Verwaltungsrecht

Zweckentfremdungssatzung, Ausfertigungsmangel

Aktenzeichen  12 N 20.1726

Datum:
27.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30619
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 2
ZwEWG Art. 1 Abs. 1
BayGO Art. 26 Abs. 2
BayGO Art. 36

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Satzung der Antragsgegnerin über das Verbot der Zweckentfrem-dung von Wohnraum (ZwES) vom 26. Juli 2019 wird für unwirksam erklärt.     
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.     
III. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Verfahrenskosten vorläufig voll-streckbar. Die Antragsgegnerin darf die Vollstreckung durch Sicher¬heitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betra¬ges abwenden, wenn nicht die Antragstellerin zuvor Sicherheit in glei¬cher Höhe leistet.     
IV. Der Streitwert wird auf 40.000 € festgesetzt.     
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der zulässige Normenkontrollantrag der Antragstellerin, über den der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.
1. Die Satzung der Antragsgegnerin über die Zweckentfremdung von Wohnraum auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsgesetz – ZwEWG) vom 10. Dezember 2007 (GVBl. S. 864), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juni 2017 (GVBl. S. 187), vom Stadtrat der Antragsgegnerin am 23. Juli 2019 beschlossen und im Amtsblatt der Antragsgegnerin Nr. 14 – 2019 am 26. Juli 2019 veröffentlicht, ist nicht wirksam geworden, da sie nicht ordnungsgemäß ausgefertigt wurde.
1.1 Gemeindliche Satzungen sind vom Gemeinderat zu beschließen, anschließend auszufertigen und bekanntzumachen (Art. 26 Abs. 2 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern – BayGO). Die Ausfertigung ist ein Teil des Rechtsetzungsverfahrens. Mit ihr wird zum einen die Originalurkunde geschaffen, die den Willen des Normgebers nach außen wahrnehmbar macht und zum anderen wird bezeugt, dass der Inhalt der Urkunde mit dem Beschluss des zuständigen Organs übereinstimmt und die für die Rechtswirksamkeit maßgeblichen Umstände beachtet wurden (vgl. BayVGH, Urteil vom 16. März 1990 – 23 B 88. 00567 -, juris m.w.N.). Erst damit wird der Beschluss des Gemeinderats, in dem zugleich dessen Wille zum Ausdruck kommt, dass der beschlossene Rechtssatz in Kraft gesetzt werden soll, gemäß Art. 36 BayGO vollzogen (vgl. BayVGH vom 16. März 1990, a.a.O.).
1.2 Für das Bundesrecht ist die Ausfertigung von Gesetzen und Verordnungen durch Art. 82 Abs. 1 GG und für das bayerische Landesrecht durch Art. 76 BV vorgeschrieben. Auch wenn für den Erlass gemeindlicher Satzungen eine solche Regelung fehlt, müssen gleichwohl auch sie ausgefertigt werden, da erst mit der Ausfertigung nach außen hin durch das zuständige Organ die Verantwortung dafür übernommen wird, dass der vorliegende mit dem beschlossenen Wortlaut übereinstimmt und die für die Wirksamkeit der Norm erforderlichen Umstände beachtet wurden. Dies ist aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abzuleiten und dient der Rechtssicherheit (vgl. hierzu ausführlich BayVGH vom 16. März 1990, a.a.O., m.w.N.). Nur durch die so geschaffene Originalurkunde wird erreicht, dass die Rechtswirkungen der Satzung mit der nachfolgenden Bekanntmachung eintreten können. Die Ausfertigung sowie eine Form der Bekanntmachung, die den Betroffenen in zumutbarer Weise eine verlässliche Kenntnisnahme ermöglicht, sind zwingende Erfordernisse des Rechtsstaatsprinzips (Art. 3 Abs. 1 BV), die für alle (außenwirksamen) Normen, auch für Rechtsverordnungen und Satzungen gelten (Möstl in: Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Kommentar, 2. Aufl. 2017, Art. 76 Rn. 1).
1.3 Zutreffend hat der Antragstellerbevollmächtigte dargelegt, dass die streitgegenständliche Satzung diese Voraussetzungen nicht erfüllt und deshalb unwirksam ist. Der vorgelegten Aufstellungsakte der Antragsgegnerin lässt sich unzweifelhaft entnehmen, dass der beschlossene Normtext nicht unter Angabe des Datums handschriftlich vom hierfür zuständigen Organ, vorliegend dem Oberbürgermeister oder seinem Stellvertreter (Art. 36, 34 Abs. 1 Satz 2 BayGO), unterzeichnet wurde.
1.4 Der Mangel der fehlenden Unterschrift des Oberbürgermeisters wird auch von der Antragsgegnerin selbst nicht infrage gestellt. Vielmehr hat sie den Ausfertigungsmangel offenbar nach dessen Aufdeckung durch den Antragstellerbevollmächtigten selbst eingestanden, andernfalls es einer erneuten Bekanntmachung nach erneuter Beschlussfassung nicht bedurft hätte. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin konnte der Mangel der fehlenden Ausfertigung der streitgegenständlichen Zweckentfremdungssatzung indes nicht durch die Bekanntmachung vom 4. Dezember 2020 geheilt bzw. wirksam nachgeholt werden. Denn damit hat die Antragsgegnerin eine neue, am 5. Dezember 2020 mit einer – erneuten – fünfjährigen Geltungsdauer in Kraft getretene Satzung bekannt gemacht, ohne dass sie jedoch dieser ausdrücklich rückwirkenden Bedeutung hat zukommen lassen. Sie hat die streitgegenständliche Satzung vom Jahr 2019 auch nicht aufgehoben, sodass nun zwei inhaltlich weitestgehend gleichlautende Zweckentfremdungssatzungen mit unterschiedlichen, sich überschneidenden Fristen in den Raum gestellt sind. Zutreffend weist der Antragstellerbevollmächtigte darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. Urteil vom 18. August 2015 – 4 CN 10.14 – BVerwGE 152,379-[382]) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 16.6.2017 – 15 N 15.2769 -, juris) bei einer bloßen Neubekanntmachung einer Satzung die Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erneut zu laufen beginnt, wenn – wie hier – der Neuerlass bzw. die Neubekanntmachung einer Satzung dazu dient, der Rechtsnorm überhaupt erst Geltung zu verschaffen.
1.5 Die Antragsgegnerin hat es trotz Erkennens des Ausfertigungsmangels im Hinblick auf die Satzung 2019 unterlassen, diese aufzuheben. Auch wenn diese unwirksam ist, erzeugt sie nicht nur weiterhin den gegenteiligen Rechtsschein, sondern wird von der Antragsgegnerin auch nach wie vor angewendet, wie sich aus den vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth anhängigen Verfahren gegen auf diese Satzung gestützte Verwaltungsakte ergibt. Die Satzung vom 26. Juli 2019 ist deshalb ausdrücklich für unwirksam zu erklären (§ 47 Abs. 5 Satz 2, 1. Halbs. VwGO).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG und orientiert sich an den Empfehlungen in Nummer 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Unter Berücksichtigung der dort empfohlenen Werte hält der Senat einen Streitwert in Höhe von 40.000 € für angemessen.
4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
5. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2, 2. Halbs. VwGO hat die Antragsgegnerin die Nummer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise zu veröffentlichen wie die angefochtene Satzung.


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