die mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht.
Es ist bereits zweifelhaft, ob der Vortrag im Beschwerdeverfahren den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt. Denn in der Beschwerdebegründung sind u. a. die Gründe darzulegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sie muss sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Darlegen bedeutet “erläutern”, “erklären” oder “näher auf etwas eingehen” (vgl. st. Rspr. des Senats, zuletzt Beschluss vom 15. Februar 2022 – 4 ZKO 213/21 – n. v.). Es ist deshalb erforderlich, sich substantiiert mit der erstinstanzlichen Entscheidung auseinanderzusetzen und darzulegen, aus welchen Gründen diese abzuändern ist. Daran besteht bei der Beschwerdebegründung der Antragstellerin Zweifel, weil sie sich im Wesentlichen auf die Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags beschränkt, ohne sich jedoch dezidiert mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen. Dies kann jedoch letztendlich offen bleiben.
Denn jedenfalls rechtfertigt der Vortrag der Antragstellerin nicht den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Hierzu sind gem. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO der durch die einstweilige Anordnung zu schützende Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer einstweiligen Regelung glaubhaft zu machen. Dabei kommt es darauf an, ob dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch zusteht und ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist, weil schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile drohen. Eine reine Folgeabwägung – unabhängig von den Aussichten im Hauptsacheverfahren – ist lediglich im Einzelfall geboten, wenn eine hinreichend zuverlässige Beurteilung der Erfolgsaussichten im Rahmen einer summarischen Prüfung nicht möglich ist (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 15. Juni 2005 – 1 EO 678/05 – zit. nach juris, Rn. 61).
Gemessen daran hat die Antragstellerin auch unter Berücksichtigung ihres Vortrags im Beschwerdeverfahren schon nicht die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs, namentlich eines Anspruchs auf vorläufige Gestattung des Schulbesuchs außerhalb Thüringens, glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin kann in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht erfolgreich einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung zur Erfüllung der Schulpflicht außerhalb Thüringens geltend machen.
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 ThürSchulG unterliegt der Schulpflicht, wer in Thüringen seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in einem Ausbildungsverhältnis oder einem Arbeitsverhältnis steht (Schulpflichtiger). Die Schulpflicht kann an einer öffentlichen Schule oder an einer Ersatzschule außerhalb Thüringens erfüllt werden (§ 17 Abs. 3 Satz 1 ThürSchulG). Der Besuch einer Schule außerhalb Thüringens zur Erfüllung der Schulpflicht ist nur aus zwingenden persönlichen Gründen mit Genehmigung des zuständigen Schulamts zulässig (§ 17 Abs. 3 Satz 2 ThürSchulG).
Daraus ergibt sich, dass der Schulbesuch außerhalb Thüringens nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers der Ausnahmefall sein soll. Ob zwingende persönliche Gründe für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vorliegen, ist durch Abwägung der beteiligten Interessen zu ermitteln. Auf der einen Seite steht das vom Gesetzgeber als grundsätzlich vorrangig bewertete öffentliche Interesse, das aus Gründen der Planung und sinnvollen Nutzung der mit öffentlichen Mitteln geschaffenen schulischen Einrichtungen die Schulpflicht in der jeweiligen Pflichtschule des zuständigen Bundeslandes erfüllt wird. Diesem öffentlichen Interesse steht das Interesse des Schulpflichtigen bzw. seiner Eltern gegenüber, die Schule besuchen zu können, die nach ihren persönlichen und familiären Gegebenheiten ihren Wünschen am besten entspricht (vgl. VG Meiningen, Beschluss vom 31. Juli 2014 – 1 E 290/14 Me -, juris, Rn. 19). Wiegen die Nachteile des Besuches der zuständigen Pflichtschule ungleich schwerer als das öffentliche Interesse an dem Besuch der örtlich zuständigen Pflichtschule und kann der Schüler nicht zumutbar auf die Begründung eines Gastschulverhältnisses nach § 15 ThürSchulG, d. h. auf den Besuch einer anderen Schule innerhalb Thüringens, verwiesen werden, sind zwingende persönliche Gründe i. S. d. § 17 Abs. 3 Satz 2 ThürSchulG anzunehmen (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 17. August 2000 – 1 ZEO 696/00 -, S. 4, n. v. zu § 15 Abs. 1 ThürSchulG a. F.; BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 2020 – 7 ZB 19.1673 -, juris, Rn. 7 zum Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayEUG für den Besuch einer anderen Schule außerhalb des Sprengels). Dabei muss der Schulbesuch an der bisherigen Schule für den Schulpflichtigen den Grad einer unzumutbaren Härte erreichen (vgl. Beschluss des Senats vom 15. August 2019 – 4 EO 576/19 -, juris, Rn. 37 sowie ThürOVG, Beschlüsse vom 28. Juli 2015 – 1 EO 366/15 -, S. 7, n. v. und vom 18. Dezember 2009 – 1 EO 752/09 -, S. 10, n. v.). Voraussetzung ist also, dass beim Schulpflichtigen eine individuelle Ausnahmesituation vorliegt (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 17. August 2000, a. a. O.), die es unter Berücksichtigung des Wohls des Kindes unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar macht, die bisherige Schule zu besuchen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 2020, a. a. O.). Das ist nicht schon bei allgemein auftretenden Schwierigkeiten der Fall, die eine größere Zahl von Eltern und Schülern betreffen (BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 2020, a. a. O.). Es ist hierbei von einem strengeren (ThürOVG, Beschluss vom 28. Juli 2015, a. a. O.) und restriktiveren Maßstab als bei der Begründung eines Gastschulverhältnisses innerhalb Thüringens nach § 15 Abs. 1 ThürSchulG auszugehen (vgl. LT-Drs 3/2693 S. 53 f. anlässlich der Änderung des ThürSchulG zum 1. August 2003 – vgl. Art. 6 des Gesetzes vom 3. Dezember 2002, GVBl. S. 397). Neben der Unzumutbarkeit des Besuchs der bisherigen Schule erfordert § 17 Abs. 3 Satz 2 ThürSchulG, dass die zwingenden persönlichen Gründe ebenso für die Beschulung außerhalb Thüringens streiten müssen. Liegen also die – weniger strengen – Voraussetzungen zur Begründung eines Gastschulverhältnisses innerhalb Thüringens nach § 15 ThürSchulG vor und könnte der Schulpflichtige (zumutbar) auf den Besuch einer anderen Schule in Thüringen verwiesen werden, was beispielsweise die Erreichbarkeit der Schule voraussetzt, bestehen keine zwingenden persönlichen Gründe für den Besuch einer Schule außerhalb Thüringens.
Nach diesen Maßstäben hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren keine Gründe vorgetragen, die nach der im einstweiligen Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung die Annahme eines zwingenden persönlichen Grundes rechtfertigen.
1. Soweit die Antragstellerin nunmehr eine umfassende eidesstattliche Versicherung ihrer Mutter vorlegt, macht sie deutlich und glaubhaft, dass sie in der Staatlichen Regelschule W…. im schulisch-sozialen Bereich insbesondere im Hinblick auf ihre Mitschüler Schwierigkeiten ausgesetzt war. Ihrer Einschätzung nach führte dies zu wiederkehrenden Kopfschmerzen, Konzentrationsproblemen und Ängsten der Antragstellerin, die sich nach Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts nach den bedingt durch die Covid-19-Pandemie erfolgten zeitweiligen Schulschließungen weiter verstärkten. Ob dies geeignet ist, die Unzumutbarkeit des Schulbesuchs an der Regelschule W…-… zu belegen, kann letztlich dahinstehen, weil weder die eidesstattliche Versicherung der Mutter der Antragstellerin noch ihr sonstiger Vortrag Umstände dazu darlegen, weshalb daraus die Notwendigkeit des Schulbesuchs außerhalb Thüringens folgt. Hierzu macht sie keinerlei Ausführungen. Zwar versicherte die Mutter eidesstattlich, dass durch den Wechsel der Antragstellerin auf die Schule in D…._ eine deutliche Besserung der psychischen und physischen Beschwerden eingetreten und es ihr, der Antragstellerin, anders als in W…, gut gelungen sei, sich zu integrieren. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die beschriebene Besserung auch durch den Besuch etwa der Parallelklasse der bisher besuchten Staatlichen Regelschule W… oder etwa einer anderen Regelschule innerhalb Thüringens hätte erzielt werden können. Der Wohnort der Antragstellerin verfügt bereits mit der Staatlichen Regelschule “J…-…” und der Staatliche Regelschule “…”, beide im Ortsteil L…, über zwei weitere Regelschulen. In näherer Umgebung zum Wohnort der Antragstellerin befinden sich darüber hinaus in B… und B… weitere staatliche Regelschulen. Zur Annahme zwingender persönlicher Gründe genügt es, wie bereits ausgeführt, nicht, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren glaubhaft zu machen, dass der Schulbesuch der bisherigen Schule unzumutbar ist. Zusätzlich ist es erforderlich, die zwingende Notwendigkeit des Schulbesuchs außerhalb Thüringens glaubhaft zu machen.
Auch die vorgelegten Atteste rechtfertigen die Annahme zwingender persönlicher Gründe nicht. Das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich der ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie M… vom 20. Januar 2020 nachvollziehbar ausgeführt, hieraus gingen weder Diagnose noch Schweregrad einer Erkrankung hervor. Damit setzt sich die Antragstellerin in keiner Weise auseinander und erfüllt schon deshalb nicht die Anforderungen des Darlegungsgebots. Zweifel an der Aussagekraft der Bescheinigung sind ferner deshalb angezeigt, weil sie im Abstand von etwa 19 Monaten vor dem Schulwechsel auf die Schule in D…. verfasst wurde und deshalb ihre Aktualität fraglich ist.
Hinsichtlich der Stellungnahme der psychologischen Psychotherapeutin H… vom 12. Dezember 2021 hat das Verwaltungsgericht eingeschätzt, dass diese keine belastbare Aussage darüber enthält, dass der Besuch der Regelschule W…. eine psychische Erkrankung der Antragstellerin in einer Form auslöst und verfestigt, die den Schulbesuch als unzumutbar erscheinen lässt. Dem tritt die Antragstellerin nicht substantiiert entgegen. Darüber hinaus bleibt bei dieser Stellungnahme offen, ob und seit wann die Antragstellerin dort in Behandlung ist. Hieran bestehen auch deshalb Zweifel, weil die Antragstellerin im Rahmen der Antragstellung bei dem Antragsgegner keinerlei therapeutische Behandlung erwähnt hat.
Ob die von der Antragstellerin aufgeführten Umstände ausreichen, um einen wichtigen Grund für den gastweisen Besuch einer anderen als der nach § 14 ThürSchulG örtlich zuständigen Schule innerhalb Thüringens darzustellen (§ 15 Abs. 1 ThürSchulG), muss im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden. Denn die Antragstellerin hat sowohl im Antrag bei dem Antragsgegner als auch in beiden gerichtlichen Verfahren deutlich gemacht, dass sie einzig die vorläufige Gestattung des Besuchs der Schule in D… und damit außerhalb Thüringens begehrt.
2. Soweit die Antragstellerin vorträgt, bereits der erhebliche Unterrichtsausfall sei ausreichend, um den Besuch einer anderen Schule zu ermöglichen, genügt auch dies nicht, um vorläufig die Gestattung des Besuchs einer Schule außerhalb Thüringens zu begründen. Der an der Regelschule W…. vorhandene und zwischen den Beteiligten unstreitige derzeitige Unterrichtsausfall (lediglich 25 von 32/33 Schulstunden werden erbracht) rechtfertigt nicht die Annahme eines zwingenden persönlichen Grundes i. S. v. § 17 Abs. 3 Satz 2 ThürSchulG. Denn es handelt sich hierbei um eine allgemein auftretende Schwierigkeit, die eine größere Zahl von Eltern und Schülern betrifft und nicht um eine individuelle Ausnahmesituation der Antragstellerin, weil der Unterrichtsausfall jedenfalls die gesamte Klasse der bislang besuchten Regelschule W…_ gleichermaßen trifft. Darauf hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen.
Auch soweit die Antragstellerin geltend macht, dass sich die Vielzahl der an der Regelschule W… vom Unterrichtsausfall betroffenen Schüler im Vergleich zu allen Schülern Thüringens bzw. Deutschlands relativiere und deshalb eine Ausnahmesituation anzunehmen sei, verkennt sie, dass es bei der Frage des Vorliegens zwingender persönlicher Gründe um eine Abwägung des öffentlichen Interesses Thüringens an der Planung und sinnvollen Nutzung schulischer Einrichtungen mit der individuellen Situation eines Schulpflichtigen geht.
3. Offen bleiben kann für dieses Beschwerdeverfahren, ob der Unterrichtsausfall an der Staatlichen Regelschule W… dazu führen könnte, dass der verfassungsrechtlich geschützte Anspruch auf Gewährung eines Mindeststandards von Bildungsangeboten durch den Antragsgegner verletzt wird.
Aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG folgt zugleich ein Recht des Kindes bzw. des Jugendlichen gegenüber dem Staat, ihre Entwicklung durch schulische Bildung gemäß dem Bildungsauftrag nach Art. 7 Abs. 1 GG zu unterstützen und zu fördern (Recht auf schulische Bildung, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 971/21 -, juris, Rn. 47). Ein Anspruch auf ein bestimmtes Schulangebot oder eine bestimmte Gestaltung der Schule folgt hieraus gleichwohl nicht, weil sich der Staat bei der Wahrnehmung seines Auftrags zur Gestaltung von Schule (Art. 7 Abs. 1 GG) auf einen weiten Spielraum und den Vorbehalt des Möglichen berufen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, a. a. O. Rn. 52 f.; Beschluss des Senats vom 2. Februar 2021 – 4 EO 56/21 -, juris, Rn. 13, zu Art. 20 ThürVerf). Allerdings folgt aus dem Recht auf schulische Bildung ein grundrechtlich geschützter Anspruch von Schülern auf Einhaltung eines nach allgemeiner Auffassung für ihre chancengleiche Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit unverzichtbaren Mindeststandards von Bildungsangeboten an staatlichen Schulen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, a. a. O. Rn. 57; Beschluss des Senats vom 2. Februar 2021 – 4 EO 56/21 -, juris, Rn. 13: Grenze der grundsätzlich umfassenden Schulgestaltungsmacht bei evidenter Verletzung). Nur ausnahmsweise können überwiegende Gründe des Schutzes von Verfassungsrechtsgütern diesem Anspruch entgegenstehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, a. a. O.).
Zwar bestehen nach dem unstreitigen Sachverhalt Anhaltspunkte dafür, dass an der Staatlichen Regelschule W…. im Hinblick auf die zuverlässige Beschulung aller Fächer entsprechend der Rahmenstundentafel (vgl. Anlage 2 zu § 44 ThürSchulO) ein strukturelles Problem gegeben sein könnte. Ob hierin eine Verletzung des Mindeststandards liegen und damit verbunden die Möglichkeit der Geltendmachung eines Anspruchs auf weitergehende Beschulung bestehen könnte, braucht jedoch nicht entschieden zu werden. Denn ein solcher – unterstellter – Anspruch auf Unterrichtserteilung bei langfristigem Unterrichtsausfall würde sich gegen den Antragsgegner richten und wäre grundsätzlich nicht durch Beschulung außerhalb Thüringens zu erfüllen. Darauf hat das Verwaltungsgericht bereits zutreffend hingewiesen. Der Antragstellerin kommt es in diesem Verfahren ersichtlich nicht darauf an, einen eventuellen Anspruch auf ausreichende Beschulung in der bisher besuchten Regelschule W… oder einer anderen Schule in Thüringen durchzusetzen. Ihr Ziel ist vielmehr die vorläufige Gestattung des Schulbesuchs außerhalb Thüringens.
Soweit die Antragstellerin anmerkt, das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass die Schulleitungen beider Schulen dem Schulwechsel zugestimmt hätten, verkennt sie, dass es hierauf nicht ankommt. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 3 Satz 2 ThürSchulG bedarf es der Genehmigung des zuständigen Schulamtes, nicht der Schulleitung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, 47 GKG.
Hinweis:Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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