Verwaltungsrecht

Zuständigkeit der Verwaltungs-und Truppendienstgerichte

Aktenzeichen  6 CS 21.2140

Datum:
12.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30980
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 17a Abs. 2, Abs. 4 S. 3
SG § 82
WBO § 17 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Truppendienstgerichte haben zu entscheiden, wenn es um Rechte und Pflichten geht, die auf dem besonderen militärischen Über-/Unterordnungsverhältnis beruhen, während Rechtsschutz im Hinblick auf die mit dem allgemeinen Dienstverhältnis zusammenhängenden Rechte durch die Verwaltungsgerichte gewährt wird. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Beim Streit um die Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit geht es um eine Statusangelegenheit, über die die Verwaltungsgerichte zu entscheiden haben. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 1 S 21.859 2021-07-28 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 28. Juli 2021 – RO 1 S 21.859 – aufgehoben. Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Antragsteller bewarb sich im Februar 2020 um die Wiedereinstellung als Soldat auf Zeit in der Laufbahn der Mannschaften und Unteroffiziere. Nachdem er wehrmedizinisch mit dem Ergebnis „verwendungsfähig mit Einschränkungen“ begutachtet worden war, teilte ihm das Karrierecenter der Bundeswehr IV mit Schreiben vom 11. November 2020 mit, dass beabsichtigt sei, ihn als Soldat auf Zeit in der Bundeswehr einzustellen, und dass er nach seinem Dienstantritt die Ernennungsurkunde erhalte.
Der Antragsteller trat den Dienst im Januar 2021 an, erhielt aber keine Ernennungsurkunde, weil er bei wiederholten truppenärztlichen Begutachtungen (vom 29.1., 31.3. und 27.4.2021) als „nicht dienstfähig“ eingestuft wurde. Der Kompaniechef teilte ihm mit Schreiben vom 8. April 2021 mit: „hiermit entlasse ich Sie aufgrund Ihrer festgestellten Dienstuntauglichkeit … mit Ablauf des 30.04.2021 aus dem militärischen Dienst.“ Der Antragsteller erhob hiergegen Beschwerde, über die noch nicht entschieden ist.
Am 7. Mai 2021 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde gegen die Entlassung aus dem militärischen Dienst anzuordnen. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 SG für eine Entlassung lägen nicht vor. Er sei dienstfähig. Der bei der Einstellungsuntersuchung bekannte Bandscheibenvorfall, auf den sich die nachträgliche Einstufung stütze, sei seit Jahren ausgeheilt. Die Antragsgegnerin hat entgegengehalten, es handle sich nicht um eine Entlassung nach § 55 Abs. 2 SG, weil der Antragsteller nicht zum Soldaten auf Zeit ernannt worden sei, sondern sich nur in einem faktischen Dienstverhältnis befunden habe. Da die Einstellungsuntersuchungen eine Dienst- und Verwendungsunfähigkeit ergeben hätten, sei er durch das Schreiben des Kompaniechefs entsprechend der zentralen Dienstvorschrift (AR) A-1420/1 in Marsch gesetzt worden. Wehre sich der Antragsteller gegen diese Inmarschsetzung, so seien die Truppendienstgerichte zuständig. Daraufhin hat der Antragsteller erwidert, es handele sich nach dem klaren Wortlaut des Schreibens um eine Entlassung, sodass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft sei. Hilfsweise werde beantragt, gemäß § 123 Abs. 1 VwGO die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Ernennungsurkunde zum Soldaten auf Zeit unter Mitteilung der Dauer des Dienstverhältnisses, hier 15 Jahre, auszuhändigen und ihn somit zum Soldaten auf Zeit zu berufen. Der Hilfsantrag werde auch für den Fall gestellt, dass der Hauptantrag nicht durchdringe, weil das erkennende Gericht sich für den Hauptantrag für sachlich nicht zuständig halte. Der Antragsteller habe einen Anspruch darauf, dass ihm die Ernennungsurkunde unverzüglich ausgehändigt werde.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Juli 2021 den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Truppendienstgericht Süd verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
II.
1. Die Rechtswegbeschwerde des Antragstellers ist zulässig (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. §§ 146 ff. VwGO) und begründet.
Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit, in dem der Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutzverfahren seine „Entlassung“ aus der Bundeswehr angreift und die Ernennung zum Soldaten auf Zeit erreichen oder zumindest sichern will, zu Unrecht an das Truppendienstgericht verwiesen. Der von dem Antragsteller beschrittene Rechtsweg zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten ist nach § 82 Abs. 1 SG zulässig. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sind nicht nach § 17 Abs. 1, 2 WBO die Truppendienstgerichte zur Entscheidung berufen.
Gemäß § 82 Abs. 1 SG ist für Klagen der Soldaten aus dem Wehrdienstverhältnis der Verwaltungsrechtsweg gegeben, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gesetzlich vorgeschrieben ist. Diese Vorschrift ist – wie der insoweit vergleichbare § 126 Abs. 1 BBG für beamtenrechtliche Klagen (BayVGH, B.v. 19.12.2019 – 6 C 19.2409 – juris Rn. 7 m.w.N.) – auch anwendbar auf Ansprüche vorsoldatlicher Art aus einer der dem Wehrdienstverhältnis zugeordneten Anspruchsgrundlagen, wie etwa Klagen von Nichtsoldaten auf Berufung in das Soldatenverhältnis.
Für den Rechtsstreit um „Entlassung“ und Ernennung des Antragstellers ist kein „anderer Rechtsweg“ vorgeschrieben. Insbesondere sind nicht die Truppendienstgerichte nach § 17 WBO zur Entscheidung berufen. Nach dieser Vorschrift kann der Beschwerdeführer die Entscheidung des Truppendienstgerichts beantragen, wenn seine Beschwerde eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Pflichten eines Vorgesetzten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind (§ 17 Abs. 1 WBO). Insoweit tritt das Verfahren vor dem Truppendienstgericht an die Stelle des Verwaltungsrechtswegs gemäß § 82 SG (§ 17 Abs. 2 WBO).
Die Truppendienstgerichte haben nur dann die Entscheidungskompetenz, wenn es um die Verletzung von Rechten und Pflichten geht, die auf dem besonderen militärischen Über-/Unterordnungsverhältnis beruhen („truppendienstgerichtliche Angelegenheiten“), während Rechtsschutz im Hinblick auf die mit dem allgemeinen Dienstverhältnis zusammenhängenden Rechte und Pflichten („Verwaltungsangelegenheiten“) durch die Verwaltungsgerichte gewährt wird (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, B.v. 9.8.2005 – 2 B 15.05 – DVBl 2006, 50 f. m.w.N.). Für die Abgrenzung, ob es sich um eine truppendienstliche oder um eine Verwaltungsangelegenheit handelt, sind die „wahre Natur des geltend gemachten Anspruchs und die begehrte Rechtsfolge“ maßgeblich (BVerwG, B.v. 26.10.2012 – 1 WDS-VR 6.12 u.a. – juris Rn. 23 m.w.N.).
Im zugrundeliegenden Eilverfahren geht es nicht um eine truppendienstgerichtliche Maßnahme, sondern um eine Verwaltungsangelegenheit, nämlich eine Statusangelegenheit (dazu etwa M. Koch in Fürst, GKÖD, Yk § 82 SG Rn. 14 m.w.N.). In der Sache verfolgt der Antragsteller das Ziel, dass er von der Antragsgegnerin durch Aushändigung der Ernennungsurkunde in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen wird (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1, §§ 37, 41 Abs. 1 Satz 1 SG). Er hatte zwar im Januar 2021 den Dienst vereinbarungsgemäß angetreten, wurde aber mangels Aushändigung der Ernennungsurkunde kein Soldat im Sinn von § 1 SG. Er befand sich während seiner Eingliederung in der Bundeswehr lediglich als sog. de-facto-Soldat in einem faktischen Dienstverhältnis (vgl. Hucul in Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 1 Rn. 39 ff.). Zwar mag sich auch ein de-facto-Soldat unter bestimmten Umständen in einem besonderen militärischen Über-/Unterordnungsverhältnis befinden, sodass bei der Verletzung von Rechten und Pflichten daraus Rechtsschutz von den Truppendienstgerichten zu gewähren ist. Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers betrifft indes nicht diese Ebene. Er wendet sich nicht dagegen, dass er nach Hause in Marsch gesetzt worden ist. Er wendet sich mit Haupt- und Hilfsantrag der Sache nach vielmehr dagegen, dass die Antragsgegnerin nunmehr von seiner Dienstunfähigkeit ausgeht und deshalb das faktische Dienstverhältnis beendet hat und die Berufung in das Soldatenverhältnis verweigert. Das betrifft Statusfragen in der Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsgerichte.
Ob und gegebenenfalls wie der geltend gemachte Anspruch auf Ernennung zum Soldaten auf Zeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gesichert werden kann, ist keine Frage der Rechtswegzuständigkeit, sondern von Zulässigkeit und Begründetheit der Anträge nach § 80 Abs. 5 und § 123 VwGO.
2. Die Kosten der erfolgreichen Rechtswegbeschwerde sind gemäß § 154 Abs. 1 VwGO von der Antragsgegnerin als unterliegende Partei zu tragen, weil sie die Rechtswegverweisung angeregt hatte und der Beschwerde mit förmlicher Antragstellung entgegengetreten ist. Gerichtskosten fallen für das erfolgreiche Beschwerdeverfahren nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht an. Eine Streitwertfestsetzung war daher entbehrlich. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG liegen nicht vor.
3. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG; vgl. BVerwG, B.v. 16.3.1994 – 4 B 223.93 – NVwZ 1994‚ 782).


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